Habt ihr auch so Favoriten-Schafe? Meine sind Ouessants. Bei der letzten Schur ist, trotz strenger Woll-Diät, ein Ouessant-Vlies auf unerklärliche Weise in meinem Kofferraum gelandet. Zu Hause stellte ich fest, dass ich von diesem einen Schaf bereits zwei Vliese aus vorigen Jahren im Keller hatte. Es drängten sich mir förmlich die Begriffe “Wolljahrgang” und “Jahrgangswolle” auf, gefolgt von einer Reihe Fragen. Wie unterscheiden sich die Vliese von Jahr zu Jahr? Ändert sich die Wollqualität? Kann ich aus dem Vlies ablesen, wie es dem Schaf ging? Nun, JoJo-Effekt hin oder her, im Dienste der Wissenschaft nahm ich also auch das dritte Vlies mit und machte mich an ein Experiment.
Ouessant – die kleinste Schafrasse der Welt
Ouessants (manchmal auch Quessants) sind auch als Bretonische Zwergschafe bekannt und laut „Farbatlas Nutztierrassen“ die kleinste Schafrasse der Welt. Die maximale Widerristhöhe beträgt nur 46 cm! An der Entstehung der Rasse waren sehr wahrscheinlich Nordische Kurzschwanzschafe beteiligt. Das Leben auf dem „Archipel d’ Ouessant“, von dem sie stammen, ist sehr hart: Das Futter ist karg, das Wetter rau, und so passten sich die Schafe ihrer Umgebung an und wurden immer kleiner (Verzwergung).
Es gibt sie in weiß, braun, schwarz und (seltener) grau. Der Atlas sagt, sie haben lange Wolle mit dichter feiner Unterwolle, aber so lang finde ich die Fasern in „meinem“ Vlies gar nicht. Die Vliesgewichte der Auen liegen zwischen 1 und 1,5 kg.
Die weiße Wolle soll etwas gröber sein als die dunkle, dazu kann ich aber nichts sagen, da ich nur die dunklen Vliese kenne. Die Angaben zur Feinheit schwanken zwischen den verschiedenen Quellen (27–28 Mikron bei Barbara Aufenanger, 25–38 Mikron bei „Schafe und Wolle in Europa“).
Bei Wikipedia gibt es ein paar Bilder von Ouessant-Schafen, ich habe selber leider keines.
Weich und gut gekräuselt – meine Ouessant-Wolle ist ein Traum
Meine Vliese sind dunkelbraun, haben relativ kurze Fasern (im Durchschnitt 5 cm) und sind sehr schön gekräuselt (Crimp). Ouessants sind eigentlich mischwollig , ich kann jedoch in meinen Vliesen keine nennenswerten Deckhaare feststellen. Die Spitzen sind sonnengebleicht, leicht gefilzt und mit Mini-Kletten durchsetzt, die sich aber beim Kardieren leicht heraussammeln lassen. Und ja, dieses Schaf wurde zugefüttert und hat sich geheime Vorräte angelegt, vor allem im Nackenbereich…
Die Wolle von „meinem“ Schaf ist für mich auf jeden Fall halstauglich weich. Allerdings sind die Unterschiede in den Fasereigenschaften wohl von Tier zu Tier sehr unterschiedlich. Es gibt andere Ouessants in anderen Herden, die wesentlich glattere und gröbere Wolle haben. Und auch die Filzeigenschaften sind von Tier zu Tier verschieden. „Mein“ Ouessant ist eine von drei Damen, die in einer gemischten Herde mitlaufen. Von den beiden anderen gibt es bei der Schur regelmäßig fertig gefilzte Sitzfelle, nur dieses eine Vlies ist jedes Mal filzfrei.
Die sonnengebleichten Spitzen sind das beste an meinen Vliesen, finde ich. Sie geben beim Kardieren kleine Farbsprenkel und verleihen dem Garn eine Art Tweedcharakter (aber dazu weiter unten mehr).
Ouessant verspinnen – viel Drall und langer Auszug
Die Vliese habe ich mit Power Scour gemäß Herstellerangaben gewaschen. Sie enthalten nach dem Waschen nur noch wenig Lanolin (das bevorzuge ich), aber auch ein paar Hautschüppchen.
Ich habe von jedem Jahrgang ca. 20 – 25 g Locken wahllos aus dem Sack gezogen und zu Rolags kardiert. Die Rolags bleiben klein und fest und halten sehr gut zusammen.
Von früheren Spinnproben wusste ich: die Faser verträgt Drall und ist aufgrund der Kürze (Länge möchte ich gar nicht sagen) hervorragend für den langen Auszug geeignet. Gesponnen habe ich auf meinem Lendrum mit dem WooLee Winder bei 1:19 im langen Auszug. Jeden Einzelfaden habe ich anschließend mit sich selbst verzwirnt. Nach dem Entspannungsbad habe ich daraus jeweils ein kleines Quadrat gewebt.
Beim Spinnen der 2020er Probe bin ich nach ca. ⅓ der Fasern auf die höhere Übersetzung 1:19 gewechselt. Zur Sicherheit habe ich noch eine zweite Probe gemacht, die ausschließlich bei 1:19 gesponnen wurde um sicherzugehen, dass das keinen Einfluss auf das Garn hatte. Weichheit und Griff sind identisch mit der ersten Probe, d. h. die Elastizität ist wirklich auf die Fasereigenschaften und nicht die Spinnparameter zurückzuführen.
Weich, elastisch und tweedy – das ist mein Ouessant
Bevor ich zu den einzelnen Jahrgängen komme, halten wir uns nochmal kurz folgende Punkte vor Augen:
- Schurtermin ist meist im Juni, kurz bevor die Lämmer abgesetzt werden.
- Die Schur eines Jahrgangs enthält immer die Wolle vom Jahr davor.
Leider kann ich mich nicht mehr wirklich gut an das Wetter der jeweiligen Jahre erinnern, um die mit den Fasereigenschaften abzugleichen …Nunja.
Die herausstechendsten Eigenschaften der Faser sind ihre Weichheit, Elastizität und der Tweedcharakter, der durch die ausgebleichten Spitzen entsteht.
Trotz ihrer Feinheit lassen sich die Fasern nicht so superdünn ausziehen, wie ich dachte. Die Garne werden etwas unregelmäßig (auch durch die Nuppsies) und puffen im Entspannungsbad ordentlich auf. Dadurch entsteht ein Zwirnwinkel, der mir außerordentlich gut gefällt. Hach, fantastisch, ich kann es gar nicht abwarten, damit zu arbeiten!
Jahrgang 2020 ergibt gefühlt ein Garn, das ein kleines bisschen weicher und elastischer ist als die anderen beiden Jahrgänge. Das würde zu der Vorstellung passen, dass die Wolle der Schafe über die Jahre immer gröber wird – und im Umkehrschluss die Wolle eines jüngeren Schafes (d. h. eines frühen Jahrgangs) weicher ist. Der Unterschied ist aber wirklich kaum merklich. Die hellen Spitzen, die beim Kardieren etwas gerissen sind, geben dem Garn wie schon erwähnt einen fast tweedartigen oder speckled-Charakter. Das gefällt mir sehr gut!
Jahrgang 2022: Dieses Garn ist gleichmäßiger, nicht ganz so elastisch und deutlich dunkler als die anderen beiden Garne. Ich habe keine besonders dunkle Stelle im Vlies ausgewählt – offenbar hatte das Schaf in diesem Jahr wirklich weniger ausgeblichene Spitzen. Schien da weniger Sonne? Stand das Schaf auf einer Weide, die mehr Schatten bot? Ich erinnere mich daran, dass zur Zeit der Lämmerkoppel alles sehr heiß und trocken war, aber ansonsten bin ich etwas ratlos. An Weichheit steht es aber dem 2020er Garn nicht nach. Die Qualität der Fasern und auch der Garne ist vergleichbar. Durch die Abwesenheit der helleren Spitzen erklärt sich auch die höhere Gleichmäßigkeit in der Garnstärke beim Spinnen.
Jahrgang 2023: Fasern und Garn sind wieder heller als 2022 und deutlich tweedartig. Die Weichheit ist minimal geringer als die des 2020er Jahrgangs, ansonsten sind die Garne im Grunde kaum zu unterscheiden.
Mein Fazit
Die drei Jahrgänge unterscheiden sich hauptsächlich in der Farbe und dem „Blondierungsgrad“ der Spitzen. Ich habe mir jetzt nicht die Mühe gemacht, die Sonnenstunden für jedes Jahr zu recherchieren, weil ich ja auch nicht weiß, wo genau die Schafe standen (die Standorte bestimmt ja die Schäferin).
Eine Abnahme der Faserqualität bezüglich Feinheit und Weichheit konnte ich alles in allem nicht finden. Auch wenn das Garn aus dem 2020er Vlies ein wenig weicher und elastischer war, ist der Unterschied wirklich sehr gering und setzte sich nicht über die weiteren Jahrgänge fort. Und so könnte ich also beherzt drei Vliese kombinieren und einen Pullover machen, ohne die Gefahr, dass ein Ärmel weicher wird als der andere. Bleibt zu überlegen, ob ich die Farbunterschiede als feature nutzen möchte oder lieber mische und so einheitlichere Garne bekomme. *Seufz* decisions, decisions …
Das muss aber nicht immer so sein. Bei Coburger Füchsen kann man deutlich fühlen, welches Vlies von einer Erstschur stammt und welches von einem sehr alten Schaf. Bei sehr gut filzender Wolle wie z. B. Skudden kann ein Frühjahr mit abwechselnd feuchtem und warmem und trockenem Wetter eine komplette Schur am Schaf filzen und zum Spinnen unbrauchbar machen.
Wenn man vom einzelnen Schaf auf die Herden-Ebene wechselt, dann ist auch hier Jahrgangswolle möglich, d. h. ein Unterschied in der Wollqualität von Jahr zu Jahr im Mittel der Herde. Da ich keine Schäferin bin, kann ich hier nur spekulieren, aber ich erinnere mich, dass Rosy Green Wool schon vor etlichen Jahren Jahrgangsgarne verkauft haben, die es so in dieser Form nie wieder gab. (Leider habe ich keine links mehr dazu gefunden.) So wie eben ein besonderer Jahrgang bei einem guten Wein.
Was kann ich draus machen?
Meine Ouessantwolle ist definitiv pullover-, mützen- und halstauglich. Mehr als zwei Fäden muss man auch gar nicht zum Zwirnen verwenden, das Garn ist so bouncy, dass ein 3ply fast ein bisschen overkill wäre, ein 2ply reicht vollkommen aus.
Wenn ich es verstricken wollte, würde mir als erstes ein Pullover oder eine Weste einfallen, eventuell sogar was mit Rollkragen oder Kapuze. Mustertechnisch würde ich bei glatt rechts bleiben, damit der Tweedcharakter mit den Nuppsies (Fachwörter! ) herausgestellt wird. Was die Faser nicht hat, ist ein glatter Fall.
Aber auch die Webproben haben etwas. Ich bin zu wenig erfahren im Weben, aber aufgrund der inhärenten Elastizität käme man eventuell sogar mit Leinwandbindung recht weit, selbst für Kleidungsstücke. Mir schwebt auch ein Umhang oder ein Cape vor, mit Kapuze, aber dafür würde ich vorher definitiv noch Bindungsproben machen, um sicherzugehen, dass der Stoff entsprechend gut fällt und Falten wirft.
Und Taschen? Hmm … eine … Tasche würde aufgrund der Elastizität vermutlich ausbeulen. Aber vielleicht kann man den Stoff anfilzen und somit etwas Elastizität rausnehmen? Die Filzeigenschaften dürften gut sein, wir erinnern uns an die fertigen Sitzfelle direkt am Schaf …
Habt ihr schon mal Ouessant verarbeitet? Wie sind eure Erfahrungen, was habt ihr daraus gemacht? Schreibt es in die Kommentare!
Literatur
Hans Hinrich Sambraus „Farbatlas Nutztierrassen (7. Auflage)“, Ulmer Verlag.
Barbara Aufenanger „Das Wollprojekt. Wolleigenschaften in Deutschland gehaltener Schafrassen.“ ISBN 978-3-00-040686-7
Betty Stikkers, Diderica Westerveld, Thérèse Akkermans „Wolle und Schafe in Europa“ ISBN 978-90-824961-3-0
Schreibe einen Kommentar