Viele Spinnerinnen schwärmen davon, einfach „aus der Flocke“ zu spinnen, am besten direkt vom Schaf, ganz ohne Vorbereitung der Fasern. Ich hatte das noch nie gemacht, denn bei den meisten Vliesen, die ich bislang in der Hand hatte, war entweder einiges an Vorarbeit erforderlich, oder ich hatte ganz bestimmte Pläne dafür.

Und dann kam Dieses Eine Vlies. Diese Locken! So seidig, überhaupt nicht angefilzt, ein wunderbares silbergrau, jede einzelne perfekt. Als das Universum mir dann noch ein weiteres perfektes Stück Vlies schickte, wusste ich: Das rief ganz laut nach einem Experiment. Also probierte ich es einfach mal aus – und von dem Ergebnis war ich sehr hingerissen! In diesem Artikel zeige ich, wie ich vorgegangen bin, und welche Gedanken mir dazu durch den Kopf zogen.

Was heißt „Aus der Flocke spinnen“?

„Aus der Flocke spinnen“ heißt: keinerlei Faservorbereitung. Manche Menschen halten sogar das Waschen für Faservorbereitung und schwören darauf, die Wolle frisch vom Schaf zu spinnen (das nennt man dann im Englischen „in the grease, also im Fett spinnen). Für sie ist es die einzig wahre Art, Schafwolle zu verspinnen. Das Lanolin wäre wohl bis zwei Wochen nach der Schur noch schön geschmeidig und würde das Spinnen sehr erleichtern (danach wird es wohl hart – allerdings habe ich das so noch nicht probiert und kann das nicht einschätzen). Und wenn man dann das fertige Garn wäscht, käme ja der ganze Dreck dann raus.

Warum ich bislang nicht aus der Flocke und auch nicht „in the grease“ gesponnen habe

In meiner Vorstellung (und was ich bislang so dazu gesehen habe) kommen beim Spinnen aus der Flocke eher unregelmäßige Garne heraus, eben weil die Fasern nicht besonders aufbereitet wurden (höchstens etwas aufgezupft). In meiner Erfahrung sind viele der Vliese, die ich bislang in Händen hielt, manchmal etwas angefilzt, an den Schnittkanten oder da, wo die Lämmer auf den Müttern rumgeturnt sind. Dementsprechend kann man nicht gleichmäßig ausziehen, man hat mal mehr und mal weniger Fasern in der Hand. Man kommt also gar nicht richtig in einen Flow, sondern muss ständig das Spinnen unterbrechen, um Pflanzenmaterial rauszuklauben, Fasern neu anzusetzen, Verfilzungen zu lösen etc. In meiner Erfahrung war es so: Je besser Fasern vorbereitet sind, desto geschmeidiger und leichter lassen sie sich auch spinnen. Zudem fällt bei jedem Vorbereitungsschritt auch etwas Dreck aus den Fasern, sodass ich am Ende weniger staubsaugen muss.

Beim Spinnen in the grease kommt noch hinzu: Das Lanolin setzt sich überall auf dem Spinngerät ab. Wenn ich danach auf demselben Gerät z.B. feine Seide spinnen möchte, muss ich erst mal alles gründlich saubermachen, damit die Seide nirgends klebenbleibt. Plus: Das Lanolin hält den Dreck eher fest, es ist ein bisschen wie Klebstoff dafür. Dementsprechend war ich auch skeptisch, ob das Lanolin beim Waschen dann wirklich rausgeht (ich mag fettige Wolle nur für bestimmte Projekte, außerdem riecht das Lanolin irgendwann komisch und gar nicht mehr gut nach Schaf). Mein Gedankengang ist dieser: Wenn der Dreck am Lanolin klebt und eng in den Faden eingesponnen wird, dann kann er auch nicht mehr so gut ausgewaschen werden. Das ist der gleiche Effekt wie beim Wolle-Waschen, wenn man einen dicken Klumpen Wolle in ein zu kleines Gefäß legt zum Waschen: Es ist zwar alles naß geworden, aber das Lanolin wurde nur aus den äußeren Schichten herausgewaschen, die inneren Schichten des Klumpens haben noch deutlich Lanolin (wer kennts?).

Soweit zu meinen Gedanken und Vorurteilen, nun kommen wir zu meinen Erfahrungen.

Wie habe ich es gemacht?

Das waren die tollen Fasern

Ein Stapel hellgraue Wolle, von einer Hand hochgehalten, vor einer braunen Holztür.
Das ist ein Stapel von Diesem Einen Vlies. Ich halte ihn an der deutlich breiteren Schnittkante fest, oben kann man die etwas blonderen Spitzen erkennen. Der Stapel war leicht gewellt.

Die Vliese, die sich zum In-der-Flocke-Spinnen quasi aufdrängten, waren die folgenden:

  1. Eine Kreuzung aus Gotländischem Pelzschaf und Rauhwolligem Pommerschen Landschaf. Die Fasern waren von einem fantastischen Grau, ein Teil eher silbergrau, ein anderer Teil tendenziell Richtung anthrazit. Die Locken waren super schön definiert, ich konnte sie einzeln aus dem Vlies zupfen, ohne dass sie hängen blieben und andere Locken aufgrund von Verfilzungen mitrissen. Sie waren kompakt, ohne komprimiert zu sein, ließen sich leicht auffächern von der Schnittseite her und fühlten sich seidig und glatt an.
  2. Braunes Merinolandschaf, das mir eine liebe Spinnfreundin mitgebracht hat. Die Fasern waren sehr fein und bauschig, auch hier konnte ich problemlos die Locken voneinander trennen und auffächern. Insgesamt war sehr viel glitzerndes Lanolin in den Fasern. Die Freundin sagte, sie hätte das direkt ohne Waschen gesponnen, und so wollte ich das auch mal probieren.

Spinnen aus der gewaschenen Flocke

Das graue Vlies habe ich zuerst verarbeitet und gleich erst mal nach Farben (hell und dunkel) sortiert und gewaschen. Meine liebste Methode zum Waschen ist ja das Waschen mit Power Scour (vielleicht sollte ich dazu mal einen Artikel schreiben?). Die Locken habe ich dann am Rad versponnen. Sie waren an der Schnittkante breiter als an der Spitze und ließen sich sehr leicht auffächern. Gesponnen habe ich „in Schuppenrichtung“ von der Schnittkante zur Spitze hin.

Spinnen aus der Flocke am Spinnrad. Ein Haufen grauer Locken liegt im Vordergrund und wird von einer Hand gehalten. Ein gerade gesponnener Faden geht von einer Locke zum Spinnrad im Hintergrund.
Spinnen von der Schnittkante zur Spitze am Spinnrad.

Das Auffächern der Locken geschah fast von alleine während des Ausziehens. Ich habe etwas schräg von der Schnittkante weg ausgezogen und hatte so meistens ein schönes Faserdreieck.

Auf Instagram habe ich zum Spinnen aus der Flocke ein Video geteilt.

Es gab Stellen im Vlies, die schon etwas verwuselt waren, das lag aber nicht am Waschen, sondern an der Körperstelle, von der die Fasern stammten. Je näher ich der Rücken- und Nackenlinie kam, desto strubbeliger waren die Fasern und für manche habe ich dann doch kurzerhand zu den Handkarden gegriffen. Ich muss mir das Leben ja nicht aus Prinzip und absichtlich schwer machen, gell?

strubbelige graue Fasern, in einer Hand gehalten vor einer braunen Holztür.
Was so strubbelig war, wurde dann doch manchmal noch kardiert. Hier war einfach keine Lockenstruktur mehr erkennbar.

Aus der ungewaschenen Flocke („in the grease“)

Das braune Merino war ganz anders. Die Stapel waren eher rechteckige Blöcke, kürzer als das graue Vlies, und intuitiv habe ich sie aus der Mitte des Stapels heraus gesponnen (quasi ein bisschen wie aus der Falte spinnen). Das ging wunderbar und fächerte die Stapel wie von selbst auf. Das Garn war wunderbar elastisch, was natürlich zum einen an den Fasern gelegen haben dürfte, aber vielleicht auch an der Spinntechnik.

Beim Spinnen des Merino kamen dann meine Bedenken bezüglich des klebrigen Lanolins auf meinem heiß geliebten Lendrum zum Tragen und so wählte ich zum Spinnen der fettigen Wolle eine leichter zu reinigende Handspindel.

Hier entlang zu dem Video auf Instagram, in dem ich das braune Merino aus der Flocke spinne.

Meine Gedanken zum „Aus der Flocke spinnen“ – Vorzüge und Nachteile

Das Spinnen aus der Flocke ging (mit dem richtigen Vlies) doch erstaunlich gut. Ich bin sehr froh, dass ich dieses Experiment durchgeführt habe, denn so habe ich wieder etwas über Wolle, ihre Verarbeitung und meine Präferenzen (und Vorurteile) gelernt. Hier nun ein paar der Gedanken, die mir dabei durch den Kopf gingen.

Vorzug 1: lebhaftere Garne

Das erste, was mir so richtig ins Auge stach: beide Garne wurden farblich lebhafter, denn z.B. die helleren Spitzen des braunen Merino blieben als Farbtupfer im Garn erhalten und ergeben ein sehr harmonisches Bild. Die Vliesstückchen, die ich kardieren musste, zeigen das nicht, denn durch das Kardieren werden die blonden Spitzen eher in den Faden eingearbeitet.

Spinnprobe hellgraues Garn, aus der Flocke gesponnen, auf einem braunen Holzlattentisch. Das Grau ist vielfach schattiert und lebhaft.
Nahaufnahme einer Spinnprobe. Das Garn ist wunderbar weich und die Farbe lebhaft durch die subtilen Schattierungen.

Bei dem grauen Vlies waren die Locken immer etwas unterschiedlich grau und dadurch war das gesamte Garn etwas melierter. Beim Kardieren wären diese Nuancen verschwunden (so wie wenn man im Tuschkasten die Farben mischt).

Aus der Flocke gesponnenes Garn aus brauner Merino. Kleiner Strang auf Terrazzo-Platten.
Beim Probestrang aus dem braunen Merino kann man sogar noch erkennen, wo die blonden Spitzen im Garn sind. Die Farbe ist wirklich sehr schön lebhaft, ohne unruhig zu wirken.

Bei einem rein weißen Vlies kommt das natürlich nicht zum Tragen, aber bei grauen oder braunen Vliesen kann ich die Vorzüge des „Aus der Flocke“-Spinnens deutlich erkennen. So ein Garn ist maschinell nicht herstellbar!

Vorzug 2: Zeitersparnis (aber weniger flow)

Durch das Wegfallen der vorbereitenden Schritte (Kardieren oder Kämmen) ist das Spinnen von der Flocke bis zum Garn durchaus schneller. Ich habe ein gesamtes Vlies in nur einem Monat gesponnen, das hätte mit Kardieren vermutlich länger gedauert. Allerdings war das Spinnen an sich etwas langsamer, weil ich den Spinnprozess immer unterbrechen musste, um mir ein paar Locken aus dem Vliesstück zu ziehen. Man kann so also nicht in so einen meditativen flow kommen, aber dafür bleibt das Spinnen immer „neu“.

Vorzug 3: keine zusätzlichen Geräte erforderlich

Für das Spinnen aus der Flocke braucht man außer Spinnrad oder Spindel keine zusätzlichen Geräte. Einziges Caveat: Das Vlies muss das auch hergeben und in Top-Zustand sein – keine Verfilzungen, möglichst keine Einstreu. Ein leicht angefilztes Vlies mit Einstreu ist ohne Kardieren vermutlich sehr mühsam zu spinnen, weil man alle Nase lang anhalten muss, um irgendwas rauszuzupfen oder eine Verfilzung zu lösen. In so einem Fall wird für mich das Spinnen aus der Flocke zum Kampf. Brauch ich nicht.

Nachteil 1: Diskontinuierliches Arbeiten

Wer bislang nur fertiges Kardenband gesponnen hat, wird sich etwas umstellen müssen. Das Spinnen der Locken erfordert ein häufigeres Unterbrechen des Spinnens, um eine neue Locke zu nehmen und ggf. aufzufächern. Den Flow, wie ich ihn vom Spinnen unendlichen Kardenbands kenne, konnte ich so nicht erreichen. Aus der Flocke zu spinnen hat seinen eigenen Charme, aber man muss es mögen.

Nachteil 2: Der Dreck beim Spinnen in the grease

Für das Spinnen in the grease sind meine Annahmen bestätigt worden. Das Wollfett setzte sich überall auf der Spindel ab und die Spindel fühlte sich irgendwie nicht mehr so gut an. Dieses Gefühl mochte ich nicht und an meinem Spinnrad möchte ich das erst recht nicht haben. Als das Garn fertig war, habe ich die Spindel gründlich gewaschen, und nun ist sie zum Glück wieder wie neu.

Beim Spinnen rieselte unglaublich viel Dreck aus der Wolle – Dreck der sonst beim Waschen und ausschütteln schon vor dem Spinnen rausfällt. Aus der gewaschenen Wolle fällt dann immer noch genug Dreck raus, aber die ungewaschene war nochmal speziell. Dabei sah sie unglaublich sauber aus!

Immer wenn ich die fettige Wolle gesponnen habe und kurz was anderes machen wollte, musste ich mir die Hände waschen. Mit dem Schafdreck an den Fingern wolllte ich z.B. kein Essen zubereiten oder Sachen in der Wohnung anfassen. Ich wollte die ungewaschene Schafwolle auch eigentlich nicht in der Wohnung haben oder in eine Projekttasche stecken und irgendwohin mitnehmen. Wenn man wie ich oft zwischendurch ein bißchen spindelt und dann aber jedes Mal die Hände waschen muss, wenn man die Spindel kurz weglegt, dann nimmt das dem Ganzen doch etwas den Spaß. Vermutlich wäre die Erfahrung schöner, wenn ich ein dediziertes “Rohwoll-Rad” hätte und längere Zeit am Stück daran spinnen würde. Aber so war es mühsam.

Spinnproben und Strickproben – mein zweites Date mit meinem Traumvlies

Ich spiele ja gerne mit den Fasern und schaue, was sie werden wollen. Das graue Vlies gefiel mir ganz dick versponnen am allerbesten, und die Strickprobe für ein Dänisches Bindetuch gefiel mir außerordentlich gut (besser als die für einen Pullover!). Mittlerweile ist das graue Vlies fertig aus der Flocke versponnen, und das Bindetuch wird wohl mein Sommerprojekt dieses Jahr. Ich freu mich schon voll drauf!

Spinnproben aus der Flocke liegen auf einem braunen Holzattentisch. Daneben liegt unverarbeitetes Schafvlies sowie Mini-Pullover als Strickproben.
Studie in Grau: Ich habe ein paar Spinn- und Strickproben gemacht, am liebsten mache ich dafür so kleine Mini-Pullover.
Graue Garnknäule liegen auf einem braunen Lattentisch. Garnproben für Aus der Flocke Spinnen.
Meine Spinnproben nochmal in Nahaufnahme. Links das dünnere Garn mit etwas mehr Drall, rechts das dickere, weicher versponnene und verzwirnte Garn. Das rechte Garn sagte mir mehr zu.
Strickproben Garne Aus der Flocke gesponnen, hellgrau. Die Strickproben sind kleine Dreiceckstücher.
Meine Strickproben als Dreieckstücher. Die Haptik des oberen Tuches aus dem weicheren, dickeren Garn oben gefiel mir deutlich besser.

Das braune Merino habe ich nach den ersten Pröbchen dann doch lieber gewaschen und verspinne es jetzt drin an meinem Lendrum. So macht es mir deutlich mehr Spaß (und es krümelt immer noch!). Ein bißchen Lanolin ist immer noch drin und macht das Spinnen ganz angenehm.

Die Merinofaser wollte deutlich dünner versponnen werden als die graue, und es ist sehr sehr elastisch in der Probe geworden. Ob das mit dem Spinnen aus der Flocke zusammenhängt, weiß ich gar nicht, möglicherweise war es das „Aus der Falte“-Spinnen, das dem Garn die Luftigkeit und Elastizität gibt.

Auch hier habe ich hellere und dunklere Vliesteile, die ich getrennt verarbeite. Das ist gerade in Arbeit, und wenn ich weiß, was ich damit mache, dann aktualisiere ich einfach diesen Blogartikel.


Magst Du gerne aus der Flocke spinnen? Was sind Deine Erfahrungen? Hinterlasse gerne einen Kommentar!