Sonntag früh, kurz nach 6, der Wecker klingelt. An jedem anderen Sonntag hätte ich entnervt das Kissen über den Kopf gezogen und einen Latschen nach dem lärmenden Ding geworfen, aber heute nicht. Heute ist wieder Schafschur!
Das Universum spielt mit, es ist nicht zu heiß und nicht zu kalt und vor allem: Es regnet nicht. Nasse Schafe kann man nämlich nicht scheren. Letzte Woche waren brütende 30 °C, gestern noch zogen stürmische Schauer übers Land, heute ist die Welt wieder in Ordnung.
Den Sortiertisch hab ich gestern schon ins Auto gepackt, jetzt fehlen nur noch Sonnencreme, genug Wasser, etwas zu essen und mein Morgenelixier – Kaffee – und dann gehts schon los Richtung Eberswalde.
Morgens um acht in Eberswalde
Als ich um acht ankomme, ist Carina, die Schafhalterin von der Schäferei Schöne Schafe Biesenthal, schon eine ganze Weile auf den Beinen. Die Vorbereitungen gingen gestern schon los – Schafe einfangen und einpferchen, Zäune umstecken, damit alles bereit ist für den Scherer. Jetzt wird noch mal alles kontrolliert, der Ablaufplan für heute präzisiert, Helfer eingewiesen und alles aufgebaut. Heute wird nicht nur geschoren, die Mütter bekommen auch Klauenpflege (die macht der Scherer vor dem Scheren), eine Wurmkur, die Lämmer müssen entwurmt und geimpft werden, und eine Ektoparasitenbehandlung steht auch an. Außerdem wird bei jeder Mutter das Euter, Wolle und Klauen begutachtet und notiert. Und zu guter Letzt werden heute die Lämmer von den Müttern entwöhnt, denn sie sind mittlerweile groß genug. Die Bocklämmchen üben schon mal für die nächste Decksaison, und bevor sie da erfolgreich werden, müssen sie von den Mädels getrennt werden. Volles Programm also.
Ich such mir ein Eckchen und baue meinen Tisch auf. Nach und nach kommen auch weitere Helfer dazu. Zwei Wollbegeisterte aus dem nahegelegenen Spinnkreis werden zum Schafe-Zuführen eingeteilt. Da die Schafe sich nicht von alleine brav in einer Reihe aufstellen, müssen sie mit einem Halfter eingefangen werden, damit der Scherer nahtlos weiterarbeiten kann. Er arbeitet heute in einem deutlich gemütlicheren Tempo als üblich, weil sonst die Drum-Herum-Arbeiten nicht hinterherkommen würden. Die Tierärztin ist jetzt auch da, sie hat die Medikamente zum Impfen mitgebracht und impft die Lämmer. Insgesamt sind wir sicher 12-14 Leute, und jeder hat zu tun.
Der beste Job von allen: Wolle sortieren
Ich finde, ich hab den besten Job von allen: Wolle sortieren. Ich nehme dem Scherer das Vlies ab, bringe es zu meinem Sortiertisch und dann wird in Windeseile vorsortiert. So gut es geht, Bauch-Beine-Po rausnehmen, nach Kletten suchen und auch die entfernen, verfilzte Stellen um den Nacken herum. Noch kurz Nachschnitt rausschütteln, dann sind die 2 Minuten schon rum und das nächste Vlies steht an. Zum Glück sind wir zu dritt, alleine würde ich es wohl grade so schaffen, Kotreste zu entfernen und das jeweilige Vlies ins Big Back zu werfen. Wenn ich ein Vlies zum Handspinnen sortiere, nehme ich mir mehr Zeit und gehe wirklich handbreit für handbreit durch, aber das ist hier gar nicht möglich.
Wolle Sortieren ist für mich ein Fest für die Sinne. Die Vliese sind alle unterschiedlich: Rhönschafvliese sind mittelweich und einfach nur riesig, und ich frag mich immer, wie so viel Wolle auf ein einzelnes Schaf draufpasst. Mein Tisch ist für ein Rhönschafvlies definitiv zu klein. Die Vliese der Coburger Füchse hingegen sind weich, leicht und bauschig und ein regelrechter Traum. Wenn die ganzen Kletten raus sind, versteht sich. Und dann sind noch die Vliese der Wensleydales und Gotländischen Pelzschafe. Die sind klein und dafür recht schwer, und sie hängen nicht wirklich gut zusammen, ich muss gut aufpassen, dass sie auf dem Tisch nicht zu sehr zerfallen. Manche sind direkt auf dem Schaf zu wunderschönen Sitzunterlagen gefilzt … Ouessant-Vliese sind ganz klein, aber super schön, und ein dunkles mit ausgebleichten Spitzen hat mich ganz lieb angeflauscht und durfte mit mir nach Hause kommen. Ganz neu dieses Jahr sind Shetland-Vliese mit herrlichem Crimp.
Die Schafe riechen auch alle ein bisschen unterschiedlich, wie mir die anderen beiden Team-Kolleginnen beim Sortieren bestätigten. Ein bestimmtes Rauhwolliges Pommersches Landschaf hatte sogar einen speziellen mandelartigen Geruch. Abgefahren, echt abgefahren.
Und die ganze Zeit über hat man den Schaf-Soundtrack auf den Ohren. Die Schafe lassen dieses Großereignis schließlich nicht unkommentiert vorübergehen. Lämmer rufen nach ihren Müttern, die Mütter rufen zurück oder unterhalten sich über ihre neuen Frisuren – so genau kenn ich mich da noch nicht aus. Aber es ist definitiv ganz schön laut!
Nicht jedes Schaf mag das Scheren. Manche sind Profis – sie wissen, was kommt, halten still und lassen es über sich ergehen. Und manche wissen, was kommt – und fangen an zu zappeln. Da gibt es sehr unterschiedliche Temperamente, und bei manchen muss der Scherer die Schur unterbrechen und das Tier erst beruhigen und wieder richtig hinlegen, bevor es weitergehen kann. Wenn alles gut läuft, wirkt es fast wie ein Tanz mit dem Schaf, wie der Scherer es hält und dreht und mit den Beinen dirigiert.
Schafscherer sein, vor allem hauptberuflich, ist ein Knochenjob. In seinem besten Jahr, erzählt er, hat er mal über 26 000 Schafe geschoren. Huiuiui. Das sind eine Menge Schafe. Aber es gibt bei den Scherern, wie auch bei den Schäfern, Nachwuchsprobleme, vor allem bei den Hauptberuflichen. Letztes Jahr haben wieder drei Scherer aufgehört. Wenn man mal annimmt, dass jeder im Jahr so ca. 10 000 bis 15 000 Schafe geschoren hat, dann haben dieses Jahr 30 000 bis 45 000 Schafe ein Problem. Geschoren werden müssen sie, das verlangt der Tierschutz. Aber was macht man als Schafhalter, wenn man keinen Schertermin bekommt? Den Scherer mit höheren Preisen anlocken? Mit Geld, was man über die Schafhaltung gar nicht mehr reinbekommt? Kann man sich Schafhaltung jetzt nur noch leisten, wenn man reich ist? Ich komme ganz schön ins Grübeln.
Immer wieder Neues lernen
Von einem Schafscherer, besonders von einem, der selber mal Schäfer war, kann man eine ganze Menge lernen. So wusste ich zwar, dass es Schafe mit einem (teilweisen) Wollwechsel gibt. Bei Shetlandschafen z. B. hat man zu einer bestimmten Zeit im Jahr einen sogenannten „rise“. An dieser Stelle werden die einzelnen Haare deutlich dünner, sodass sie eine Art Sollbruchstelle bekommen und man sie dort „raufen“ kann, d. h. man kann die Wolle direkt mit den Händen abziehen. Das tut den Schafen nicht weh. Was ich nicht wusste: Ein kleines bisschen ist das auch bei anderen Schafrassen so. Das ist das, was man bei Wolle als „schön abgewachsen“ bezeichnet. Zu einem bestimmten Zeitpunkt im Jahr (der offenbar von Rasse zu Rasse variiert), ist die Wolle abgewachsen, d. h. sie wird über der Haut etwas dünner, sodass sie auch dort leicht zu scheren ist. Wenn man vor diesem Zeitpunkt schert, ist sie noch nicht abgewachsen und der Scherer hat wirklich große Mühe, sich durch die Wolle zu kämpfen. Manchmal kann der Scherer auch nicht unterscheiden, ob er jetzt eine dicke Stelle Wolle schert oder ob da eine Hautfalte im Weg ist. Die Verletzungsgefahr für das Schaf ist also deutlich höher, wenn die Wolle noch nicht richtig abgewachsen ist. Dementsprechend kann man sich den Schurtermin nicht einfach so legen, wie man es gerne hätte, sondern ist auch da an den Haarzyklus gebunden. Wieder was gelernt.
Interessanterweise hatte ich gerade zu diesem Thema einen Blogartikel von Irina von driftwool gelesen. Sie hatte mal die Literatur nach Untersuchungen zum Haarwachstum durchforstet und einen Übersichtsartikel geschrieben. Sehr interessant!
Bei der Schur einer etwas älteren Wensleydale-Dame kamen wir auch auf Wollqualität zu sprechen. Offensichtlich ist es auch so, dass vor allem bei Schafrassen, die wegen ihrer Wolle gezüchtet werden (viele englische Rassen), die Wollqualität mit zunehmendem Alter des Schafes stark abnimmt. Bis zu einem Alter von 4 Jahren ist die Wolle wohl noch in Ordnung, danach wird sie zunehmend schlechter.
Schafhaltung braucht community
Um 15 Uhr ist es dann geschafft. Das letzte Schaf geschoren und behandelt, jetzt geht es ans Aufräumen. Sieben Stunden gearbeitet, 14 Leute. Schafe halten ist definitiv etwas, was man nicht alleine als Einzelperson macht. Viele Dinge und Dienste kann man auch gar nicht mit Geld bezahlen oder in Geld ausdrücken. Was hätte es gekostet, 14 Menschen für 7h einen Mindestlohn zu bezahlen? So funktioniert Schafhaltung (und auch Landwirtschaft) irgendwie nicht.Man braucht eine community, Leute, die sich gegenseitig unterstützen und unter die Arme greifen, ohne nach Geld zu fragen. Die Enthusiasmus oder wenigstens Hilfsbereitschaft mitbringen, die sich einbringen wollen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Die eine Verbindung aufbauen oder erhalten wollen. Die einen Unterschied machen wollen. Und es macht definitiv einen Unterschied, ob man mit dem Scherer alleine auf der Weide steht oder Menschen hat, die einen unterstützen.
Ich weiß jedenfalls, wo mein Ouessant-Schaf gestanden hat, und ich hab auch noch seine Wolle vom letzten Jahr, und wenn ich noch ein kleines bisschen sammele, reicht es vielleicht auch noch für einen Pullover.
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