Ein Blog über Handspinnen, Wolle und Schafe

Kategorie: Flachs, Baumwolle und Co

Flachs im Hochbeet anbauen – Mein Großes Faserexperiment 2025

Meine Faserexperimente sind ja immer sehr unterschiedlich – mal sind es verschiedene Schafrassen, dann wieder Spinntechniken oder verschiedene Arten der Faservorbereitung. Für dieses Jahr hat sich nun still und leise ein Langzeitprojekt angeschlichen: In dem Hochbeet, in dem letztes Jahr noch der Japanische Färberknöterich gewohnt hat, habe ich Ende April 1 qm Lein ausgesät. Wenn alles gutgeht, habe ich im Herbst ein kleines Bündel selbst angebauter Fasern in der Hand – vom Saatkorn zum Garn im eigenen Hochbeet! Aussaat, Raufen, Trocknen, Rösten, Brechen, Schwingen, Hecheln: Hier werde ich nach und nach von den einzelnen Etappen berichten.

Das Projekt „1 qm Lein“

Das Projekt „1qm Lein“ wurde von Mona Knorr und Christiane Seufferlein in Deutschland und Österreich initiiert. Es ist ein Mitmach- und Communityprojekt, das sich zum Ziel gesetzt hat, das Wissen über die Pflanze und ihre Verarbeitung wiederzuholen und die Pflanze in Gärten, Schaubeeten und Schulen wieder sichtbar zu machen.

Seinen Ursprung hat das Ganze in Skandinavien, wo man offenbar in öffentlichen Einrichtungen wie Bibliotheken Saatgut bekam und bei sich zu Hause anbauen konnte. Christiane (die manche vielleicht vom Verein Berthas Flachs kennen) hat die Idee während eines Flachsworkshops in Dresden mit Mona besprochen und dann zusammen mit ihr in Absprache mit den skandinavischen Organisatoren nach Österreich (1qmlein.at) und Deutschland (1qmlein.de) gebracht. Ende 2024 gab es für das Projekt „1qm Lein“ ein Crowdfunding, in dem ich mir mein Saatgut sichern konnte. Mittlerweile ist das Saatgut überall angekommen. Es gibt erste Anleitungs-Newsletter mit Tipps und Tricks sowie eine Community-Plattform für alle, die mitmachen. Das sind neben Privatpersonen auch viele Institutionen, Schulen, Freiluftmuseen etc., die oft sogar noch die Geräte zur Flachsverarbeitung haben und Veranstaltungen zur gemeinsamen Verarbeitung im Herbst organisieren.

1 qm Lein in Berlin

Hier in Berlin gibt es im Allmende-Kontor auf dem Tempelhofer Feld ein Beet und Aktionen. Außerdem (aber ich glaube nicht am Projekt selbst beteiligt) gibt es ein Faserpflanzenbeet im Berliner Botanischen Garten, das ich mir unbedingt mal ansehen will!

Warum jetzt ausgerechnet Flachs? Meine Motivation und bisherigen Erfahrungen

In einem früheren Anfall akuter Neugier hatte ich mich vor ein paar Jahren schon einmal mit dem Spinnen von Flachs beschäftigt. Flachszöpfe konnte ich damals nirgends auftreiben, aber es gab Flachs als Kardenband zu kaufen. Das hatte ich noch nie gesehen und wollte es mal ausprobieren. Solches Kardenband enthält ja eher kürzere Fasern und zählt eigentlich zu den eher niedrigen Qualitäten (es ist ähnlich wie Werg). Es verarbeitete sich ganz anders als Kardenband aus Wolle, war stachelig und sperrig und ich fand es überhaupt nicht angenehm. Wie man solches Zeug zu feinen Leinentüchern verarbeiten können sollte, war mir ein Rätsel. (Heute weiß ich: gar nicht. Da lag mein Gefühl schon richtig. Flachs ist nicht gleich Flachs, hab ich gelernt).

Kathrin sitzt im Garten auf einem Stuhl, vor ihr steht eine Hechel. In der linken Hand hält sie ein Bündel Leinenfasern und hechelt. Photo Credit: Ulrike Kohn
Hier hechele ich zum ersten Mal im Leben Flachs bei einem Workshop im Wandelgrund. Hier war der Beginn meiner zweiten Flachs-Erkundungsphase.

Ich legte das Ganze also als „nä, nichts für mich“ ad acta. Bis ich dann Anfang 2024 an diesem Flachs-Workshop im Wandelgrund teilnahm… Durch diesen Workshop und die tolle (und sehr fachkundige) Anleitung von Christiane war ich dann doch durchaus angetan und wollte dem Flachs nochmal eine Chance geben. Ich besorgte mir Zöpfe und einen Standrocken über ein beliebtes online-Auktionshaus und hechelte und spann. Was soll ich sagen: auf einmal machte es deutlich mehr Spaß als früher und ich war neugierig, was es bedeutet, den Flachs auch selbst anzubauen.

Und nun hab ich nicht nur schon selbst Flachs verarbeitet und einen Kurs dazu gegeben, sondern sogar ein eigenes Beet dafür angelegt… Tja, so kann’s kommen.

Regionale Sorten: Flachs ist nicht gleich Flachs

Flachs ist ja nicht gleich Flachs, es gibt unterschiedliche Sorten mit leicht unterschiedlichen Eigenschaften. Früher war es offenbar so, dass es regional unterschiedliche Sorten gab, die an die Boden- und Klimabedingungen der jeweiligen Region bestens angepasst waren. Im Workshop im Wandelgrund erfuhr ich z. B. von der Sorte „Löbauer Blau“, die rund um Dresden beheimatet war. Mit der Industrialisierung der Flachsproduktion wurden jedoch (so wie ich es verstanden habe) vermehrt nur die wenigen Sorten angebaut und weitergezüchtet, die den höchsten Ertrag mit den längsten, feinsten Fasern versprachen. Hier bin ich aber nicht so tief in die Recherche eingestiegen.

Ältere Flachs-Sorten haben oft schön klingende Frauennamen. Meine Sorte heißt „Felice“. Das ist wohl eine durchaus krankheitsresistente Sorte, die zwar zuerst langsamer wächst als andere Sorten, aber auch eine hohe Stroh- und Faserausbeute haben soll. Nur Wind und Starkregen verträgt sie nicht so gut und knickt dann um. (Randnotiz: unbedingt noch Schnüre spannen als Windschutz!)
Es gab im Crowdfunding auch eine andere Sorte, nämlich „Christine“, und es wird sicher spannend zu sehen, was die anderen in der Community über ihre Sorten, Anbaubedingungen und Ausbeuten berichten.

Beet vorbereiten und Aussaat

Flachs wird traditionell am 100. Tag des Jahres ausgesät und dann ca. 100 Tage später geerntet. Rein rechnerisch fiele die Aussaat also auf den 10. April, man kann aber schon Ende März oder aber erst im Mai aussäen. Für mich war der 22. April 2025 ein guter Zeitpunkt.

Der einzige geeignete Platz bei uns ist das Hochbeet. Letztes Jahr wuchs hier Japanischer Färberknöterich. Die Erde war übers Jahr ganz schön abgesackt, also habe ich flugs einfach die über den Winter stehengebliebenen Pflanzenreste ausgerupft und in die Erde eingearbeitet. Weil das noch nicht ausreichte, kamen noch ein paar Säcke Blumenerde obendrauf. In die Mitte meines Beetes habe ich zwei Ollas platziert, das sind praktische kleine Wasserspeicher aus porösem Ton. Das Wasser wird nach und nach nach aussen abgegeben und das Beet trocknet nicht so schnell aus.

Kurz vor der Aussaat habe ich in die oberste Schicht Erde noch etwas Sand eingearbeitet und eine Tüte Aussaaterde verteilt – bloß gut, dass ich nochmal den Begleit-Newsletter gelesen habe! Flachs mag es offenbar nicht so nährstoffreich. Das Beet blieb dann noch zwei Wochen liegen, um zu sehen, ob da noch Unkraut hochkommt, das am besten vor der Aussaat entfernt werden sollte. Kam aber nicht.
Mit einem Kinderharken-Stiel habe ich dann Saatrinnen in die Erde gedrückt, die Samen mit ein bissel Sand vermischt und in den Rinnen verteilt. Der Sand hilft ein bisschen, die Samen zu „verdünnen“, damit sie nicht zu dicht ausgesät werden. Trotzdem sind mir die Samen vermutlich an einigen Stellen viel zu dicht geraten … aber wenigstens konnte ich durch den Sand gut sehen, wo ich schon war. (Das mit dem Sand war ein Tipp aus der Community, da wäre ich selber nie drauf gekommen!)

Aufsicht auf ein metallenes Hochbeet mit 5 Saatreihen. Die Saatreihen sind heller als die sie umgebende Blumenerde, weil sie mit Sand gefüllt sind. Im Hochbeet sind in der Mitte 2 Ollas als Wasserspeicher eingelassen.
Das ist mein Hochbeet mit den Ollas und den Saatrinnen. Die Saatreihe ganz rechts liegt morgens länger im Schatten der Hochbeetwand.
Nahaufnahme einer Saatreihe für Faserlein. Die Dichte der Saatkörner ist sehr hoch.
Stellenweise waren meine Samen vermutlich doch ein bissel dicht geraten… Normalerweise sollen so 6-10 Samen pro Daumenabdruckfläche ausgebracht werden, da liege ich wohl doch etwas drüber. Leider ist das Bild ein bissel unscharf…ich übe das noch.

Die Saatrinnen habe ich dann zugedrückt, angegossen, und dann hieß es: Warten auf die ersten grünen Blättchen (im Fachjargon heißt das „auflaufen“, den Begriff kannte ich bislang nur von Fußballspielen). Eine der Saatrinnen bekam durch den Hochbeetrand etwas mehr Schatten als die anderen 3 Reihen – hier bin ich gespannt, ob sich das auf die Pflanzen auswirkt.

Eine Woche später (genauer gesagt an Tag 6) schoben sich die ersten Blättchen aus den Sonnen-Reihen vorsichtig aus der Erde – juhuuu, der erste Teil hat schon mal geklappt! Und siehe da: die Schattenreihe brauchte 4 Tage länger zum Keimen. Bleibt abzuwarten, wie sich der Schatten auf die weitere Entwicklung auswirkt – spätestens ab 20 cm Wuchshöhe bekommen alle die gleiche Menge Sonne.

Frisch gekeimte Faserlein-Pflänzchen im Hochbeet 6 Tage nach der Aussaat.
Nach 6 Tagen kommen die ersten Blättchen durch die Erde. Juhuu!

Jetzt heißt es erst mal warten und gegebenenfalls jäten. Sobald es Neues zu berichten gibt, ergänze ich diesen Artikel. Stay tuned!


Du willst jetzt auch mehr Flachs? Schau mal hier:

Flachs spinnen (und was es vom Wolle spinnen unterscheidet)

Flachs spinnen ist ja eine Sache für sich, vor allem, wenn man wie ich bislang fast ausschließlich tierische Fasern versponnen hat. Letztes Jahr bin ich über einen Workshop aber auf den Geschmack für Pflanzenfasern gekommen ( hier ein Blogartikel dazu), und dieses Jahr will ich mich nun intensiver mit der Verarbeitung von Flachs beschäftigen. Dazu mache ich ein langfristiges Experiment: Ich mache mit bei 1 qm Lein und baue mir einen Quadratmeter Flachs an, den ich dann (hoffentlich!) bis zum Garn verarbeiten werde.

Zur Einstimmung auf mein Flachsjahr schreibe ich hier über die Besonderheiten beim Spinnen von Flachs und was man im Hinterkopf behalten kann, wenn man diese Faser verarbeiten möchte.

Die Flachsfaser – Aufbau und Eigenschaften

Eine Faser ist eine Faser ist eine Faser. Das dachte ich immer, weil ich ja überwiegend Wolle versponnen habe, und ein Schaf-„Haar“ ist da ja eine Faser. Bei Seide ist das ähnlich, selbst bei Baumwolle ist ein Samenhaar eine Faser. Für Flachs habe ich das nie infrage gestellt, aber hier liegt die Sache etwas anders.

Aufbau

Flachsfasern bestehen genau wie z. B. wie Baumwollfasern aus Cellulose. Hier enden die Ähnlichkeiten aber auch schon, denn im Gegensatz zu Baumwolle sind Flachsfasern Bestandteile des Stängels. Sie liegen nicht einzeln vor, sondern sind in den Stängel eingebettet und von vielen anderen Stängelbestandteilen umgeben. Von diesen Bestandteilen (z. B. Lignin – das Holz) müssen die Flachsfasern erst mühsam getrennt werden, bevor man sie spinnen kann.

Schematische Darstellung des Querschnitts eines Flachsstängels.
Schematischer Aufbau eines Flachsstängels. Ein Klick aufs Bild bringt Dich zur Wiki-Seite für dieses Bild. Merkwürdigerweise verschwindet beim Herunterladen immer das „l“ aus „Bastfaserbündel“. Keine Ahnung wieso…

Aber auch innerhalb des Stängels liegen die Fasern nicht einzeln vor, sondern als Faserbündel. Das, was wir üblicherweise als “Flachsfaser” bezeichnen, ist eigentlich ein Bündel von Fasern. Wie dick das Bündel ist, hängt davon ab, wie viele individuelle Fasern das Bündel noch enthält. Diese individuellen Fasern werden beim Flachs “Technische Fasern” genannt (keine Ahnung warum). Eine Technische Faser ist quasi eine lange Faser, die aus sich überlappenden und irgendwie miteinander verbundenen Einzelfasern (Elementarfasern) besteht. Die Abbildung unten stellt das dar, allerdings ist mir da der Übergang von Technischer Faser zu Elementarfaser nicht so ganz klar.

Ich fasse zusammen: Eine Flachsfaser kann also in dreierlei Form auftreten, nämlich Faserbündel – Technische Faser – Elementarfaser.

Bei der Aufarbeitung der Flachsstängel werden nun die Faserbündel von unerwünschten Bestandteilen getrennt. Die einzelnen Technischen Fasern werden in einem Faserbündel durch einen “Kleber” zusammengehalten (das sind u.a. Pektine). Dieser Kleber kann mit der Zeit abgebaut werden, so dass sich die Faserbündel in sich aufspalten. Das Aufspalten kann sich über die Jahre fortsetzen und so feinere Fasern ergeben (deshalb ist älterer Flachs oft feiner als ganz frischer).

Schematische Darstellung einer Flachsfaser.
Schematischer Aufbau einer Flachsfaser. Ein Klick aufs Bild bringt Dich zur Wiki-Seite. So ganz 100% klar ist mir das mit der Elementarfaser auch noch nicht, sie kommt da irgendwie aus dem Nichts in der Abbildung.

Eigenschaften

Da ich bislang fast ausschließlich Schafwolle versponnen habe, musste ich mich an einige Eigenschaften der Flachsfaser besonders gewöhnen: sie ist nicht elastisch (wobei es auch relativ unelastische Wollen gibt …), relativ steif und auch hart. Das habe ich ganz besonders im Daumen gemerkt: Durch die Steifigkeit und Härte überträgt sich Drall relativ schnell entlang der Faser. Wenn der Drall nicht in den Faservorrat gelangen soll (wo er ja nicht hingehört), muss er deutlich härter und mit mehr Kraft abgeklemmt werden, als das bei Wolle der Fall ist. Daher kommt dann wohl auch der dicke Daumen im Märchen…

Flachsfasern haben zwar keine Schuppen wie Wolle oder Haare, aber eine Richtung ist ihnen naturgemäß vorgegeben: an einer Seite waren die Wurzeln, an der anderen die Blüten. Während der Aufarbeitung werden die Stängel immer in eine Richtung geordnet, nie wild durcheinander. Ob das eine Auswirkung aufs Spinnen hat (so wie die Schuppen bei den Tierhaaren), hab ich noch nicht ausprobiert.

Die Fasergewinnung

Während man Wolle quasi spinnfertig vom Schaf ernten kann, sind die Fasern des Flachs noch nicht wirklich zugänglich. In einem aufwändigen Prozess müssen sie vom Rest der Pflanze separiert und aufbereitet werden. Dieser Prozess umfasst die folgenden Schritte:

Raufen (+ Trocknen)

Die Pflanzen werden zum Erntezeitpunkt samt Wurzeln aus der Erde gerupft und zum Trocknen in Garben aufgestellt oder aufgehängt.

Riffeln

Die rascheltrockenen Blütenstände bzw. Samenkapseln werden entfernt, indem ein Pflanzenbündel durch eine Art grobzinkigen Kamm gezogen wird.

Rösten (+ Trocknen)

Die Halme werden entweder auf dem Feld ausgelegt (Tauröste) oder in ein (stehendes oder fließendes) Gewässer eingelegt (Teichröste). Boden- oder Wasserbakterien wirken auf die Halme ein, und dadurch wird ein Großteil der nicht faserigen Bestandteile teilweise zersetzt. (Vielleicht erinnerst Du Dich an eine Heuaufguss-Experiment im Biologieunterricht? So etwa kannst Du Dir die Teichröste vorstellen.) Die Röste ist ausreichend, wenn man die Faserbestandteile mit der Hand gut vom Rest der Stängelbestandteile trennen kann. Die Garben müssen anschließend getrocknet werden, da der Röstprozess in Anwesenheit von Feuchtigkeit weiter abläuft und dann auch die Fasern selbst angreift.

Nahaufnahme verschieden gerösteter Flachshalme auf einem Holztisch, die aufgebrochen wurden. Man kann die Faserbündel erkennen.
Verschieden geröstete Flachshalme, die durch Biegen aufgebrochen wurden. Man kann schön die Faserbündel erkennen. Die holzigen Bestandteile lassen sich gut entfernen, die Röste ist ausreichend.

Brechen

Die holzigen Bestandteile der Stängel werden buchstäblich zerbrochen. Historisch gesehen passierte das in Gesellschaft mit speziellen Geräten, heutzutage kann es auch ein Fleischklopfer oder ein Brett sein.

Schwingen

Die gröbsten der zerkleinerten holzigen Bestandteile werden entfernt. Hierbei fällt als Abfall der grobe Schwingflachs an.

Hecheln

Die Flachsfaserbündel werden durch Nagelbretter verschiedener Dichten gezogen und somit weitere unerwünschte holzige Bestandteile entfernt. Als Abfall fällt hier das Werg an.

Zopfen (Langflachs)

Das fertig gehechelte Faserbündel wird in der Mitte gefasst und zur besseren Lagerung zu einem Zopf gedreht. Man hat also am Ende mehrere Faserqualitäten, vom ganz groben Schwingflachs bis zum Langflachs.

ein grosser ungehechelter und fünf kleine gehechelte Flachszöpfe liegen auf einem schwarzen marmorierten Tisch. Aufsicht.
Links ein Zopf, wie man ihn kaufen kann. Er wurde früher mal gehechelt, aber enthält durchaus noch Schäben. Rechts daneben frisch gehechelte kleinere Zöpfchen. Sie glänzen schön und enthalten deutlich weniger Schäben.

Flachsverarbeitung übers Jahr

Das sind eine Menge Herstellschritte, die von der Aussaat am 100. Tag über die Ernte des Flachses (Raufen, um den 200. Tag herum) bis nach Weihnachten andauerten. Im Januar des Folgejahres, nach den Rauhnächten, wenn die Spinnräder wieder laufen durften, wurde dann der Flachs versponnen und verwebt. Flachsverarbeitung brauchte definitiv eine Gemeinschaft.

Gesundheitliche und umwelttechnische Aspekte

Die Arbeit ist nicht nur langwierig und mühsam, sie ist auch nicht immer gesundheitsfördernd und umweltverträglich. Zum einen spielt der Staub eine große Rolle, der sich auf alles legt und die Lungen in Mitleidenschaft zieht. Flachs spinne ich daher am liebsten draußen.

Zum anderen ist v.a. die Teichröste in natürlichen Gewässern heute weitenteils verboten, weil die entstehende Brühe nicht nur unangenehm riecht (denk an den Heuaufguss…) sondern auch gesundheitsbedenklich ist.

In einem Video zum Thema Teichröste wurde erwähnt (bei Minute 12:40), dass gleichzeitig mit den Flachsbündeln auch frisch geschlagene Baumstämme mit in den Teich gelegt wurden (zum Beschweren der Bündel). Nach Abschluss der Röste waren sie dann holzwurmresistent und konnten zum Hausbau verwendet werden… Mit dieser Information im Hintergrund kann ich nur davon abraten, Flachs beim Spinnen mit Speichel benetzen zu wollen. Irks.

Flachsfasern kurz, mittellang und lang auf einem Holzlattentisch. Die kurzen Fasern sind auf einer Handkarde, die mittellangen ca 20 cm liegen direkt auf dem Tisch neben den langen Fasern, die zu Zöpfen gedreht sind.
Verschiedene Faserqualitäten des Flachs. Hier habe ich einen Zopf mithilfe einer Handkarde gehechelt. In der Karde verbleiben die kurzen Fasern, darunter liegen die mittellangen Fasern, und die ganz langen habe ich zu Zöpfchen gedreht.

Flachsfasern spinnen – Techniken und Herausforderungen

Jetzt könnte man meinen, das Spinnen von Flachs kann rein technisch ja so anders nicht sein als das Spinnen von Wolle. Am Ende heißt es : Ziehen und Drehen. Und irgendwie ist das sicher auch so. Dennoch ist es auch anders, nicht zuletzt aufgrund der Fasereigenschaften. Die mangelnde Elastizität und die Steifigkeit der Fasern hatte ich oben schon genannt. Aber auch die schiere Faserlänge von Langflachs macht beim genaueren Hinsehen auch ein anderes Faserhandling erforderlich, als man es von Wolle kennt.

Techniken – der längste Kurze Auszug der Welt

Werg und Schwingabfall sind relativ kurzfaserig und man muss diese Faserqualitäten nicht weiter vorbereiten. Diese Faserqualität ist dem Verspinnen von Wolle noch am ähnlichsten. Früher wurde das Werg in einen korbartigen Rocken gelegt (sah ein bissel aus wie eine kleine Heuraufe) und direkt dort herausgesponnen. Die resultierenden Fäden waren eher grob, dick und stachelig und wurden zum Herstellen von grobem Sackleinen verwendet. Die aus diesen kurzen Fasern gesponnenen Fäden waren nicht ganz so reißfest wie die aus Langflachs gesponnenen, daher wurde Werg oft verzwirnt, Garn aus Langflachs eher nicht.

Mittellange Fasern und Langflachs werden aufgrund ihrer Länge im kurzen Auszug gesponnen. Allerdings ist “kurz” relativ – ein Auszug kann aufgrund der Faserlänge schon mal 20 cm lang sein. Ich nenne das dann den “ längsten kurzen Auszug der Welt”. Eine Hand zieht die Fasern aus dem Rocken / Faservorrat, die andere klemmt den Drall ab.

Beim kurzen Auszug ist idealerweise kein Drall in der Auszugszone. Das bedeutet: die Drallhand hat bei Flachs ordentlich zu tun, denn durch die Steifigkeit der Faser schmuggelt sich der Drall sehr leicht an der Drallsperre vorbei und ist dann schnell im Faservorrat. Schon wenige Umdrehungen im Faservorrat können dazu führen, dass man nicht mehr gescheit ausziehen kann.

Am Kontaktpunkt (an der Spitze des Faserdreiecks) kann man auch die Fasern mit einem Finger befeuchten und so den entstehenden Faden etwas glatter machen. Die Feuchtigkeit aktiviert vorhandene Kleberreste und und sorgt auch dafür, dass die einzelnen Fasern stärker aneinander kleben. Dafür muss man sehr auf die Drallsperre achten.

Herausforderungen: Faserlänge und Ausziehen

Faserlänge

Während das kurzfaserige Werg und auch der Schwingabfall sich noch recht einfach verspinnen lassen und fast keine weitere Vorbereitung erfordern, wird die Handhabung der Fasern mit zunehmender Faserlänge etwas mühsamer.

Mittellange und lange Fasern kann man zum Ausziehen nicht mehr bequem in einer Hand halten. Hier braucht man Hilfsmittel und Techniken, um die Fasern in einem einigermaßen geordneten Zustand erhalten zu können. In den meisten Fällen bedient man sich eines Rockens, aber auch die Handtuchtechnik verwende ich sehr gerne. Das Präparieren des Rockens wird mal akribisch zelebriert und mal ganz pragmatisch vorgenommen – manchmal reicht auch ein Nagel in der Wand zum Aufhängen.

Je länger die Faser, desto weiter müssen die Hände beim Spinnen auseinander sein, um ausziehen zu können. Der Rocken, der die Fasern hält, braucht zusätzlichen Platz am Spinnrad (wenn er nicht direkt daran befestigt ist). Auch wenn man beim Spinnen von Langflachs die Fasern nicht in der Hand hält, muss man trotzdem ungefähr eine Faserlänge ausziehen können, und das können schon mal um die 30 cm sein. Flachs spinnen braucht definitiv mehr Platz als Wolle spinnen.

Ausziehen

Am gewöhnungsbedürftigsten beim Verspinnen von Flachs ist für mich, dass die Faserhand deutlich aktiver am Ausziehen beteiligt ist als beim Wolle spinnen. Meine Faserhand muss einige Fasern aus dem Rocken ziehen, während die Drallhand ausschließlich auf den Drall aufpasst. Beim Wolle spinnen hingegen hält meine Faserhand nur ganz leicht die Fasern und dirigiert etwas den Faserzufluss, während die Drallhand gleichzeitig auszieht und den Drall kontrolliert. Für Wolle funktioniert das gut, aber bei Flachs klappt das dann mit der Drallsperre nicht mehr so richtig. Naja. Ich übe noch.

Anders als beim Wolle spinnen ist meine Drallhand auch nicht UNTER dem Faden (wie bei Wolle), sondern greift VON OBEN um den Faden. Der Rest der Handfläche unterstützt meinen Daumen bei der Drallsperre.

Ich sitze auch etwas anders vor dem Rad, wenn ich z.B. von einem Standrocken spinne. Das Rad steht dann nicht mehr direkt vor mir, sondern eher seitlich – rechts von mir das Spinnrad, links der Rocken und ich dazwischen.

Und irgendwann tut mir vom Drall abklemmen immer der Daumen weh…

Ein Wort Zur Spinnrichtung

An verschiedenen Stellen ist mir die Aussage begegnet, Flachs würde im Gegensatz zur Wolle immer in S-Richtung (also gegen den Uhrzeigersinn) versponnen. Nun.

Im Workshop von Christiane Seufferlein von Bertas Flachs habe ich gelernt, dass es historische Funde gibt, die beide Spinnrichtungen belegen. Es wurde also historisch keineswegs IMMER gegen den Uhrzeigersinn gesponnen. (Da ich keine Historikerin bin und mir das auch nicht so wichtig ist, habe ich keine Quellenstudien dazu betrieben, sondern ich verlasse mich an dieser Stelle auf das Wort von Leuten, die sich damit auskennen. So wie Christiane.)

Ich bin persönlich ja auch immer sehr dafür, den Weg zu finden, der zu mir passt. Und weil ich es mir so leichter merken kann, spinne ich einfach ALLE meine Garne in Uhrzeigersinn (Z) und zwirne gegen den Uhrzeigersinn (S), egal ob Flachs oder Wolle. Bis mir irgendwann ein Argument einleuchtet, warum ich es doch anders machen soll. Änderungen vorbehalten 🙂

Tipps zum Flachs spinnen

Flachs spinnen ist also ein kleines bißchen gewöhnungsbedürftig. Hier sind ein paar Gedanken und Erkenntnisse, die mir beim Flachsspinnen gekommen sind. Vielleicht helfen sie Dir auch weiter – wenn nicht, dann findest Du Deinen eigenen Weg.

  • Flachsfasern reißen fast nicht, besonders Langflachs. Meine Versuche, einen Flachsfaden zu zerreißen, sind fast immer gescheitert. Es tut in den Fingern weh, lange bevor der Faden reißt. Wenn er denn reißt. Ich hab immer eine Schere in Reichweite.
  • Ich bereite nur so viele Fasern vor, wie ich in einem Rutsch verspinnen kann.
  • Wenn Du nass spinnen möchtest, sollte die Feuchtigkeit die Fasern erreichten, kurz bevor sie zum Faden verdreht werden. Den fertigen Faden zu benetzen, bringt nicht den gewünschten Erfolg. Geh mit der Feuchtigkeit nicht zu dicht an den Faservorrat. (Soweit der Plan. Es gelingt mir auch nicht immer.)

Wo bekommt man Flachs?

Na, Lust bekommen, Flachs zu verarbeiten? Hier bekommst Du welchen:

  • Bertas Flachs (von Hand gefertigte Zöpfe). Aus vereinstechnischen Gründen verkauft Bertas Flachs aber nur an Mitglieder, d.h. um einkaufen zu können, musst Du Mitglied werden. Die Mitgliedschaft ist aber nicht sehr teuer.
  • Diverse online-Shops für Fasern verkaufen Werg als Kardenband (z. B. Das Wollschaf).
  • Zöpfe bekommt man manchmal über Haushaltsauflösungen bei Kleinanzeigen oder online-Auktionshäusern.
  • Oder: Selber anbauen zusammen mit vielen anderen über 1qm Lein.

Viel Spaß beim Ausprobieren!


Willst Du wissen, wie ich selber 1 qm Lein im Hochbeet angebaut habe? Dann schau mal hier rein:

Ein Flachs-Workshop im Wandelgrund (und warum Kurse mir manchmal mehr bringen als youtube-Videos)

An einem sonnigen Februarwochenende war ich in Dresden, wo der Verein Werk & Wandel e.V. auf dem Wandelgrund einen Workshop zum Thema Flachsanbau und -verarbeitung organisiert hat. Gehalten wurde er von Christiane Seufferlein vom Verein Bertas Flachs.

Was soll ich sagen?

Es. War. Großartig.

Wieder einmal habe ich gemerkt, wie himmelweit der Unterschied ist zwischen „Ich habe etwas mit dem Kopf verstanden“ und „Ich habe es mit eigenen Händen und am eigenen Körper erfahren“. Zwischen „Ich hab mir ein paar Videos angeschaut und es nachgemacht. War gar nicht so schwer.“ und „Ich habe einen richtig guten Kurs besucht und einen Aha-Moment nach dem anderen gehabt“.

Kathrin sitzt im Garten auf einem Stuhl, vor ihr steht eine Hechel. In der linken Hand hält sie ein Bündel Leinenfasern und hechelt. Photo Credit: Ulrike Kohn
Hier hechele ich gerade ein Bündel Fasern. Das Foto wurde mir freundlicherweise von Ulrike Kohn zur Verfügung gestellt.

Obwohl ich letztes Jahr ja schon mal den sprichwörtlichen Zeh in die Flachsverarbeitung gehalten habe (ich berichtete hier und dort auf Instagram), hat sich mir erst am Wochenende die Flachs-Welt so richtig offenbart. 

Flachs ist nicht nur Faserpflanze. Flachs verbindet Menschen, auch über hundertfünfzig Jahre nach seinem Anbau. Er war Lebensversicherung für Frauen, wenn sie in Notlage kamen, konnten sie den Flachs verkaufen. Wolle kann man zur Not noch alleine verarbeiten, aber beim Flachs (insbesondere bei mehr als einer Handvoll) braucht es eine Gemeinschaft.

  • Raufen.
  • Trocknen.
  • Rösten,
  • Trocknen.
  • Brechen.
  • Schwingen.
  • Hecheln.
  • Ribben.
  • Spinnen.
  • Weben.

Für das Brechen, Schwingen, Hecheln und Ribben braucht es spezielle Werkzeuge und manchmal sogar eine spezielle Feuerstelle. Das kann kein Mensch ganz alleine machen. Vielmehr hat man sich zusammengetan und reihum den Flachs von jedem Hof des Dorfes verarbeitet. Für meine Handvoll Fasern habe ich einen ganzen Nachmittag gebraucht.

Flachsverareitungswerkzeuge und kleine Zöpfe liegen auf einem Gartentisch (Aufsicht).
Diverse Flachsverarbeitungswerkzeuge, die wir verwendet haben. Handkarden zum feinhecheln von Zöpfen (oben rechts), ein Werkzeug zum Schwingen (unten links), eines zum Weichklopfen (Mitte rechts). Und die Zöpfe glänzen richtig in der Frühlingssonne.
Ein kleiner Flachszopf liegt auf einer ausgestreckten Hand. Im Hintergrund: Rasen und ein Obstbaum.
Mein erster frisch gebrochener, geschwungener und gehechelter Flachs. Was für eine Arbeit. Und was für ein schönes Gefühl, diesen Zopf in der Hand zu halten!

Was mir gar nicht so klar war: Flachs wird über die Jahre immer feiner, weil das, was man für eine „Faser“ hält, oftmals ein Bündel Fasern ist, das durch Pektine und Gummis zusammengehalten wird. Erst über die Jahre wird dieser „Kitt“ abgebaut und legt die Fasern frei. Wer also Unterwäsche machen wollte, legte den Flachs erst mal 20 Jahre auf die Seite. Bei Wolle ist das ja anders: Da liegen die einzelnen Fasern von Anfang an vor.

Zwei alte  Flachszöpfe in einer Hand, ein größerer, noch ungehechelt, ein kleinerer, frisch gehechelt und glänzend.
Ein alter Flachszopf, frisch aufbereitet. Unten: vor dem Aufbereiten, der kleine Zopf oben ist frisch gehechelt.

Der heute bei Handspinner*innen so beliebte Langflachs wurde von den Frauen damals allerdings nur ein paar Mal im Leben überhaupt versponnen – er kam ja in die Brautkisten der Mädchen und war ihre Lebensversicherung. Wenn es hart auf hart kam, konnte die Frau den Flachs verkaufen und musste so nicht hungern. Die allermeiste Zeit wurde überwiegend Werg versponnen – für Säcke, Scheuertücher, Heutücher … Arbeitstextilien eben.

Die krasseste Erkenntnis: Alles, was man als Handspinner*in heute an Flachszöpfen kaufen kann, ist alt – und es werden keine neuen Zöpfe mehr für den Verkauf an Handspinner*innen produziert. Flachsanbau für Handspinner*innen passiert im Grunde nur noch für den Eigenbedarf. Und damit verschwindet auch das Wissen um den Anbau und die Verarbeitung. Auch viele regionale Flachs-Varianten sind dem Saatgut für industriell gut verarbeitbaren Flachs gewichen.

In diesem Workshop haben wir nicht nur unglaublich viele Inhalte und spannende Geschichten von Christiane bekommen, sondern wir haben auch besprochen, wie man den Flachsanbau und die -verarbeitung wieder bekannter machen kann. Dazu wird demnächst auf dem Wandelgrund Flachs angebaut, und es sind Mitmach-Aktionen geplant, die den Flachs und Leinen erfahrbar machen sollen. Denn: Flachs ist ein Community-Projekt. Ich freu mich drauf!

Mona und Ulrike vom Projektteam haben einen schönen Blogartikel dazu geschrieben, schau gerne dort vorbei.

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