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Welches Spinnrad soll ich kaufen?

Wer ein Spinnrad kaufen möchte, hat viele Fragen. Welches Spinnrad ist für Anfänger geeignet? Welche gibt es überhaupt? Welches Spinnrad passt zu mir? In diesem Artikel zeige ich Dir, worauf Du bei der Auswahl achten kannst. Ich gebe ein paar Beispiele und links zu den Herstellern und Händlern der gängigsten Räder.

Die wichtigsten Fragen, die Du Dir beim Spinnrad-Kauf stellen kannst, lassen sich entweder persönlichen Vorlieben und Gegebenheiten oder technischen Fragestellungen zuordnen.

Persönliche Aspekte

Das Eine Spinnrad gibt es nicht, und es gibt auch keine guten oder schlechten Räder. Es gibt aber Spinnräder, die zu Dir passen – oder eben nicht. Welches Spinnrad das ist, hängt mit persönlichen Umständen und Vorlieben zusammen. Wenn Du Dir vorher ein paar Gedanken dazu machst, ist die Gefahr eines Fehlkaufes deutlich geringer.

Wie viel darf es kosten?

Ein wichtiger Punkt beim Spinnradkauf ist das eigene Budget wie viel möchtest oder kannst Du ausgeben? Bist Du schon ganz sicher, dass Du dabeibleiben willst? Oder kann es sein, dass das Rad nach drei Monaten dann doch in der Ecke steht? Ist es ok für Dich, etwas zu kaufen, auszuprobieren und gegebenenfalls wieder zu verkaufen oder willst Du gleich was fürs Leben? Kannst Du eventuell darauf sparen?

Sehr günstige Räder sind zum Beispiel in einem bekannten Online-Auktionshaus immer wieder zu haben. Allerdings handelt es sich meist um historische Modelle und Dachbodenfunde, die nicht immer voll funktionsfähig sind, und den günstigen Anschaffungspreis erkauft man sich eventuell mit höheren Reparaturkosten und nicht erhältlichen Ersatzteilen. In solchen Fällen empfiehlt es sich, das Rad auf jeden Fall vor dem Kauf auszuprobieren.

Wenn Du ein neues, modernes Spinnrad kaufen möchtest, ist die Preisspanne relativ breit gefasst. Ein sehr günstiges Rad, das gern genommen wird, ist z. B. das Bliss von Woolmakers. In der Grundausstattung ist es derzeit (Stand 2024) für unter 400 Euro zu haben. Auch das Kromski Fantasia oder das Louet S-17  bewegen sich in dieser Preisklasse und werden manchmal als Einsteigerräder beschrieben. Am anderen Ende der Skala findet man beispielsweise das Schacht Matchless mit über 1800 Euro.

Wie viel Platz hast Du zur Verfügung?

Der bei Dir verfügbare Platz spielt ebenfalls eine große Rolle dabei, welche Räder für Dich funktionieren und welche nicht. Ziegenräder nehmen in der Regel mehr Standfläche ein als Bockräder, und auch innerhalb dieser Kategorien gibt es Unterschiede. Ein Ashford Elizabeth 30 wird bei mir nie Platz haben, aber das Schacht Flatiron geht schon, es ist leicht genug, um es immer mal umstellen zu können.

Stammplatz oder Reiserad?

Muss Dein Rad mit Dir auf Reisen gehen oder hat es seinen Stammplatz, von dem es nicht bewegt wird?

Für mich war anfangs wichtig, mein Rad im Auto mitnehmen zu können, wenn ich es möchte. Und falls ich es mal nicht brauche, wollte ich es im Keller verstauen können (diese Situation ist mir in den letzten 6 Jahren allerdings noch nicht untergekommen…). Klappbar sollte es sein, nicht zu schwer, und mit Rucksack.

Reisetaugliche Räder sind z. B. das Lendrum DT, das Schacht Sidekick und das Majacraft Little Gem. Es gibt auch noch weitere Räder, die transportfähig sind, auch wenn sie kein ausgewiesenes Reiserad sind. Ich habe auch schon gesehen, dass ein Bliss sehr gut auf die kleine Sackkarre passt, die man beim Möbelschweden bekommt. Ob das für Dich funktioniert, testest Du am besten selbst aus.

Vorder- und Rückansicht vom Lendrum DT
Mein Lendrum DT von vorne (links) und von hinten (rechts).

Klassisch oder modern?

Dein Rad sollte Dir natürlich gefallen – und hier kommen Aussehen und Design ins Spiel. Soll es ein klassischer, traditioneller Stil sein, oder doch lieber modern? Individualisierbar mit Tassenhalter oder reduziert auf das Wesentliche? Es gibt sogar Metallräder, die aus alten Fahrradfelgen hergestellt werden, wenn das etwas für Dich ist.

Moderne Räder mit traditionellem Design sind z. B. die von Kromski, aber auch bei anderen regionalen Drechslern sind Räder mit Dornröschen-Charakter verbreitet.
Spinnräder in modernem Design, teilweise oder ganz aus Metall, gibt es zum Beispiel bei Jürgen Schönwolff oder Stahl und Wolle. Jürgen Schönwolff ist Ingenieur, seine Räder sind eher schlicht, sehr durchdacht und präzise gefertigt (Ingenieursräder eben).

Spinnradausstellung, verschiedene Flachsräder sind auf einem Tisch aufgebaut, man sieht leere und mit Flachs bestückte Rocken.
Historische Räder im Spinnradmuseum des Skuddenhof Weseram.

Technische Fragen

Neben den persönlichen Fragen kannst Du Dir auch technische Fragen stellen zu den Anforderungen, die Du an Dein Wunschrad hast.

Welche Bauweise: Bock oder Ziege?

Die Frage „Bock oder Ziege“ hängt mit dem verfügbaren Platz zusammen, aber auch mit der Art, wie Du spinnst. Ein Ziege-Rad hat den Spinnkopf entweder rechts oder links, und es ist gut, wenn das zu Deiner Händigkeit passt (d. h. der Spinnkopf / Flügel ist auf der Seite der Drallhand). In meinem Artikel zum Schacht Flatiron kannst Du das nochmal nachlesen, warum das wichtig sein kann. Wenn Du sicher gehen willst, dass es für Dich funktioniert, probiere es aus.

Manchen Menschen gefallen Bockräder einfach nicht, andere kommen mit der Ziegen-Bauart nicht klar.

Welche Antriebsart?

Die Antriebsart ist aus meiner Sicht ein ganz wesentlicher Punkt für ein Spinnrad. Sie sollte zu den Garnen passen, die Du damit spinnen möchtest. Man unterscheidet prinzipiell einfädig spulengebremst, einfädig flügelgebremst und zweifädig. Mit welchen Garnen arbeitest Du am liebsten? Verwebst Du am liebsten ganz dicke Teppichgarne? Dann ist vielleicht ein zweifädiges Rad wie das Ashford Elizabeth nicht das Richtige für Dich, auch wenn Du es noch so hübsch findest. In diesem Fall ist vielleicht das Ashford Country das bessere Rad.

Zum Antrieb gehört auch die Anzahl der Tritte. Ein Doppeltritt ist aus meiner Sicht ergonomischer, weil beide Füße bzw. Beine gleichmäßig belastet werden. Bei gesundheitlichen Problemen könnte man ein Doppeltritt-Rad auch mit nur einem Fuß betreiben – ein Einzeltrittrad bleibt aber ein Einzeltrittrad (auch wenn Du beide Füße daraufstellst). Ein Doppeltritt-Rad steht direkt vor Dir und Du spinnst quasi auf einer gedachten Achse nach vorne und hinten. Ein Rad mit nur einem Tritt kannst Du auch seitlich von Dir hinstellen und eher quer vor dem Körper spinnen (also auf einer gedachten Achse von rechts nach links). Schau, womit Du besser klarkommst.
Für Doppeltritträder kannst Du mal schauen, ob nur einer oder beide Knechte mit dem ANtriebsrad verbunden sind. Gut ist, wenn zwei Knechte das Antriebsrad drehen, dann gibt es nämlich keinen Totpunkt beim Treten. Bei meinem Flatiron ist das der Fall. Viele Doppeltritträder haben nur einen Knecht, der das Antriebsrad in Schwung bringt (so wie bei meinem Lendrum), da hat man trotz der zwei Tritte manchmal einen Totpunkt beim Treten.

Neben diesen klassischen Antriebsarten finden sich auch Räder mit mehreren Antriebsriemen über verschieden große Wirtel (zum Beispiel bei von Schwarzenstein oder das Little Gem von Majacraft). Wie die genau funktionieren, kann ich gar nicht sagen, damit habe ich mich noch gar nicht beschäftigt. Ich vermute aber, es wird nicht weit vom einfädigen Betrieb sein und die einzelnen Übersetzungen ergänzen einander (wie bei einem Flaschenzug).

Eine Antriebsart hab ich euch noch verschwiegen: die elektrische. Dafür muss man natürlich gar nicht treten. Allerdings sind E-Spinner eine Klasse für sich. Ich habe mal probehalber an einem gesessen und musste mich sehr umstellen. Um das Rad zu stoppen, konnte ich nicht einfach aufhören zu treten, sondern ich musste einen Knopf finden und drücken. Anfangs gab es bei mir daher ein paar panische Momente mit viiiel Drall im Faden …

Es gibt wohl auch Modelle mit Fußpedal (wie bei einer Nähmaschine), aber das stell ich mir auf die Dauer auch mühsam vor, so wie stundenlang den Fuß auf dem Gas haben auf der Autobahn. In jedem Falle macht es hier Sinn, vor dem Kauf auszuprobieren.

Montage, Wartung Zubehör?

Manche Räder kommen fertig montiert – Du kannst es auspacken, aufstellen und losspinnen. Andere kommen als Bausatz (z. B. das Schacht Flatiron). Du kannst Dich also fragen: muss es fertig montiert sein oder traust Du Dir zu, es selber zusammenzubauen?

Das Schacht Flatiron Spinnrad, Ansicht von hinten. Es steht auf einem hellen gestreiften Teppich vor einer Ziegelsteinwand.
Das Schacht Flatiron kommt als flaches Paket zum selber zusammenbauen.

Wer ein regionales Rad kauft, kann es i. d. R. direkt beim Hersteller abholen und bekommt oft eine Einweisung. Das hat natürlich viel mehr Charme als einfach nur einen Karton auszupacken und sich ein youtube-Video anzusehen.

Manche Räder sind wartungsintensiver als andere. Wo das eine kaum Öl braucht, weil alles kugelgelagert oder verkapselt ist (wie mein Lendrum), sind andere Räder wahre Schluckspechte. Rezensionen, Foren und Austausch mit Spinner:innen, die das Rad Deiner Träume benutzen, helfen Dir hier bei der Entscheidungsfindung.

Wenn Du schon ein Rad hast, macht es manchmal auch Sinn, innerhalb einer Spinnradfamilie (bzw. -firma) zu bleiben. Die Spulen oder das Zubehör sind oft untereinander austauschbar und Du kannst somit Geld sparen.

Meine Tipps für den Spinnradkauf

Tipp 1: Testen, Testen, Testen. Testen.

Wenn Du irgendwie die Möglichkeit hast, besuche Spinngruppen, schau Dir Räder an, frag Spinner:innen, ob Du mal kurz treten darfst. Nur so bekommst Du einen Eindruck von den verschiedenen Rädern. Nirgends sonst hast Du so viele verschiedene Räder beisammen und kannst so viele Menschen zu ihrer Meinung befragen.

Ob eine Spinngruppe in Deiner Nähe ist, kannst Du z. B. bei der Handspinngilde herausfinden, hier kannst Du auch die Regionalen Ansprechpartnerinnen fragen.

Manche Händler (z. B. Das Wollschaf) bieten auch einen tollen Service an: man kann dort Geräte für eine Leihgebühr leihen und dann wieder zurückschicken. Wenn man es behalten möchte, wird die Leihgebühr mit dem Kaufpreis verrechnet.

Frau Schreier von KnitArt hat ebenfalls viele Räder im Angebot und bietet meines Wissens auch an, dass man sie in ihrem Atelier in Hamm besuchen und diverse Räder probetreten kann. Aber auch ihre telefonische Beratung ist toll, bei ihr habe ich mein Flatiron gekauft.

Tipp 2: Das Bliss – Bestes Preis-Leistungs-Verhältnis

Zugegeben: Ich habe noch nie damit gesponnen, bislang aber nur Gutes über das Bliss von Woolmakers gehört. Von den technischen Daten her bietet dieses Rad aus meiner Sicht das beste Preis-Leistungs-Verhältnis (wie gesagt, mit dem Vorbehalt, dass ich selber noch nicht damit gesponnen habe).

Die liebe Chantimanou hat mehrere Videos zu diesem Rad gedreht, schaut bei ihr vorbei (hier entlang zum Review).

Tipp 3: Das Lendrum DT – Bester Funktionsumfang

Ich bin natürlich nicht unparteiisch: Dieses Rad ist mein absolutes Lieblingsrad mit unglaublich viel Zubehör im Paket, daher ist es mein Tipp Nr. 3. Wer dieses Rad hat, braucht eigentlich kein anderes mehr. Nur fürs Flugzeug ist es nicht geeignet.

Du willst mehr zu diesem Rad wissen? Schau mal, ich habe hier einen Artikel zum Lendrum DT geschrieben.

Tipp 4: Beliebtes Spinnrad aus Deutschland

Wer sein Rad lieber regional kaufen möchte, dem kann ich die Räder von Henkys empfehlen. Zwar habe ich auch an diesem Rad noch nie selbst gesessen, aber immerhin schon daneben, denn viele Damen meiner Spinngruppe haben eines und möchten es nicht missen. Die Wartezeiten sind deutlich kürzer als bei anderen deutschen Herstellern, und sie sind auch nicht so teuer. Plus: Wer einen Termin macht, kann sich das Rad vom Hersteller abholen und sich einweisen lassen.

Gängige Spinnrad-Hersteller (und Händler)

Es gibt natürlich noch viel mehr Spinnräder und viel mehr Dinge, auf die man beim Kauf achten kann. Sie alle hier aufzuzählen, würde etwas zu weit führen. Daher verlinke ich Dir hier zu guter letzt alle Firmen und Hersteller, die mir einfallen und die ich online finden konnte. Wenn Du noch welche kennst, die hier nicht gelistet sind, schreib mir gerne einen Kommentar oder eine email.

Bei Nettis Nadelkunst findet ihr übrigens auch noch eine gute Übersicht zu Spinnrädern, auf die ich hier gar nicht eingegangen bin.

Hersteller in Deutschland

Hersteller in Europa

Hersteller weltweit

Blau machen mal anders – Indigo-Pigment aus Japanischem Färberknöterich gewinnen

Hast Du schon mal Dein eigenes Pigment aus Pflanzen gewonnen? Ich dachte immer, das wäre super kompliziert und aufwändig. Ist es aber gar nicht! Die wichtigste Zutat ist: Zeit.
In diesem Artikel zeige ich Dir meine ersten Versuche (und fails) zur Extraktion von Indigo-Pigment aus Japanischem Färberknöterich.

Japanischer Färberknöterich in einer Ritze
Färberknöterich, der sich im letzten Jahr selbst ausgesät hat. Scheint ihm zu gefallen bei mir!

Auf meiner Terrasse wächst Japanischer Färberknöterich. Nicht nur im Kübel, auch in den Ritzen zwischen den Steinen – offenbar gefällt es ihm bei mir. Mit den Blättern dieser Pflanze habe ich schon auf verschiedene Art und Weise blau gefärbt: z. B. mit der Salz-Methode oder der Eiswasser-Methode.

Das einzige, an das ich mich noch nicht herangetraut habe, ist eine Küpe aus frischen Blättern. Aber meine Pflanze produzierte weiter fleißig Blätter (und Farbstoff!), und da man die möglichst frisch verarbeiten soll, eigneten sie sich nicht so zum Trocknen und Später-Verwenden. Was also tun?

Beim Stöbern im Internet fand ich in einem Blogartikel von Still Garments die Inspiration, die ich brauchte: Pigmentextraktion! Statt die Pigmente quasi gleich im Blatt zum Färben einzusetzen, kann man sie auch extrahieren und so haltbar machen. Mit dem richtigen Know-How kann man damit sogar Aquarellfarben oder Tinten herstellen, oder aber eine Küpe ansetzen. Eine kleine Recherche bei youtube zeigte mir diese hilfreichen Videos zur Ernte, Fermentation und Pigmentgewinnung. Auch Ninja Chickens Video ist sehr informativ. Das wollte ich auch probieren!

Der Farbstoff im Japanischen Färberknöterich

Zu den chemischen Hintergründen der Indigofarbstoffe habe ich schon einmal mehr geschrieben.
Kurz zusammengefasst: Der blaue Farbstoff liegt in den Blättern als farblose Vorstufe vor. Diese Vorstufe heißt Indican. Indican ist ein Molekül, das aus zwei Teilen zusammengesetzt ist: einem Zuckerteil und einem Farbstoffteil, dem sog. Indoxyl. Um den blauen Farbstoff zu bekommen, müssen zwei Dinge nacheinander passieren. Zuerst müssen die Zucker- und Indoxyl-Teile voneinander getrennt werden (Spaltung durch Enzyme). Anschließend verbinden sich zwei Indoxylteile unter Sauerstoffeinwirkung miteinander und bilden so den fertigen blauen Indigofarbstoff, das Indigotin. Auf die einzelnen Schritte gehe ich im nächsten Abschnitt noch näher ein.

Schematische Darstellung der bei der Indigofärbung ablaufenden chemischen Reaktionen. Indican wird zu Indoxyl wird zu Indigotin (blau).

Für diese beiden Reaktionen (1. Spaltung des Indican in Abwesenheit von Sauerstoff, 2. Bildung von blauem Indigotin in Anwesenheit von Sauerstoff) müssen wir also bei der Pigmentextraktion die richtigen Reaktionsbedingungen finden.

Die Pigmentextraktion

Die Pigmentextraktion besteht im Grunde aus 3 einfachen Schritten (plus ein optionaler Wasch-Schritt)

  1. Ernte und Fermentieren der Blätter
  2. Entfernen der Blätter, Belüften und pH anheben
  3. Sedimentieren des Pigments
  4. Optional: Waschen des Pigments

Das brauchst Du, um Dein eigenes Pigment zu extrahieren:

  • Erntereifen Japanischen Färberknöterich
  • Ein bis zwei ausreichend große Gefäße (z. B. Eimer, Wanne), gerne weiß oder durchsichtig
  • Löschkalk (Calciumhydroxid)
  • pH-Messstreifen
  • Wasser
  • ggf. Steine o. ä. zum Beschweren der Blätter

Hier erkläre ich Dir die einzelnen Schritte, was dabei genau passiert, und was zu beachten ist.

Schritt 1: Ernte und Fermentieren der Blätter

Was muss man machen?

Wenn man mit Japanischem Färberknöterich arbeitet, ist es am besten, mit möglichst frischen Blättern zu arbeiten. Man schneidet sich die gewünschte Menge Stängel ab, dabei läßt man die untersten 3-4 Blätter stehen, damit die Pflanze dort wieder austreiben kann. Anschließend zupft man die Blätter ab und legt sie in ein Gefäß mit Wasser.

geerntete Blätter von Japanischem Färberknöterich
Frisch geerntete Stängel. Erst wollte ich alles in ein Wäschenetz geben, um das Herausfischen später zu erleichtern, aber mein Netz war zu klein.

Bei einer größeren Menge Blätter ist es ratsam, in mehreren kleinen Portionen zu arbeiten, damit die Blätter nicht anwelken. In welken Blättern hat der Abbau der farblosen Farbstoff-Vorstufe bereits begonnen und die Pigmentausbeute fällt geringer aus. Alternativ läßt man die Blätter einfach an den Stängeln.

geerntete Blätter von Japanischem Färberknöterich in einem Eimer
Geerntete Blätter im Eimer. Bei mir waren es nicht so viele, daher habe ich alle in einem Schwung verarbeitet.

Drücke die Blätter unter Wasser (evtl. einen Teller oder Sieb darauflegen) und beschwere sie, z. B. mit einem Stein.

Fermentation Japanischer Färberknöterich, Blätter submers
Auf die Blätter im Eimer habe ich einen Teller gelegt und darauf zwei Steine. Alles ist jetzt submers.

Und nun heißt es: Abwarten. Nach einiger Zeit ändert sich die Farbe der Flüssigkeit zu einem hellen grünblau und es bildet sich ein lila- schimmernder Film an der Oberfläche. Das kann, je nach Temperatur, ein paar Stunden bis ein paar Tage dauern. Bei mir hat es ca. 4–5 Tage gedauert.

grünlichblaue Flüssigkeit nach Indigo Fermentation in einem Eimer
Die Flüssigkeit nimmt eine grünliche Farbe an.
lila schimmernder Film auf Indigo-Fermentation in einem Eimer
Nach einigen Tagen hat sich dann der Film an der Oberfläche gebildet. So sah das bei mir aus.

Sobald Du den schimmernden Film auf der Oberfläche siehst, ist der Zeitpunkt gekommen, die Fermentation zu beenden! Die Blätter werden herausgenommen und der Ansatz durch ein Sieb oder ein Käsetuch gegossen, um Pflanzenteile zu entfernen. Die Pflanzenteile würden sonst nachher das Pigment verunreinigen.

Nach der Fermentation können die Blätter noch recht grün aussehen – Orientierungspunkt für den Endpunkt der Fermentation ist daher nicht die Farbe der Blätter, sondern die Farbe der Flüssigkeit.

Wer zu lange fermentiert, verliert Pigment (das wird dann mit der Zeit abgebaut, bis irgendwann gar kein Pigment mehr da ist).

Was passiert hier?

Bei der Fermentation wird die farblose Vorstufe des Indigofarbstoffes, das Indican, freigesetzt und gespalten (man sagt auch „hydrolysiert“). Das heißt, die Blätter fangen an, sich zu zersetzen, die inneren Zellstrukturen zerbrechen und es werden Enzyme frei, die das Indican aufspalten in seinen Zuckerteil und seinen Indoxylteil.

Die Fermentation ist ein anaerober (d. h. unter Luftausschluss stattfindender) Prozess. Die Blätter müssen also in dem Gefäß beschwert werden, sodass sie komplett unter Wasser sind und keine Luft an sie herankommt. Blätter, die oben schwimmen, haben Luftkontakt und vergammeln statt zu fermentieren.

Das Indoxyl ist nicht stabil, zerfällt also mit der Zeit. Wenn Du also zu lange wartest mit der Weiterverarbeitung, riskierst Du verringerte Ausbeuten.

Schritt 2: Belüften und pH anheben

Jetzt kommt der etwas anstrengende Teil: das Belüften des Ansatzes. Der blaue Farbstoff entsteht nämlich erst im alkalischen pH-Bereich und unter Sauerstoffeinwirkung. Den pH heben wir mit Löschkalk (Calciumhydroxid) an, und den Sauerstoff kannst Du auf verschiedene Weisen einführen.

Was muss man machen?

Nun musst Du dafür sorgen, dass möglichst viel Luft in die Flüssigkeit gelangt. Dafür gibt es die verschiedensten Varianten:

  • Bohrmaschinenaufsatz für das Umrühren von Farbeimern
  • Schneebesen (sicher sehr anstregend)
  • Belüftungsanlagen für Aquarien
  • wiederholtes Umschütten von Gefäß zu Gefäß

Ich selbst habe einfach die Flüssigkeit von einem Eimer in den anderen gegossen, hin und her, 15 Mal (also: 15 Mal hin, 15 Mal her, macht 30 Schüttbewegungen). Wichtig ist, dass möglichst viel Luft in die Flüssigkeit gelangt. Das Hin- und Her-Schütten ist natürlich nur praktikabel, wenn Du den Eimer bzw. Dein Gefäß auch noch ohne Probleme anheben kannst. Zu guter Letzt habe ich auch noch mit einem Stock umgerührt.

Die Umwandlung von Indoxyl zu Indigotin benötigt neben Sauerstoff auch einen hohen pH. Das kann man theoretisch mit allem machen, was basisch reagiert (z.B. Waschsoda, Natriumcarbonat, Na2CO3), aber traditionell wird Löschkalk verwendet (Calciumhydroxid, Ca(OH)2). Löschkalk macht das Ganze nicht nur basisch, sondern fungiert auch als Flockungsmittel, um das Pigment auszufällen (also es dazu zu bringen, als Sediment auf den Gefäßboden abzusinken).

Blaue indigohaltige Flüssigkeit nach Fermentation in einem Eimer, wird mit einem Stock schaumig gerührt
Nach dem Belüften und pH anpassen habe ich noch etwas weiter mit einem Stock gerührt – es war einfach magisch!

Man kann erst belüften und dann den pH anheben oder umgekehrt, für beide Vorgehensweisen gibt es Beispiele zu finden.
Ich hatte meine pH-Streifen parat gelegt, löffelweise den Löschkalk zugegeben und immer wieder umgerührt und pH gemessen. Er sollte so zwischen 9 und 10 liegen. Wenn er darüber liegt, wird die Farbe des Pigmentes offenbar verändert.

Nachtrag: In Foren zum Thema Pigmentextraktion (z.B. auf Facebook) habe ich auch schon gelesen, dass der pH auf 10-11 angehoben wird. Besonders in kleinen Volumina ist es manchmal gar nicht so leicht, den pH gut zu treffen – man schießt schnell über das Ziel hinaus. Wenn ich ca. 5 – 8 Liter habe, taste ich mich mit halben Teelöffeln voll heran und messe den pH nach jeder Zugabe und Umrühren.

An dieser Stelle ein Sicherheitshinweis: 
Tragt bitte Handschuhe und eine Schutzbrille, wenn ihr mit Löschkalk umgeht (und auch mit der Flüssigkeit hinterher). Mit Löschkalk ist nicht zu spaßen. Wenn Laugen in die Augen kommen, kann das zu schlimmen Verätzungen führen. Bitte seid achtsam im Umgang mit dieser Chemikalie.

Was passiert hier?

Während dieses Prozesses passiert die Magie: Die Flüssigkeit wird tiefblau.
Die Indoxyl-Teile, die in der Fermentation freigesetzt wurden, finden sich jetzt zu Paaren zusammen und verbinden sich in Anwesenheit von Sauerstoff zu Dimeren. Diese Dimere sind der Indigofarbstoff. Er ist nicht mehr wasserlöslich.

Auf Instagram kannst Du mein Reel dazu ansehen.

Schritt 3: Die Sedimentation

Der Farbstoff liegt nun in seiner endgültigen, blauen Form vor. Diese Form ist nicht wasserlöslich, daher wird sich der Farbstoff über die nächsten Tage am Boden des Gefäßes als Sediment absetzen.

Was muss man machen?

Man muss nun den klaren, bräunlichen Überstand von dem pigmenthaltigen Sediment trennen. Dafür kann man den Überstand entweder abgießen oder abschöpfen. Der Übergang zwischen Sediment und Überstand ist fließend, und so kann man immer nur so viel Überstand abnehmen, dass man das Sediment nicht wieder aufwirbelt. Wenn Pigment aufgewirbelt wird, ist es erst mal Zeit, mit dem Abschöpfen oder Abgießen aufzuhören und das Sediment sich weiter setzen zu lassen.

3 Gläser auf einem Tisch, 2 mit grünlicher klarer Flüssigkeit, eines mit tiefblauer Flüssigkeit (Indigo)
Der klare Überstand war bei mir leicht grünlich, er kann aber auch bräunlich sein. Aber schaut euch das Glas mit der blauen Farbe an! Wahnsinn! Das ist bei uns auf der Terrasse gewachsen!

Wer helle oder sogar durchsichtige Gefäße verwendet, kann den Übergang sehr gut sehen. In dunklen Gefäßen sieht man das nicht und es kann schon mal sein, dass man ein wenig aufgewirbeltes Pigment mit ausgießt. Meine Eimer waren schwarz, aber ich habe ein durchsichtiges Gefäß verwendet, um den klaren Überstand vorsichtig abzuschöpfen.

Wird das Gefäß zu groß für das verbliebene Volumen, kann man das Ganze nach und nach in immer kleinere Gefäße umfüllen. Idealerweise sind die Gefäße nicht nur kleiner, sondern auch schmal und hoch (denke an ein Glas mit Spargel aus dem Supermarkt). Aus so einem Gefäß läßt sich der Überstand leichter abgießen als beispielsweise aus einem sehr flachen, weiten Gefäß.
Beim Umfüllen in ein kleineres Gefäß nehme ich einen kleinen Schluck des abgegossenen klaren Überstandes, um das größere Gefäß restlos zu spülen und jeden kleinen Krümel Pigment in das neue Gefäß zu überführen. Lieber warte ich einen Tag länger auf das Sedimentieren, als Pigment zu verlieren.

Nahaufnahme Indigo Sediment nach Extraktion
Am Ende wurden meine Gefäße immer kleiner, hier ganz zum Schluß ein Marmeladenglas.

Wer noch eine Spritze hat, kann den Überstand auch einfach absaugen, das geht vor allem bei den immer kleiner werdenden Volumina sehr gut. Bitte nicht mit dem Mund über einen Schlauch absaugen! (Ich sage das nur der Vorsicht halber, es gibt Generationen von Menschen, die haben im Studium noch mit dem Mund pipettiert. Macht das bitte nicht.)

Am Ende hat man eine (relativ) dicke Pigmentschicht mit einer relativ dünnen Flüssigkeitsschicht darüber. Das ergibt, wenn man es verrührt, eine dicke Paste.

Du kannst das Pigment als Paste aufbewahren und direkt verwenden, oder Du filterst (z.B. durch Falten- oder Kaffeefilter) und trocknest es. Im getrockneten Zustand ist das Pigment unbegrenzt haltbar, muss dann nur vor der Verwendung wieder mit Wasser vermischt werden, und das ist offenbar nicht so trivial. Aber da bin ich noch nicht. Ich freu mich jetzt erst mal an meinem wunderschönen Pigment.

getrocknetes Indigo-Pigment auf Kaffeefilter
Nach dem Filtrieren und Trocknen blieb nicht sehr viel übrig. Offenbar hatten meine Pflanzen nicht so viel Farbstoff produziert.

Optional kann man das Pigment auch waschen, um lösliche Bestandteile (z.B. das Calciumhydroxid) zu entfernen. Die Farbe soll dadurch noch klarer werden. Aber: mit jeden Schritt, den man zusätzlich macht, riskiert man auch Pigmentverluste (z.B. Reste, die an Filtern, Gefäßwänden etc. zurückbleiben).

Was passiert hier?

Das unlösliche Pigment setzt sich ganz langsam über mehrere Tage am Boden ab. Wer ein Labor mit einer Zentrifuge zur Verfügung hat, kann die natürlich auch benutzen, das ginge dann wesentlich schneller…

Bitte beachte: 
Der klare Überstand, den Du abschöpfst, hat einen pH von 10. Bevor Du ihn irgendwo entsorgst, musst Du ihn mit Essig neutralisieren. Überprüfe den pH (er sollte bei ca. 7 liegen) bevor Du ihn irgendwo hingießt.

Mein Fazit: Sehr befriedigend!

Für mich war diese Erfahrung unglaublich befriedigend. Es ist faszinierend, ja fast magisch, zu wissen, dass dieses blaue Pulver, diese Farbe, in den Pflanzen auf meiner Terrasse gewachsen ist. Ein bißchen wie die eigenen Erdbeeren vielleicht.

Der Arbeitseinsatz für die Pigmentextraktion war insgesamt überschaubar – am aufwändigsten waren das Abzuppeln der Blätter und das Belüften. Und beim nächsten Mal spare ich mir vielleicht auch das Blätter-Abzuppeln und lege einfach die ganzen Stiele ins Wasser. In den Stielen ist zwar kein Farbstoff, aber sie stören auch nicht, halten im Zweifel die Blätter unter Wasser und man kann die Blätter so auch leichter entnehmen. Es kann lediglich sein, dass man ein wenig mehr Flüssigkeit hat.

Man könnte sogar noch weitergehen und seine eigenen Tinten oder Aquarellfarben herstellen. Bei The Dogwood Dyer gibt es einen Kurs, in dem man lernt, Pigmente nicht nur aus Japanischem Färberknöterich, sondern auch aus Reseda zu gewinnen. Den schaue ich mir nächstes Jahr mal genauer an…

Versuch Nummer 2 gleich hinterher

Hach, was war ich angetan! Gleich der erste Versuch so ein phänomenaler Erfolg! Los, gleich nochmal… Man kann doch die Blätter noch ein zweites Mal fermentieren, hab ich gehört…
Ich hatte auch noch ein paar eingefrorene Reste einer Eiswasserfärbung, und auch eingefrorene Blätter aus dem letzten Jahr, als ich grad keine Zeit für eine Färbung hatte. Die sahen zwar schon recht blau aus, aber hey, nur Versuch macht kluch, wie mein Professor immer sagte. Also setzte ich gleich im Anschluß eine zweite Fermentation an, mit Blättern aus der ersten Fermentation plus eingefrorenen Resten aus dem letzten Jahr.

Nahaufnahme fehlgeschlagene Fermentation mit Fäulnisfilm
So sah der Film auf der Oberfläche im zweiten Experiment aus. Eher faulig und schleimig als lila schillernd.

Nunja. Als sich der lila-silbrige Film an der Oberfläche nicht richtig bilden wollte, dachte ich mir noch nichts dabei. Als es übel anfing zu stinken, wurde ich etwas skeptisch. Aber ich dachte mir: im Löschkalk liegt die Wahrheit! Und so war es auch. Vor der Zugabe des Löschkalks stank es und war grüngelbbraun, und nach der Löschkalkzugabe stank es genauso, schäumte, und war leuchtend grüngelbbraun. Was immer da sedimentieren würde – blau würde das nicht werden.

braune schäumende Flüssigkeit in einem Eimer, fehlgeschlagene Fermentation
So sah das Ganze nach Löschkalkzugabe aus: gelbgrünbraun und schaumig. Zum Glück kann man übers Internet nicht riechen…

Also: pH mit Essig neutralisiert und unter ständigem Rühren an die Büsche gegossen. Zum Glück war der Geruch nach ein paar Stunden verflogen.

Auf Instagram habe ich diesen fail mal per Video dokumentiert (schau hier).

Merke: Ohne lila Film auf der Oberfläche kein blauer Farbstoff.

Was war hier passiert?

Ich hatte gehofft, dass beim Einfrieren das Indican zu Zucker und Indoxyl zerfallen war, oder aber schon der fertige Indigofarbstoff vorlag (obwohl der pH sicher nicht alkalisch genug dafür war, aber beim ecoprinting funktioniert das ja auch ohne pH-Änderung). Dann hätte ich ihn quasi nur noch mit dem Löschkalk zum Sedimentieren bewegen müssen. Aber offenbar ist der Farbstoff komplett abgebaut und zerstört worden, bevor irgendetwas eine Chance hatte zu sedimentieren.

Vielleicht hätte ich den Farbstoff auch erst nochmal reduzieren müssen (wie in einer Küpe), um ihn wieder in die wasserlösliche Form zu überführen und ihn dann zusammen mit dem frisch extrahierten Farbstoff zu oxidieren und zu sedimentieren. Aber offenbar haben sich da Effekte mit den bereits fermentierten Blättern überlagert.

Nunja. Für dieses Jahr war jedenfalls erst mal Schluß mit Experimenten. Nächstes Jahr geht es weiter…

…und geht das wirklich nur mit frischen Blättern?

Immer wieder lese ich in Artikeln und höre in Gesprächen, in denen es um Japanischen Färberknöterich geht, dass die Blätter sehr frisch sein müssen. Aber durch Zufall, ich weiß gar nicht mehr wie, bin ich neulich darüber gestolpert, dass es offenbar doch Methoden gibt, den Farbstoff aus getrockneten Blättern zu extrahieren (z.B. bei Deb McClintock oder Kirsten Köster (Achtung: kein https!).

Damit werde ich mich dann demnächst nochmal beschäftigen.

Hast Du schon einmal Pigment extrahiert oder mit getrockneten Blättern gearbeitet? Schreib es mir in den Kommentaren.


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Pinterest Pin Abbildung Indigo Pigment Paste in Kaffeefilter
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Was ist Mulesing? Ein Versuch zur Einordnung einer umstrittenen Praxis

„Wolle ist Tierquälerei“. Dieses Statement habe ich früher nie verstanden. Scheren tut dem Schaf doch nicht weh, das ist doch wie Haareschneiden, oder? Und dann, es muss um 2009 gewesen sein, hörte ich zum ersten Mal den Begriff „Mulesing“. Ich begann, mich zu diesem Thema zu informieren, und ich war erst einmal entsetzt. Aber je tiefer ich mich damit beschäftigte, desto klarer wurde mir: Es gibt nicht nur schwarz und weiß, sondern auch viele Schattierungen dazwischen. In diesem Artikel versuche ich, das Thema von mehreren Seiten zu beleuchten und den aktuellen Stand der Dinge wiederzugeben.

Mulesing – eine brutale Praxis

Mulesing ist – stark verkürzt – eine Methode, bei der Schafen ohne Betäubung bewollte Hautfalten am Hinterteil chirurgisch entfernt werden, um einen parasitären Befall mit Fliegenlarven zu verhindern. Das sich bildende Narbengewebe ist nicht mehr bewollt und bietet den Fliegenlarven keine Nahrungsgrundlage mehr. Mittlerweile haben schon viele Menschen von dieser tierquälerischen Praxis gehört und wer sicher sein will, Wolle ohne Tierleid zu kaufen (ob als Garn oder fertiges Textil), achtet dabei auf den Zusatz „mulesingfrei“.

Aber was steckt eigentlich genau dahinter? Warum gibt es diese Praxis, welchen Zweck erfüllt sie, und wie ist der heutige Stand der Entwicklung? Seit ich mich das letzte Mal tiefer mit dem Thema beschäftigt habe, ist viel passiert. Wenn ich aber den Begriff „Mulesing“ oder „mulesingfreie Wolle“ in die Suchmaschine eingebe, bekomme ich eine Reihe von Beiträgen angezeigt, die meist in verkürzter und teilweise polarisierender Art und Weise zu diesem Thema informieren. Wirkliche Zusammenhänge konnte ich nur in wissenschaftlichen Fachartikeln finden. Das Thema ist nämlich ist nicht so schwarz-weiß, wie es oft dargestellt wird, und das möchte ich hier beleuchten.

In diesem Artikel werde ich keine Bilder zeigen. Dadurch leidet zwar wahrscheinlich die Lesbarkeit, aber mir reichen ehrlich gesagt die Bilder in meinem Kopf, um mich um den Schlaf zu bringen …

Das Problem: Myiasis, der gefürchtete „Flystrike“

Bevor wir uns das Mulesing aber genauer anschauen, werfen wir einen Blick auf die Krankheit, gegen die es schützen soll: Myiasis, den Fliegenbefall (auf Englisch: Flystrike).

Fliegen (v.a. Schmeißfliegen) werden von übelriechenden, feuchten und warmen Teilen eines Schafvlieses angezogen. Oft sind das Teile des Körpers, die regelmäßig verkotet und nass werden. Das sind z. B. bei Durchfall die Schwanz- und die Urogenitalregion (sog. tail bzw. breech strike) oder aber Stellen auf dem Körper, die bei nassem Wetter nicht richtig trocknen können, wie z. B. Achselregionen (sog. body strike). Die Fliegen legen dort ihre Eier ab, so sind sie vor dem Austrocknen geschützt und haben es warm. Irgendwann schlüpfen dann kleine Larven, die auf der Suche nach Nahrung zwar erst den im Vlies enthaltenen Dung fressen, die aber auch vor dem lebenden Fleisch ihres Wirtes nicht haltmachen – das Schaf wird quasi bei lebendigem Leib aufgefressen. Die Schafe zeigen erst recht spät Anzeichen von Unwohlsein, sie werden unruhig, können nicht mehr stillstehen und versuchen, betroffene Stellen zu schubbern und zu beißen.

Wie sieht Flystrike bei einem Schaf aus?

In dem Buch „Counting Sheep“ beschreibt der britische Schäfer Philip Walling sehr plastisch, was passiert, wenn ein Schaf (in diesem Falle ein Lincoln-Schaf mit sehr dichter schwerer Wolle) von Fliegenmaden befallen ist und der Befall nicht rechtzeitig entdeckt wird. (Ich habe das Buch auf Englisch, dies ist meine eigene freie Übersetzung).

„Einmal begegnete ich einem jungen Schaf, das von Schwärmen von Schmeißfliegen bedrängt wurde. Es hatte nicht die Kraft wegzulaufen, und ich sah auch sofort warum: Das Vlies, das an einem langen Streifen verfaulter Haut an seinem Hinterteil und den Flanken hing, löste sich in meinen Händen und brachte eine brodelnde Masse Maden zum Vorschein, die sich an seinem Fleisch vollfrass. Sie krabbelten rein und raus aus Anus und Vulva, die sie teilweise weggefressen hatten.(…) Ich würgte, als ich das verlorene Tier zum nächsten Baum zog, um es festzubinden und als ich nach Hause rannte, um mein Gewehr zu holen. (…)“

Phillip Walling in “Counting Sheep”

Ich lasse das jetzt mal kurz so stehen.

Flystrike ist eine sehr langsame und brutale Art zu sterben. Das Schaf kann sich nicht dagegen wehren. Wenn der Befall nicht rechtzeitig erkannt und behandelt wird, hat das Schaf keine Chance.

Wo kommt Flystrike vor?

Flystrike kommt hauptsächlich in Australien vor, denn hier kommen vier folgenschwere Faktoren zusammen, die diese Krankheit zu einem großen Problem werden lassen:

  1. Besonders faltige und damit für Flystrike anfällige Schafe (die Vermont-Variante des Merinoschafs, dazu gleich mehr),
  2. Sehr große Herden, die nur extensiv betreut werden können. Eine tägliche Kontrolle aller Tiere, wie sie hier in Deutschland vorgeschrieben ist, ist dort nicht möglich.
  3. Die Einschleppung einer neuen Fliegenart (Lucilia cuprina), die Flystrike verursachen konnte,
  4. Ein warmes Klima.

Flystrike an sich ist dabei nichts Neues, denn wo Schafe sind, sind oft auch Fliegen. Auch in Großbritannien und Neuseeland gibt es Fälle (siehe obiges Zitat), aber das Problem ist weniger gravierend, weil dort nicht die genannten vier Faktoren zusammentreffen.

Bis Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts war Flystrike auch in Australien kein besonders großes Problem, da die Schafe keine Falten und keine Wolle an ihrem Hinterteil hatten. Das änderte sich mit der Einführung des stark faltigen Vermont-Merinoschafs (auch bei Wikipedia nachzulesen), das in den 1880er Jahren nach Australien gebracht und weitergezüchtet wurde. Man war der Meinung, mit den Falten die Hautoberfläche und somit den Wollertrag pro Tier vergrößern zu können.

Unglücklicherweise stellte sich aber heraus, dass die Vliesqualität der Vermont-Schafe schlechter war als bei den bis dato in Australien gezüchteten Merinos. Sie hatten zwar ein höheres Rohvliesgewicht, aber aufgrund des hohen Wollfettgehaltes brachten sie weniger Reinwolle (Gewicht der Wolle nach dem Waschen). Der höhere Wollfettgehalt und die Falten machten die Tiere deutlich anfälliger für flystrike. Die Wolle war weniger homogen, weniger fein, und die Ablammungsrate war geringer. Warum sie trotzdem weitergezüchtet wurden, ist mir nicht ganz klar geworden.

Die faltigen Schafe waren nun da. Aber wie kam die Fliege nach Australien? Man weiß es nicht genau. Als sie aber da war, fühlte sie sich auf den Schafen sofort heimisch und sorgte für sehr viel Tierleid und hohe Verluste. Diese Verluste waren durchaus ökonomischer Natur, denn die Wolle war damals noch viel mehr wert. Starb ein Tier, so ging nicht nur der Fleischertrag verloren, sondern auch der Wollertrag.

Die „Lösung“: Mulesing, das Entfernen der Hautfalten

Wie konnte man nun in Australien die vielen Schafe vor den Fliegen schützen und somit gleichzeitig die Verluste für den Farmer verringern? Ein gewisser Herr Mules, seines Zeichens Schafzüchter, hatte da 1929 (oder 1931, ich habe verschiedene Angaben gefunden) eine Idee. Er entwickelte die nach ihm benannte Methode, bei der dem Schaf Hautfalten in After- und Genitalbereich chirurgisch entfernt werden. Ziel der Operation ist eine Vernarbung des Gewebes, damit dort keine Wolle mehr wächst. Dadurch bieten die behandelten Tiere den Fliegen keine attraktive Brutstätte mehr und werden dementsprechend nicht von Flystrike heimgesucht.

Das Problem ist: Es wurden keine Betäubungs- und Schmerzmittel während und nach dieser Prozedur eingesetzt. Auch heute noch setzen nicht alle Farmer Schmerzmittel ein.

Auswirkungen des Mulesing auf die Tiere

Die Tiere zeigen nach dem Mulesing für 24- 48h eine eindeutige Stress-Antwort und auffälliges Verhalten: sie stehen anders, legen sich kaum hin, fressen wenig, spielen nicht und zeigen wenig soziale Interaktion. Außerdem zeigen sie starke Furcht vor der Person, die das Mulesing an ihnen durchgeführt hat, und zwar noch Wochen später. Auch die Gewichtszunahme (ein wirtschaftlich wichtiger Indikator für das Wohlbefinden des Schafs) kann bis zu 14 Tage niedriger ausfallen als üblich.

Wenn Wissenschaftler Stresslevel messen wollen, messen sie meist Cortisol-Level im Blut (Cortisol ist ein Stress-Hormon). Aber kann man so das Ausmaß des Leids eines Tieres in Zahlen ausdrücken? Das ist sicherlich wissenschaftlich fundiert – aber ich persönlich kann nicht sagen, ob ein Tier mit einem geringfügig niedrigeren Cortisol-Wert nun auch weniger gelitten hat. Angst oder Schmerzen in Zahlen auszudrücken ist für mich (und das ist meine persönliche Auffassung) immer ein Graubereich.

Aufgrund der Grausamkeit der Prozedur waren viele Schafhalter auch nicht bereit, sie selber durchzuführen, und so wurden Mulesing-Dienstleister etabliert. Auf diese Weise blieben die Schafe zutraulich zu ihren Haltern, waren aber dennoch durch das Mulesing vor Flystrike geschützt. Einige Beiträge, die ich im Netz gefunden habe, berichten davon, dass Mulesing eigentlich von Fachleuten durchgeführt werden muss. Das würde aber oft nicht gemacht, oft würde auch nicht mit den richtigen Werkzeugen gearbeitet, sodass die Tiere auf diese Weise noch einmal extra leiden. Woher diese Information kommt, kann ich nicht sagen, aus den Fachartikeln ist eine solche Praxis nicht ersichtlich.

„Behandelt“ werden mittlerweile Lämmer von 8 bis 12 Wochen, mit der Begründung, der zu entfernende Hautbereich sei kleiner als bei einem erwachsenen Tier. Die Verwendung von Schmerzmitteln ist in den Australischen Standards zum Tierwohl für Schafe nur für Tiere im Alter zwischen 6 und 12 Monaten vorgeschrieben. Übrigens beschränkt sich die Anwendung des Mulesing nicht nur auf Merinoschafe: auch Corriedales und Kreuzungen daraus wurden bzw. werden der Prozedur unterzogen.

Ist Mulesing denn wirksam?

Ja, Mulesing ist ein wirksamer Schutz vor Flystrike. Die Angaben in der Literatur liegendurchaus weit auseinander, je nachdem, wie die Untersuchung designt war und was womit verglichen wurde (gemulesed / nicht gemulesed und faltig oder gemulesed / nicht gemulesed und unbewollt, Frühling vs. Herbst etc.). Wer gerne Zahlen mag, schaut in den Artikel von Rothwell et al.

Aber: Mulesing senkt nur die Wahrscheinlichkeit für tail strike, also den Befall der Urogenitalregion. Body strike (d. h. Achselregionen o. ä.) ist bei entsprechenden klimatischen Bedingungen weiterhin möglich. Der größte Vorteil liegt offenbar darin, dass man es nur ein Mal durchführen muss und das Schaf dann sein ganzes Leben vor tail strike geschützt ist.

Argumente für den Einsatz von Mulesing

Beim Mulesing zeigen die Tiere für 24 – 48 h eine messbare Stress-Antwort (Lee und Fisher 2007). Die Stress-Antwort bei Flystrike ist offenbar vergleichbar hoch – und sie hält so lange an, bis der Flystrike behandelt wird oder das Schaf stirbt. Das kann durchaus länger dauern als die 24 – 48 h beim Mulesing.

Schafe, die einen Flystrike überlebt haben, haben meist minderwertige Wolle und sind weniger fruchtbar. Nach Berechnungen einer Kosten-Nutzen-Analyse, die im Jahr 2001 an der Universität Melbourne durchgeführt wurde, beträgt der wirtschaftliche Nutzen des Mulesing pro Schaf im Jahr durchschnittlich $1.84 bei einer Herdengröße zwischen 3700 und 7500 Schafen. Der Nutzen von Mulesing, so wird dort auch argumentiert, erhöht sich über die Lebenszeit eines Schafes – wohingegen bei alternativen Methoden zur Verhinderung des Flystrike jedes Jahr aufs Neue investiert werden muss.

Aus der Sicht eines Schafhalters hat Mulesing vor allem vor dem Hintergrund der sehr großen Herden eine Reihe von Vorteilen (nach James 2006)

  1. Schutz vor Flystrike (tail strike) mit geringstmöglichem Aufwand für den Schafhalter.
  2. Weniger verfärbte (durch Urin etc.) und verkotete Wolle und damit höherer Reinertrag
  3. Weniger crutching erforderlich (das ist das Ausscheren der Wolle im Afterbereich außerhalb der regulären Schur zur Wollernte)
  4. Leichteres Scheren
  5. Weniger Arbeitsaufwand für die Inspektion der Herden und das Behandeln befallener Tiere
  6. Weniger (giftige) chemische Rückstände in der Wolle (weil weniger Ektoparasitenmittel verabreicht werden müssen)
  7. Abstimmen des Scherzeitpunktes mit der Wollqualität (und nicht nur zur Schadensbegrenzung wegen der Fliegen)

Die National Farmers Federation in Australien argumentiert, dass mulesing der effektivste und praktischste Weg ist, um Flystrike zu verhindern. Ihren Berechnungen zufolge würden sonst 3 Mio. Schafe jedes Jahr daran kläglich verenden.

Wer hier noch ein kleines bißchen tiefer gehen möchte, kann sich auf dem Blog „Mulesing & Welfare“ umschauen. Dort wird das Thema sehr sachlich, ebenfalls ohne Bilder und leicht verständlich (auf Englisch) aufbereitet. Über den Autor steht dort allerdings nur, dass er ein französischer Master-Student im Animal Welfare Program der Uni in Vancouver (Kanada) ist. Ein Impressum ist nicht zu finden, ich kann also die Vertrauenswürdigkeit nicht einschätzen. Die Art der Darstellung des Themas erscheint mir jedoch fundiert und vertrauenswürdig.

Mulesing war seit seiner Einführung umstritten

Seit das Verfahren in Australien eingeführt wurde, wurde es auch von vielen Farmern als grausam abgelehnt. Alternative Verfahren wurden gesucht und gefunden, aber keines schien so erfolgreich Flystrike zu verhindern wie das Mulesing (dazu weiter unten mehr).

Am Ende setzte sich Mulesing aber trotz der Grausamkeit durch. Das lag zum einen wohl an der Effizienz, mit der Flystrike verhindert werden kann, zum anderen wohl aber auch an einer ordentlichen Portion Lobbyarbeit.

Mein persönlicher Eindruck ist hier (und ich kann mich hier durchaus irren): Durch das Etablieren der Dienstleister hatten die Schafhalter einen Schritt mehr Abstand zur Grausamkeit, und die Einführung fiel ihnen vielleicht einen Tacken leichter. Wenn ich meinen Tieren nicht selbst wehtun muss, sondern es andere für mich tun, ist mir das Leid nicht ganz so nah. Zudem: wenn ich nicht 100 oder 500 Tiere versorgen muss, sondern 6000, dann bewegen sich auch handling und Logistik in einem ganz anderen Rahmen und bilden eine ganz andere Entscheidungsgrundlage.

Alternativen: Pest oder Cholera oder ganz viel Arbeit

Was sind denn nun die Alternativen? Die Schafe nicht dem Mulesing unterziehen, dafür aber riskieren, dass sie elendiglich an Flystrike zugrunde gehen? Es erscheint mir wie die Wahl zwischen Pest und Cholera. Die Praxis ist entsetzlich, das steht außer Frage. Aber kein Mulesing durchführen und die Schafe verenden zu lassen erscheint mir auch nicht die richtige Lösung.

Über die Jahre, ich sagte es schon, gab es viele Ansätze für alternative Verfahren. Nicht alle davon waren weniger schmerzhaft, und keines war so überzeugend, dass es wirklich Fuß fassen konnte. Im Folgenden gebe ich eine Übersicht dazu, die allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

Man kann die Verfahren grob in zwei Kategorien unterteilen: Verfahren, die Haut entfernen und Verfahren, die keine Haut entfernen.

Entfernung der Haut durch andere Verfahren

Verwendung von Clips

Ähnlich wie bei der Gummiring-Methode, mit der hierzulande die Schwänze kupiert (gekürzt) werden, setzt man spezielle Clips ein, die die Hautfalten abklemmen. Dadurch wird die Durchblutung verhindert, die Haut stirbt ab und vernarbt. Auch diese Methode ist wohl schmerzhaft. Zieh Dir mal einen Gummi oder eine Schnur eng um einen Finger für ein paar Minuten und probier es aus.

Chemisches Mulesing

Im Jahre 1938 meldete ein Tierarzt namens Lewis Manchester eine Methode zur Prävention von Flystrike bei Schafen zum Patent an (Manchester Verfahren). Dabei wird derselbe Hautbereich wie beim Mulesing mit einer stark ätzenden Flüssigkeit (z. B. Kalilauge) betupft, und zwar so lange, bis die Wolle anfängt sich aufzulösen. Wer schon einmal die Warnhinweise auf einer Flasche Kalilauge gesehen hat, wird ahnen können, dass diese gezielte Verätzung höllisch weh tun muss. Der Heilungsprozess kann sich bis zu 11 Wochen hinziehen – das sind fast 3 Monate. Zum Vergleich: Die Wunde nach dem Mulesing ist meist nach ca. 5 Wochen abgeheilt.

Durch die verlängerte Wundheilung waren die Schafe auch noch länger anfällig für Flystrike. In der Literatur wird berichtet, dass die Personen, die die Tiere so behandelten, diese Methode grausam fanden.

Neben Kalilauge wurde auch mit Quaternären Ammoniumverbindungen sowie Phenol und anderen Proteine denaturierenden Substanzen experimentiert. Diese Substanzen mussten allerdings in Dosen verwendet werden, die teilweise für die Tiere tödlich und auch für die Operatoren nicht ungefährlich waren (Aufnahme über die Haut in den Körper). Es wurden zwar Applikatoren für diese Methode entwickelt und patentiert, aber so richtig fassten auch all diese Varianten nicht Fuß. Offenbar waren sie arbeitsintensiver und auch weniger effektiv als das Mulesing.

Kältebehandlung

Das Entfernen von Hautbereichen durch Erfrierungen wurde ebenfalls erprobt. Dafür wurden zum Beispiel Brandeisen verwendet, die in einer Mischung aus Trockeneis und Methanol gekühlt waren (bis -70 °C). Alternativ wurde die Haut mit Flüssigstickstoff (-196 °C) oder cryogenen Gasen behandelt, allerdings führte das nicht zu einer dauerhaften Verhinderung des Wollwachstums. Alles, was oberhalb von -20 °C blieb, führt zu unvollständiger Nekrose des Gewebes. Die Haut konnte sich somit wieder regenerieren (was an sich schon ein kleines Wunder ist) und somit irgendwann auch wieder Wolle produzieren. Eine solche Behandlung hätte also in regelmäßigen Abständen wiederholt werden müssen (während bei Mulesing nur ein Eingriff erforderlich ist). Und da sind wir wieder bei den enormen Herdengrößen und den damit verbundenen logistischen Schwierigkeiten.

Ionisierende Strahlung

Zwischen 1987 und 1991 wurden über 5 Mio. Dollar ausgegeben für Versuche mit ionisierender Strahlung an über 1000 Schafen. Durch die Strahlung konnte zwar das Wollwachstum zunächst unterbrochen werden, allerdings konnte sich die Haut auch hier nach einer Weile wieder erholen und es kam erneut zu Wollwachstum (und somit der Gefahr des Flystrike). Wenn die Strahlungsdosis erhöht wurde, um die Regenerationsfähigkeit der Haut komplett zu zerstören, kam es zu verstärkter Vernarbung. Die Narben und der Heilungsprozess waren offenbar auch schmerzhaft für die Tiere, und während der Heilung waren sie aufgrund der gebildeten nässenden Wunde wiederum anfälliger für Flystrike.

Photodynamische Therapie

Beim Menschen wird photodynamische Therapie beispielsweise bei der Behandlung von Hautkrebs eingesetzt. Betreffende Hautpartien werden mit einer speziellen Creme bestrichen, deren Wirkstoff in die Haut eindringt. Wird die Haut anschließend mit Licht einer bestimmten Wellenlänge bestrahlt, kommt es zur Freisetzung von aggressivem Sauerstoff (Sauerstoff-Radikale, sog. photodynamischer Effekt), der wiederum die behandelten Hautzellen zum Absterben bringt.

Bei den Schafen wird das ähnlich gemacht. Die gewünschte Region (d. h. der Po) wird geschoren, mit einer Substanz bestrichen (5-Amino-Levulinsäure, wen es interessiert) und nach 3- 10 Stunden mit sehr hellem rot-gelbem Licht (600 – 700 nm, d. h. im sichtbaren Spektrum) bestrahlt. Hierbei wird gezielt die Haarwurzel zerstört. In einem Feldversuch 1999 – 2001 konnte gezeigt werden, dass diese Methode fast genauso gut vor Flystrike geschützt hat wie das Mulesing. Ob dieses Verfahren für die Tiere schmerzhaft war, ging leider nicht aus dem Artikel hervor. Trotz dieser verheißungsvollen Ergebnisse hat diese Methode bis heute nicht Fuß gefasst.

Enzymatische Behandlung der Haut

Ein sehr interessanter Ansatz ist die Behandlung der Haut mit natürlich vorkommenden Enzymen*. Forscher hatten herausgefunden, dass sie mit bestimmten Enzymen (Collagenase, ein Collagen-abbauendes Enzym, und sog. Matrixmetalloproteinasen) ganze Follikel aus der Haut isolieren konnten. Die so isolierten Follikel waren nicht mehr lebensfähig – also perfekt, wenn man das Wollwachstum verhindern will.

Was hat man nun gemacht? Man hat in den betroffenen Bereich eine Collagenase-haltige Lösung in die Haut injiziert. Die daraufhin eintretende Reaktion war anscheinend vergleichbar mit dem, was auch nach dem Mulesing-Eingriff mit der Haut passiert – aber ohne die Schmerzen. Offenbar setzte aber einige Wochen nach der Behanldung wieder etwas Wollwachstum ein, sodass man von dieser Methode auch nichts wieder gehört hat.

*natürlich vorkommend meint in diesem Fall vermutlich: Collagenasen und Matrixmetalloproteinasen kommen natürlicherweise in den Geweben vor. Für die Injektionen wurden aber sicher biotechnologisch hergestellte Enzyme verwendet. Wenn man die natürlichen Enzyme verwenden will, muss man sie aus irgendwas isolieren (so wie früher Insulin aus Schweinepankreas). Dafür bräuchte man dann wieder ganz schön viel Schafhaut und hätte eine Menge Arbeit. Biotechnologisch ist verlässlicher und skalierbarer.

Alternativen ohne Entfernung oder Behandlung der Haut

Scheren und Beobachten

Durch häufigeres Scheren des Hinterbereiches der Schafe wird verkotete und urin-verfärbte Wolle vom Schaf entfernt und so die Attraktivität für die Fliegen herabgesetzt.
Die praktische Umsetzung dürfte allerdings viel Arbeit bedeuten (und wieder: Stichwort Herdengröße), und häufigeres Scheren alleine reicht nicht aus, um Flystrike in den Griff zu bekommen. Zusätzlich müsste der Schafhalter das Wetter im Auge haben (wegen der Feuchtigkeit) sowie den Jahreszyklus und das Vorkommen der Fliegen in seinem Weidegebiet. Bei verstärktem Fliegenaufkommen muss er seine Tiere häufiger überprüfen, um einen Befall rechtzeitig erkennen und versorgen zu können. Die Verwendung von speziellen Fliegenfallen kann die Anzahl der Fliegen im Weidegebiet drastisch reduzieren.

Verwendung von Insektiziden

Insektizide werden häufig eingesetzt, um Schafe vor Ektoparasitenbefall zu schützen. Dafür werden die Schafe einer Tauchprozedur unterzogen (engl dipping), bei der das komplette Schaf für eine Weile untergetaucht wird (auch der Kopf). Es gab bei Nordwolle vor einer Weile mal ein Video dazu (Achtung, die Bilder sind echt nicht schön! Marco reagiert auf Sheep Dipping).

Das Ding ist folgendes: Insektizide sind halt giftig. Es sind z. B. Organophosphate oder organische Fluorverbindungen, die, wenn sie aus dem Vlies ausgewaschen sind, zu weiteren giftigen Verbindungen abgebaut werden können und in den Boden gespült werden.

Züchterische Selektion

Die Züchtung von Schafen, die keine Falten haben und idealerweise am Hinterteil auch nicht bewollt sind, wäre natürlich die beste Lösung. Es gibt einige Schafrassen, die diese Ausstattung schon haben (z. B. Wiltshire Horn, Border Leicester). Allerdings können prinzipiell auch andere Körperteile als die After-Region von Flystrike betroffen sein, sodass selbst faltenfreie Schafe ohne Bewollung am Hinterteil immer noch nicht komplett vor Flystrike geschützt wären.

Neueste Forschungen untersuchen, wie man durch genetische Selektion von Schafen mit bestimmten immunologischen Eigenschaften die Anfälligkeit für Flystrike reduzieren kann. Diese Anfälligkeit kann sich nämlich auch im Immunsystem zeigen – manche Schafe haben bei Madenbefall eine Immunreaktion, die den Befall eindämmen kann, und manche eben nicht. Die züchterische Selektion robusterer Tiere ist allerdings ein längerer Prozess.

Impfung

Eine Impfung mit Larven-Antigenen kann offenbar den Fliegenbefall sowie die Größe der entstehenden Wunden reduzieren. Wie der Mechanismus genau funktioniert, weiß man noch nicht. In die Entwicklung von Impfstoffen hatte man große Hoffnungen gesetzt, aber offenbar ist der große Durchbruch bis heute nicht gelungen.

Der heutige Stand der Dinge

Fakt ist: Mulesing ist in Australien Regeln unterworfen, die sowohl Anforderungen an die Qualifikation der durchführenden Personen stellen als auch die Anwendung von Schmerzmitteln vorschreiben – wenn auch nur in einem bestimmten Altersfenster (wie oben schon einmal beschrieben).

Auf öffentlichen Druck sollte das Verfahren in Australien ab 2010 verboten werden. Jedoch wurde diese Entscheidung Ende 2009 wieder zurückgenommen, weil die heilbringende Alternative (nämlich ein Impfstoff, auf den man gesetzt hatte), sich nicht materialisierte. 

In Neuseeland ist die Praxis hingegen seit dem 01. Oktober 2018 verboten. Dort hat man durch eine Kombination aus verschiedenen Maßnahmen (hauptsächlich Züchtung) geschafft, den Flystrike anderweitig in Schach zu halten.

In Australien hofft man heute immer noch auf das Flystrike-Vakzin und überlegt eine neue Deadline zur Abschaffung des Mulesing in 2030. Ob diese Deadline wirklich offiziell wird, weiß man nicht, denn es ist längst nicht sicher, ob bis dahin ein verlässlich wirksames Vakzin verfügbar sein wird.

Nun liegt es an den Schafhaltern, sich nach Alternativen umzusehen und sie einzusetzen, um ihre riesigen Herden vor Flystrike zu schützen und gleichzeitig kostendeckend zu arbeiten.

Die Tierschutzvereinigung Vier Pfoten zitiert einen von ihnen beauftragten Bericht, der die Umfragedaten von 97 Schafhaltern aus Australien auswertet, die z. B. mit genetischer Selektion eine Abkehr vom Mulesing geschafft haben
(der Bericht „Towards a non-mulesed future“ und aufbereitet als Blogartikel).

Diesen Artikel habe ich nur unter Vorbehalt gelesen, und ich zitiere ihn hier nur um zu zeigen, dass es durchaus züchterische Bemühungen gibt, in Zukunft mulesingfrei zu arbeiten. Meine Bedenken sind folgende:

  • Punkt 1: Er ist von Vier Pfoten in Auftrag gegeben worden. Wie unabhängig die mit der Umfrage und dem Bericht beauftragte Organisation ist, kann ich nicht beurteilen. Der Bericht zeigt nur Ergebnisse, die mit den Werten und Zielen von Vier Pfoten übereinstimmen und keine Kritikpunkte.
  • Punkt 2: Der Bericht enthält keine Rohdaten, und auch in das Fragendesign oder die Rücklaufquote erhält man keinen Einblick. Wie aussagekräftig oder repräsentativ er ist, geht aus dem Bericht nicht hervor. Schlecht designte Fragen und eine nicht repräsentative Rücklaufquote verfälschen das Bild.
  • Punkt 3: Mich macht etwas stutzig, dass innerhalb von 5 Jahren Zuchterfolge erzielt worden sein sollen. Normalerweise ist Zuchtarbeit eine Lebensaufgabe für einen Schäfer. In 5 Jahren sind gerade einmal 5 Generationen Schafe umfasst, das ist züchterisch sehr wenig. Bei der Zucht gibt es keine schnellen Lösungen und auch keine Abkürzungen.

Entscheidet selbst, ob ihr diesem Bericht Vertrauen schenkt oder nicht. Ich bin skeptisch. Wenn das so einfach und auch noch profitabel wäre, warum machen es dann nicht längst alle?

Mulesing – geht das auch in Deutschland?

Zuallererst: In Deutschland verbietet das Tierschutzgesetz, mit Schmerzen verbundene Eingriffe an Wirbeltieren ohne Betäubung durchzuführen (§ 5). Nach der Nutztierhaltungsverordnung muss jedes Tier jeden Tag in Augenschein genommen werden, und es darf ihm kein Leid zugefügt werden. Mulesing ist also nicht explizit verboten, aber die geltenden Vorschriften machen es de facto aus meiner Sicht unmöglich. (Ein explizites Verbot von Mulesing, so wie es in verschiedenen Blogartikeln behauptet wird, habe ich nicht gefunden.)

Bei in Deutschland gehaltenen Merinoschafen handelt es sich zudem meistens um Merinolandschafe oder Merinofleischschafe. Diese Merinoschafe unterscheiden sich genetisch (und auch äußerlich, also phänotypisch) von den Australischen Merinos. Deutsche Merinos haben weniger Falten und sind dementsprechend weniger anfällig für Flystrike, sodass Mulesing bei ihnen auch nicht erforderlich ist.

Mulesingfreie Wolle – gibt es eine Zertifizierung?

Nach diesem Artikel von Vier Pfoten sind schon über 3000 Australische Schafhalter als Mulesing-frei zertifiziert. Wer dieses Zertifikat allerdings ausstellt und was die Zertifizierung beinhaltet, konnte ich leider nicht herausfinden. Möglicherweise war auch einfach nur die Meldung an das National Wool Declaration-System damit gemeint (offenbar wird hier erfasst, welchen Mulesing-Status eine Wolle hat).

Bei der Recherche für Zertifizierungen ist mir der Responsible Wool Standard begegnet, der hohe Standards für die gesamte Lieferkette festlegt (und hier noch ein Artikel auf Deutsch).

Mein Fazit: Es ist nicht schwarz-weiß. Und ich habe noch Fragen.

Schafhaltung in Australien funktioniert anders als hier in Deutschland. Während in Deutschland die durchschnittliche Herde ca. 160 Tiere umfasst (Stand 2017) und der Tierschutz vorsieht, dass die Tiere täglich überprüft werden müssen, ist das in Australien bei den dortigen Herdengrößen (zwischen 2000 und 6000 Tieren, je nach Region) teilweise gar nicht möglich. Oft sind die Tiere sich selbst überlassen und werden nur 1x im Jahr zur Schur mit Hubschraubern und Pferden zusammengetrieben (so wurde es mir berichtet von einer Spinn-Kollegin, die mal einige Jahre in Australien gewohnt hat). Das Schlüsselwort ist hier Massentierhaltung, und zwar in Kombination mit Zucht auf maximalen Wollertrag pro Tier. Der Begriff „Überzüchtung“ springt mir auch in den Kopf.

Woher kommen diese riesigen Herdengrößen? Ich vermute: Es ist ein Zusammenspiel zwischen riesigem Wollbedarf und der Entfernung des Menschen vom Schaf als Lebewesen. Wie auch Tiere in der Massentierhaltung für die Lebensmittelproduktion werden Schafe als eine Art Commodity behandelt. Etwas, was man optimieren kann. Maximaler Ertrag bei minimaler Weidefläche. Wissenschaftlich in Zahlen gepresst. Wenn ich den Wollertrag pro Tier um X Gramm erhöhen kann, dann kann das Endprodukt um Y Dollar günstiger verkauft werden.

Wenn ich eine Herde mit 6000 Tieren habe und 3 Mitarbeiter, dann ist einfach mal klar, dass ich nicht jedes Schaf jeden Tag ansehen kann. Dann bleibt mir als Schafhalter, wenn ich mit den Tieren, die ich nun mal habe, wirtschaftlich arbeiten will, vielleicht nichts anderes übrig als „Augen zu und durch“. Einmal Mulesing und das Schaf ist ein Leben lang geschützt – zumindest vor tail strike. Das ist doch wirtschaftlicher und weniger aufwändig, als ständig Popos zu scheren und Schafe zu dippen. Zumal sie ja definitiv auch leiden, wenn sie befallen werden.

Die Triebkraft dahinter, der Maximierungsdruck, kommt vielleicht noch nicht mal von den Farmern und Schafhaltern selbst. Ich möchte nicht jedem Farmer Gier unterstellen, denn ich glaube nicht, dass er (oder sie) mit Wolle so richtig reich werden kann. Vielleicht entspringt dieser Druck eher aus der in der Verarbeitungskette dahinterliegenden Industrie. Er entspringt vielleicht aus der Tatsache, dass die Menschen heute weit entfernt sind von den Prozessen, die ihnen Kleidung und Essen bringen. Dass fast niemand mehr den gesamten Herstellungsprozess von vorn bis hinten selbst durchführt, sondern alles zerstückelt und über den Globus verteilt ist.

Wäre Mulesing denn akzeptabel, wenn es nicht nach dem Gießkannenprinzip bei jedem Schaf prophylaktisch durchgeführt würde, sondern unter Verwendung von ausreichenden (!) Mengen Schmerzmitteln und nur dann, wenn die Inzidenz für Flystrike andernfalls nachweislich sehr hoch ist? Wo ist die Grenze?

Selbst jetzt, obwohl ich mich lange und intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt habe, kann ich immer noch nicht einschätzen, ob das durch Flystrike verursachte Tierleid nicht doch größer wird, wenn Mulesing sofort gestoppt wird. Das Stoppen des Mulesing alleine reicht vielleicht gar nicht aus, wenn die Herden gleich groß bleiben.

Mulesing hängt offenbar auch eng mit der Herdengröße zusammen. Müsste man dann nicht die Herdengrößen verringern? Geht das überhaupt? Sind nur so große Herden wirklich wirtschaftlich? Muss man sich vielleicht einfach mal von der beliebigen Skalierbarkeit landwirtschaftlicher Produkte verabschieden und akzeptieren, dass nicht immer alles jederzeit in unbegrenzer Menge verfügbar ist? Weil Wolle mehr wert ist? Auf der anderen Seite: sehr große Herden gab es auch schon, als Australien noch gar keine Kolonie war… Es ist einfach nicht schwarz weiß.

Für mich ist klar: Ich will das nicht. Ich will nichts aus Wolle anziehen und auch nicht verarbeiten, wenn ein Schaf so behandelt wurde. Wie ein Stück leblose Materie. Es erinnert mich an meinen Geschichtsunterricht, im Abitur, als wir Descartes durchgenommen haben. Erinnert ihr euch? Der Typ, der meinte, Tiere sind eher so Automaten und haben keine Seele? Und wenn man sie ohne Narkose seziert, dann sind das keine Schmerzensschreie, sondern einfach nur automatisch ablaufende Reflexe? Das hat mich schon damals gegruselt. Es nannte sich „Aufklärung“.

Und klar, ich kann mich darauf zurückziehen, dass ich sowieso keine Wolle aus Australien trage und verarbeite, sondern in letzter Zeit nur noch regionale Wolle, wo ich sogar die Schafe selbst kenne. Aber reicht das?


Quellenangaben

Hier findet ihr zum Nachlesen und Selbststudium einige Literaturangaben. Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit, auch nach der Veröffentlichung habe ich viele weitere Quellen gefunden. Eine gute Hilfe sind auch Google Scholar und Research Gate.

Philip Walling “Counting Sheep. A Celebration of the Pastoral Heritage of Britain” ; ISBN 978-1846685057

J Rothwell, P Hynd, A Brownlee, M Dolling, S Williams. Research into alternatives to mulesing. Australian Veterinary Journal Volume 85, No 1, January 2007

CJC Phillips. A review of mulesing and other methods to control flystrike (cutaneous myiasis) in sheep. Animal Welfare 2009, 18:113 – 121. ISSN 0962-7286

AC Kotze and PJ James. Control of sheep flystrike: what’s been tried in the past and where to from here. Australian Veterinary Journal Volume 100 No 1-2, January-February 2022

J Sneddon, B Rollin. Mulesing and Animal Ethics. J Agric Environ Ethics (2010) 23:371-386

P James. Genetic alternatives to Mulesing and tail docking in sheep: a review. Australian Journal of Experimental Agriculture 2006 (46) 1-18.

THE STRUCTURE AND DYNAMICS OF AUSTRALIA’S SHEEP POPULATION. https://www.agriculture.gov.au/sites/default/files/sitecollectiondocuments/animal-plant/animal-health/livestock-movement/sheep-movement-ead.pdf

The Western Australian Sheep Industry
https://www.agric.wa.gov.au/sites/gateway/files/WA%20Sheep%20Industry%20booklet%202017.pdf

Industry projections 2021 (Meat & Livestock Australia)
https://www.mla.com.au/globalassets/mla-corporate/prices–markets/documents/trends–analysis/sheep-projections/mla-june-update-sheep-industry-projections-2021.pdf?utm_campaign=197809_Sheep%20flock%20to%20increase%20to%20over%2068%20million&utm_medium=email&utm_source=Meat%20%26%20Livestock%20Australia&dm_i=4PKB,48MP,8YMQ6,ET3H,1

Changes in the demographics of the NSW sheep flock
https://www.dpi.nsw.gov.au/__data/assets/pdf_file/0011/543548/Paper-2-demographics-with-ageing-appendix.pdf

Edwards L. “Lamb mulesing: Impact on welfare and alternatives” February 2012CAB Reviews Perspectives in Agriculture Veterinary Science Nutrition and Natural Resources 7(061) DOI:10.1079/PAVSNNR20127061

C Lee, AD Fisher Welfare consequences of mulesing of sheep (Abstract) First published: 13 March 2007

Warum ist manche Wolle kratzig?

Viele Menschen denken beim Thema „regionale Wolle“ nur eins: kratzig. Aber warum wird Wolle eigentlich als weich oder als kratzig empfunden? Und ist regionale Wolle wirklich immer kratzig? In diesem kurzen Artikel gehe ich dem ein wenig auf den Grund.

Ob Wolle als weich oder kratzig empfunden wird, hängt im Wesentlichen von 3 Faktoren ab. Und ein Spoiler vorab: man kann sich auch an verschiedene Stadien der Weichheit herantasten.

Faktor 1: Die Fasereigenschaften

Faserdurchmesser und Biegsamkeit

Wie kratzig ein Kleidungsstück empfunden wird, hängt mit dem Durchmesser und der Biegsamkeit der Fasern zusammen, aus denen es hergestellt wurde.

Die Faserdicke (bzw. der Faserdurchmesser) wird in Mikrometer (auch Micron genannt) angegeben, also in tausendstel Millimeter (10-6 m). Mir persönlich sagen die Zahlen immer nicht so viel, daher habe ich die Durchmesser verschiedener Faserarten einmal im Verhältnis zueinander in die folgende Abbildung getan.

Faserdurchmesser verschiedener Fasern
Verhältnis verschiedener Faserdurchmesser zueinander. Die Kreise habe ich mit den unten angegebenen Werten in PowerPoint erstellt (1000fache Vergrößerung, 50 µm wurden zu 50 mm).
1 = menschliches Haar, ca. 50 µm;
2 = Corriedale, 27 µm,
3 = Austral. Merino, 17 – 22 µm, abgebildet: 20 µm,
4 = Kaschmir, 16 µm
5 = Baumwolle, 10 – 14 µm, abgebildet: 12 µm
Wenn Du Dich jetzt fragst, wie das mit Alpaka-Fasern ist: Das ist nochmal eine Klasse für sich. Von „Royal“ (19 µm) bis „Alpaka“ (30 µm) ist da alles dabei. Die Feinheit von Alpaka-Fasern kann also zwischen „fast Kaschmir“ und „grob wie Corriedale“ variieren.
(Angaben aus dem Science and Technology Program vom Woolmark Learning Centre, Kurs Wool Fibre Science, Module 3 und 7, Topic 3 sowie einer Alpakazucht-Website, die es leider nicht mehr gibt. Ich recherchiere das bei Gelegenheit nach.)

Je feiner eine Faser ist, desto kleiner ist die Micron-Zahl (also ihr Durchmesser). Feine Fasern biegen sich leichter als dickere Fasern. Fasern, die sich sehr leicht biegen, üben weniger punktuellen Druck auf die Haut aus, reizen die Nervenenden weniger und werden daher als weniger kratzig empfunden.
Dementsprechend werden dickere Fasern auch als pieksiger und unangenehmer empfunden.

Schafe haben nun nicht überall Fasern mit identischen Durchmessern, sondern immer eine Mischung aus verschieden dicken Fasern, einen sogenannten Durchmesserbereich (z. B. 24–32 µm).

Aber Achtung: selbst wenn zwei Wollproben den gleichen Durchmesserbereich haben (z. B. 24 – 32 µm), können sie sich im Gefühl dennoch unterscheiden. Der Grund hierfür liegt in der Verteilung der Durchmesser. Wenn Probe 1 (rot) z. B. deutlich mehr 24 µm-Fasern enthält und Probe 2 (grün) mehr 28 µm-Fasern, wird Probe 1 als weicher wahrgenommen.

Diagramm Durchmesserverteilung bei Fasern und Prickle Factor
Versuch einer Visualisierung der Verteilung von Faserdurchmessern in einer Woll-Probe (Durchmesser-Bereich). Der Durchmesserbereich ist bei beiden Proben ähnlich. Die grüne Probe enthält jedoch im Vergleich zur roten Probe weniger 24 µm-Fasern und mehr 26 µm-Fasern und darüber. Die rote Probe wird dementsprechend als weicher empfunden.

Auch die Schuppenhöhe der Fasern scheint einen Einfluss auf die empfundene Weichheit zu haben. In diesem Artikel kannst Du noch mehr zum Aufbau der Wollfasern nachlesen.

Und dann gibt es noch die kleinen fiesen Stichelhaare. Der Name sagt da einfach mal alles. Stichelhaare sind sehr kurze und sehr spröde Haare, die sich nur schwer biegen und als sehr kratzig empfunden werden. Oftmals kommen sie in Vliesen von mischwolligen Schafen vor (in Garnen aus australischer Merino wirst Du sie definitiv nicht finden). Sie haben die unangenehme Eigenschaft, immer irgendwie an die Oberfläche zu kommen, egal wie tief sie einkardiert wurden. Wenn man die nicht entfernt, bevor man ein Garn aus den Fasern spinnt, dann bekommt man so eine Art Pfeifenputzergarn. Sehr … sagen wir mal: durchblutungsfördernd. Stichelhaare sind aus meiner Erfahrung die pieksigsten Bestandteile von Garnen überhaupt.

Nahaufnahme Stichelhaare Skuddevlies
Nahaufnahme eines Skudde-Vlieses vor dem Waschen. Die Pfeile zeigen auf prominente Stichelhaare, rechts sogar ganze Büschel davon. Wenn man diese Vliesteile zu Garn verarbeitet, bekommt man einen prima Scheuerschwamm.

Der Wool Comfort Factor – Maßeinheit für Weichheit

Wie pieksig Wolle ist, kann man sogar messen. Dafür wurden bereits 2012 spezielle Geräte , die sogenannten „wool comfort meter“, entwickelt und mit tausenden Verbrauchern getestet. Hier findest Du ein sehr informatives Video dazu.

Dieses Gerät bestimmt im Grunde genommen die Anzahl der abstehenden Faserenden auf einer gegebenen textilen Fläche (und ggf. noch ihren Durchmesser). Der ausgegebene Messwert, also die „Maßeinheit der Weichheit“ sozusagen, ist der Wool Comfort Factor. Er gibt den Anteil an Fasern einer Probe an, die feiner als 30 µm (bzw. 28 µm für gewebte Textilien) sind. Je niedriger die Zahl, desto angenehmer ist das Textil auf der Haut.

Die 30 µm-Grenze ist also eine Art Magische Schallgrenze – Fasern darüber gelten als grob.

Faktor 2: Persönliches Empfinden

Manche Menschen reagieren empfindlicher als andere auf die Berührung mit Wollfasern. Während ich Wolle von Rauhwolligen Pommerschen Landschafen auch am Hals tragen kann, ist anderen Menschen selbst Deutsche Merino noch zu kratzig. Die Haut reagiert dann einfach sensibler auf die „Pieks-Reize“ (der englische Begriff „Prickle Factor“ wird oft dafür verwendet, nicht zu verwechseln mit dem oben genannten Wool Comfort Factor).

Das Pieksen selbst wird durch die Fasern ausgelöst, die auf die Haut drücken. Dadurch reizen sie feine Nervenenden in der Haut. Drücken die Fasern nur ganz leicht auf die Haut, wird eine Faser als weich empfunden, drücken sie stärker und dellen die Haut stärker ein, werden sie auch als kratziger empfunden. Ein bisschen lässt sich das vielleicht mit weichen oder harten Zahnbürsten vergleichen. Weiche Borsten reizen die Haut weniger als harte, weil weiche Borsten weniger punktuellen Druckreiz ausüben.

Schematische Darstellung Prickle Factor
Ich habe mich hier mal an einer Zeichnung versucht. Links sind die feineren, biegsamen Fasern zu sehen, die die Nervenenden in der Haut (gelbe Verästelungen) weniger reizen. Rechts sind weniger biegsame Fasern mit höherem Prickle Factor gezeichnet.

Und hier kommt aus meiner Sicht das individuelle Empfinden ins Spiel. Diese Magische Schallgrenze von 30 µm ist ein Wert, der aus der Befragung tausender Probanden ermittelt wurde. Aber wie bitte bildet man den Mittelwert aus individuellen Empfindungen? Es ist der Versuch, Gefühle in Zahlen auszudrücken – ein reichlich schwieriges Unterfangen.

Es gibt etliche Schafrassen, deren Wolle nahe oder jenseits der 30 µm-Grenze liegt, die aber dennoch an der Haut getragen werden können. Dazu gehören beispielsweise Gotländisches Pelzschaf (28 – 32 µm), Wensleydale (30 – 36 µm) und Skudde (32 – 40 µm): Alle diese Fasern kann ich problemlos auf der Haut tragen, sogar am Hals. Das ging natürlich nicht von heute auf morgen, sondern es war ein Prozess, in dessen Verlauf sich mein Empfinden für Wolle verändert hat.

Ehrlicherweise muss ich aber auch sagen: Nicht jedes Garn bzw. jede Faser ist dafür gemacht, an der Haut getragen zu werden.

Faktor 3: Verarbeitung der Faser und des Textils

Letztlich entscheidet auch immer die Verarbeitung der jeweiligen Faser darüber, wie sie auf der Haut empfunden wird. Wurde die Faser fest oder locker gesponnen? Wurde der Faden gewebt oder gestrickt (und auch hier wieder: locker oder fest)? Welche Art Textil wurde hergestellt und wofür wird es verwendet – Schal, Pullover, Socken?

Fasern, die mit zu viel Drall gesponnen wurden, ergeben immer ein Garn, das sich relativ hart anfühlt. Ein hartes Garn kann weder durch Weben noch durch Stricken oder Häkeln flauschiger werden.

Manchmal wird ein Garn weniger kratzig, wenn man die Fasern beim Spinnen glattstreicht (wie z. B. bei einem Kammgarn). Es stehen dann nicht so viele Enden nach außen, die die Haut reizen können. Dafür muss man aber Abstriche bei den Isolationseigenschaften machen.

Meine persönliche Entdeckungsreise jenseits des Flausch-Lands

Früher war für mich „weich“ das Hauptkriterium beim Wollkauf, gleich nach „Farbe“. Irgendwann begann ich mich aber dafür zu interessieren, wie sich die Wollen verschiedener Schafrassen voneinander unterscheiden. Ich fing also an, zu spinnen. Und da öffnete sich eine ganz neue Welt. „Weich“ gab es auf einmal in vielen Varianten. „Weich“ reichte nicht mehr aus, um eine Empfindung zu beschreiben. Es gab trocken-weich, bouncy, seidig und glatt, matt und flauschig, griffig und elastisch … und ja, es gab auch kratzige Wolle. Aber nur, wenn sie Stichelhaare enthielt.

Strickprobe Skudde Armband Prickle Factor
Dieses Armband war quasi eine Strickprobe von Frodo, der bunten Skudde. Man sieht deutlich, wie viele Härchen aus dem Garn herausstehen, aber es ist so weich und flauschig, dass ich tagsüber vergessen habe, dass ich es trage!

Das beste Beispiel ist Skudde-Wolle. Skudde hatte ich bis dahin noch nie verarbeitet, aber jede(r), mit dem/ der ich über Skudden sprach, wusste zu berichten, dass das sehr kratzige Wolle ist. Erst als ich für mich selbst eine Spinn- und Strickprobe anfertigte, stellte ich fest, dass dem gar nicht so ist!

Für mich hat sich also das alte Sprichwort bestätigt: Probieren geht über Studieren. Und jeder empfindet „weich“ und „kratzig“ ja anders. Ich habe mich an verschiedene Stadien von „weich“ gewöhnt und so neue Erfahrungen gewonnen.

Vielleicht muss man auch mal überlegen, wie man „weich“ oder „kratzig“ definiert. Oder ob man sein Vokabular um Begriffe wie „wollig“, „griffig“, „elastisch“ oder „seidig glänzend“ erweitert. Und vielleicht muss ein Garn auch nicht immer nur weich sein. Aber das ist ein Thema für einen anderen Blogartikel…


Literatur

Barbara Aufenanger „Das Wollprojekt. Wolleigenschaften in Deutschland gehaltener Schafrassen“. ISBN 978-3-00-040686-7

Deborah Robson, Carol Ekarius „Fleece and Fiber Sourcebook“. ISBN 978-1-60342-711-1

Scottish, Irish, Double Drive – Antriebsarten für Spinnräder

Wie funktionieren eigentlich Spinnräder? Wie kommt der Drall in den Faden und der Faden auf die Spule? Neulich auf Instagram habe ich ganz kurz über Antriebsarten von Spinnrädern gesprochen. In diesem Blogartikel bespreche ich sie deutlich ausführlicher, als das in 2200 Zeichen möglich ist. Vielleicht hilft Dir das auch bei der Auswahl, falls Du gerade auf der Suche nach einem Rad bist.

Von der Spindel zum Spinnrad

Am Anfang war die Spindel. Mit der Handspindel wurde tausende Jahre so gut wie alles hergestellt, was aus gesponnenen Fäden bestand: von der Alltagskleidung bis zum Wikingersegel.

Das Spinnen mit der Handspindel umfasst grundsätzlich 2 Schritte:

  1. durch Auszug und Verdrehen der Fasern wird eine Länge Faden produziert,
  2. der Spinnvorgang wird unterbrochen und die produzierte Fadenlänge wird auf den Spindelstab aufgewickelt.

Das dauert zwar eine ganze Weile, aber man kann die Handspindel überall hin mitnehmen und ist dadurch relativ mobil und unabhängig.

Irgendwann kam jemand auf die Idee, die Spindel einzuklemmen und über einen Riemen oder eine Schnur mit einem großen Antriebsrad zu verbinden – das Spindelrad war geboren. Zu den Spindelrädern gehört z.B. das Great Wheel ( z.B. hier oder hier) oder die Charkha (hier bei Chanti oder bei Wikipedia auf Englisch). Mit einer Hand wird das große Antriebsrad gedreht und mit der anderen Hand werden die (gut vorbereiteten) Fasern im langen Auszug ausgezogen. Die durchaus hohe Übersetzung machte es möglich, in kürzerer Zeit viel Drall in einen Faden zu bekommen und so die Produktivität zu erhöhen. Auf der anderen Seite war man allerdings nicht mehr so mobil wie mit der Handspindel. Auch die Zweiteilung des Spinnprozesses (erst Faden produzieren, Spinnprozess unterbrechen, aufwickeln, Spinnprozess wieder starten) blieb nach wie vor bestehen. Von einer gegebenen Zeit zum Spinnen kann nur etwas mehr als die Hälfte wirklich genutzt werden, um Drall in den Faden zu bringen, den Rest der Zeit ist die Spinnerin damit beschäftigt, den Faden aufzuwickeln.

Dieses Problem konnte erst gelöst werden, als Ende des 15. Jhd. Spinnräder mit richtigen Spinnflügeln (einem Flügel-Spulen-System) entwickelt wurden. Erst damit wurde es möglich, kontinuierlich, d.h. ohne Unterbrechung des Spinnvorgangs, einen Faden zu spinnen und aufzuwickeln. (Dementsprechend kann man das Spinnen mit Handspindel und Spindelrad auch als diskontinuierlich bezeichnen).

Wie funktioniert das Flügel-Spule-System?

Ich war nie besonders gut in Physik und daher sehr froh, es nach 2 Semestern abwählen zu können. Trotzdem versuche ich mal, mit meinen Worten und nach meinem Verständnis die Funktionsweise der verschiedenen Antriebsarten für Flügelspinnräder zu erklären.

Der Aufbau eines Flügel-Spulen-Systems sieht auf den ersten Blick ganz einfach aus, aber der Teufel steckt, wie so oft, im Detail. Je genauer man hinschaut, desto komplexer wird das Ganze…

Man hat, der Name sagt es, einen Flügel und eine Spule. Der Flügel (engl. flyer) ist ein U-förmiges Teil. Er wird getragen vom Flügelkopf (engl. mother-of-all), in dem er sich frei bewegen kann. In der Mitte des U ist eine Welle eingelassen. Auf dieser Welle dreht sich die Spule.

Flügel, Wirtel und Spule für Flatiron (einfädig oder zweifädig)
Flügel, Spule und aufsteckbare Wirtelscheibe für das Flatiron-Spinnrad von Schacht.

Die Spule, das ist ganz wichtig, kann sich unabhängig vom Flügel drehen. Wobei, das muss ich sogleich einschränken mit “solange kein Faden an ihr befestigt und festgehalten wird”. Sobald nämlich ein Faden (Anfangs- oder Leitfaden) an der Spule befestigt, über die Flügelhaken und durch das Einzugsloch gezogen und dann festgehalten wird, sind Flügel und Spule verbunden. Sie sind dann also nicht mehr unabhängig voneinander sondern drehen sich als eine Einheit mit gleicher Geschwindigkeit. Erst, wenn der Faden wieder lockergelassen wird, wird die Einheit gebrochen und Flügel und Spule drehen sich wieder unabhängig voneinander – bis der Faden wieder festgehalten und die Einheit wieder hergestellt wird.

Alles klar soweit? Prima.

Kommen wir zu dem, was so ein Spinnrad macht: den entstehenden Faden verdrehen, d.h. Drall erzeugen. Indem ich den Faden festhalte, bilden Flügel und Spule eine Einheit und drehen sich gemeinsam. Jede Umdrehung des Flügels fügt dem entstehenden Faden eine Umdrehung (also Drall) zu. Wenn ich beschließe, dass nun genug Drall auf dem Faden ist, lasse ich ihn locker, und der Faden wird aufgewickelt.

Hoppla! Wie ist denn das passiert?

Ganz einfach. Wenn sich der Faden auf die Spule wickeln soll, müssen sich Flügel und Spule mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegen. (Wollte man einen Fachbegriff benutzen, könnte man Differenzialgeschwindigkeit dazu sagen, oder delta v). Dafür gibt es im Grunde zwei Möglichkeiten:

  1. Der Flügel dreht sich schneller als die Spule und wickelt somit quasi den Faden um die Spule
  2. Die Spule dreht sich schneller als der Flügel und zieht sich somit den Faden auf.

Damit dieser Geschwindigkeitsunterschied zustande kommt, muss ich einfach nur den Faden lockerlassen und somit die oben besprochene Einheit von Flügel und Spule brechen. Der Clou ist: selbst beim Aufwickeln wird immer noch Drall zugegeben. Das macht den Spinnprozess zu einem kontinuierlichen Prozess.

Das „automatische“ Aufwickeln des Fadens bezeichnet man auch als „Einzug“. Der Flügel bzw. die Spule „zieht“ am Faden, um ihn aufzuwickeln, und zwar je nach System mal stärker und mal schwächer.

Aber wie macht man das nun, wie kann man die unterschiedlichen Geschwindigkeiten bei Flügel und Spule erreichen? Nun, da gibt es wiederum mehrere Möglichkeiten:

  1. ich benutze einen Antriebsriemen, um
    1. die Spule anzutreiben und bremse dann den Flügel (spulengetrieben, flügelgebremst, Irish Tension)
    2. den Flügel anzutreiben und bremse dann die Spule (flügelgetrieben, spulengebremst, Scottish Tension)
  2. ich treibe Flügel und Spule gleichzeitig, aber mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten an (zweifädiger Antrieb, double Drive).

Aber nun mal hübsch der Reihe nach…

Einfädige Spinnräder – Irish Tension (spulengetrieben, flügelgebremst)

Bei einem spulengetriebenen Rad verläuft der Antriebsriemen vom Schwungrad über eine Rille direkt an der Spule. Alden Amos bezeichnet in seinem Buch diese Art Räder auch als German Tension, aber geläufiger ist wohl der Begriff Irish Tension.

Der Flügel wird meist gar nicht extra gebremst, denn seine Dimensionen, Form und Eigenschaften führen automatisch dazu, ihn abzubremsen. Manchmal ist über der Flügelführung ein Stück Leder montiert, das im Bedarfsfall noch mehr Reibung und damit eine stärkere Bremswirkung herbeiführen kann.

Der Einzug ist bei flügelgebremsten Rädern, wie gesagt, hauptsächlich abhängig von den Dimensionen des Flügels. DerFlügel ist meist größer und schwerer (und damit träger) sowie weniger aerodynamisch ist als die Spule. Dadurch hält er beim Lockerlassen des Fadens recht schnell an und zieht insgesamt mehr am Faden – der Einzug ist also bei flügelgebremsten Rädern verhältnismäßig stark. Dieser Effekt wird noch größer, je höher die Geschwindigkeiten sind, da dann die Trägheit des Flügels eine noch größere Rolle spielt.

Auch in umgekehrter Richtung spielt das eine Rolle: Nach dem Aufwickeln muss der Flügel wieder beschleunigt werden, um wieder auf die gleiche Geschwindigkeit wie die angetriebene Spule zu kommen. Bei einem schwereren Flügel braucht das mehr Kraft, und die wirkt dann wiederum auch auf den Faden (der ja die Einheit zwischen Flügel und Spule herstellt).

Die Spannung des Antriebsriemens hat ebenfalls einen gewissen Einfluss: je straffer er ist, desto stärker der Einzug. Wie stark man damit spielen kann, weiß ich allerdings nicht, da ich selbst so gut wie nie mit flügelgebremsten Rädern spinne.

Welche Garne lassen sich gut mit Irish-Tension-Rädern spinnen?

Durch die Art des Einzugs ergibt sich auch die Art der Garne, die sich gut mit flügelgebremsten Rädern spinnen lassen (man sagt “production range” oder auf deutsch vielleicht Produktionsumfang dazu): es sind eher etwas dickere Garne mit nicht ganz so viel Drall. Oder andersherum gesagt: Wollte ich mit einem flügelgebremsten Rad ganz feine Garne spinnen, würde mir der starke Einzug das Garn zerreißen, spätestens wenn nach dem Aufwickeln der Flügel wieder auf speed gebracht werden muss.

Natürlich kann man nicht alle Irish-Tension-Räder über einen Kamm scheren. Es gibt schon Kniffe und Tricks, um den Einzug zu verringern, und der Rest des Rades, die Fasern und die Fingerfertigkeit des Spinners / der Spinnerin spielen definitiv auch eine Rolle. Aber wenn Du weißt, dass Du am liebsten mit Lauflängen von 1000 m auf 100 g strickst und Du bist auf der Suche nach einem Rad, dann schau vielleicht erst mal bei den anderen Varianten, ob da nicht was für Dich dabei ist.

Einfädige Spinnräder – Scotch Tension (flügelgetrieben, spulengebremst)

Bei flügelgetriebenen Rädern verläuft der Antriebsriemen vom Schwungrad über Rillen in den Wirtelscheiben. Diese Wirtelscheiben sind entweder fest mit dem Flügel verbunden (z.B. beim Lendrum DT) oder aber sie werden separat auf die Flügelwelle aufgesteckt (wie beim Flatiron).

Der Einzug wird durch einen Bremsfaden erreicht, der über die Spule gelegt wird und sie durch die entstehende Reibung bremst. Die Spannung des Bremsfadens wiederum bestimmt, wie stark die Spule gebremst werden soll. Meist sind am Bremsfaden noch 1 oder 2 Federn oder Gummis montiert. Dadurch läßt sich die Spulenbremse relativ fein einstellen.

Bei dieser Antriebsart wird also extra Reibung in das System eingeführt. Das führt dazu, das bei sehr hohen Übersetzungen das Treten deutlich schwerer und mühsamer wird. Wenn ich bei meinem Lendrum die höchste Übersetzung wähle (das ist 1: 19 beim Woolee Winder), dann geht das am Anfang noch ganz ok, aber je voller die Spule wird, desto mühsamer wird es, und am Ende ähnelt es fast einem workout. Bei steigendem Füllstand der Spule muss man nämlich die Spulenbremse etwas nachstellen, weil sie dann durch die steigende Masse und die dadurch höhere Trägheit länger braucht, um langsamer zu werden.

Ihr seht schon: Bei spulengebremsten Rädern kann man eine Menge einstellen und fein justieren. Das bedeutet aber auch, dass die Einstellungen einen großen Einfluss auf das gesponnene Garn haben – einmal nach dem Spulenwechsel die Bremse zu scharf eingestellt, schon wird der Faden etwas dünner oder man hat Mühe, ihn so zu spinnen wie auf der ersten Spule.

Welche Garne lassen sich gut mit Scotch-Tension-Rädern spinnen?

Durch die feinen Einstellmöglichkeiten lassen sich von sehr dünnen Lace-Garnen bis zu dicken Art-Yarns die verschiedensten Garne spinnen. Ich selbst habe auf meinem Lendrum DT schon Lace-Garne, Sockengarne, Bouclè-Garne, Teppichgarne und sogar schon Lichterketten gesponnen.

Aus meiner Sicht sind die Scotch-Tension-Räder die Universalräder schlechthin. Es empfiehlt sich aber, Spinnproben zu machen und immer mal wieder zu schauen, ob der gesponnene Faden noch der Probe entspricht. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass auf der letzten Spule der Pullovermenge die gleiche Fadenstärke und Drallmenge vorliegt wie auf der ersten Spule.

Zweifädige Spinnräder (Double Drive)

Der Begriff “zweifädig” ist ein wenig irreführend, denn eigentlich ist es auch nur ein Antriebsfaden, der verwendet wird. Aber: Er wird zu einer “Acht” gedreht und in sich gefaltet (wie bei einem Zopfgummi). Der Antriebsfaden läuft vom Schwungrad über den Flügelwirtel, zurück über das Schwungrad und dann über eine Rille an der Spule. Spulen für zweifädig betriebene Räder erkennt man also daran, dass sie an einer Seite eine kleine zusätzliche Rille haben.

Der Antriebsfaden treibt also sowohl den Flügel als auch die Spule an. Die Spule kann sich in diesem Falle also nicht mehr komplett frei und unabhängig vom Flügel bewegen. Der Umfang von Spulenrille und Flügelwirtel unterscheidet sich, (die Spulenrille ist meist kleiner), und dadurch ergibt sich die unterschiedliche Geschwindigkeit für Flügel und Spule. Aber mal hübsch der Reihe nach.

Ich versuche mal ein Rechenbeispiel. Nehmen wir an, der Umfang des Flügelwirtels beträgt 1/10 und der der Spulenrille 1/12 des Umfangs des Schwungrades. Wenn sich das Schwungrad also ein Mal dreht, dreht sich der Flügel 10 Mal, die Spule aber 12 Mal. Voilà: Differenzialgeschwindigkeit, sprich delta v 🙂 . Flügel und Spule drehen sich also immer unterschiedlich schnell, und demzufolge hat man auch immer Einzug (take-up). (An dieser Stelle bin ich mir aber auch nicht so ganz sicher, ob nicht Flügel und Spule vielleicht doch eine Einheit bilden, solange der Faden nicht eingezogen wird. Herr Amos spricht da in seinem Buch nicht drüber…)

Der Einzug ist umso größer, je größer der Unterschied zwischen dem Flügelwirtel und der Spulenrille ist (wir erinnern uns, je größer delta v desto größer der Einzug).
Und jetzt kommts: In dieser Hinsicht sind zweifädige Räder sozusagen selbst regulierend. Für ganz feine Garne benötigt man z.B. wenig Einzug und eine hohe Übersetzung. Bei zweifädigen Rädern ergibt sich das ganz automatisch, denn für hohe Übersetzungen braucht man kleinere Flügelwirtel. Kleinere Flügelwirtel drehen den Flügel nahe der Geschwindigkeit der Spulen, dadurch wird delta v kleiner – und dadurch auch der Einzug. (Im Gegensatz dazu könnte man bei einem Scotch-Tension-Rad sehr wohl eine sehr hohe Übersetzung wählen und die Bremse sehr scharf einstellen. Tritt sich nicht gut, ist aber möglich).

Schema EInzugsstärke zweifädige Räder
Schema einer Spule für zweifädig betreibbare Räder. Der kleine senkrechte Balken rechts neben der Spule symbolisiert jeweils den Wirtel. In der oberen Orientierung ist der Unterschied zwischen Wirtel und Spulenrille eher groß und der Einzug ist dementsprechend gut. Dreht man die Spule um (unten im Schema), unterscheiden sich die Wirtel- und Spulenrillen-Durchmesser kaum und der Einzug wird deutlich geringer. Man kann also mit dem Einzug ein bißchen herumspielen, indem man die Spule einfach umdreht (die große Rille wird üblicherweise für dein einfädigen Betrieb gebraucht). Umgekehrt gilt: Wenn der Einzug mal nicht so läuft wie erwartet, dann schau, ob Du die Spule richtigherum auf den Flügel montiert hast.

Natürlich kann man noch mit der Spannung des Antriebsfadens herumspielen, aber alles in allem ist die Stärke des Einzugs bei zweifädigen Rädern mehr oder weniger determiniert durch das Verhältnis von Flügelwirtel zu Spulenrille. Das bedeutet auch: Wenn sich die Durchmesser der beiden zu nahe kommen, ist und bleibt der Einzug auch fast null und so fein der Faden auch sein mag, man bekommt ihn nicht auf die Spule (es sei denn, man hält immer an und wickelt per Hand auf…aber das ist nicht im Sinne des Erfinders).

Ein wichtiger Begriff, der bei zweifädigen Rädern auch immer fällt, ist der Schlupf. Ich höre ihn immer beim Treten, der Antriebsfaden rutscht immer ein kleines bißchen durch. Durch die unterschiedliche Fläche in den Rillen der Spule bzw. der Flügelwirtel ergibt sich eine größere Reibungsfläche auf den größeren Wirteln. Aber hier wird es auch echt physikalisch und ich komme an die Grenzen meiner Vorstellungskraft. (Vielleicht braucht man den Schlupf ja auch, damit sich Spule und Flügel gleich schnell bewegen können, solange man den Faden festhält und sie eine Einheit bilden…?)

Auch das Berechnen der eigentlichen Übersetzung ist bei zweifädigen Rädern nicht mehr ganz so einfach: bei einfädigen Rädern ist es das Verhältnis der Durchmesser (bzw. Umfänge) von Antriebsrad und Wirtel. Aber beim zweifädigen hat man ja Flügelwirtel und Spulenrille und beides wird angetrieben. Der Umfang der Spulenrille bleibt immer gleich, aber das Verhältnis zum Flügelwirtel kann angepasst werden…

An dieser Stelle steige ich einfach mal aus und verweise auf das dicke “Alden Amos Book of Handspinning”. Der Autor stellt diverse Beispielrechnungen an, und wer sich dort hineindenken möchte, dem lege ich dieses Buch wärmstens ans Herz.

Welche Garne lassen dich gut mit Zweifädigen Rädern spinnen?

Mit zweifädig betriebenen Rädern läßt sich entsprechend der gewählten Einstellungen ein breites Spektrum an Garnen spinnen. Aus meiner Sicht kann man besonders den selbstregulierenden Effekt gut ausnutzen, um große Mengen eines konsistenten Garnes zu spinnen. Zweifädige Räder werden auch sehr gerne für feine Garne verwendet.

Wenn ich an mein Flatiron denke, dann kommt mir Autopilot-Spinnen in den Sinn, ransetzen und losspinnen und nicht nach jedem Spulenwechsel mit den Bremseinstellungen spielen müssen. Spinnen für die Seele 🙂

Ein Rad – ein Antrieb?

Jetzt könnte man denken, dass jedes Rad mit einer Antriebsart ausgestattet ist, und das war es. Das stimmt aber nicht ganz: Manche Räder sind für mehr als eine Antriebsart ausgerüstet. Etliche zweifädige Räder können z.B. mit wenigen Handgriffen auf einfädig / spulengebremst (Scotch Tension) umgerüstet werden (z.B. das Ashford Traditional). Meines Wissens gibt es zwei Räder, die alle drei Möglichkeiten bieten – das Schacht Matchless und das Schacht Flatiron.

Mein erstes Rad war (und ist immer noch) das Lendrum DT. Das ist ein Scotch-Tension-Rad, und ich sitze immer noch sehr sehr gerne daran. Den Bremsgummi hab ich schon ein paar Mal getauscht, und auch die Bremsschnur war irgendwann durch, aber das Rad ist für mich einfach perfekt.

Etwas später habe ich mir noch das Schacht Flatiron gekauft, unter anderem genau deshalb, weil es eben alle drei Antriebsarten kann. Naturgemäß habe ich auch alle drei schon ausprobiert. Die meiste Zeit benutze ich es allerdings zweifädig. Zum Zwirnen baue ich manchmal auf Scotch Tension um, aber der Irish-Tension-Antrieb hat sich mir noch nicht so erschlossen. Wahrscheinlich ist das auch alles eine Frage der Präferenz – ich stricke eben doch lieber mit dünneren Garnen.

Welche Erfahrungen hast Du gemacht? Und womit spinnst Du am liebsten? Hinterlasse mir gerne einen Kommentar.


Literatur

Mabel Ross “The Essentials of Handspinning” ISBN 0 9507292 0 5 (Reprinted 2017)

Alden Amos “The Alden Amos Big Book of Handspinning” Interweave 2001, ISBN 978-1-883010-88-1

Zwei schnelle Methoden, wie Du Wolle blau färben kannst

Wolle blau färben – das wollte ich schon immer mal machen! Aber so richtig gut blau wird es nur mit Indigofarbstoffen, und die erfordern ein komplexes Färbeverfahren mit Küpe und Co- dachte ich immer. Daher war ich sehr erfreut, als ich zwei schnelle Färbemethoden fand, die ohne viel Equipment, Erfahrung und Zeit einfach zuhause umsetzbar sind.

Verbreitete Färbepflanzen mit blauen Farbstoffen

Indigo war in früheren Zeiten der einzige blaue Farbstoff mit hervorragender Lichtechtheit. Auf der ganzen Welt wurden bzw. werden Pflanzen zum Blaufärben verwendet. Die drei wichtigsten Vertreter sind sind:

  • Indigopflanzen der Gattung Indigofera (z.B. Indigofera tinctoria in Indien, I. suffruticosa in Mexiko und Südamerika, I. arrecta in Äthiopien, I. australis in Australien)
  • der in Europa wachsende Färberwaid (Isatis tinctoria)
  • der aus Asien stammende Färberknöterich (Polygonum tinctorium, auch Persicaria tinctoria).

Vom Färberknöterich sind verschiedene Varianten bekannt, die sich z.B. in der Blütenfarbe unterscheiden. Ich bekam Anfang 2021 Samen vom Japanischen Färberknöterich geschenkt, und obwohl ich nicht so für meinen Grünen Daumen bekannt bin, musste ich das mal probieren.

Der Färberknöterich ist nicht winterhart und muss daher vorgezogen werden. Im Winter zog ich also aus den Samen auf der Fensterbank kleine Pflänzchen. Im Frühling kamen sie dann in einen größeren Topf auf die Terrasse. Wenn man die Triebe abknipst, werden die Pflanzen wohl etwas buschiger (das habe ich bei meinen Pflanzen vergessen…). Der Standort sollte hell und nicht zu trocken sein, bei zu wenig Wasser lassen die Pflanzen schnell die Köpfe hängen. Aber darum musste ich mir diesen Sommer keine Gedanken machen, denn es war leider eher kühl und nass und die Pflanzen sind nur langsam gewachsen. Anfang August war es dann soweit, ich konnte den ersten Färbeversuch starten.

Selbst jetzt, im Oktober, sind noch genügend Blätter da, um kleine Mengen Wolle färben zu können. Sogar Blüten treiben noch aus.

Etwas Chemie vorneweg – Wie funktioniert Blaufärben?

Bei den meisten anderen Färbungen liegt der Farbstoff direkt in der Färbepflanze vor, er muss nur noch extrahiert und dazu gebracht werden, sich an der Faser „festzuhalten“. Im Gegensatz dazu liegt der Indigofarbstoff in den Blättern Pflanzen als wasser-unlösliche, farblose Vorstufe vor. Diese Vorstufe, Indican genannt, besteht aus einem Zuckerteil und einem Indoxylteil. Sobald die Blätter geerntet sind, wird der Zuckerteil durch freiwerdende Enzyme abgespalten und der Indoxylteil freigesetzt. Indoxyl selbst ist noch farblos. Unter Einwirkung von Sauerstoff (=Oxidation) verbinden sich zwei Indoxyle zu Indigotin, dem blauen Indigofarbstoff. Das Indigotin ist wasserunlöslich.

schematischer Ablauf der enzymatischen Spaltung von Indican, das aus einem Zuckerteil und einem Indoxylteil besteht, zu Indoxl, und weitere Reaktion mit Sauerstoff zu Indigotin, dem Indigofarbstoff.
Dieser Prozess ist hier natürlich stark von mir vereinfacht worden. Wer den gesamten Prozess in all seiner Komplexität und Schönheit verstehen will, dem lege ich den Schweppe oder noch besser den Cardon ans Herz (hier geht’s zu den Quellen).

Der Clou besteht nun darin, den Farbstoff auf die Fasern zu bringen, solange die lösliche Indoxylform vorliegt. Wenn sich das unlösliche, blaue Indigotin bildet, sollte der Farbstoff idealerweise schon auf die Fasern aufgezogen sein. Dafür hat man allerdings nicht sehr lange Zeit, wenn man keine weiteren Vorkehrungen chemischer Natur ergreift (also eine Küpe ansetzt – auf die Küpenfärbung möchte ich in einem separaten Artikel eingehen).

Ein ganz großer Vorteil des Blaufärbens ist: Die Wolle muss nicht gebeizt werden. Der Farbstoff zieht in die Faser ein und schlägt sich dort direkt nieder (er „präzipitiert“ – Hände hoch, wer kennt das Wort noch aus dem Chemieunterricht?). Das spart eine Menge Zeit – vor allem, wenn man wie ich nicht auf Vorrat beizt sondern immer nur mit einem bestimmten Projekt im Kopf.

Zwei schnelle Färbemethoden kurz vorgestellt

Für das schnelle Färben mit Färberknöterich habe ich zwei Methoden finden können: einmal die Salzmethode und einmal die Eismethode. Die Salzmethode habe ich ausprobiert und kann Dir hier meine Ergebnisse zeigen, die Eismethode steht für später auf dem Plan.

1. Blau Färben mit der Salzmethode

Im Netz stieß ich auf diesen wunderbaren Blogartikel bei STILL Garments (die einen ganz tollen Blog zu Färbepflanzen hat und auch Workshops anbietet – schaut da unbedingt mal vorbei!). Im Grunde werden dabei die Blätter mit normalem Salz so lange geknetet, bis eine Flüssigkeit austritt. Diese Flüssigkeit wird dann in das Garn oder den Stoff eingeknetet. Für Kammzüge kann ich mir diese Aufbereitungsmethode allerdings nicht vorstellen, die Gefahr des Filzens wäre mir einfach zu groß.

Ich habe insgesamt 77g Blätter verwendet von Stängeln, die noch keinen Blütenansatz hatten. Meine beiden Wollstränge waren 32g bzw. 21g schwer.

Die Blätter habe ich in einer Edelstahlschüssel mit einer Gartenschere etwas kleingeschnitten und dann einen guten Esslöffel Salz zugegeben (per Augenmaß, ich hatte grad keinen Löffel da). Dann fing ich an, mit den Händen das Salz in die Blätter einzukneten. Nach ca. 3 min trat Flüssigkeit aus und fing an, leicht zu schäumen. Nach insgesamt ca. 10min begann sich ein leichter bläulicher Schimmer abzuzeichnen. An dieser Stelle habe ich die Wolle zugegeben.

Ich schleuderte die vorgeweichten (nicht gebeizten) Wollstränge aus und gab den 30g-Strang zu den Blättern. Das Ganze knetete ich durch und war nicht sehr zart dabei. Nach ca. 2-3 min war überall auf der Wolle Farbe zu sehen, aber um es etwas gleichmäßiger hinzubekommen, knetete ich noch etwas weiter. Als der Farbton mir gefiel (es wurde ein schönes, tiefes blaugrün), nahm ich den Strang heraus und schüttelte die Blätterreste ab, so gut es ging. Die Blattmasse und die verbliebene Flüssigkeit machten den Eindruck, als sei noch ausreichend Farbstoff vorhanden, und so fügte ich für einen zweiten Zug den zweiten ausgeschleuderten Strang hinzu. Die im Strang enthaltene enthaltene Restfeuchtigkeit war sehr hilfreich, um die verbliebene Farbe einzuarbeiten. Es war etwas mühsamer als beim ersten Strang, aber von der Farbintensität unterschieden sich die beiden nicht wesentlich.

Nachdem auch der zweite Strang ca. 5 min geknetet war, drückte und schleuderte ich die Stränge aus und hing sie ohne vorheriges Ausspülen zum Trocknen auf. Nach ca. 1h war die verbliebene Blattmasse deutlich bläulicher als zu Beginn.

Die beiden Garne waren nach einiger Zeit an der Luft deutlich blau geworden.
Nach dem Spülen und Trocknen hat sich der Farbton noch etwas mehr ins Blaue hin verändert.

Von den Farbtönen bin ich sehr angetan. Es ist kein klassisches Indigoblau, aber auch sehr schön! Wer es intensiver mag, kann sicher auch versuchen, bereits gefärbte Garne nochmals zu färben (und so die mehrmaligen Tauchgänge in einer Indigoküpe imitieren).

Alles in allem war ich vom Abschneiden der Zweige bis zum gefärbten Garn nicht mehr als eine halbe Stunde beschäftigt – das ist deutlich schneller als andere Naturfärbungen! Nach ca. 5min begann sich die erste Blaufärbung zu zeigen, aber man hat genügend Zeit, die Flüssigkeit einzuarbeiten. Welche Rolle das Salz dabei spielt, konnte ich noch nicht herausfinden. Meine Vermutungen: es könnte zum Aufschließen der Zellen dienen oder auch die Oxidation des Indoxyls verlangsamen. Wenn Du hier mehr weißt, hinterlass mir doch bitte einen Kommentar!

2. Blau Färben mit der Eismethode

Beim Blau Färben mit der Eismethode brauchst Du ebenfalls nur 2 Zutaten – frische Blätter vom Japanischen Färberknöterich und jede Menge Eis. Beschrieben ist sie in dem Buch „Indigo – Anbau, Färbetechniken, Projekte“ von K. Neumüller und D. Luhanko. Sie beruht im wesentlichen darauf, dass bei niedrigeren Temperaturen die Umwandlung des farblosen Indican zum blauen Indigotin langsamer abläuft. Der Farbstoff muss auf das Färbegut aufgezogen sein, bevor er blau geworden ist.

Die frisch geernteten (oder eingefrorenen) Blätter werden in einen Mixer bzw. Zerkleinerer gegeben, kaltes Wasser und Eiswürfel zugegeben und das Ganze auf Eis püriert. Am besten steht das Püriergefäß ebenfalls in einer Schüssel mit Eiswürfeln. Nicht zu lange pürieren, sonst wird die Flüssigkeit zu warm und die Farbreaktion läuft zu schnell ab. Nach dem Pürieren werden die Blätter abgeseiht und die (vorgekühlte, gut durchfeuchtete) Wolle wird in die Färbeflüssigkeit gelegt. Vom Beginn des Pürierens bis zum Ende der Färbung sollten nicht mehr als 7-10 min vergehen.

Und wie ist es mit der Lichtechtheit?

Manchmal sind Naturfarben nicht ganz lichtecht und vergrauen oder bleichen mit der Zeit aus. Wie ist das mit meiner Färbung nach der Salzmethode? Ich habe mal flugs was vorbereitet, einige Fäden um eine Karteikarte gewickelt und ins Südfenster gelegt. Noch läuft das Experiment, aber ich habe mal geschmult…tja, und leider sieht es so aus, als würde das schöne Blau verblassen. Die genaue Auswertung folgt in ein paar Wochen, wenn ich mit Sicherheit Unterschiede erkennen kann. Stay tuned !

Ergänzung:

Hier sind nun die Ergebnisse der Lichtechtheitsprüfung nach 3 Monaten Exposition im Südfenster. Es ist erkennbar, dass die Farbe bei beiden Strängen etwas verblasst (im Original noch etwas besser als auf den Fotos). Mir persönlich macht das nichts – jetzt bin ich nur noch gespannter darauf, wie es wohl mit einer Küpenfärbung aus dieser Pflanze wäre…

Pflanzen von Japanischem Färberknöterich in leuchtendem Grün stehen vor einer grauen Wand. Eine weiße Blüte ist im Vordergrund zu sehen. Unter dem Bild ist ein Textfeld mit den Worten : Zwei schnelle Methoden ohne Küpe. Wolle Blau Färben.
Wenn Du möchtest, kannst Du Dir dieses Bild pinnen.

Quellen

„Natural Dyes“ D. Cardon (2007), ISBN 978-1-904982-00-5

„The Science of Teaching with Natural Dyes“ J.M. Buccigross (2006), ISBN 1-4196-4104-2

„Handbuch der Naturfarbstoffe“ H. Schweppe (1993), ISBN 3-933203-46-5

„Indigo – Anbau, Färbetechniken, Projekte“ von K. Neumüller und D. Luhanko, Haupt Verlag, ISBN 978 – 3 – 258 – 60212 – 7

Wie baue ich eine Handspindel?

Du möchtest gerne mal das Handspinnen ausprobieren? Du bist Dir aber noch nicht sicher, ob das was für Dich ist und möchtest (noch) nicht in eine Spindel investieren? Hier zeige ich Dir eine Anleitung, wie Du mit 3 – 4 einfachen Materialien selber verschiedene Handspindeln bauen kannst – Kopfspindel, Fußspindel oder „Maya“-Spindel. Und falls Du zufällig Zugang zu einem 3D-Drucker hast, kannst Du Dir auch eine Spindel drucken.

Eine Fallspindel bauen

Fallspindeln bestehen aus einem Spindelstab und einem Wirtel (das ist die Scheibe im Bild oben). Der Wirtel kann verschiedenste Formen und Größen haben, und Form und Größe wiederum haben einen Einfluss darauf, wie die Spindel sich dreht (z. B. schnell und kurz oder langsam und lange).

Oft wird am oberen Ende auch ein Haken angebracht, das ist allerdings nicht unbedingt erforderlich.

Je nachdem, wo der Wirtel sitzt, hat man eine Fuß- bzw. Tiefwirtelspindel oder aber eine Kopf- bzw. Hochwirtelspindel in der Hand. Welche Du verwendest, ist eine Frage der Vorliebe und Du probierst es am besten aus. Das Gute ist: mit dieser Anleitung kannst Du beide bauen. 🙂

Zum Bauen selbst ist es hilfreich, wenn Du Säge, Bohrer, Feile, Schleifpapier und Bleistift zur Hand hast.

Du brauchst …

Zutaten zum Bauen einer Spindel liegen auf einem Holztisch. Ein Rundstab, Kabeldurchführungstüllen, ein kleiner Haken, eine Spanscheibe 10 cm mit Loch in der Mitte, eine CD.
Aus diesen Dingen kannst Du eine Kopf- oder eine Fußspindel bauen.

… eine Scheibe mit einem Loch genau in der Mitte, z. B. eine alte CD oder eine Spanplatte. Die Platte sollte nicht zu schwer und nicht zu leicht sein, für die gesamte Spindel ist ein Gewicht von 30 g bis 50 g am Anfang gut geeignet. Eine CD ist eher auf der leichten Seite, eventuell kann man sie durch dekorative Elemente (aufgeklebte Perlen etc.) noch etwas schwerer machen. Auch Spielzeug-Räder aus Holz oder in Scheiben geschnittene Türstopper wären denkbar. Die sind jedoch schwerer und haben einen kleineren Durchmesser, dadurch drehen sie recht schnell. Das finde ich persönlich gerade am Anfang nicht ganz so einfach. Meine Scheibe ist von Bütic (klicke hier entlang) und hat die Maße 10 cm / Loch 1 cm / Dicke 3 mm.

… einen Rundstab, ca 25 -27 cm lang. Der Durchmesser des Stabes sollte 1-2 mm kleiner sein als das Loch in der Scheibe. Mein Rundstab war aus Buche und 8 mm dick. Sowohl die glatten als auch die geriffelten funktionieren, aber sie müssen gerade sein. Im Baumarkt sind viele krumm und schief, daher lege ihn vor dem Kauf gegen eine Regalwand im Baumarkt und prüfe, ob er auch beim Drehen gerade ist.

Kabeldurchführungstüllen (ich liebe dieses Wort!). Die gibt es in verschiedenen Ausführungen zu kaufen, am besten, Du bemühst die Suchmaschine Deiner Wahl mit diesem Suchbegriff. Die Maße der Tüllen müssen auf die Dicke der Scheibe und den Durchmesser des Stabes abgestimmt sein (in meinem Fall 3 mm und 8 mm). Der äußere Durchmesser der Tülle sollte gut in das Loch der Scheibe passen, das war bei mir etwas zu eng (11 mm mussten in 10 mm …) und daher fummelig.

Nahaufnahme Kabeldurchführungstülle in der Mitte des Wirtels einer Handspindel.
So sieht die fertig in das Loch reingefummelte Kabeldurchführungstülle aus. Sie sollte idealerweise dafür sorgen, dass sich der Wirtel in Einheit mit dem Stab dreht (und nicht unabhängig von ihm).

… einen offenen Haken mit Gewinde, wenn Du einen verwenden möchtest. Er sollte nicht zu klein sein, denn da führst Du später den Faden durch. Die Spindel funktioniert aber auch ohne Haken.

So baust Du die Fallspindel zusammen

  1. Bereite den Spindelstab vor, indem Du ihn ggf. auf die richtige Länge absägst und mit Schleifpapier glattschleifst. Eine Länge von 25 – 27 cm sind in der Regel ganz gut (die Stäbe im Bild sind 26 cm lang). Lass sie lieber etwas zu lang als zu kurz.
  2. Prüfe, ob die Kabeldurchführungstüllen (dieses Wort!) gut in das Loch der Scheibe passen. Sie dürfen nicht zu locker sitzen, denn es ist wichtig, dass Stab und Scheibe eine so enge Verbindung haben, dass sie nicht gegeneinander verrutschen. Wenn Du den Stab andrehst, muss der Wirtel mitgetragen werden. Wenn Du das Gefühl hast, es passt gut, verziere gerne noch die Scheibe, bevor Du endgültig die Kabelduchführungstülle einsetzt. Das Einsetzen ist manchmal etwas fummelig.
  3. Nun kannst Du, wenn Du einen Haken verwenden möchtest, ein Loch in eine Stirnseite des Stabes bohren. Den Haken würde ich erst eindrehen, wenn die Scheibe auf dem Stab steckt.
  4. Nun kommt der Stab auf die Scheibe – einfach draufschieben. Je nachdem, ob Du eine Hochwirtel- oder eine Tiefwirtelspindel haben möchtest, ist die Scheibe näher am Haken (=oben) oder weiter weg (=unten). Probiere einfach beides aus.
  5. Haken eindrehen.
  6. Fertig!
Kopfspindel und Fußspindel, selbstgebaut, liegen auf einem Holztisch.
Links eine Fußspindel, rechts eine Kopfspindel. Beide sind aus einfachen Zutaten selbst gebaut.

Wenn Du keinen Haken hast, arbeitest Du am besten mit einem Halbschlag, um den Faden an der Oberseite der Spindel zu befestigen.

Die einfachste Spindel der Welt bauen

Fallspindel zu kompliziert? Du hast grad keine CD zur Hand? Versuch es doch mal mit dieser Art Spindel:

Maya-Spindel, angesponnen mit weißen Fasern, liegt auf einem Holztisch.
Die einfachste Spindel überhaupt (mal abgesehen von einem Zweig): eine Maya-Spindel.

Ich habe sie unter dem Begriff „Maya-Spindel“ kennengelernt, bin mir aber nicht sicher, was die Maya damit zu tun haben. Man hält den Stab fest und wirbelt die flache Leiste einfach immer in eine Richtung herum. In diesem youtube-Video wird gezeigt, wie das funktioniert.

Du brauchst:

... einen Rundstab

… eine Holzleiste ( meine mißt 20 cm x 3 cm)

… eine Perle o.ä.

… Kleber oder Holzleim (für die Perle)

Zutaten zum Bauen einer Maya-Spindel. Rundstab, Holzperle, flache Holzleiste mit Bohrung.
Material für die einfachste Spindel der Welt

So baust Du die einfachste Spindel der Welt

  1. In die Holzleiste an einem Ende mittig ein Loch bohren, das deutlich größer ist als der Stab, der durchgesteckt wird. Die Leiste muss sich leicht um den Stab drehen können.
  2. An einem Ende des Rundstabes klebst Du eine große Perle an. Du kannst auch etwas aus Fimo, Knete oder Ton basteln.
  3. Rundstab durch das Loch der Leiste stecken
  4. Fertig!

Spindeln aus dem 3D-Drucker

Auf einem Workshop habe ich einmal von einer ganz lieben Person eine Spindel geschenkt bekommen, deren Wirtel mit einem 3D-Drucker hergestellt worden war. Das war sehr faszinierend, denn so kann man nicht nur die unterschiedlichsten Formen entwerfen, sondern das Programm sagt einem auch, wie schwer mein Wirtel wird und man kann somit das Spindelgewicht festlegen. Außerdem kann man die Form der Wirtel feintunen für die gewünschten Laufeigenschaften. Wie cool ist das denn bitte?!

zwei 3D-gedruckte Spindeln sitzen auf einem Holzbalken vor Petunien in Blumenkästen. Im Hintergrund ist eine Berglandschaft zu sehen. Die Kreuzspindel hält etwas gesponnenen Faden aus weißer Wolle.
Eine Kreuzspindel (rechts) und eine Tiefwirtelspindel (links) aus dem 3D-Drucker. Der Holzstab ist natürlich nicht aus dem 3D-Drucker, nur die Wirtel. Aber wenn es mal wieder keine geraden Stäbe im Baumarkt gibt, kann man sich sicher auch einen Stab drucken…

Ich habe versucht, mich in so ein Design-Programm einzufuchsen, aber am Ende hat es mich zu viel Zeit gekostet. Und so überlasse ich das dann doch lieber Menschen, die sich damit auskennen und Spaß daran haben. Wenn Du so jemand bist, kannst Du ja mal auf Plattformen wie thingiverse auf die Suche gehen, vielleicht hat jemand auch schon eine Datei hochgeladen. Oder Du erstellst eigene Entwürfe z.B. bei tinkercad oder SketchUp .

Das Material, aus dem gedruckt wird, ist nicht immer „Plastik“. Das Polymer, das in diesen Spindeln verwendet wurde, ist ein Polymer aus Milchsäure, und es gibt sogar etwas auf Holzbasis. Ich glaube, dazu muss ich auch nochmal recherchieren…

Viel Spaß beim Nachbauen!


Noch ein paar Tipps gefällig? Hier habe ich meine besten Empfehlungen für Spinn-Anfänger zusammengefasst. Und hier ist mein Artikel zu verschiedenen Spindeltypen.

Meine Tipps für Spinn-Anfänger

Du möchtest das Handspinnen lernen, weißt aber nicht genau, ob das was für Dich ist? Du weißt nicht, wie und wo Du anfangen sollst, und was man alles braucht? Hier habe ich Dir meine Tipps für einen guten Start zusammengestellt.

(Dieser Blog-Post enthält Verlinkungen zu Shops und ich kennzeichne ihn hiermit als #werbung. Hinter den links findest Du Anregung und Illustration, ob Du das magst, musst Du selber entscheiden 😊. Ich bekomme dafür jedenfalls keine Gegenleistung der verlinkten Seiten.)

Tipp 1: Fang an mit dem, was Dir zur Verfügung steht!

Wenn Du jetzt sofort anfangen möchtest und es ganz schnell gehen soll, probier es doch mal mit Fingerspinnen! Einfach was immer Du verwenden möchtest (Stoffstreifen, Garnreste, Papierstreifen, ausgekämmte Unterwolle von Omas Hund…) ein bißchen mit den Fingern zu einem Faden verzwirbeln, unter leichter Spannung halten und auf einen Holzstab / Bleistift / Kochlöffel o.ä. aufwickeln. Du kannst auch ein Stöckchen vom letzten Waldspaziergang benutzen. So kannst Du quasi sofort loslegen.

Du kannst Dir auch selber eine Spindel bauen (darüber habe ich hier schon etwas geschrieben). Mit Handspindeln lernst Du die nötigen Bewegungen langsam und in Etappen (z.B. mit der Park-and-Draft-Methode wie Chantimanou es zeigt) und hast Zeit, Deine 6 – 8 Hände zu koordinieren. Dabei merkst Du relativ schnell, ob Du Feuer fängst oder eher nicht.

Keine passenden Bauteile zur Hand? Du kannst auch eine fertige Spindel oder ganze Anfängersets kaufen. Sie kosten je nach Ausführung meist zwischen 8 und 60 Euro. Schau doch mal bei Flinkhand, Frau Wöllfchen oder bei den Wollschaaarfs vorbei. Wenn Du gleich was richtig schönes kaufen möchtest, dann geh mal beim Spindelstübchen stöbern. Peter Locke von Wolle-online hat schlichte aber sehr gute Lern-Spindeln, und Das Wollschaf hat oft schöne Exemplare. Besonders kunstvoll sind die Modelle von der Regenbogenwolle und von KnitArt. Bei Ernst Drab in Österreich gibt es sogar welche mit Wechselstab – sehr praktisch.

Tipp 2: Probiere es auch am Spinnrad!

Manche Menschen kommen mit Handspindeln nicht gut klar, für sie funktioniert es am Spinnrad besser. Wenn Du also mit den Handspindeln nicht glücklich bist, probiere es unbedingt auch an einem Spinnrad aus, bevor Du komplett das Handtuch wirfst.

Kennst Du jemanden, dessen Rad Du mal probetreten kannst? Super! Wenn Du niemanden kennst, frag bei der Handspinngilde, ob es in Deiner Nähe eine Spinngruppe gibt – dort wird Dir in der Regel gerne geholfen. Gibt es niemanden in Deiner Nähe, dann hast Du immer noch die Option, Spinnräder gegen eine Leihgebühr auszuleihen. Auf Märkten oder Wollefesten gibt es oftmals Ausstellungsmodelle. In den letzten Jahren war auf dem Leipziger Wollefest ein Stand von Filzrausch, an dem man Spinnräder ausprobieren konnte. Falls Du in der Nähe bist, lohnt sich sicher auch ein Besuch im KnitArt-Studio bei Frau Schreier in Hamm.

Ich rate Dir davon ab, Dein erstes Spinnrad bei einem bekannten online-Auktionshaus zu kaufen – zumindest solange Du noch nicht einschätzen kannst, ob es funktioniert. Oft werden Räder von Menschen angeboten, die die Funktionsweise gar nicht kennen. Es wird dann als funktionsfähig angeboten, wenn man nur das Antriebsrad drehen kann. Dass da noch mehr dazugehört, wissen viele Verkäufer meist gar nicht. Zudem ist es für viele dieser Räder schwierig, an Ersatzteile zu kommen, wenn man nicht einen guten Drechsler an der Hand hat. Wenn es aber unbedingt so eines sein soll – probiere es vorher aus und nimm Dir jemanden mit, der sich damit auskennt.

Wenn Du dann vor einem Rad sitzt, kann ich Dir wieder nur die Videos von Chantimanou ans Herz legen, z.B. dieses hier.

Tipp 3: Es gibt keine Spinn-Polizei

Niemand wird Dir einen Bußgeld-Bescheid schicken, weil Du mit dem „falschen“ Material oder Gerät angefangen hast. Es gibt nicht „das Eine / Richtige [Wasauchimmer]“. Dein Projekt, Deine Regeln!

Alle sagen, Du solltest mit Eiderwolle am Spinnrad anfangen? Nun, ich habe mit Seiden-Hankies und einer (aus heutiger Sicht nicht besonders gut dafür geeigneten) Handspindel angefangen. Hat es Spaß gemacht? Absolut! Hab ich was dabei gelernt? Und ob! Ist es wichtig, womit Du anfängst? Nein, finde ich nicht. Wichtiger ist, DASS Du anfängst und Spaß hast.

Ja, es gibt Fasern, die sind nicht so super einfach zu verarbeiten, Angora zum Beispiel, ein Seidenkammzug oder Yak. Es gibt auch Faser- und Gerät-Kombinationen, die nur sehr schwer funktionieren werden (besagtes Angora und eine 80g schwere Fallspindel sind selbst für fortgeschrittene Spinner eine Herausforderung). Oft hört man, dass man nicht mit einer unterstützten Spindel Spinnen lernen soll. Aber: wenn Dein Herz danach schreit, dann versuche es! Und schnapp Dir jemanden, der Dich dabei begleitet 🙂

Tipp 4: Du brauchst nur wenige Werkzeuge.

Es gibt viele Werkzeuge, die man zum Spinnen und zur Faservorbereitung verwenden kann – Handkarden, Kammstationen, Trommelkarden, Hackle, Spinnrocken…. Aber insbesondere am Anfang, wenn Du Dir noch nicht so ganz sicher ist, ob Du dabeibleibst, gibt es günstigere Alternativen.

Meine am meisten genutzten Werkzeuge sind: meine Kreuzhaspel und meine Handkarden (72er Benadelung). Die Kreuzhaspel nutze ich zum Wickeln von Strängen. Mit den Handkarden bereite ich hauptsächlich gewaschene Rohwolle, die noch etwas Lanolin enthält, zum Spinnen vor. Und am Anfang brauchst Du selbst diese Werkzeuge nicht unbedingt – Stränge wickeln kann man auch über den Unterarm oder die Rückenlehne eines Stuhles, und zum Kardieren kannst Du auch Hundebürsten nehmen. Das ist zwar deutlich mühsamer und langsamer als mit Handkarden, aber wenn Du ohnehin Hundebürsten in der Schublade hast, brauchst Du erst mal nichts kaufen.

Trommelkarden und Kammstationen bedeuten schon eine gewisse Investition. Wenn Du wissen willst, wie Du mit diesen Geräten klarkommst, gibt es auch hier manchmal die Möglichkeit, sie bei Shops oder der Handspinngilde zu mieten oder zu leihen.

Tipp 5: Vernetze Dich in einer Community!

In der Gruppe spinnt es sich einfach schöner. Es ist immer jemand da, den Du fragen kannst, wenn mal was nicht klappt. Schau auf der Webseite der Handspinngilde, ob sich in Deiner Gegend eine Spinngruppe trifft. Wenn es im echten Leben nichts in Deiner Nähe gibt, versuche es online. Chantimanou veranstaltet für alle Patrons regelmäßig online Spinntreffen. Oder Du suchst auf Facebook nach einer Gruppe, die Dir zusagt.

Einmal im Jahr wird der worldwide spin in public day veranstaltet (dieses Jahr war er am 18. September). Überall auf der Welt treffen sich dann Spinner in der Öffentlichkeit, um gemeinsam ihrer Leidenschaft zu frönen und das Handwerk wieder etwas mehr ins Bewusstsein der Menschen zu bringen. Hier triffst Du auf jeden Fall auf die spinnerte community und kannst Dich mit anderen verbinden. Bei Instagram gibt es einen eigenen Account dafür : wwsipday.

Tipp 6: Bleib neugierig!

Faden spinnen kannst Du schon und Du fragst Dich: Was soll da jetzt noch kommen? Es gibt so viele Facetten rund ums Spinnen, dass man sich ständig neue Herausforderungen überlegen kann. Schon mal von der Tour de Fleece gehört? Oder von der Sheep-to-Sweater Competition? Art Yarn? Es gibt auch ein Buch, in dem übers Jahr verteilt jede Woche eine andere Art Garn gesponnen wird. Es heißt 51 Yarns to spin before you cast off, und es gab sogar ein Spin-along / Spinn-Mit.

lilafarbenes Boucle-Garn in Nahaufnahme
Handgesponnenes Bouclé-Garn aus einem Mohair-Kammzug, einem Glitzer-Kern und einem Seidenfaden als Binder gesponnen. Eine Heidenarbeit, aber mit enormem Spaß-Faktor!

Du kannst Dich auch fragen, warum und was Du gerne spinnen möchtest. Interessieren Dich verschiedeneTechniken? Hast Du Schafe, deren Wolle Du verarbeiten möchtest? Möchtest Du die verschiedenen Wollqualitäten regionaler Schafrassen kennenlernen? Bist Du Textil-Künstler*in und möchtest ganz nach Deinen Vorstellungen Eigenes erschaffen? Nimm Dir kurz Zeit, darüber nachzudenken, dann ergibt sich einiges von selbst, z.B. wo Du Deine Wolle herbekommst oder welche Werkzeuge Du brauchst.
Für das Arbeiten mit Rohwolle könntest Du einmal beim Verband Deutscher Schaf- und Ziegenhalter suchen, ob es in Deiner Nähe Schafhalter gibt.

Wenn Du lieber Kunstgarne herstellen möchtest und mit industriellen Kammzügen arbeitest, sind die einschlägigen Shops wahrscheinlich Dein erster Anlaufpunkt. Schau doch mal beim Mondschaf oder dibadu vorbei.

In diesem Sinne:

Frohes Spinnen!

Was ist Drall – und wie kann ich ihn nutzen, um mein Wunschgarn herzustellen?

An Drall kommt man als Handspinner nicht vorbei. Aber was ist das eigentlich, und wofür brauch ich das? Wie Du den richtigen Dreh mit dem Drall rausbekommst, erfährst Du in diesem Artikel.

Drall ist, laut Wikipedia , ein „technisches Fachwort aus dem niederdeutschen drillen für „drehen“ bzw. „herumdrehen“ “. Drall erzeugt man also, indem man Fasern miteinander verdreht. Wenn die Fasern so miteinander verdreht sind, dass sie nicht mehr auseinanderdriften, wenn man an beiden Enden zieht, dann hat man einen stabilen Faden. Dieser Zustand bzw. diese Drallmenge nennt sich auf englisch „fiber lock“, wörtlich übersetzt „Faser-Schloß“. (Einen richtig guten deutschen Begriff kenne ich nicht. Wenn Du einen kennst, schreib mir doch gerne einen Kommentar 😊).

Beim Spinnen von Garnen wird in der Regel an zwei Stellen Drall erzeugt: Beim Spinnen des Einzelfadens und beim Verzwirnen der Einzelfäden miteinander. Für das Verdrehen gibt es zwei Möglichkeiten: links herum (gegen den Uhrzeigersinn, von oben betrachtet) und rechts herum (mit dem Uhrzeigersinn, von oben betrachtet) bzw. „S“ und „Z“. Ob etwas S- oder Z-verdreht ist, kann man direkt am jeweiligen Faden oder Garn sehen:

Quelle: Wikipedia

Man kann also den Einzelfaden in Z-Richtung spinnen und dann 2 oder mehr Z-Fäden in S-Richtung miteinander verzwirnen, oder man macht es genau umgekehrt. Garne zum Stricken werden oft in Z-Richtung gesponnen und in S-Richtung gezwirnt. Leinen hingegen wird traditionell in S-Richtung gesponnen und Z verzwirnt.

Als ich mit dem Spinnen anfing, habe ich mir Drall auch als eine Art Energie vorgestellt, die im Faden gespeichert wird. Ein bestimmter Energiebetrag wird in einer Richtung in den Einzelfaden eingebracht. Durch Zwirnung in die Gegenrichtung um genau den gleichen Betrag wird der Faden dann ausgeglichen. (Ganz so einfach ist das nicht, wie Du in diesem Artikel sehen kannst). Erkennen kann man die Energie, wenn man den gerade gesponnenen Faden lockerläßt: er kringelt sich in sich selbst zurück. Ein ausgeglichener Faden hängt gerade durch und kringelt sich nicht oder nur sehr wenig.

Indem man zwei (oder mehr) gleichartig versponnene Einzelfäden miteinander in die Gegenrichtung verdreht, nimmt man sozusagen die Energie wieder heraus und erhält ein ausgeglichenes Garn.

Drall und die Garneigenschaften

Prinzipiell gilt: mit wenig Drall wird ein Garn tendenziell weicher aber wenig abriebfest, mit viel Drall tendenziell härter und robuster. Wenn zu wenig Drall im Faden ist, können die Fasern beim Ziehen aneinander vorbeirutschen und der Faden reißt. Bei zu viel Drall steht der Faden unter sehr viel Spannung, ist hart und reißt ebenfalls leichter. Die Kunst ist also, einen Faden zu erzeugen, der genug Drall hat, um zusammenzuhalten, aber nicht so viel, dass er wieder reißt.

Und nun erinnern wir uns, dass wir ja beim Spinnen an zwei Stellen Drall erzeugen, erst beim Spinnen und dann beim Verzwirnen. An beiden Stellen kann man Einfluss darauf nehmen, wie das Garn sich später anfühlen soll. Will sagen: wenn ich ein abriebfestes Sockengarn haben möchte, muss ich anders spinnen als für ein luftig-flauschiges Garn für eine Mütze.

Zusammenhang zwischen Drallmenge und Garneigenschaften.

Ein stärker verzwirntes Garn ist auch tendenziell auch etwas kürzer ist als ein weniger stark verzwirntes. Das habe ich selbst einmal feststellen müssen, als ich einem fertig gesponnenen Garn im Nachhinein noch mehr Drall zugegeben habe. Das nachbearbeitete Garn hatte leicht an Länge eingebüßt (zum Glück nicht dramatisch). Dennoch kann man das im Hinterkopf behalten, wenn man auf jeden Zentimeter gesponnenes Garn angewiesen ist oder z.B. aus der kleinen Menge Luxusfaser von letzten Fasertausch die maximale Meterzahl herausholen möchte.

Hier habe ich versucht zu verdeutlichen, dass das Garn kürzer wird, je mehr Drall hinzukommt. Auch wenn der Effekt nicht enorm ist, kann es helfen, das im Hinterkopf zu behalten. Probier es einfach mal aus!

Dicke Garne brauchen weniger Drall als dünne Garne (gemessen in Drehungen pro cm Garnlänge). Das kann man leicht nachprüfen, wenn man mal 5 Minuten mit ein paar Fäden (oder den Kordeln der Jacke) herumexperimentiert.

Drall und die verwendeten Fasern

Wie viel Drall man für einen bestimmten Faden verwendet, hängt auch davon ab, welche Fasern verwendet werden. Je kürzer die Faser und je stärker sie gekräuselt ist, desto mehr Drall kann ich dem Faden bzw. dem Garn geben.

Als Faustregel gilt: Kurze Fasern brauchen viel Drall, lange Fasern brauchen weniger Drall.

Das bedeutet also: Für das Spinnen von Merino (Faser relativ kurz und stark gekräuselt) brauche ich mehr Drall als z.B. für Leicester Longwool (lange glatte Fasern mit wenigen Kräuselungen). Ein Garn aus Leicester Longwool mit zu viel Drall wird eine wunderbar seidig glänzende…Paketschnur.

Wie kann ich den Drall beeinflussen?

Das ist eigentlich ganz einfach. Für weniger Drall am Spinnrad kannst Du

  • die Anzahl der Tritte pro Auszug verringern
  • einen größeren Wirtel (=kleinere Übersetzung, z.B. 5:1) nehmen, wenn Du einen hast
  • den Einzug etwas verringern, wenn das bei Deinem Rad geht
  • alle diese Dinge kombinieren – probiere aus, was am besten geht

Wenn Du Spindeln verwendest, kannst Du

  • eine Fallspindel mit einem ausladenden, breiten Wirtel nehmen, dessen Schwerpunkt im Rand liegt.

Für mehr Drall am Spinnrad kannst Du

  • die Anzahl der Tritte pro Auszug erhöhen
  • einen kleineren Wirtel (=größere Übersetzung, z.B. 12:1) nehmen, wenn Du einen hast
  • den Einzug etwas erhöhen, wenn das bei Deinem Rad geht
  • alle diese Dinge kombinieren – probiere aus, was am besten geht

Wenn Du Spindeln verwendest kannst Du

  • eine Fallspindel mit einem kleinen, kugeligen Wirtel nehmen, dessen Schwerpunkt nah am Schaft liegt
  • eine unterstützte Spindel mit kleinem Wirtelteil verwenden (z.B. Orenburg-Spindel, Phang-Spindel)

Wie bestimme ich die Drallmenge?

Die Drallmenge bestimmst Du, indem Du Dir den Zwirnwinkel anschaust (bei Einzelfäden ist das etwas schwieriger zu sehen). Ein ganz normaler Winkelmesser aus Schulzeiten ist dabei hilfreich. Als Null-Linie nehme ich eine Linie quer zum Garn. Je spitzer der Winkel ist, desto mehr Drall hat das Garn. Ist der Winkel 90°, liegen beide Einzelfäden parallel nebeneinander und sind nicht verdreht.

Bestimmung des Zwirnwinkels (blaue Linien)

Außerdem kann man die Drehungen pro cm auszählen (oder die englische Variante twists per inch). Dafür zählt man die kleinen „Berge“, die die Einzelfäden machen, und teilt durch die Anzahl der Einzelfäden.

Die Quick-and-dirty-Methode ist: einfach ein Stück frisch gesponnenen Faden von der Spule ziehen, in sich selbst falten und loslassen (das ist eine Zwirnprobe). Ich nehme immer mindestens 30cm Faden dafür, zu kurz sollte das Stück nicht sein. Was Du dann siehst, ist quasi das ausgeglichene Garn, das Du aus diesem Faden erhalten würdest. Daran kannst Du abschätzen, ob Du weniger oder mehr Drall im Faden brauchst. Mache mehrere solcher Proben, notiere Dir verwendete Wirtel und Anzahl Tritte und behalte sie als Referenz bei Deinem Projekt.

Beachte: nimm unbedingt einen frisch gesponnenen Faden für die Probe. Wenn er nicht frisch gesponnen ist, sondern schon länger auf der Spule liegt, ist der Drall mit Sicherheit „eingeschlafen“ und Deine Zwirnprobe zeigt scheinbar viel zu wenig Drall. Sobald das Garn ins Entspannungsbad geht, wacht der Drall wieder auf und Dein Garn sieht anders aus, als Du es wolltest. Schau mal bei Chanti vorbei, sie hat das in einem Video gezeigt.

Am sichersten ist es, wenn Du eine Garnprobe machst, so wie eine Maschenprobe beim Stricken. Ich weiß, ich weiß, das dauert zu lange, Du willst spinnen und nicht Proben machen. Aber meine ganz klare Empfehlung: Lieber 10g probespinnen und zwirnen, waschen (ganz wichtig!) und eine kleine Strickprobe machen (auch ganz wichtig, wirklich!), als die ganze Pullovermenge auf gut Glück spinnen und hinterher feststellen, dass da doch ein bißchen viel Drall im Faden war… (Frag mich, woher ich das weiß…).

Was ist nun die richtige Drallmenge?

Das ist eine wirklich gute Frage und nur Du kannst sie beantworten, denn es ist Dein Garn. Um das herauszufinden, kannst Du Dir ein paar Gedanken zum Verwendungszweck und den Garn- und Strickproben machen.

  • Wofür wirst Du das Garn verwenden? Soll es eher ein robustes Sockengarn oder ein flauschiges Tuchgarn werden? Ist das Garn in der Probe so flauschig bzw. robust wie Du es wolltest?
  • Wie verhält sich die Strickprobe? Ist sie Dir zu hart, um sie auf der Haut zu tragen? Oder ist sie gar verzogen nach dem Waschen (Hinweis auf nicht ausgeglichenes Garn)? Pillt das Garn?
Nahaufnahme eines grauen und eines hellen Garns mit unterschiedlichen Zwirnwinkeln.
Das graue Garn hat einen deutlich kleineren Zwirnwinkel (also mehr Drall) als das helle, sehr weich gesponnene und gezwirnte Garn.

Aus meiner Erfahrung sagt das gesponnene Garn allein noch nicht genug aus. Wirklich aussagekräftig wird die Probe erst, wenn Du auch damit gestrickt hast, denn erst dann siehst Du, ob sich das Garn so verhält, wie Du es möchtest.


Ich hoffe, ich konnte Dir einen ersten Eindruck zum Thema Drall geben. Drall ist komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Bei mir ist der Knoten erst nach einer ganzen Weile geplatzt – nachdem ich wunderschöne seidig glänzende Paketschnur erzeugt habe.

Wenn Du noch mehr zum Thema lernen möchtest, empfehle ich Dir wärmstens die Videos von Chantimanou, z.B. dieses hier, dieses oder das hier.

Ich habe auch ein kleines Experiment zu diesem Thema gemacht – dazu gibt es hier meinen Artikel zur Sache mit dem Drall !

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