Farbig gewachsene Baumwolle ist noch nicht sehr bekannt. Die meisten Menschen haben eine weiße Faser im Kopf, wenn sie an Baumwolle denken. Dabei war Baumwolle nicht immer nur weiß. In Teil 1 meiner kleinen Mini-Serie zu farbig gewachsener Baumwolle habe ich über die Pflanze als solche gesprochen, ihre Geschichte und Kultivierung sowie allgemeine Fasereigenschaften. Ich habe die farbig gewachsenen Varianten vorgestellt, die Anfang des 20. Jhd. noch durchaus verbreitet waren und dann in Vergessenheit gerieten, bevor sie später „wiederentdeckt“ und z. B. im Pakucho-Projekt in Peru angebaut werden. Über den Shop der Handspinngilde hatte ich vier verschiedene Farben zu bekommen können und machte mich sofort daran, Spinnproben herzustellen. Ich war sehr neugierig: unterscheiden sich die Faserlängen? Fühlen sich die Fasern unterschiedlich an? Nur ein knappes Jahr später (räusper, hust) bin ich bei der letzten Probe angekommen und kann nun in aller Vollständigkeit von meinen Erfahrungen berichten.

Die Fasereigenschaften: Baumwolle ist keine Wolle

Baumwolle trägt zwar den Begriff „Wolle“ im Namen, hat aber grundlegend andere Eigenschaften als beispielsweise Schafwolle. Wir erinnern uns: während Schafwolle eine mehr oder weniger elastische Proteinfaser ist, bestehen Baumwollfasern aus Zellulose (im Grunde ein langkettiger Zucker), sie sind nicht elastisch und sie haben auch kein Lanolin, wie wir es von Wolle kennen. Mit ca. 2- 4 cm Länge sind Baumwollfasern auch vergleichsweise kurz. Dadurch ergibt sich für das Spinnen von Baumwolle zweierlei:

  1. es empfiehlt sich der lange Auszug und
  2. es braucht viiiiel Drall.

Der lange Auszug kann als double draft (auch „english long draw“) durchgeführt werden, aber es geht mit etwas Fingerspitzengefühl auch ohne. Double drafting ist für mich eine hohe Kunst, die ich noch nicht zufriedenstellend beherrsche – wenn jemand von euch weiß, wo es dazu Kurse gibt, der kann sich gerne bei mir melden. Josefin Waltin zeigt Double Drafting in einem ihrer Videos mit Rolags aus Schafwolle. Es sieht so einfach aus…

Faserlängen farbig gewachsener Baumwolle neben einem Lineal
Faserlänge der verschiedenen Baumwollen. Alle liegen so im Bereich um 2 – 4 cm.

Die Spinngeräte: Charkha, Tahkli, Spinnrad, Spindel

Die bekanntesten Geräte zum Spinnen von Baumwolle sind die Charkha und die Tahkli. Beide Geräte zeichnen sich dadurch aus, dass man mit ihnen in kurzer Zeit sehr viel Drall erzeugen kann.

Die Tahkli ist eine kleine unterstützte Spindel aus Metall, die traditionell für das Spinnen von Baumwolle verwendet wurde. Heutzutage wird oft eine Münze als Wirtel eingesetzt. Sie ist vergleichsweise schwer und dreht unglaublich schnell. Manchmal hat sie an ihrer Spitze einen Haken (obwohl sie eine unterstützte Spindel ist), es gibt aber auch Modelle ohne Haken.

Collage aus zwei Bildern, die eine grüne Tahkli-Spindel zeigen mit Laufschale und Punis aus macchiato-farbener Baumwolle
Meine Tahkli ist eher eine moderne Ausführung mit viel Bling. Mit ihr zu spinnen macht einfach nur Spaß.
Nahaufnahme Tahkli mit senfgrüner Baumwolle in einer Holzschale.
Meine Tahkli von unten und ganz nah.

Eine Charka ist eine Art Spindelrad in Buchformat – man kann sie neben sich auf den Boden oder den Tisch stellen, mit einer Hand das Antriebsrad betätigen und mit der anderen Hand die Fasern ausziehen. Das erfordert einiges an Übung, weil man nur die eine Hand hat, um den Drall zu verteilen. Auch die Charkha wurde speziell für das Spinnen von Baumwolle entwickelt. (Zu diesem Thema könnte ich noch sehr viel tiefer gehen – das verschiebe ich aber auf einen anderen Blogartikel.)

(Bei Holzwolly gibt es Charkhas zu kaufen, die regional hergestellt werden.)

Wer weder Tahkli noch Charkha hat, kann natürlich trotzdem Baumwolle spinnen. Man braucht im Grunde nur etwas, was schnell genug dreht und somit ausreichend Drall produzieren kann. Das kann eine schnell drehende unterstützte Spindel sein (z. B. mit einem kugelartigen Wirtel), oder aber ein ganz normales Spinnrad. Ich habe 2019 beim Treffen der Handspinngilde einen Kurs zum Baumwolle Spinnen belegt, und wenn ich mich recht erinnere, so hat die Kursleiterin all ihre Baumwoll-Garne auf ihrem Spinnrad bei 18:1 gesponnen, das war die höchste Übersetzung für ihr Rad. Sie musste eben nur öfter treten, bis genug Drall auf den Fäden war. Wichtig ist nur, den Einzug so weit wie möglich zu reduzieren, damit der Faden dabei nicht reißt.

Für manche Räder gibt es auch spezielle Spinnköpfe, sogenannte Spinn-Dorne oder Spindel-Köpfe. Sie haben meist eine sehr hohe Übersetzung (der für mein Lendrum hat 6:1, 25:1 und 37:1) und können entsprechend viel Drall erzeugen. Man spinnt darüber im Grunde wie mit einer unterstützten Spindel. Das bedeutet: man muss zum einen selber aufwickeln (es ist ja kein Flügelmechanismus vorhanden, der das erledigt), zum anderen muss man, genau wie bei einer Spindel, vor dem Aufwickeln des Fadens kurz die Drehrichtung ändern. Da man hier jedoch die „Spindel“ mit den Füßen antreibt, muss man sein Rad mit den Füßen gut unter Kontrolle haben, um immer in die gewünschte Richtung drehen zu können. Dafür hat man (im Gegensatz zur Charkha) beide Hände frei zum Ausziehen des Fadens.

Macchiato-farbene Baumwolle auf dem SPinndorn eines Lendrum Spinnrades.
Blick von oben auf den Spinndorn meines Lendrum DT. Im Hintergrund sind die Tritte und das Rad zu sehen – der Dorn zeigt also direkt auf mich beim Spinnen. Anfangs war das ein kleines bisschen scary.

Am liebsten spinne ich mit meiner Tahkli – meine ist einfach total schön und ich komme in einen schönen Rhythmus mit ihr. Die Laufschale klingt in einem schönen Ton, wenn ich mit der Spindel dagegenkomme, das mag ich sehr. Das Spinnen am Spinndorn war am Anfang sehr gewöhnungsbedürftig. Ich kam damit nicht sehr gut zurecht und fühlte mich immer regelrecht aufgespießt, weil der Dorn ja direkt auf mich zeigt. In Vorbereitung für diesen Artikel hab ich ihn nochmal hervorgeholt und probiert, und siehe da – nach einiger Übung ist das mittlerweile auch nett. Das Dranbleiben hat sich also gelohnt!

Die Faservorbereitung: Kapsel, Flocke oder Kardenband?

Baumwolle kommt üblicherweise in drei Formen in den Handel: direkt als „Blüte“ (eigentlich ist es ja die aufgeplatzte Samenkapsel, es sieht aber aus wie eine Blüte), in einer Art Flocke (entkernte Fasern), und als Kardenband. Das Spinngefühl ist bei allen dreien etwas unterschiedlich (dazu weiter unten mehr).

Spinnen aus dem Kardenband

Meine ersten Versuche, Baumwolle zu spinnen, machte ich mit (gefärbtem) Kardenband. Das Ergebnis waren allerdings eher so Dick-Dünn-Garne. Durch die kurzen Fasern hatte ich schnell zu viel Drall, der auch in den Faservorrat gelangte. Dadurch blockierten die Fasern sehr schnell und der Faden wurde sehr ungleichmäßig. Baumwollfasern verhalten sich eben wirklich komplett anders als Wollfasern.

Ich ging relativ schnell dazu über, das Kardenband zusätzlich aufzubereiten, um mir das Spinnen zu erleichtern – ich stellte Punis her. Punis sind mit Handkarden gedrehte Röllchen, ähnlich wie Rolags, aber kleiner und fester. Der zusätzliche Verarbeitungsschritt kostete zwar Zeit, aber ich erhielt ein deutlich gleichmäßigeres Garn.

weiße Baumwollpunis in einer Holzschale mit Tahkli auf Terrassensteinen mit Ahornblatt als Dekoration.
Eine Schale voller Punis, eine leere Tahkli.

Nach einem guten Jahr habe ich noch einmal versucht, aus Kardenband zu spinnen – und siehe da: Es ging viel besser! Entweder war dieses Kardenband besser aufbereitet als das, was ich zuerst verwendet habe, oder aber meine Spinnfertigkeit hat sich deutlich verbessert. Oder beides 🙂 . Wie bei eigentlich allen Dingen lohnt sich beim Baumwolle-Spinnen also das Dranbleiben (oder das Weglegen-und-später-wieder-Rausholen).

Eine Möglichkeit habe ich mit Kardenband noch nicht ausprobiert: das Um-die-Ecke-Spinnen. Das ist eine Technik, die man manchmal bei unterstützten Spindeln oft automatisch macht. Der beim Spinnen entstehende Faden wird dabei nahe der Spindel oder nahe am Rad so um einen Finger geführt, dass der Finger eine Art Mini-Drall-Sperre darstellt. So hat man die Möglichkeit hat, noch besser zu kontrollieren, wie viel Drall Richtung Faserhand gelangt.

Es wird auch immer wieder gesagt, dass es eine bevorzugte Faserrichtung im Kardenband von Baumwolle gibt. Wenn Du also am einen Ende des Kardenbands Probleme hast, nimm einfach mal das andere Ende, vielleicht läuft es dann besser. Ich selbst habe da noch keinen Unterschied verspürt, aber vielleicht hilft Dir dieser Kniff weiter.

Vom Samen abspinnen

Das Abspinnen vom Samen ist (für mich) die ursprünglichste Art, Baumwolle zu spinnen. Sie erfordert keine Faservorbereitung und man kann direkt loslegen. Wenn man eine Blüte vor sich hat, erfühlt man mit den Fingern der Faserhand den Kern und hält ihn sehr fest zwischen Daumen und Zeigefinger. Dann streicht man mit der anderen Hand die Fasern vom Kern nach außen und flufft sie etwas auf. Anschließend kann man die Spindel an die Fasern anlegen und sie einfach abspinnen, bis der Kern komplett freigelegt ist.

In einem Baumwoll-Spinnkurs beim Handspinngildetreffen 2019 habe ich mal Baumwolle auf diese Weise gesponnen. Zwar musste ich etwas probieren, bis ich den Dreh raus hatte, aber dann funktionierte diese Variante für mich am allerbesten. Der Faden wurde mit dieser Methode am gleichmäßigsten und auch am dünnsten.

Spinnen aus entkernten Flocken

Neben Kardenband und den Samenkapseln gibt es auch entkernte Flocken zu kaufen. Das war auch die Form, in der meine natürlich pigmentierten Varianten von der Handspinngilde kamen. In den Flocken liegen die Fasern sehr klumpig und komprimiert vor, sodass ich solche Fasern immer noch einmal aufbereite zum Spinnen. Die beste Vorbereitungsart für mich ist das Kardieren und die anschließende Herstellung von Punis.

Vier Häufchen farbige Baumwollfasern in senfgrün, macchiato, weiß und chocolate auf schwarzem Untergrund.
So sahen meine Baumwollfasern aus. Von links oben im Uhrzeigersinn: Macchiato, weiß, chocolate, senfgrün.

Kardieren und Herstellen von Punis

Für das Kardieren von Baumwolle werden spezielle Karden angeboten. Diese sind breiter als „normale“ Handkarden, dafür aber nicht ganz so tief. Da die Fasern recht fein sind, ist auch der Kardenbelag sehr fein und dicht mit ca. 200 tpi. Ich verwende auch gerne die kleinen Karden von Louet (die mit 110 tpi). Die Punis werden zwar kleiner, aber meine Handgelenke werden nicht so belastet.

Beim Kardieren musste ich feststellen, dass ich etwas andere Bewegungen machen muss als beim Kardieren von Wolle. Meine Karden sind leicht gebogen, und wenn ich Schafwolle kardiere, führe ich schaukel-artige Bewegungen aus, um die Fasern von der einen auf die andere Karde zu übertragen. Weil die Baumwollfasern aber ganz anders und vor allem viel kürzer sind, funktioniert diese Schaukelbewegung nicht wirklich. Stattdessen muss ich eher eine gerade, horizontale Streichbewegung machen (wie man sie vielleicht von geraden Karden kennt) und die Fasern oft von einer auf die andere Karde abstreichen.

Auf youtube gibt es dazu einige Videos, mit hat dieses hier sehr geholfen. (Am Ende des Artikels findest Du weitere Links zu hilfreichen Videos).

Während Rolags einfach nur mit einer Karde von der anderen abgerollt werden, benutze ich für die Herstellung von Punis zwei lange Metallstricknadeln Gr. 3 mm, zwischen denen ich die Fasern einklemme, um sie dann abzudrehen. Je nachdem, wie fest ich drehe, werden auch die Punis fester oder weniger fest. Hierbei ist Übung und Fingerspitzengefühl erforderlich, denn wenn die Punis zu fest werden, kann ich sie nicht gut spinnen und es ergeben sich Klumpen. Baumwolle ist nicht elastisch und springt nicht zurück. Der Faden wird nur so fluffig, wie die Punis gedreht sind.

Ein Rolag aus Coburger Fuchs Wolle und ein weißes Puni liegen auf einem Lattentisch. Das Puni ist deutlich kleiner als das Rolag.
Größenvergleich von Puni und Rolag. Den (das?) Rolag habe ich aus Coburger Fuchs gemacht. Ein Puni ist im Vergleich dazu echt winzig.

Das Spinngefühl: Trocken und raschelnd

Baumwollfasern sind trocken und rascheln leicht beim Ausziehen, das war am Anfang für mich gewöhnungsbedürftig – es hörte sich einfach merkwürdig an.

Baumwolle enthält auch kein Fett wie Wolle, dadurch ist das Spinngefühl ein ganz anderes. Die Balance zu halten zwischen zu viel und zu wenig Drall ist viel schwieriger (für mich jedenfalls), da die Fasern auf eine andere Art und Weise aneinander vorbeigleiten. Tierische Fasern vergleichbarer Länge (z. B. Yak oder Kaschmir) konnte ich anfangs viel besser verspinnen, da sie der Wolle ähnlicher sind.

Die feinen Fasern lassen sich sehr dünn ausziehen und brauchen wirklich viel Drall, um zusammenzuhalten. Wenn zu wenig Drall auf dem Faden war, dann ist es mir oft passiert, dass der gesponnene Faden schon reißt bzw. sich auflöst, wenn ich ihn einfach nur von der Spule umgespult habe (in Vorbereitung auf das Zwirnen). Einen gerissenen Baumwollfaden wieder mit sich selbst zu vereinen ist leider nicht so leicht wie bei Wolle (zumindest für mich nicht). Also lautet mein Motto beim Baumwolle spinnen: im Zweifel noch ein bissel Drall drauf!

Im Zweifel immer noch ein bissel Drall drauf.

Mein Motto beim Baumwolle Spinnen

So spinnen sich die einzelnen Farbvarianten

Und nun war ich ja wirklich gespannt: unterscheiden sich die farbig gewachsenen Baumwollen von der weißen beim Spinnen? Und welche Garnstruktur wäre die beste? Ändert sich die Farbe beim Finish?

Ich hatte vier verschiedene Varianten zur Verfügung: Macchiato, Chocolate, Senfgrün und Weiß. Jede von ihnen fühlte sich etwas anders an und ließ sich etwas anders spinnen. Die Stapellänge war bei allen aber sehr ähnlich ( wie gesagt um die 2 – 4 cm).

Punis aus farbig gewachsener Baumwolle in chocolate, macchiato, senfgrün und weiß.
Punis von jeder Farbe. V.l.n.r. chocolate, macchiato, senfgrün, weiss.

Die Macchiato-farbene Baumwolle war recht fest und trocken, die Fasern hielten ganz gut zusammen und ich konnte mit ihnen schöne feste Punis herstellen. Es waren nur wenige Pflanzenreste enthalten. Nach den ersten 20 g habe ich irgendwann auch einen einigermaßen dünnen und gleichmäßigen Faden hinbekommen.

Die senfgrüne Baumwolle hingegen fühlte sich glatt, fast schon flutschig, und sehr seidig an. Die Fasern flogen sehr leicht weg beim Kardieren und die Karden waren sehr schnell überladen. Für einen Kardierdurchgang brauchte ich deutlich weniger Fasern als für die Macciato-farbene. Zwei kleine Punis wogen zusammen 0,7 g (und dabei war eines der Punis schon etwas übergewichtig). Die senfgrünen Fasern enthielten sehr viel Pflanzenreste und Krümel. Das erschwerte das Spinnen, weil ich immer wieder anhalten musste, um die Krümel zu entfernen, und der Faden wurde dadurch auch eher unregelmäßig. Insgesamt war dies die am schwierigsten zu spinnende Variante, aber auch die, die mir am besten gefällt.

Punis und gesponnener Faden aus senfgrüner farbig gewachsener Baumwolle neben einer Tahkli.
Klumpige Punis aus senfgrüner Baumwolle. Auf der Tahkli ist gut erkennbar, dass der Faden auch recht unregelmäßig ist.
Pflanzenteilreste, die beim Spinnen der Baumwolle herausgepickt wurden.
Pflanzenteil-Reste, die ich beim Spinnen aus der Baumwolle herausgepickt habe. Es fühlte sich etwas an wie wenn man im Stau steht – ständig stop and go…

Chocolate-Baumwolle war ähnlich sauber wie die macchiato-farbene. Allerdings waren die Punis in meinen Händen sehr weich, ich habe sie nicht wirklich fest hinbekommen, und sie waren auch irgendwie klumpig. Dadurch wurde der Faden eher unregelmäßig und riss dadurch öfter mal, sowohl beim Spinnen als auch beim Zwirnen.

Zuletzt habe ich die Weiße Baumwolle versponnen. Mit ihr konnte ich die gleichmäßigsten und dünnsten Fäden spinnen. Ob das an der Faser oder meinen mittlerweile verfeinerten Spinnfertigkeiten lag, kann ich gar nicht so genau sagen. Ich glaub, ich spinn zum Vergleich einfach nochmal etwas farbige Baumwolle hinterher… 🙂

Garndesign – 2ply oder cabled?

Da das Spinnen eine ganze Weile dauerte, hatte ich ausreichend Zeit, um mir Gedanken zum Garndesign zu machen. Die Einzelfäden wurden alle relativ dünn, sodass ein klassisches 2fach gezwirntes Garn sehr dünn sein würde. Vermutlich würde ich dafür nur wenige Einsatzmöglichkeiten finden. Aber vielleicht ist es ja stabil genug zum Sticken?

Daneben wollte ich ein stabileres Garn herstellen. Mir sprang sofort sogenanntes cabled Garn in den Kopf (mir ist kein deutscher Begriff dafür bekannt, cablè ist es jedenfalls nicht, das ist was anderes). Cabled Garne sind quasi 4fach gezwirnt (damit wäre mein Garn nicht ganz so dünn) und sehr stabil. Man spinnt zunächst ganz normal Singles in Z-Richtung. Anschließend verzwirnt man diese Singles mit deutlichem Überdrall in Zwirnrichtung (S). Danach führt man mit diesen überzwirnten 2fach-Garnen einen zweiten Zwirnschritt mit sich selbst in Z-Richtung durch.

Cabled Garne sind oft nicht besonders elastisch. Bei Wolle möchte ich die natürliche Elastizität der Faser gerne erhalten, und da ist ein cabled Garn eher weniger geeignet. Baumwolle hingegen ist von Natur aus nicht elastisch. In diesem Fall würde eine cabled-Struktur sich nicht nachteilig auswirken, sondern vielleicht im Gegenteil eher noch den Charakter der Faser unterstreichen (so meine Überlegung). Das wollte ich auf jeden Fall mal ausprobieren.

Also stand fest: aus den Singles stellte ich einen Strang klassisch zweifach gezwirntes Garn und einen Strang cabled-Garn her.

Das Finish – anders als bei Wollgarnen

Baumwollgarne kann man anders nachbehandeln als Wollgarne, man kann sie nämlich kochen. Als überwiegende Woll-Spinnerin kostete mich das allerdings ganz schön Überwindung…

Nach dem Zwirnen habe ich daher alle Garne erstmal nur in heißes Wasser gelegt zum Entspannen. Interessanterweise sind schon dabei die braunen Garne etwas ausgeblutet, das Waschwasser war nach einer Weile braun (zugegeben: Ich hatte die Garne im Waschwasser vergessen …). Heller geworden sind die Garne dadurch aber nicht.

Dann fiel mir wieder ein, dass die Garne ja durch Kochen manchmal ihre Farbe verändern. Also nahm ich die cabled-Garne und kochte sie einzeln ca. 30min in Wasser (ohne Zusätze). Das Kochwasser war bei allen drei farbigen Garnen deutlich gefärbt. Die größte farbliche Veränderung konnte ich beim senfgrünen Garn beobachten, es wurde dadurch viel dunkler. Die beiden braunen Garne veränderten sich hingegen nur wenig.

Und so sahen die Garne aus:

Handgesponnene Garne aus farbig gewachsener Baumwolle in weiß, senfgrün, macchiato und chocolate.
Die fertigen Garne. Die unten liegenden sind die cabled-Garne, gekocht. Darüber liegen die nicht gekochten 2ply-Garne.
Obere Reihe: Collage Garne von farbig gewachsener Baumwolle, ungekocht und gekocht, in macchiato, chocolate und senfgrün. Untere Reihe: entsprechendes Kochwasser.
Die farbigen Baumwoll-Varianten als Garne (oben, gekochter Strang liegt unten) und das zugehörige Wasser nach dem Kochen (unten). V.l.n.r. macchiato, chocolate, senfgrün.

Mein Fazit – ich bin begeistert!

Ich bin absolut begeistert von diesen Farben! Da braucht es gar keine extra Farbe, die Baumwolle bringt alles schon mit. Was man da alles machen kann – macchiato mit chocolate verzwirnen, Gradienten machen, Stoffe weben, Bänder weben mit Mustern …die Möglichkeiten sind schier endlos! Nur stricken, stricken möchte ich mit Baumwolle irgendwie nicht …

Die cabled-Struktur der Garne gefällt mir ganz gut, aber vielleicht würde ich mir nächstes Mal doch die Mühe machen, echte 4fach-Garne herzustellen. Ich mag die glatten Garne doch irgendwie mehr. Um das wirklich beurteilen zu können, muss ich sie aber noch irgendwo einsetzen. Beim Bändchenweben vielleicht?

Baumwolle spinne ich nicht nebenbei. Ich muss mich auf den Drall und auf den Faden konzentrieren, die Faservorbereitung braucht eine gewisse Zeit. Ich werde also nie große Mengen davon herstellen. Aber: meine Hände mussten neue Bewegungen lernen, und dadurch habe ich ein Stück weit besser verstanden, worin der Unterschied zwischen Wolle und Baumwolle besteht. Dieser Versuch hat mir einmal mehr klargemacht, dass es das eine ist, etwas im Kopf zu verstehen – aber es „mit den Händen verstehen“ passiert unabhängig davon, und auf einer Ebene, auf die der Verstand alleine keinen Zugriff hat. An dem Erfahren und Erfühlen eines Themas kommt man beim Spinnen einfach nicht vorbei. Das braucht seine Zeit, und das kann man auch nicht erzwingen.

Ich habe also nochmal etwas von dieser tollen Baumwolle nachbestellt, um weiter damit zu experimentieren. Zum Glück gab es noch etwas, denn ich wüsste sonst gar nicht, wie man in Europa an diese Baumwollvarianten herankommt.

Wie schade auch, dass generell so wenig davon angebaut wird und Eingang in die Industrie findet. Es gibt zwar mittlerweile Stoffe und auch fertige Textilien aus natürlich pigmentierter Baumwolle, aber der Anbau und die Ernte ist offenbar deutlich aufwändiger und somit weniger kompatibel mit etablierten Prozessen in der Industrie. Wer sich näher damit beschäftigen möchte, der folge @vreseis auf Instagram!


Weiterführende Links

Chantis Video zum Baumwolle Spinnen

Chantis Video zum Zwirnen und Fertigstellen von Baumwolle

Chantis Video zum Herstellen von Punis

Katie von Hilltop Cloud Fibres spinnt Baumwolle aus Kardenband (englisch)

noch ein Video von Katie


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