Es ist Sonntag, 21. August, 14 Uhr, und es ist echt heiß. Viel heißer noch als heute früh – die Sonne sticht und die Wolken sehen aus, als würden sie ein Gewitter mitbringen. Schatten ist Mangelware auf dem Tempelhofer Feld, aber ich bleibe trotzdem, denn heute ist Schaftag!

Es gibt in diesem Beitrag leider keine richtig schönen Fotos, irgendwie hatte ich an diesem Tag kein gutes Auge dafür. Nächstes Mal gibt es wieder bessere Bilder!

Ausblick Menschenmenge Tempelhofer Feld Schaftag 2022
Ganz schön was los auf dem Tempelhofer Feld.

Schafe auf dem Tempelhofer Feld

Wusstest Du, dass es auf dem Tempelhofer Feld Schafe gibt? Seit 2019 werden auf dem Tempelhofer Feld Skudden eingesetzt, um das Gelände extensiv zu beweiden und so die Artenvielfalt zu erhalten. Ich hatte irgendwann schon einmal davon gehört, aber da dieser Teil Berlins mit den Öffis fast eine Stunde von meinem Kiez entfernt liegt, komme ich da nur sehr selten vorbei.

Früher wurden hier zweimal im Jahr die Grünflächen radikal abgemäht. Durch diesen Eingriff verloren viele Arten von jetzt auf gleich ihre Rückzugsmöglichkeiten. Heute knabbern hier ungefähr hundert Skudden der Grün Berlin GmbH, betreut von Schäfer Frank Wasem, nach und nach langsam die Wiese klein. So werden diese wertvollen Rückzugsräume für viele Tiere erhalten, weil eben nicht auf einmal die ganze Vegetation weg ist. Das Projekt läuft noch bis 2024 und wird wissenschaftlich begleitet. Wer möchte, kann sich dazu vor Ort informieren (Informationen findet ihr hier auf der Seite der Grün Berlin GmbH).

Wollwasch-Strasse
Eine Wollwaschstraße war aufgebaut, aber leider nicht in Aktion zu beobachten.

Ich vergesse immer, wie weitläufig das Gelände ist, und so bin ich schon etwas fußlahm, als ich auf dem Bereich von Haus 104 ankomme. Es ist ordentlich was los – zwar verläuft sich alles ein bisschen auf dem großen Areal, aber an den Ständen ist man dicht gedrängt. Eine Weberin sitzt an einem Webstuhl auf einem Podest und webt, davor ist ein Tisch, an dem sich Kinder mit kleinen Webrahmen am Weben probieren. Daneben ist eine Wollwaschstrasse aufgebaut, eine ganze Reihe Plastikwannen mit Wasser und Spüli, und davor liegt Rohwolle.

Aktionstisch Naturpigmente Wolkenschafe
Hier konnte man Wolkenschafe basteln.
Wolle färben mit Naturfarben
Es gab auch einen Stand zum Wolle färben mit Naturfarben. Ich weiß leider nicht, ob es nur demonstriert wurde oder ob man auch selber ausprobieren konnte – als ich vorbeiging, war gerade niemand da.

Der Stand, an dem Kinder Filzschnüre herstellen können, ist ebenfalls dicht bedrängt und man muss schon etwas warten, bis man drankommt. Es gibt ein Kinderquiz, Anschauungsmaterial zu Wollen verschiedener Ziegen- und Schafrassen und auch einen Stand mit Wollprodukten der Firma Betten Rieger. Man kann sich zu natürlichen Pigmenten informieren – die Künstlerin Kristin Hensel (drawn with nature) ist auch da (und sehr, sehr beschäftigt). Kinder turnen auf riesigen Strohballen herum, die man sonst nur auf den abgeernteten Feldern liegen sieht.

Box mit Wolle-Fühlproben von verschiedenen Schafrassen
Sehr interessant und toll gemacht: Fühlproben der Wolle verschiedenster Schaf- und Ziegenrassen.

Weiter hinten fahren Kremserkutschen, und die Schafe sind so weit weg, dass es mir heute zu heiß ist, bis dorthin zu laufen. Ich hab auch nicht genug Wasser dabei. (Hinterher habe ich gelernt, dass die Kremserkutschen direkt zu den Schafen fahren – nächstes Mal bin ich schlauer!).

Mein Highlight: die Gesprächsrunde mit Wollexperten

Die Veranstaltung, deretwegen ich eigentlich hier bin, ist die Gesprächsrunde mit Wollexperten aus unterschiedlichen Bereichen. Marco von Nordwolle soll dabei sein, der Schäfer, der für die Skudden hier verantwortlich ist, und auch Frau Rieger von der Firma Betten Rieger aus Görlitz. Leider verspätet sich alles, Windböen pusten ganze Pavillons weg und die Plane von einem Catering-Stand hat es auch entwurzelt. Wahrscheinlich muss da im Hintergrund noch ein bisschen organisiert werden. Kurz nach 15 Uhr ist es endlich so weit: Die Gesprächsrunde geht los und die einzelnen Teilnehmer werden vorgestellt.

Marco Scheel von Nordwolle muss man unter Woll-Verrückten eigentlich gar nicht mehr vorstellen, aber sehr interessant zu lernen: Mittlerweile verarbeitet er die Wolle von 120 000 Schafen im Jahr. Bei geschätzten 3–4 kg Wolle pro Schaf sind das 360 – 480 Tonnen im Jahr. Das ist schon eine Nummer.

Schäfer Christoph Behling ist Skuddenzüchter und hat den Beruf noch zu DDR-Zeiten gelernt. Damals wurde noch auf Wollqualität gezüchtet und Wolle war eine ertragreiche Einnahmequelle für Schäfer. Er achtet (von Berufs wegen) sehr auf die Qualität seiner Wolle, lässt sie zu verschiedenen Produkten verarbeiten und hat selbst keine Probleme, Abnehmer dafür zu finden. Aber er sagt auch: Die meisten anderen Schäfer können das nicht. In der Regel lohnt sich Wollproduktion für Schäfer nur, wenn sie an ein Projekt gekoppelt ist, für das die Wolle produziert wird. Ohne Projekte funktionert es seiner Erfahrung nach nicht.

Schäfer Frank Wasem ist in seiner Berufskleidung da, er ist für die Schafe auf dem Tempelhofer Feld verantwortlich. Er erzählt vom Alltag und von Problemen.

Besonders interessant finde ich die Beiträge von der Künstlerin und Prof. für Architekturbezogene Kunst Folke Köbberling (Achtung: Seite hat kein SSL-Zertifikat). Sie kam mit dem Rohstoff Wolle über einen Schäfer in Berührung, der ihr einen Sack Wolle geschenkt hat. Seitdem setzt sie sich in ihren künstlerischen Projekten damit auseinander, wie man diesen wertvollen Rohstoff bestmöglich einsetzen kann. In ihrem Projekt beim Museum Folkwang in der „grünen mitte essen“ verarbeitete sie die Wolle tonnenweise – als Isolierung, als Schallschutz, unter Reetdächern.

Hand auf einem Skudde-Vlies
Skudde-Vliese zum Anfassen – natürlich musste ich da mal reingreifen!

Es ergibt sich eine sehr angeregte (aber leider viel zu kurze) Diskussion zu vielen wichtigen Punkten im Umgang mit Wolle, die ich euch aus der Erinnerung noch einmal zusammenfasse.

Wollqualität

Die zentrale Frage ist: Was ist gute Qualität? Dabei geht es sowohl um die Feinheit der Wolle als auch um die Sauberkeit. An der Feinheit kann man nur bedingt etwas ändern, vielmehr geht es darum, für die Wolle, die wir haben, den richtigen Verwendungszweck zu finden, findet Marco Scheel. Die Sauberkeit, also wie verkotet, eingestreut oder verklettet die Wolle ist, wird offenbar unterschiedlich gehandhabt. Während Herr Behling berichtet, dass Einstreu und Kot die Qualität der Wolle mindert (und das ist ja auch meine Erfahrung, die meisten Verarbeiter nehmen Wolle mit zu viel Dreck / Einstreu gar nicht erst an), sagt Marco von Nordwolle, dass das so nicht stimmt. Er nimmt auch verstrohte und verkotete Wolle, das können große Wäschereien offenbar sehr gut herauswaschen, und was dann noch in den Fasern ist, wird so stark zerkleinert, dass man es kaum noch sieht. Problematisch würde es erst, wenn man die Wolle dann noch färben wollte, denn Zellulosepartikel (also Heu und Stroh) nehmen Farbe unterschiedlich an und beeinträchtigen so das Färbeergebnis.

Wollwäschereien in Deutschland

Durch sehr hohe Anforderungen an das Abwasser ist es in Deutschland offenbar quasi nicht möglich, eine rentable Wollwäscherei zu betreiben. Daher wird es wohl auch in Zukunft nicht möglich sein, Wolle in großem Maßstab in Deutschland waschen zu lassen, man muss nach Belgien, Moldawien, Polen oder Portugal ausweichen. Offenbar hat Deutschland durch diese höheren Anforderungen einen Standortnachteil. Jetzt kann man sich natürlich fragen: Sind die Anforderungen an das Abwasser in Deutschland zu streng oder in den anderen Ländern zu lasch? Wie machen das Belgien oder Portugal? Ich kann das leider überhaupt nicht einschätzen. Wenn sich da jemand von euch auskennt, schreibt mir gerne oder hinterlasst einen Kommentar!

Bürokratie

Und damit waren wir auch beim Thema Bürokratie. Bürokratie stellt aus Sicht des Schäfers Frank Wasem eine wesentliche Hürde für die Schafhaltung dar. Das reicht von der Verpflichtung zum Anbringen von 2 Ohrmarken pro Tier (eine Anforderung, die es für Schweine z. B. nicht gibt, obwohl viel mehr Schweine als Schafe in Deutschland gehalten werden) bis hin zu der Einstufung von Rohwolle als tierisches Abfallprodukt der Gefahrenkategorie 3, die es z. B. verhindert, dass Wolle verschiedener Schäfer einfach so irgendwo gesammelt werden kann.
(Man kann es machen, aber man braucht dann offenbar eine Genehmigung bzw. Zertifizierung, und diesen Zusatzaufwand können viele Schafhalter und Schäfer einfach nicht leisten, weil es sich nicht rentiert.)

Wasserverbrauch

Marco von Nordwolle wurde gefragt, wie denn der Wasserverbrauch für eines seiner Kleidungsstücke ist – der Verbrauch ist ja bei Baumwolle bekanntermaßen gigantisch hoch. Er nannte die Zahl: 6 Liter. Das ist erstaunlich, finde ich.

Die Zukunft der Wolle

Zum Abschluss kam die Frage auf, wo denn die Teilnehmer die Zukunft der Wolle sehen. Marco Scheel ist es wichtig, dass man Verwendungsmöglichkeiten für Wolle findet, die ihren Eigenschaften entsprechen. Das muss also nicht die Weichheit sein, sondern vielleicht die Isolierfähigkeit. Die ist für die Schafe überlebenswichtig im hiesigen Klima, die haben sie über tausende Jahre verfeinert, die kann man herausarbeiten. So hat Nordwolle zusammen mit Storopack (einer Firma für Isoliermaterial, die eigentlich Styropor verwendet) eine Isolierverpackung entwickelt, in der Wolle zwischen zwei Wellpappe-Schichten eingearbeitet ist. Diese Verpackung ist komplett biologisch abbaubar und soll für den Lebensmittel- und den Pharmabereich eingesetzt werden. (Auf der Website der Firma Storopack konnte ich dazu leider nichts finden).

Für Marco Scheel liegt die Zukunft der Wolle im Hightech-Bereich, weil dort die höchste Wertschöpfung möglich ist. Für die Künstlerin Folke Köbberling und auch Schäfer Frank Wasem ist klar, dass auch die Politik gefragt ist, diverse Hürden abzubauen, damit beispielsweise Rohwolle (also ungewaschene Wolle) auch als Bau- oder Dämmstoff eingesetzt werden kann. Dafür braucht es mutige Menschen, mutige Bauherren, die sich darauf einlassen. Man darf also gespannt sein!


Der Schaftag 2022 wurde gemeinsam veranstaltet von der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher und Klimaschutz, der Grün Berlin GmbH, dem Allmende Kontor, 100 % ThF, Haus 104 und der Feldkoordination.