Ein Blog über Schafe, Wolle und Handspinnen

Wolle Carbonisieren – was ist das?

Neulich habe ich sehr interessante regionale Fasern gesponnen: eine Kreuzung aus Berrichon und Merino. Schöne seidige und lange Fasern, die nicht zu viel Drall mochten, und die sich nach dem Spinnen und Waschen überraschenderweise sehr trocken anfühlten und einen halo entwickelten.

weißes handgesponnenes Garn mit sichtbar enthaltener Einstreu
Überall im Garn waren noch Pflanzenreste enthalten, die mitunter etwas pieksten. Und das war schon, nachdem ich jede Menge raussortiert hatte beim Spinnen!

Allerdings: das Kardenband enthielt eine Menge Einstreu. Alle paar Meter musste ich beim Spinnen anhalten und die Pinzette zücken, damit nicht zu viel davon im Garn landet. Auf den Bildern sieht man es nicht so gut, aber es ist immer noch eine ganze Menge im Garn. Anscheinend hat sich da jemand bei der Schur nicht die Mühe gemacht, eingestreute Vliesteile zu entfernen. Oder die Person wusste nicht, dass das Heu nicht einfach so (und schon gar nicht vollständig) beim Spinnen rausfällt, sondern zu großen Teilen im Garn bleibt.

Nahaufnahme weißes handgesponnenes Garn mit Einstreuresten
Man sieht richtig, wie sich die Pflanzenreste ins Garn eingearbeitet haben.

Im industriellen Maßstab wird Wolle vor dem Spinnen ab einem Gewichtsanteil von ca. 5% Vegetabilien carbonisiert. „Vegetabilien“ sind nichts anderes als Pflanzenreste (Heu, Kletten etc.) und bestehen aus Zellulose. Beim Carbonisieren werden die Fasern durch ein Bad aus verdünnter Schwefelsäure gezogen, getrocknet und anschließend auf ca. 100°C für 10-15min erhitzt. Unter diesen Bedingungen verkohlt die Zellulose, während die Wollefasern einigermaßen säuretolerant sind und diese Prozedur recht unbeschadet überstehen. Die Kohle kann anschließend aus der Wolle ausgeklopft werden.

Wie viel Säure braucht man, um z. B. 1 Tonne Wolle zu carbonisieren? Wäre es nicht viel umweltfreundlicher, die Wolle schon bei der Schur so zu sortieren, dass eingestreute Vliesteile entfernt werden? Oder vielleicht sogar schon bei der Haltung der Tiere darauf zu achten, dass sie sich nicht einstreuen können (wenn man weiß, dass die Wolle in die Garnherstellung gehen soll)?

Hattet ihr schon mal Heureste im Garn? Und wenn ja, wie viel? Macht euch das was aus?


Dieser Beitrag ist zuerst am 27. Januar 2022 auf Instagram erschienen:

Instagram-Beitrag Wolle Carbonisieren

4 Kommentare

  1. Kai

    Servus aus Bamberg.

    Wir verzichten bei unserem Handstrickgarn FRANKENWOLLE bewusst (auch) auf das Karbonisieren. Unsere Schäfer sortieren direkt bei der Schur vor. So müssen wir weniger Schmutzwolle zur Wäsche fahren und können auf diese Chemie gut verzichten.
    Gleichzeitig hat das Garn, vor allem das Ungefärbte, noch den Duft nach Schaf.

    Grüßla vom Kai

    • faserexperimente

      Hallo Kai, ganz genau, wenn man sich vorher die Arbeit macht, kann man hintenraus auch gut Geld sparen! Tolle Garne macht ihr!

  2. Cinzia

    Erstaunlich finde ich tatsächlich eher, dass bei unter 5% aufs Carbonisieren verzichtet wird (bei industriell hergestellter Wolle). Was passiert mit diesen <5%, verschwinden die bei der Weiterverarbeitung vollständig? Ich hätte eher vermutet, dass grundsätzlich Carbonisieren wird.

    Ansonsten kann ich vielleicht eine Erfahrung von meinem geliebten und nun nicht mehr existenten Milchschafhof beisteuern: Dort stand ganz stark im Fokus, dass die Schafe eine möglichst stressfreie Schur haben sollten, also so schnell und reibungslos wie möglich. Zum Sortieren blieb da keine Zeit. Sie waren aber auch in der glücklichen Lage, ihre Wolle unsortiert zu einem kostendeckenden Preis abgeben zu können.

    Das, was ich noch von der Wolle hier habe, ist ziemlich stark mit Einstreu durchsetzt, aber seit ich sie kämme, habe ich kein Problem mehr damit.

    Und auch meine gekauften Kammzüge waren nicht 100% frei von Einstreu (also vermutlich nicht carbonisiert), aber wirklich nur minimal verunreinigt, so dass es beim Spinnen kaum stört.

    • faserexperimente_

      Hallo Cinzia,

      ich vermute, es ist immer auch ein Abwägen zwischen Aufwand, Wollschädigung und Nutzen, und unter 5% ist vielleicht der Schaden an der Faser bzw. der Prozessaufwand zu hoch. Jeder zusätzliche Prozess-Schritt kostet eben auch Geld. Beim Handspinnen hat man immer den Vorteil, nach eigenem Ermessen Aufwand zu betreiben, im industriellen Umfeld spielen aber andere Faktoren eine Rolle.

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