Ein Blog über Schafe, Wolle und Handspinnen

Kategorie: Randnotizen

Hier erscheinen kurze Texte zu allen Themen des Blogs – leine Recherche, keine Erklärung, keine Anleitung. Nur Gedanken und Beobachtungen.

Ein Flachs-Workshop im Wandelgrund (und warum Kurse mir manchmal mehr bringen als youtube-Videos)

An einem sonnigen Februarwochenende war ich in Dresden, wo der Verein Werk & Wandel e.V. auf dem Wandelgrund einen Workshop zum Thema Flachsanbau und -verarbeitung organisiert hat. Gehalten wurde er von Christiane Seufferlein vom Verein Bertas Flachs.

Was soll ich sagen?

Es. War. Großartig.

Wieder einmal habe ich gemerkt, wie himmelweit der Unterschied ist zwischen „Ich habe etwas mit dem Kopf verstanden“ und „Ich habe es mit eigenen Händen und am eigenen Körper erfahren“. Zwischen „Ich hab mir ein paar Videos angeschaut und es nachgemacht. War gar nicht so schwer.“ und „Ich habe einen richtig guten Kurs besucht und einen Aha-Moment nach dem anderen gehabt“.

Kathrin sitzt im Garten auf einem Stuhl, vor ihr steht eine Hechel. In der linken Hand hält sie ein Bündel Leinenfasern und hechelt. Photo Credit: Ulrike Kohn
Hier hechele ich gerade ein Bündel Fasern. Das Foto wurde mir freundlicherweise von Ulrike Kohn zur Verfügung gestellt.

Obwohl ich letztes Jahr ja schon mal den sprichwörtlichen Zeh in die Flachsverarbeitung gehalten habe (ich berichtete hier und dort auf Instagram), hat sich mir erst am Wochenende die Flachs-Welt so richtig offenbart. 

Flachs ist nicht nur Faserpflanze. Flachs verbindet Menschen, auch über hundertfünfzig Jahre nach seinem Anbau. Er war Lebensversicherung für Frauen, wenn sie in Notlage kamen, konnten sie den Flachs verkaufen. Wolle kann man zur Not noch alleine verarbeiten, aber beim Flachs (insbesondere bei mehr als einer Handvoll) braucht es eine Gemeinschaft.

  • Raufen.
  • Trocknen.
  • Rösten,
  • Trocknen.
  • Brechen.
  • Schwingen.
  • Hecheln.
  • Ribben.
  • Spinnen.
  • Weben.

Für das Brechen, Schwingen, Hecheln und Ribben braucht es spezielle Werkzeuge und manchmal sogar eine spezielle Feuerstelle. Das kann kein Mensch ganz alleine machen. Vielmehr hat man sich zusammengetan und reihum den Flachs von jedem Hof des Dorfes verarbeitet. Für meine Handvoll Fasern habe ich einen ganzen Nachmittag gebraucht.

Flachsverareitungswerkzeuge und kleine Zöpfe liegen auf einem Gartentisch (Aufsicht).
Diverse Flachsverarbeitungswerkzeuge, die wir verwendet haben. Handkarden zum feinhecheln von Zöpfen (oben rechts), ein Werkzeug zum Schwingen (unten links), eines zum Weichklopfen (Mitte rechts). Und die Zöpfe glänzen richtig in der Frühlingssonne.
Ein kleiner Flachszopf liegt auf einer ausgestreckten Hand. Im Hintergrund: Rasen und ein Obstbaum.
Mein erster frisch gebrochener, geschwungener und gehechelter Flachs. Was für eine Arbeit. Und was für ein schönes Gefühl, diesen Zopf in der Hand zu halten!

Was mir gar nicht so klar war: Flachs wird über die Jahre immer feiner, weil das, was man für eine „Faser“ hält, oftmals ein Bündel Fasern ist, das durch Pektine und Gummis zusammengehalten wird. Erst über die Jahre wird dieser „Kitt“ abgebaut und legt die Fasern frei. Wer also Unterwäsche machen wollte, legte den Flachs erst mal 20 Jahre auf die Seite. Bei Wolle ist das ja anders: Da liegen die einzelnen Fasern von Anfang an vor.

Zwei alte  Flachszöpfe in einer Hand, ein größerer, noch ungehechelt, ein kleinerer, frisch gehechelt und glänzend.
Ein alter Flachszopf, frisch aufbereitet. Unten: vor dem Aufbereiten, der kleine Zopf oben ist frisch gehechelt.

Der heute bei Handspinner*innen so beliebte Langflachs wurde von den Frauen damals allerdings nur ein paar Mal im Leben überhaupt versponnen – er kam ja in die Brautkisten der Mädchen und war ihre Lebensversicherung. Wenn es hart auf hart kam, konnte die Frau den Flachs verkaufen und musste so nicht hungern. Die allermeiste Zeit wurde überwiegend Werg versponnen – für Säcke, Scheuertücher, Heutücher … Arbeitstextilien eben.

Die krasseste Erkenntnis: Alles, was man als Handspinner*in heute an Flachszöpfen kaufen kann, ist alt – und es werden keine neuen Zöpfe mehr für den Verkauf an Handspinner*innen produziert. Flachsanbau für Handspinner*innen passiert im Grunde nur noch für den Eigenbedarf. Und damit verschwindet auch das Wissen um den Anbau und die Verarbeitung. Auch viele regionale Flachs-Varianten sind dem Saatgut für industriell gut verarbeitbaren Flachs gewichen.

In diesem Workshop haben wir nicht nur unglaublich viele Inhalte und spannende Geschichten von Christiane bekommen, sondern wir haben auch besprochen, wie man den Flachsanbau und die -verarbeitung wieder bekannter machen kann. Dazu wird demnächst auf dem Wandelgrund Flachs angebaut, und es sind Mitmach-Aktionen geplant, die den Flachs und Leinen erfahrbar machen sollen. Denn: Flachs ist ein Community-Projekt. Ich freu mich drauf!

Mona und Ulrike vom Projektteam haben einen schönen Blogartikel dazu geschrieben, schau gerne dort vorbei.

Spinnen im Film – eine Premiere bei der Berlinale 2024

“Ihre ergebenste Fräulein” , ein Film von Eva C. Heldmann

Ich bin ja nicht so ein Cineast, aber als ich eine Einladung zu einer Filmpremiere auf der Berlinale 2024 bekam, habe ich keine Sekunde gezögert. Und so fuhr ich an einem frühlingshaften Februartag zum Haus der Kulturen der Welt, um mir den Film anzusehen. Was das mit Wolle und Spinnen zu tun hat? Na, in besagtem Film haben mein Spinnrad und meine spinnenden Hände einen Auftritt!

Blick auf das Haus der Kulturen der Welt an einem bewölkten Tag. Im Vordergrund eine Blumenrabatte.
Das HKW am 16.2.24. Na, könnt ihr den roten Berlinale-Bären oben auf der Treppe erkennen?

Lasst uns nochmal kurz zurückspulen: Letztes Jahr kontaktierte mich die Filmemacherin Eva C. Heldmann über die Handspinngilde. Sie arbeitete an einem Film und suchte jemanden, der ihr das Spinnen zeigen konnte. Wir trafen uns auf einen Kaffee und es entspann sich ein sehr interessantes Gespräch über das eigentliche Sujet des Filmes: Catharina Helena Dörrien. Sie war eine Dame gehobeneren Standes, die im 18. Jhd in Frau Heldmanns Heimatstadt Dillenburg als Botanikerin, Malerin und Pädagogin lebte und wirkte. Für den Film war Frau Heldmann auf der Suche nach Informationen und bewegten Bildern rund um das Thema Spinnen.

Mädchen und Frauen wie Catharina Helena Dörrien war es damals im 18. Jhd. nicht möglich, eine ähnlich umfassende Ausbildung zu bekommen, wie sie für Jungen vorgesehen war. Dennoch eignete sie sich viel Wissen selbst an, indem sie im Unterricht ihrer Brüder anwesend war und sich die Lehrinhalte (u.a. Latein) durch aufmerksames Zuhören und ein phänomenales Gedächtnis einprägte. Sie fertigte in ihrer späteren Arbeit über 1400 unglaublich präzise und detailgetreue farbige Zeichnungen von Pflanzen aus ihrer Umgebung an und erhielt dabei viel Unterstützung von ihrem Arbeitgeber (dessen Kinder sie unterrichtete).

In den Film fanden aber nicht nur Zeichnungen, Briefe und pädagogische Schriften von Frau Dörrien Eingang, sondern auch in dieser Zeit veröffentlichte fürstliche Erlasse der damals Herrschenden. Und dabei ging es dann auch um das Spinnen: zum einen als eine für Mädchen und Frauen damals schickliche Tätigkeit, zum anderen als eine Art Zwangsarbeit für Waisenkinder oder säumige Steuerzahler.

Blick auf eine Kinoleinwand mit einem Still von der Berlinale 2024.
Kurz vor Beginn der Premiere im Kinosaal des HKW. Während der Aufführung habe ich natürlich keine Aufnahmen gemacht.

Der Film war ganz anders als alle Filme, die ich bislang gesehen hatte. In den Bildern sieht man Dillenburg (den Wirkort von Frau Dörrien) heute, viele schöne Nahaufnahmen von Blumen und Gräsern und an einer Stelle auch meine Hände beim Spinnen. Darübergelegt sind Stimmen, die aus einem Brief der Frau Dörrien vorlesen bzw. im Kontrast dazu aus fürstlichen Erlassen. Es wurden offenbar ziemlich viele Erlasse veröffentlicht – zur Versorgung von Armen, zur Vertreibung nicht gewünschter Personen, ein Verbot von Spinnstuben als Orte des Lasters betreffend. Ein Erlass widmete sich der Einrichtung von Spinnschulen, in denen z. B. Waisenkinder oder mit Abgabenzahlungen im Rückstand befindliche Menschen zwangsweise spinnen (lernen) mussten. Diese Erlasse warfen ein ziemlich gruseliges Bild auf diese Zeit und was es bedeuten musste, dort zu leben und nicht zu der erwünschten Schicht Menschen zu gehören. Als ordentlicher Bürger in dieses Land aufgenommen zu werden, war mit hohen Hürden versehen. Selbst eine Ehe mit einer dort sesshaften Person führte bei einer Ablehnung des Aufnahmeantrags nur dazu, dass auch die Eheperson mit dem Antragsteller ausreisen musste.

Und zwischendrin erkannte ich das Klackern meines Spinnrades und meinen manchmal etwas gesprächigen Knecht, die als Tonspur über einige Bilder gelegt waren. Sogar das Geräusch, wie der Woolee Winder den Faden aufzieht, habe ich erkannt 🙂

Still aus dem Film "Ihre ergebenste Fräulein" von Eva C. Heldmann. Nahaufnahme meiner spinnenden Hände am Spinnrad mit einem englischen Untertitel.
Dieses Still aus dem Film „Ihre ergebenste Fräulein“ wurde mir freundlicherweise von Frau Eva C. Heldmann für diesen Blogbeitrag zur Verfügung gestellt.

Der Film ist eher zart und zurückhaltend, er lässt die Bilder und Zitate sprechen und liefert mir als Zuschauerin keine direkten Wertungen. Dadurch hat er bei mir viel nachgewirkt und mich zum Nachdenken angeregt. Während des Films habe ich natürlich aus Urheberrechtsgründen keine Aufnahmen machen können, aber ihr könnt euch vielleicht selbst noch ein Bild machen. Der Film läuft noch am 21.02.24 und am 25.02.24 auf der Berlinale.

Das Beitragsbild für diesen Artikel ist ein Gemälde von Friedrich Ludwig Hauck (1718-1801) – Portrait of Catharina Helena Dörrien by F. L. Hauck, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=91034735

Wolle Carbonisieren – was ist das?

Neulich habe ich sehr interessante regionale Fasern gesponnen: eine Kreuzung aus Berrichon und Merino. Schöne seidige und lange Fasern, die nicht zu viel Drall mochten, und die sich nach dem Spinnen und Waschen überraschenderweise sehr trocken anfühlten und einen halo entwickelten.

weißes handgesponnenes Garn mit sichtbar enthaltener Einstreu
Überall im Garn waren noch Pflanzenreste enthalten, die mitunter etwas pieksten. Und das war schon, nachdem ich jede Menge raussortiert hatte beim Spinnen!

Allerdings: das Kardenband enthielt eine Menge Einstreu. Alle paar Meter musste ich beim Spinnen anhalten und die Pinzette zücken, damit nicht zu viel davon im Garn landet. Auf den Bildern sieht man es nicht so gut, aber es ist immer noch eine ganze Menge im Garn. Anscheinend hat sich da jemand bei der Schur nicht die Mühe gemacht, eingestreute Vliesteile zu entfernen. Oder die Person wusste nicht, dass das Heu nicht einfach so (und schon gar nicht vollständig) beim Spinnen rausfällt, sondern zu großen Teilen im Garn bleibt.

Nahaufnahme weißes handgesponnenes Garn mit Einstreuresten
Man sieht richtig, wie sich die Pflanzenreste ins Garn eingearbeitet haben.

Im industriellen Maßstab wird Wolle vor dem Spinnen ab einem Gewichtsanteil von ca. 5% Vegetabilien carbonisiert. „Vegetabilien“ sind nichts anderes als Pflanzenreste (Heu, Kletten etc.) und bestehen aus Zellulose. Beim Carbonisieren werden die Fasern durch ein Bad aus verdünnter Schwefelsäure gezogen, getrocknet und anschließend auf ca. 100°C für 10-15min erhitzt. Unter diesen Bedingungen verkohlt die Zellulose, während die Wollefasern einigermaßen säuretolerant sind und diese Prozedur recht unbeschadet überstehen. Die Kohle kann anschließend aus der Wolle ausgeklopft werden.

Wie viel Säure braucht man, um z. B. 1 Tonne Wolle zu carbonisieren? Wäre es nicht viel umweltfreundlicher, die Wolle schon bei der Schur so zu sortieren, dass eingestreute Vliesteile entfernt werden? Oder vielleicht sogar schon bei der Haltung der Tiere darauf zu achten, dass sie sich nicht einstreuen können (wenn man weiß, dass die Wolle in die Garnherstellung gehen soll)?

Hattet ihr schon mal Heureste im Garn? Und wenn ja, wie viel? Macht euch das was aus?


Dieser Beitrag ist zuerst am 27. Januar 2022 auf Instagram erschienen:

Instagram-Beitrag Wolle Carbonisieren

BMEL Studie zur Marktanalyse für deutsche Schafschurwolle

Endlich ist der finale Bericht zu einer Marktanalyse für deutsche Schafschurwolle da. Die Studie wurde 2021 vom BMEL in Auftrag gegeben.

Der Platz reicht hier auf Insta nicht für alles, aber ich zitiere mal aus der Kurzzusammenfassung:

„Bemühungen zur Verbesserung der derzeitigen Situation sollten sich primär nicht auf einzelne Anwendungsgebiete beziehen, sondern so gerichtet sein, dass sie die Infrastruktur fördern und mehrere Anwendungsgebiete gleichzeitig unterstützen. Dann können vereinzelte Nischenprodukte entstehen, die eine möglichst hohe Wertschöpfung generieren.“

„Schafwolle bietet viele Möglichkeiten, wird bisweilen jedoch unter ihrem Wert verwendet und ist wenig bekannt. Um diese Situation zu ändern, bedarf es einer ganzheitlichen und nachhaltigen Umsetzung einzelner Maßnahmen. (…)“

Einige der empfohlenen Maßnahmen:

  1. Handbuch zur Verbesserung und Vereinheitlichung der Wollqualität
  2. Beauftragung und Durchführung einer Klimabilanzstudie zur Herstellung von Schafschurwolle
  3. Prüfung und Bewertung der Realisierbarkeit einer deutschen Wollwäscherei (wobei da wohl schon einiges läuft)
  4. Aufhebung der Einstufung von Schafschurwolle als Material der Kategorie 3
  5. Entwicklung und Realisierung einer Plattform zur Vernetzung aller relevanten Marktteilnehmer

Interessant zum Punkt 4 der Liste: Das Ministerium, das diese Studie in Auftrag gegeben hat, sieht keine Möglichkeit, an der Einstufung von Wolle als Kategorie 3-Material etwas zu ändern, siehe dazu auch die Dokumentation auf Arte (via youtube) und diesen Beitrag von mir.

Und bezüglich Punkt 5 möchte ich auf Fibershed DACH und den Community Space hinweisen. Der Community Space ist genau so ein Ort für alle an der Lieferkette Beteiligten zum Vernetzen, zum unkomplizierten Austausch von Wissen, zum Verbinden von Menschen, die sich gegenseitig unterstützen können.

Hier gibt es die Pressemitteilung zu der Studie.

Endlich ist der finale Bericht zu einer Marktanalyse für deutsche Schafschurwolle da. Die Studie wurde 2021 vom BMEL in Auftrag gegeben.

Foto: N. Paul, Walachenschaf


Dieser Beitrag ist zuerst auf Instagram erschienen.

Feinere und weichere Wolle mit Enzymen?

Vor kurzem sah ich eine Reportage auf Arte (hier nochmal eine aktualisierte Version der Doku), in der es um Schafwolle, Probleme bei der Verwendung und Vermarktung sowie um zwei derzeitige Projekte ging, die Abhilfe schaffen wollen. Es sind großartige Projekte, und auch die Reportage ist wirklich sehenswert.

Ich habe aber auch ein paar Anmerkungen dazu (und @chantimanou hat die meisten davon in ihrer Instagram-Story schon genannt). Ergänzen möchte ich hier etwas zu dem Thema Enzyme.

In der Reportage wird ein Forschungsprojekt der Prickly Thistle mit der Universität Edinburgh erwähnt: Sie möchten durch enzymatische Behandlung kratzige Highland-Wolle wieder weicher machen. Auf dem Bildschirm ist kurz das Wort „Keratinase“ zu sehen.

Was ist das?

Keratinasen sind Enzyme (also natürlich vorkommende Proteine), die Keratin (also der Stoff, aus dem Wolle und Haare sind) komplett abbauen können. Durch geschicktes Timing der Behandlung will das Forschungsteam an der Uni die Fasern nicht komplett verdauen, sondern nur die äußere Schicht „andauen“ und entfernen. Dadurch sollen die Fasern feiner (also ihr Durchmesser kleiner) und sie somit weicher werden.

Sowas kenn ich doch irgendwoher…?

Richtig. Z.B von enzymatischen Verfahren der Superwash-Behandlung. Dabei wird auch mittels Enzymen die äußere Schuppenschicht entfernt, um die Wolle maschinenwaschbar zu machen. Darüber hab ich auch schon mal einen Blogartikel geschrieben.

Macht so eine Behandlung Sinn?

Hmm. Es ist ein zusätzlicher Prozess-Schritt, der nicht ganz billig sein dürfte. Biotechnologische Verfahren sind in der Regel nicht günstig. Enzyme in dem Maßstab herzustellen, dass sie Tonnen von Wolle prozessieren können, ist aufwändig und kostet zusätzliche Energie und Rohstoffe.

Und tut das der Faser wirklich gut? Meine Vermutung: die Wolle ist dann eben ein bissel superwash. Wolle, ja, aber ein bisschen leblos.

Könnte man stattdessen nicht überlegen, mit der vorhandenen Wolle etwas anderes zu machen als Bekleidung? Eine Verwendung finden, die genau zu der Wolle passt, so wie sie ist? Das spart am meisten Ressourcen.


Dieser Beitrag ist zuerst auf Instagram veröffentlicht worden. Hier sind ein paar Gedanken, die dort zu diesem Thema diskutiert wurden (anonymisiert):

  • Man muss auch mit der Realität arbeiten: deutsche bzw. generell gröbere Wolle hat nun mal einen schlechten Ruf beim Verbraucher und wird daher nicht nachgefragt. Wenn also die enzymatische Behandlung dazu führt, dass die Nachfrage steigt, dann wäre das doch ein Schritt in die richtige Richtung.
  • Es kann nicht wirtschaftlich sein, die regionale Wolle, die ohnehin schon nicht mit den Weltmarktpreisen mithalten kann, noch mit teuren Verfahren vermarktungsfähig machen zu wollen. Lieber jede Wolle für ihren Zweck verwenden und bei der Zucht wieder auf Wollqualität achten.
  • Regionale Verwertung statt globaler Textilindustrie anstreben.
  • Gefühlt muss sich alles an feiner Merino messen, obwohl die ja auch nicht für alle Anwendungszwecke geeignet ist.
  • Firmen, die genannt wurden: Vauno, Mährle, Isolana Dämmstoffe, rhool yarns.

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Wolle verbrennen?

Immer wieder begegnet mir in Artikeln und Berichten zum Thema regionale Wolle das Statement, dass Schäfer:innen ihre Wolle verbrennen (müssen), weil sie auf ihr sitzen bleiben. Ich habe das bislang immer so hingenommen. Aber wenn ich mal drüber nachdenke, dann runzle ich die Stirn: Wolle ist doch eigentlich schwer entflammbar und selbstlöschend? So erkennt man sie jedenfalls (unter anderem) beim Flammtest, wenn man nicht weiß, aus welchem Material ein Faden oder ein Stoff besteht.

Woher kommt also ein Satz wie „Schäfer:innen verbrennen ihre Wolle“? Wie machen sie das? Fahren sie damit zur örtlichen Müllverbrennungsanlage? Nimmt die überhaupt tierische Nebenprodukte an? Wenn sie sie auf dem Feld verbrennen – stinkt das nicht ganz übel? Und muss man da nicht immer wieder anzünden, bis alles endlich verbrannt ist?

Kennt ihr Schäfer:innen, die ihre Wolle schon mal verbrannt haben? Habt ihr das selber schon mal machen müssen? Wisst ihr da was drüber?

By the way: es ist wieder #Schafschursaison. Wer also regionale Wolle verarbeiten und vor dem Verbrennen retten möchte: now is the time! Schafhalter:innen in eurer Nähe findet ihr bei den Schafzuchtverbänden eures Bundeslandes. Einfach Mal in die Suchmaschine eures Vertrauens eingeben!


Diesen Beitrag habe ich auf Instagram geteilt. Seitdem habe ich von vielen Menschen gehört, dass sie selbst schon gesehen haben, dass Schafhalter:innen ihre Wolle selbst verbrennen (unter Verwendung von Brandbeschleunigern). Andere fahren zur Müllverbrennungsanlage und lassen sie dort kostenpflichtig (und teuer) entsorgen. Das passiert nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa.

Mir blutet das Herz, wenn ich das höre.

Indigo-Pigmentextraktion aus Färberwaid

Hmmm… Also das war wohl nix.

Angespornt von der Pigmentextraktion aus Japanischem Färberknöterich habe ich versucht, eine äquivalente Extraktion aus Waid zu machen. Eine kurze Umfrage auf Social Media führte zu dem Ergebnis, dass die Prozedur wohl prinzipiell die gleiche ist. Ernten, Wasser drauf, Warten, Blätter raus, Alkalisieren und Belüften, Sedimentieren lassen, fertig.

Nahaufnahme der Blattrosette einer Waidpflanze.
Mein Färberwaid im Juli. Noch nicht besonders groß, aber schön grün.

Also habe ich Ende Juni ein paar äußere Blätter geerntet und eine Extraktion angesetzt. Ein kurzer Blick ins Lehrbuch gab noch den Tipp, dafür mit deutlich wärmerem Wasser (60°C) zu arbeiten, als ich es üblicherweise bei dem Färberknöterich mache.

Allerdings: auch nach 2 Tagen war noch kein metallischer Schimmer auf der Flüssigkeit, und Geruch und Farbe passten auch nicht zu meinen bisherigen Erfahrungen.

Nahaufnahme Fermentation Waidblätter. Die Blätter sind submers, mit einem Stein und einem Brett beschwert. Der Überstand ist bräunlich.
So sah das Ganze nach 2 Tagen aus. Ganz anders als beim Japanischen Färberknöterich.

Also habe ich eine kleine Probe genommen und geprüft, ob es blau wird. Die Flüssigkeit war eher hell und nicht so grünlich (aber beim Waid ist die Farbstoffvorstufe auch eine andere als beim Japanischen Färberknöterich). Und siehe da: Im alkalischen wurde es gelb… definitiv nicht blau.

Collage aus zwei Bildern, die die Farbe des Überstands der Waid-Extraktion zeigen. Links nach Alkalisieren (gelb), rechts vorher (fast farblos).
Gelb. Kein Blau weit und breit.

Zu guter Letzt habe ich dann noch die Probe gemacht, die ich wohl als Erstes hätte machen sollen: Ich habe ein Blatt gehämmert. Der Abdruck vom Waid blieb grün, ein Blatt vom Färberknöterich hingegen wurde vorbildlich blau.

Auf Küchenkrepp gehämmerte Waidblätter. Links ein älteres Blatt, rechts ein jüngeres, kleineres Blatt. Der Abdruck des jüngeren Blattes erscheint blaugrün, der des älteren Blattes nur grün.
Die Hämmer-Probe. Links ein Waid-Blatt, rechts ein Blatt vom Färberknöterich. Im Färberknöterich-Blattabdruck sieht man deutlich den Blaustich, der beim Waid-Blatt abdruck völlig fehlt.

Nun geht es an die Ursachensuche: Vielleicht hätte ich doch ansäuern müssen? Habe ich zu lange gewartet? Im Lehrbuch stand was von 24 h, aber das schien mir deutlich zu wenig.

Da werde ich wohl noch ein wenig experimentieren müssen…

Die Blauholz-Überraschung

Ab und an überkommt mich das Bedürfnis, ganz tief in meiner Ideenkiste zu kramen. Ganz unten am Boden, ein bisschen eingedrückt und verkrunkelt, liegen meistens ein paar Dinge, die quasi zwei Schritte vor dem Ziel liegengeblieben sind. Manchmal war für diese zwei Schritte keine Kraft mehr, und manchmal war die Zeit einfach noch nicht reif. So wie in diesem Fall, als meine Spinnfertigkeit noch nicht ausreichte, um das Garn zu spinnen, das mir vorschwebte.

Aber mal der Reihe nach.

Meine allerallerallererste Erfahrung mit Naturfarben habe ich mit einem Kit gemacht, den Jule von Hey Mama Wolf Yarns vor einigen Jahren im Sortiment hatte. Ich habe die Ausführung mit Blauholz gewählt, und neben allen Zutaten war ein Strang ihres Garns und ein bisschen Kammzug enthalten.
Den ersten Zug habe ich für das Garn genommen. Der entstandene Ton ging etwas ins lila, aber das war fein und erfüllte meine Erwartungen. Die Flotte schien noch nicht erschöpft, und so legte ich anschließend auch den Kammzug hinein. Das Ergebnis war allerdings etwas ungewöhnlich: eine Art hellrosa Teewurstfarbe.

Ein Strang Garn, mit Blauholz lila gefärbt, vor einem Hintergrund aus Terrazzoplatten. Auf dem Strang liegt eine orange-rosa-farbene Probe als Farbvergleich.
Ein Strang Garn in Blauholzfärbung, wie man sie erwartet. Zum Vergleich liegt darauf der Faden, den ich als Spinnprobe gemacht habe – das war die eigentliche Farbe des Kammzuges und des gesponnenen Garnes vor dem Waschen. Irgendwie passend, aber auch…Teewurstfarbe. Zum Glück mache ich Spinnproben, sonst hätte ich keinen Beweis!

Nuja, dachte ich, farblich passt das schon irgendwie zusammen. Muss ich nur noch ein Garn spinnen, das so wird wie das Industriegarn, dann kann ich die zusammen zweifarbig verstricken. Nur waren wie gesagt, meine Spinnfertigkeiten noch nicht so weit, dass ich das hätte umsetzen können. Und so wanderte das Projekt erst mal in die „irgendwann später“-Kiste.

Fast Forward wenige Jahre.

Beim Umschichten meiner Faservorräte kam mir dieser Kammzug wieder in die Hände. Mittlerweile kann ich ganz gut spinnen, sodass ich es mir jetzt zutraute, ein dreifädiges Garn zu spinnen, das ungefähr die Dimensionen von Jules Nr. 3 hat. Den (mittlerweile etwas komprimierten) Kammzug habe ich mit Handkarden zu Rolags gedreht, die ich dann mit einem Hörbuch auf den Ohren schwuppdiwupp versponnen habe. (Wie gesagt, ich war damals nur 2 m vor dem Ziel …). Nur noch schnell das Entspannungsbad, ein bisschen Unicorn FiberWash für die Pflege rein…

Nanu… was ist denn hier passiert?

Als ich das nächste Mal bei der Wasch-Schüssel vorbeikam, staunte ich nicht schlecht: Die rosa Teewurstfarbe war einem Lila gewichen, das nur ein wenig heller war als der Strang aus dem 1. Zug!

Ob da irgendwo eine pH-Abhängigkeit mit reinspielt? Ein kleines Experiment mit Waschsoda und Essigessenz bestätigt meinen Verdacht: Teewurstfarbe im stark sauren, lila im leicht sauren, blau im alkalischen. Wieder was gelernt.

Vier verschiedene Farbproben eines Garns, das mit Blauholz gefärbt wurde. von Links nach rechts: lila Strang (nur in Wasser gewaschen), blauer Strang (alkalisch), helles lila (leicht sauer), orange (stark sauer)

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