Ein Blog rund um Handspinnen, Wolle, Schafe, Naturfarben und Flachs

Kategorie: Unterwegs

Hier gibt es Reiseberichte, Rückblicke, Berichte von Kursen … und eventuell auch vom Patenschaf.

Schafschur in Biesenthal- ein Blick hinter die Kulissen

Eine Schafschur ist ein Kraftakt. Ich habe mich mit Carina, der Schäferin der Schäferei Schöne Schafe in Biesenthal getroffen und mir mal erläutern lassen, was für eine Schur alles organisiert werden muss. Spoiler: Es ist eine ganze Menge. Mach Dir ein leckeres Getränk, stell Dir ein paar Kekse bereit – dieser Artikel ist etwas umfangreicher.

Ganz früh aufstehen, es verspricht ein warmer Tag zu werden. Vor einer Woche waren noch frische 14 Grad, aber jetzt ist der Sommer da: 30 Grad und für später ist Gewitterwarnung angesagt. Hab ich alles gepackt? Sortiertisch, genug Wasser, Sonnenschutz, Hut und Sonnenbrille, dicke Wanderschuhe – alles da, kann losgehen.

Mein Ziel: Die Deponie Eberswalde, wo die Schafe der Schäferei Schöne Schafe von Carina Vogel Landschaftspflege betreiben.

Ich helfe hier seit einigen Jahren regelmäßig bei der Schafschur. Zu so einer Schur gehört allerdings mehr als der Tag der Schur selbst. Im Vorfeld und im Nachgang fallen viele Dinge an, die erledigt werden wollen. Heute nehme ich Dich mal mit und geb Dir einen Einblick, was alles bei einer Schur berücksichtig werden will.

Dafür habe ich mich mit Carina für einen Nachmittag getroffen und mir erzählen lassen, was eigentlich für ein Aufwand hinter einer Schur steckt. Einiges konnte ich mir denken, aber manches dämmerte mir dann erst im Gespräch. Stichwort mental load: eine Schafschur organisieren ist ein veritabler Kraftakt, quasi Tetris für Fortgeschrittene.

Die Vorbereitung und Vorüberlegungen

So eine Schur braucht einiges an Vorbereitung und viele Überlegungen gehen in die Organisation mit ein. Auch wenn der Vergleich ziemlich stark hinkt: das Organisieren eines Kindergeburtstags läuft vielleicht nicht ganz unähnlich ab. Location finden, Termin festlegen, rechtzeitig den Magier buchen, Gästeliste machen, Einladungen verschicken, Hüpfburg aufbauen, Essen besorgen… Schauen wir uns das mal genauer an.

Ein Rhönschaf und ein helles Mischlingsschaf schauen mit den Köpfen durch ein Gatter in die Kamera.
Ein Rhönschaf und ein Mischlingsschaf warten zusammen geduldig, bis sie dran sind.

Interne Terminfindung – der günstigste Zeitpunkt für die Tiere

Bevor Carina den Scherer nach einem Termin fragt, muss sie etliche Faktoren berücksichtigen. Die große Frage ist immer: Welche Tiere müssen wann geschoren werden? Für eine Schur gibt es nämlich günstige und nicht so günstige Zeitfenster. Das richtet sich nach dem Alter, der vorgesehenen Verwendung des jeweiligen Tiers (Schlachtung oder Zucht), der Rasse, den Wolleigenschaften und auch den jeweiligen Gegebenheiten der Schäferei (Anzahl der Tiere, Draußenhaltung oder Aufstallungsmöglichkeit).

Gegebenheiten der Schäferei

Carina hält verschiedene Schafrassen, die ganzjährig auf der Weide stehen. Das beeinflusst den Schertermin maßgeblich, denn die Schafe sollen ja nicht frieren. Eine Schur direkt vor Wintereinbruch macht folglich keinen Sinn, vielmehr brauchen die Tiere ihre Wolle über den Winter und werden erst im Frühjahr geschoren, wenn keine Fröste mehr zu befürchten sind. Wer hingegen einen Stall zur Verfügung hat, stellt ganz andere Überlegungen an. In diesem Fall würden die Tiere geschoren, bevor sie in den Stall kommen, also meist kurz vor Wintereinbruch. So passen zum einen mehr Tiere in den Stall und zum anderen überhitzen sie dort auch nicht.

Wolleigenschaften

Wolltechnisch betrachtet ist der günstigste Zeitpunkt zum Scheren gekommen, wenn die Wolle abgewachsen ist. Ein Wollhaar wächst nämlich übers Jahr verteilt nicht immer gleichmäßig sondern mal schneller und manchmal gar nicht. Das führt dazu, dass die Wolle 1x im Jahr etwas dünner aus der Haut herauswächst und dort quasi eine Art „Sollbruchstelle“ bildet. Besonders ausgeprägt sieht man es bei Schafrassen, die noch einen rudimentären Fellwechsel haben, d. h. die man raufen kann (z.B. Shetlands). Die Wollfasern werden dann an dieser Sollbruchstelle so dünn, dass man sie abreißen („raufen“) kann. Durch diese dünne „Schicht“ kommt auch der Scherer leichter durch – wohingegen er nur wenige cm weit kommt, wenn die Wolle noch nicht abgewachsen und dementsprechend dicht ist. Im Magazin der Handspinngilde gab es mal einen sehr interessanten Artikel dazu („Natürlicher Fellwechsel beim Schaf“, Heft 31 , Herbst 2020) , und die Autorin Irina Böhme hat auf ihrem Blog ebenfalls einen schönen Artikel dazu geschrieben.

Die Coburger Füchse werden bei Carina 1x im Jahr geschoren, für die Wensleydales, die Gotländischen Pelzschafe (GPS) und auch die Rhönschafe ist es besser, zweimal im Jahr zu scheren. Die Wolle der GPS verfilzt leicht und eine „Halbschur“ im Frühjahr und eine im Herbst lohnt sich, um die Wollqualität zu erhöhen. Bei nur einer Schur im Jahr und starkem Wollwachstum ist die Wolle bei diesen Rassen manchmal zu lang für die maschinelle Verarbeitung und die meisten Kardierereien nehmen sie nicht an. Die langen Fasern würden sich komplett um die Walzen wickeln, müssten dann mühsam heruntergeschnitten werden und legen so die Produktion lahm.

Verwendung der Tiere

Lämmer können mit einem halben bis dreiviertel Jahr ebenfalls geschoren werden. Wann das genau eingetaktet wird, richtet sich ein bisschen danach, wann die Lämmer geboren werden und wofür sie gedacht sind.
Sind die Tiere bei Carina für die Schlachtung vorgesehen, werden sie ca. 6 – 8 Wochen vor der Schlachtung geschoren. Dann wächst das Fell noch gut nach und die Lämmer frieren in den ersten kalten Nächten auch nicht. Wichtig ist, dass der Schertermin frühzeitig vor dem ersten Frost liegt (bei Winterdraußenhaltung). Wer einen Stall hat und bei Frost schert, sollte die Tiere anschließend aufstallen, bis wieder etwas Fell nachgewachsen ist.

Durch die Schur vor der Schlachtung wird außerdem der Stoffwechsel der Tiere angeregt und sie nehmen mehr Gewicht zu als ungeschorene Lämmer, das hat Carina über die Jahre beobachtet. Durch die zusätzliche Schur kann sie also insgesamt mit etwas höheren Einnahmen für Fleisch und Wurst rechnen. Wenn sie die Felle der geschlachteten Tiere zum Gerber schicken möchte, ist eine kürzere Wolle ebenfalls hilfreich, denn für einen Gerber ist dieses Fell leichter zu verarbeiten. Felle mit längerer Wolle werden auch verarbeitet, müssen aber aufwändiger gekämmt werden und sind dann dementsprechend teurer in der Herstellung.

Soll ein Schaf jedoch in die Zucht eingehen, gibt es andere Vorgaben. Zuchttiere müssen gekört werden, d. h. sie werden von einem Experten für zuchtwürdig eingestuft und ins sogenannte Herdbuch eingetragen. Wer züchten will, darf für die Zucht nur im Herdbuch eingetragene Tiere miteinander paaren. Andere Paarungen sind auch möglich, aber nur außerhalb des Herdbuchs. Begutachtet wird beim Kören unter anderem auch die Wolle.

Körtermine legt der Schafverband fest und man bringt seine zu körenden Tiere dort hin und lässt sie begutachten. Alle bei einem Körtermin vorgestellten Tiere sollten in etwa vergleichbar lange Wolle tragen. Bei großen Körveranstaltungen wird daher ein Zeitfenster für die Schur vorgeschrieben, meist zwischen 4,5 bis 6 Monate vor dem Körtermin. Ein Lammbock, der im Frühjahr geboren wurde und im Herbst zur Körung geht, muss also nicht geschoren werden. Ein Jährling hingegen sollte für den Herbsttermin demnach im Frühjahr oder Frühsommer geschoren werden, damit er zum Termin wieder ordentlich (aber auch nicht zu viel) Wolle zeigt. Das bedeutet also, dass Carina neben ihrem eigenen Kalender auch den Terminkalender vom Schafzuchtverband im Auge haben muss und die Körtermine für die sie betreffenden Rassen. “Mal eben schnell ein Tier zum Kören bringen” – das funktioniert nicht.

  • Wir fassen zusammen:
  • Coburger Füchse, Ouessant und Shetland: 1x im Jahr im Frühjahr
  • Wensleydale, Gotländisches Pelzschaf und Rhönschaf: 2x im Jahr, Frühjahr und Herbst
  • Lämmer für die Schlachtung im Herbst
  • Jährlingslämmer für die Zucht entsprechend Körtermin.

Daraus ergeben sich also mindestens zwei Schertermine im Jahr, Frühjahr und Herbst.

Terminfindung beim Scherer und den Helfern

Was beim Kindergeburtstag der Magier ist bei der Schafschur der Scherer – ohne den geht nix. Schertermine vergibt der Scherer meist 6–8 Wochen im Voraus und wenn man keinen Stall hat, hoffen alle sehr, dass an dem Tag auch das Wetter hält.

Der Schertermin wird unter Berücksichtigung des Hauptjobs getroffen, den Carina wie die meisten Schafhalter und ihre helfenden Hände ja noch hat. Erf ällt also meistens auf ein Wochenende.

Per Email oder über sonstige Kanäle sammelt Carina übers Jahr Kontakte zu Personen, die gerne helfen würden. Eine Schur ist nämlich Teamarbeit (da geh ich weiter unten noch drauf ein). Einige Wochen vor der Schur werden alle angeschrieben in der Hoffnung, dass einige Personen an dem mit dem Scherer ausgemachten Termin auch wirklich Zeit haben. Schon deshalb ist es gut, wenn es einen möglichst großen Pool an potentiellen Helfern gibt. Eine sehr wichtige und kompetente Helferin ist Carinas Tochter – die beiden sind ein gut eingespieltes Team, da muss nicht viel erkärt werden, jede weiß, was zu tun ist und woran man denken muss.

Die Logistik (oder: Tetris für Fortgeschrittene)

Die größte Herausforderung für Carina ist die Logistik. Sie hat knapp 200 Tiere, Böcke, Mutterschafe und Lämmer. Welche Tiere stehen auf welcher Weide? Welche kann sie wann zum Scherplatz bringen? Wie viele Touren müssen dafür gefahren werden? Wie viele Metallhorden und Zaunelemente werden gebraucht, um die Tiere einzufangen und auf der Scher-Weide Böcke, Lämmer und Muttern getrennt unterzubringen? Sind genügend da oder muss sie welche borgen oder kaufen?

Für die sehr voluminöse Wolle braucht man jede Menge Behältnisse – meist sind es Big Bags oder Müllsäcke, wenn man bestimmte Vliese einzeln verarbeiten möchte. Sind die vom Vorjahr noch ok oder braucht es neue?

Die Schur ist eine gute Gelegenheit, bei der wirklich jedes Schaf mal stillhalten muss und genauer angeschaut werden kann. Daher druckt Carina eine Liste mit den Ohrmarken der Schafe aus, um bei der Schur Notizen machen zu können.

Die Tage vor der Schur

Am Vortag bzw. den Tagen davor müssen die Tiere auf ihren jeweiligen Flächen zusammengetrieben, zum Scher-Ort transportiert und dort sozusagen sortenrein eingepfercht werden. Für den Transport weniger Tiere reicht Carinas Pickup, aber für größere Gruppen mietet sie einen Viehanhänger. Die Größe der Schafgruppen richtet sich immer nach der Kapazität des Viehanhängers – es macht keinen Sinn, 20 Tiere in einer Gruppe zu halten, wenn nur 16 in den Hänger passen (bzw. 15 vor der Schur) und sie dadurch 2x fahren müsste.

Dieses Jahr gab es vier Gatter auf der Scherweide: Böcke, Muttern, weibliche Lämmer, männliche Lämmer. Die Lämmer waren bis zu diesem Zeitpunkt noch bei den Muttern, sollten aber nach der Schur entwöhnt, d.h. auf eine eigene Weidefläche gebracht werden. Weil sie aber mittlerweile schon recht pubertär unterwegs waren, kamen Mädels und Jungs in unterschiedliche Gatter.

Du merkst vielleicht schon: da steckt ein ziemlicher logistischer Aufwand dahinter. Doof, wenn zwei Zaunelemente fehlen und man die Tiere nicht richtig einpferchen kann. Oder wenn nicht genügend Stricke da sind. Oder die Medikamente nach der Hälfte der Tiere zur Neige gehen.

Spätestens am Vortag sollten auch ausreichend Big Bags und Müll-Säcke für die Wolle bereitstehen. Die Schur beginnt meist vor den Öffnungszeiten der Läden, schnell nochmal loszufahren um vergessenes zu holen ist also keine Option.

Zu guter letzt: Carina bereitet immer leckere Brötchen für die Helfer vor, für den Scherer gibt es eine Thermoskanne Kaffee. Die wird aber erst am Schertag gemacht.

Der Schertag

Der Ablauf am Schertag

Scherbeginn ist bei Carina um 9 Uhr. Sie ist aber meist schon deutlich früher vor Ort, um zu checken, dass alle Schafe noch da sind, wo sie sein sollen, dass sie genug Wasser haben, und dass auch sonst alles an Ort und Stelle ist, was gebraucht wird. (Ganz wichtig: Kaffee für den Scherer 🙂 )

In diesem Jahr zeigte sich, dass ein sehr altes, liebes Schaf an diesem Tag umgeben von seiner Herde im Sterben lag. Solche Situationen muss Carina dann den ganzen Tag über mit im Blick behalten und dabei flexibel reagieren. Normalerweise richtet sie es so ein, dass sie sich ganz in Ruhe und privat von dem Tier verabschiedet – aber bei einer Schur ist das nicht machbar. Und so konnte sie nur ab und an checken, ob das Schaf noch lebt und ihm so viel Komfort wie möglich in der Situation zu geben (v.a. Schatten, Wasser). Der Abschied muss dann nachgeholt werden, wenn der ganze Stress vorbei ist. Keine Zeit für Sentimentalität.

Da der Scherplatz im nicht öffentlich zugänglichen Teil der Deponie Eberswalde liegt, müssen die Helfer von ihr eingelassen werden – d. h. sie muss mehrmals kurz vorfahren und sie abholen. Sobald alle da sind, werden der Scherplatz und daneben der Sortiertisch aufgebaut und die Aufgaben werden verteilt (s.u.).

Grashüpfer auf Strohhut
Der Grashüpfer hat sich auf meinem Hut gesonnt.

Zwischendrin werden sinnvolle Pausen eingebaut – niemandem ist geholfen, wenn eine Person mit Kreislaufproblemen umkippt. Es ist genug Wasser und Essen da, nur der Schatten wird immer kleiner. Jeder sucht sich ein Plätzchen, bewundert die Goldammer, die immer mal vorbeischaut, ob vielleicht etwas von dem leckeren Kraftfutter noch übrig ist (war nicht, die Schafe haben alles gefunden…). Ein Grashüpfer sonnt sich auf meinem Hut, Carinas Border Collie jagte noch schnell eine Runde heiße Luft, und alle versuchen, den Lärmpegel auszublenden. Die Schafe sind LAUT, denn Mütter und Lämmer sind in getrennten Gattern und rufen sich ständig, wenn sie sich nicht sehen können. Erst wenn alle geschoren sind und frei laufen, wird es etwas leiser.

Schluss ist entweder, wenn das letzte Schaf geschoren ist oder wenn es anfängt zu regnen. Im Regnen scheren ist nicht gut. Wenn Du wissen willst warum: creme Dir mal die Hände mit Lanolin ein, mach sie dann nass und versuche, einem sich windenden und stark zappelnden zweijährigen Kind eine unangenehme Medizin einzuflössen. Denk Dir dann noch 50-70 kg Schaf und ein scharfes Messer in Deiner glitschigen Hand dazu und Du erkennst: mit Arbeitsschutz hat das nicht mehr viel zu tun.

Wir waren gegen 17:30 Uhr fertig mit Scheren, gegen 18 Uhr war alles abgebaut. Die Hitze und Schwüle hat allen zu schaffen gemacht – 30 Grad und am Schluß knallende Sonne. Während der Scherer und die Helfer nun geschafft von dannen zogen und sich auf ein kühles Getränk und eine Dusche freuten, ging für Carina die zweite Schicht los. Zuerst müssen die Schafe wieder zurück auf ihre ursprünglichen oder auf neue Weiden gebracht werden. Vor allem Muttern und Böcke sollten schleunigst wieder auf getrennte Weiden kommen, aber auch die Lämmer werden jetzt abgesetzt. Sie kommen also auf eine eigene Weidefläche, damit die Muttern sich erholen können von den Strapazen der Lämmeraufzucht. Auch die Wollsäcke müssen von der Weide weggebracht werden, weil die Wolle ja trocken und schädlingssicher aufbewahrt werden soll. Später wird sie noch feinsortiert und aufbereitet für die jeweils vorgesehene Verwendung.

Carinas Schicht war jedenfalls um 23 Uhr zu Ende – über 14 h körperlicher Einsatz. Nach einer 40h-Woche im Büro. Schafe halten ist mehr als nur ein Hobby, kann ich dazu nur sagen.

Die Aufgabenverteilung bei der Schur

Damit die Schur möglichst schnell und reibungslos vonstattengehen kann, gibt es verschiedene Aufgaben, die unter den Anwesenden verteilt werden.

Reguliert den Schaf-Fluss: der Zuführer

Eine Person (oder mehrere) fängt das nächste Schaf im Gatter ein, bringt es in Warteposition und führt es dann dem Scherer zu, sobald der ein Schaf fertiggeschoren hat. Idealerweise ist der Übergang so fließend, dass der Scherer nicht warten muss. Allerdings funktioniert das nur bei sehr routinierten Helfern gut, denn nicht jedes Schaf ist gleichermaßen willig, sich scheren zu lassen. Einige müssen von zwei Personen überredet, geschoben und gezogen werden. Das führt dann zu Verzögerungen, aber ein Schaf lässt sich eben nur schwer von etwas überzeugen, was es nicht will.

Die Hauptperson: Der Scherer

Selbsterklärend. Der Scherer (seltener: die Schererin) macht oft auch die Klauenpflege für jedes Schaf und schaut, ob z. B. Moderhinke vorliegt. Unser Scherer ist eigentlich gelernter Schäfer, hat viel Ahnung und Erfahrung und kann immer Tips geben. Er schert eine Herde oft über viele Jahre und hat so immer ganz viel im Blick.

Unser Scherer steht auf seiner Schurplatte, bekommt das Schaf angereicht, setzt es sich hin, schneidet Klauen und schert die Wolle ab. Die Bauchwolle schubst er meistens gleich von der Plattform, die ist zu kurz und zu verdreckt für eine sinnvolle Verarbeitung und geht direkt in die “Gartenwolle”-Tüte. Danach wird der Rest des Vlieses in routinierten Bewegungen abgeschoren.

Schwierig wird es, wenn das Schaf schwerer ist als der Scherer, und wenn es gleichzeitig unwillig oder kitzelig (oder beides) ist. Dann muss das Scheren unterbrochen werden, bis sich Schaf und Scherer auf ein gemeinsames weiteres Vorgehen geeinigt haben. Das läuft nicht immer zur Zufriedenheit der Schafe ab.

Mädchen für alles – Die Schäferin

Während der Scherer die letzten Vliesteile abschert, legt die Schäferin (also Carina) dem Schaf wieder sein Halsband an (wenn es eins hatte). Damit führt sie es nach der Schur weg und hat es noch so lange im Griff, wie sie z. B. Medikamente verabreichen muss (v. a. zur Ektoparasitenbehandlung und Entwurmung, aber auch zur Desinfektion von kleinen Wunden). Die Schur ist eine prima Gelegenheit, Ohrmarken zu checken, Euter oder vorherige Verletzungen / Heilverläufe zu begutachten und der Helferin mit der Ohrmarkenliste entsprechende Kommentare zuzurufen, die dann beim jeweiligen Schaf auf der ausgedruckten Liste notiert werden.

Eine Frau in Arbeitshose und rotem T-Shirt sitzt in einem Big Bag mit Schafwollvliesen, ein frisch geschorenes Coburger-Fuchs-Schaf bedrängt sie. Die Frau lacht, das Schaf sucht Futter.
Leider etwas unscha(r)f: Carina in der Pause, im Wollsack war noch Platz. Ein sehr handzahmes Schaf wollte von ihrem Brötchen etwas abhaben.

Wolle-Abnehmer

Eine Person ist verantwortlich dafür, die Wolle vom Scherer zum Sortiertisch zu bringen (meist bin ich das). Sie ist nah am Scherplatz, nimmt die gesondert abgeschorene Bauchwolle weg und, sobald es vollständig abgeschoren ist, auch das ganze Vlies in einem Stück, damit der Scherplatz sofort frei ist für das nächste Tier.

Das Vlies wird zum Sortiertisch gebracht, ausgebreitet und “berissen”, d. h. Verunreinigungen wie verkotete, stark eingefütterte oder verfilzte Stellen werden ab- und ausgerissen. Die befinden sich meist entweder im Nacken (Einstreu) oder am hinteren Ende, den Beinen und an der Bauchkante des Vlieses (Ich nenne es immer liebevoll “Bauch-Beine-Po”). Am besten ist es daher, wenn am Sortiertisch zwei Personen arbeiten, an jeder Seite eine – das geht schneller.

Da bis zum nächsten Vlies meist nur 2 min vergehen, ist das kein sehr gründlicher Arbeitsschritt. Schön ist, wenn man es schafft, das Vlies einmal von der Schnittseite und einmal von der Oberseite zu begutachten und auszuschütteln, um Krümel und Nachschnitt zu entfernen, aber das gelingt nicht immer. Für qualitativ hochwertig sortierte Vliese muss dieser Schritt also in Ruhe später wiederholt werden.

Ein fertig berissenes Vlies wird dann von den Seiten zur Mitte eingeschlagen und aufgerollt. Die Vliesrolle wird dann am besten luftig gelagert – aus praktischen Gründen sind es aber meist einfach nur Big Bags. (Auch Müllsäcke oder blaue Taschen vom Möbelschweden eignen sich hervorragend, sollte mal ein Vlies mit nach Hause kommen wollen. Soll ja vorkommen. Hüstel.)

Schmutzige Hand liegt auf der Schurseite eines frisch geschorenen Schafwollvlieses.
So flauschig: die Schurseite eines frisch geschorenen Vlieses.

Aufwand und Nutzen einer Schafschur

Du siehst, so eine Schur ist ein größeres Event mit etlichen Beteiligten. Sie ist auch nicht optional, denn Schafe müssen geschoren werden, das sagt das Tierschutzgesetz und auch der gesunde Menschenverstand. Lass uns doch mal kurz überschlagen, was das so kosten würde, wenn man ein Preisschild dranhängen wollte. (Disclaimer: Das sind nur grobe Überschläge, die tatsächlichen Kosten kenne ich nicht.)

Bei der diesjährigen Schur waren wir 4 Helferinnen, ein Scherer und 2 Familienmitglieder der Schafhalterfamilie. Helferinnen und Scherer waren 8h beschäftigt. Verpflegungskosten lass ich für die Rechnung mal außen vor.

Der Scherer rechnet pro Schaf ab, sagen wir mal, über den dicken Daumen haben wir 100 Schafe geschoren an diesem Tag. Pro Schaf bekommt der Scherer vermutlich 5 Euro (und das ist bei manchen Tieren wirklich hart verdientes Geld), das sind schon mal 500 Euro für den Scherer, plus Anfahrt, sagen wir mal 50 Euro. Macht insgesamt also 550 Euro. (Den Stundenlohn für den Scherer kannst Du Dir selber ausrechnen und überlegen, ob das was für Dich wäre…denk dran, dass das Finanzamt ungefähr die Hälfte haben möchte.)

Dazu kämen, wenn man sie bezahlen wollte, die Helfer. Damit es sich gut rechnet, sagen wir mal 10 Euro die Stunde, das wären 80 Euro pro Helfer, mal vier sind 320 Euro für die Helfer. Familienangehörige machen das ja sowieso gerne und als Hobby und bekommen kein Geld.

Alles in allem würde so ein Tag Schur bei Carina grob geschätzt 550 + 320 = 870 Euro kosten. Tut er nicht, weil die Helfer das komplett ehrenamtlich machen und Carina ja sowieso freiwillig, aber um die Kosten für den Scherer kommt man definitiv nicht herum.

Und was steht auf der Nutzen-Seite? Wie viel bekommt Carina für die Wolle?

Carina hat große und kleine Schafe, manche geben locker 5 kg Wolle, andere höchstens 1 kg. Nehmen wir mal einen Durchschnitt von 3 kg Wolle pro Schaf an, und nehmen wir weiterhin an, dass keines der Schafe komplett verfilzt ist (gnihihi… seufz) und die gesamten 3 kg pro Tier verwertet werden können. Dann wären das bei 100 Tieren 300 kg Wolle, aber von unterschiedlichster Art. Nehmen wir weiterhin an, ein Wollhändler käme vorbei und würde Carina die Wolle abkaufen. Dann würde er vermutlich pro Kilo zwischen 0 und 30 Cent zahlen, je nach Rasse und Farbe. Das wären dann maximal, im besten Falle, wenn er alles zum Maximalpreis kauft, 90 Euro.

Nur leider kommt für so kleine Mengen Wolle (zumal von diversen Rassen) kein Wollehändler vorbei. Carina muss sich also selber um den Verbleib der Wolle kümmern. Andere Schafhalter verbrennen ihre Wolle.

Wir rechnen zusammen: Kosten 870 Euro, Einnahmen 90 Euro.

Fällt Dir was auf? Rechnet sich gar nicht.

Carina steckt trotzdem noch weitere Mühe in die Wolle. Sie sortiert sie in verschiedene Qualitäten, Gartenwolle kann sie direkt abgeben, andere schickt sie zu Dienstleistern zur Verarbeitung, um Kardenbänder, Strickgarne oder Bettwaren daraus herstellen zu lassen. Das bindet natürlich nochmal Kapital (die Kosten für die Verarbeitung muss sie natürlich erst mal vorstrecken) und macht es erforderlich, dass sie auf Märkte geht, um die Produkte zu verkaufen. Sie ist also nicht nur Schäferin sondern auch Verkäuferin.

Wenn Dich die Vermarktung von Deutscher Wolle interessiert, hier habe ich schon mal etwas zu einer Marktanalyse-Studie zu Deutscher Wolle geschrieben.

Frisch geschorenes Schaf frisst auf trockener Wiese unter strahlend blauem Himmel.
Nach der Schur: ab geht’s ins hohe Gras, unter strahlend blauem Himmel.

Fazit: Schafhaltung ist mehr als ein „Hobby“

Schafhaltung, zumindest im Nebenberuf und für kleine Herden, ist also nichts für “mal nebenbei”. Man stellt sich das oft so idyllisch und einfach vor, ein paar kleine Rasenmäher hinterm Haus zu haben, ach wie süß… Aber es steckt richtig viel Arbeit dahinter und gleichzeitig relativ wenig Ertrag. Der Schwerpunkt für den Nutzen von Schafhaltung hat sich im Vergleich zu früher deutlich verschoben.

Schafe wurde jahrtausendelang für drei Dinge gehalten: Fleisch, Milch und Wolle. Fleisch und Milch dienten als Nahrungsquelle, die Wolle der Kleidung. Im heutigen Leben spielen diese Produkte aber eine immer kleinere Rolle. In den letzten paar Jahrzehnten ist noch die Landschaftspflege als Nutzen mit dazugekommen, sie bildet heute einen Großteil der Einkünfte von Schafhaltern. Dass Schafe ganz nebenbei als Samentaxis fungieren, zu Biodiversität und Erhaltung von Genpools beitragen und gleichzeit unsere Kulturlandschaften vor der Verbuschung bewahren, ist uns also erst vor kurzem so richtig gedämmert.

Am Ende unseres Nachmittagsgesprächs, kurz bevor wir zur Weide aufbrechen, bringt Carina noch einen wie ich finde sehr interessanten Gedanken ins Gespräch. Sie sagt: Wolle befriedigt das Grundbedürfnis des Menschen, kreativ und schaffend tätig zu werden, sich auszudrücken und Ideen zu entwickeln.

Wenn man sich also fragt: Welchen Nutzen hat die Schafhaltung, wenn sie so viel Aufwand und so wenig (wirtschaftlichen) Zugewinn bringt? Dann muss man vielleicht über den wirtschaftlichen Nutzen hinaus in den immateriellen Zugewinn gehen, den Schafhaltung bringen kann. Und an den kann man kein Preisschild hängen.

Was passiert, wenn wir damit aufhören, Schafe zu halten, weil es sich einfach nicht rechnet? Abgesehen von Fleisch, Milch und Wolle, die ohnehin keinen riesigen Absatzmarkt haben – was geht dann verloren, was wir nicht auf dem Schirm haben, weil es sich nicht in Zahlen pressen lässt?

Ich für mich weiß jedenfalls, dass Schafe selber halten nichts für mich ist. Stattdessen habe ich ein Patenschaf , helfe bei der Schur und hoffe, dass durch Blogartikel wie diesen hier mehr Menschen wieder eine Verbindung zu regionaler Wolle eingehen können.


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Spinnen an besonderen Orten – Spinnfest der Berliner Spinner auf dem Botha-Hof

Einmal im Jahr veranstaltet unsere Spinngruppe in Berlin ein besonderes Spinnfest. Dazu treffen wir uns in einem etwas größeren Rahmen und laden Spinnerinnen und Spinner von überall her ein, mit uns zusammenzukommen, sich auszutauschen, zu schnacken. Auch die nicht-spinnende Öffentlichkeit ist eingeladen, uns bei unserem Handwerk über die Schulter zu schauen und zu staunen.
Unter dem Motto „Spinnen an besonderen Orten“ versuchen wir etwas ganz Besonderes zu bieten, etwas, das vielleicht zum Ort passt, das man sonst nicht unbedingt zu sehen bekommt oder einfach ein schönes Erlebnis ist.

Dieses Jahr fiel der Termin auf den Mittsommertag. Bei fantastischem Wetter trafen wir uns auf dem Botha-Hof in Ladeburg (bei Bernau). Beate zeigte ihre Wollwaschmethode, Martina hatte eine Färbestation aufgebaut und zeigte Färben mit Krapp, Zwiebelschalen und Blutpflaume. Bei Meike konnte man filzen, bei Carina und Manon Fasern kaufen und ansonsten zwischen Buffet, Getränkestand und Spinnrad (bzw. Spindel) hin und her pendeln. Sogar eine musikalische Einlage auf dem Cello wurde geboten!

Die Spinnfest-Tradition der Berliner Spinner

Unsere Spinnfeste haben mittlerweile Tradition. Das erste Spinnfest, an dem ich teilnahm, fand 2017 im Gemeindehaus Buch statt. Das war noch nicht öffentlich, d. h. wir Spinner trafen uns zwar überregional, waren aber nur unter uns. Wir hatten den großen Raum im Gemeindehaus gemietet, damit alle in großer Runde Platz hatten. In der Mitte stand ein riesiger Tisch mit Ausstellungsstücken der Teilnehmerinnen – gesponnene Garne, gewebte Decken, gestrickte Kleidungsstücke, gehäkelte Körbe, gefilzte Kunstwerke. Der große Flügel des Gemeindehauses kam für das kulturelle Rahmenprogramm zum Einsatz, so dass es auch mal ruhigere Momente gab. Es gab einen kleinen Flohmarkt und einen Fasertausch für alle, die teilnehmen wollten. Es war einfach herrlich!
Highlight war das Spinnspiel „wer spinnt den längsten Faden“. Jede Teilnehmerin bekam die gleiche Menge Wolle und auf „Los!“ hieß es, einen möglichst dünnen (weil langen) Faden zu spinnen, der dann anschließend ausgemessen wurde.

Coronabedingt gab es zwischendrin mal eine Pause, und das Spinnfest in Velten 2024 stand dann schon unter dem oben genannten Motto – es fand auf einem Reiterhof nahe Berlin statt. Hier habe ich davon berichtet.

Der Botha-Hof in Ladeburg

Der Botha-Hof in Ladeburg ist ein Familienhof bzw. -projekt von zwei Familien, die dort Rinder und Schafe halten. Beate aus unserer Spinngruppe gehört zu einer der beiden Familien und hat den Familienrat überzeugen können, auf dem weitläufigen Gelände Gastgeber zu sein. Die ganze Familie hat mitgeholfen, alles für das Fest aufzubauen – den riesigen Pavillon aufgebaut, Bierbänke besorgt, den Getränkestand bewirtschaftet, das Buffet betreut, Bratwürste gegrillt… wir waren rundum herrlich versorgt. Sogar eine musikalische Einlage gab es – ein junger Mann aus der Nachbarschaft spielte uns etwas auf dem Cello.

Ein großer weißer Pavillon ist unter strahlend blauem Himmer aufgebaut. darunter stehen viele Stühle und Spinnräder, im rechten Hintergrund sind Obstbäume zu sehen. Im Vordergrund leuchtet eine orangefarbene Blume.
Der Pavillon.

Beate beschäftigt sich viel mit lokaler Geschichte und hatte einige große Informationstafeln aufgestellt, auf denen man u.a. über die Geschichte der Seidenraupenzucht und der Weberfamilien in Ladeburg nachlesen konnte.

Teilansicht eines vielbenutzten und zerkratzten Cellos und eines Notenständers, auf dem ein Notenheft von Bach steht. Vom Cellospieler sind die rechte Hand und das rechte Bein zu sehen, im Hintergrund Gras und die Beine von Zuschauern.
Musikalische Untermalung mit Bach.

Das Wetter war fantastisch und fast schon etwas zu heiß – alles spielte sich im Schatten ab unter dem großen Pavillon. Man tauschte sich aus und schwatzte – manche Menschen sieht man nur dieses eine Mal im Jahr. Ab und an spazierte man zum üppig bestückten Mitbring-Büffet hinüber und füllte sich den Teller oder holte noch einen Kaffee. Dann wieder ließ man sich von den ausgestellten Kleidungsstücken inspirieren. Und zwischendrin wurde gesponnen. Zwar hatte ich mir richtig schöne Fasern aus den Tiefen meines Stash rausgesucht, aber so richtig doll zum Spinnen kam ich dann doch gar nicht. Hach, Luxusprobleme!

Blick auf ein Gartenbüffet im Schatten mit Kuchen und Salatschüsseln.
Das Mitbring-Büffet.

Highlights: Filzkurs, Färben und Wolle waschen

Dieses Mal gab es zwar kein Spinnspiel, aber dennoch gab es einiges zu sehen und auszuprobieren.
Die liebe Meike Raßbach (filzhuhngrünes) hat einen kleinen Filzkurs gegeben, bei dem unter anderem bunte gefilzte Federn entstanden. Filzen unterm Kirschbaum hätte der Kurs auch heißen können – so eine schöne Atmosphäre!

Eine Hand filzt eine hellblaue Feder auf gelbem Untergrund.Das Licht fällt durch ein Blätterdach auf die Szene.
Hier wurde eine Feder gefilzt.

Martina zeigte den Besuchern, wie sie ihre Garne mit Naturfarben färbt – sie hatte Krapp, Zwiebelschale und Blutpflaume vorbereitet. Das gab einiges an „ooooh“ und „aaaah“, als sie die Stränge aus den Flotten zog und in die Bäume hängte zum Trocknen. Besonders das Salbeigrün der Blutpflaume wurde allseits mit entzückten Ausrufen bedacht.

Aufsicht auf eine Färbeflotte aus Blutpflaumenblättern. Es sind Wollstränge eingelegt sowie Wäschenetze mit kardierter Wolle.
Blutpflaumenfärbung.

Gegenüber hatte Beate eine Waschstraße aufgebaut und zeigte, wie sie die Wolle ihrer Schwarzkopfschafe wäscht – im Mörteleimer mit Wollwaschmittel und Wäschstampfer. Nach dieser Demonstration sah man allenthalben gezückte Handys, die die Benutzeroberfläche eines gewissen online-Auktionshauses zeigten, und die offenbar alle dasselbe antike Utensil recherchierten… Möglicherweise ist auch bei mir eines eingezogen. Zu Forschungszwecken, versteht sich.
Beate hatte auch Proben ihrer gewaschenen Wolle dabei und ich war ziemlich beeindruckt, wie schön sauber und fluffig die Wolle mit Beates Methode geworden ist. Und deshalb habe ich sie auch in meinen umfassenden Artikel zum Wolle Waschen mit aufgenommen.

Eine Dame fortgeschrittenenen Alters erklärt das Wollewaschen auf einer trockenen Wiese. Vor ihr ist ein Korb mit ungewaschener Schafwolle sowie mehrere Kübel mit Wasser, ein Wäschestampfer und eine Flasche Wollwaschmittel.
Beate erklärt ihre Waschmethode.

Die Spinnfutterversorgung war gesichert

Und weil Fasern bei einem Spinnfest immer eine feine Sache sind, gab es zwei Stände, an denen es regionale Faser-Köstlichkeiten zu kaufen gab.

Da war zum einen der Angorakaninchenzüchter, der mit seiner Tochter zusammen die Fasern seiner Tiere verkauft hat und auch gleich zeigte, wie er sie am e-Spinner verspinnt. Auch Spindeln aus dem 3D-Drucker gab es zu kaufen.

Sehr zu meiner Freude war auch Carina von der Schäferei Schöne Schafe da und hat Kardenband und Vlies ihrer Schafe verkauft. So hatten wir ein bisschen Zeit zum Schnacken, die bei einer Schur ja dann doch etwas zu kurz kommt.

Fazit: Immer wieder schön!

Von so einem Spinnfest fahre ich immer voll inspiriert und mit breitem Lächeln auf dem Gesicht nach Hause. Es ist nicht nur das Treffen mit Menschen, die das gleiche Hobby haben – es ist auch die Tatsache, dass ich jedes Mal etwas dazulerne. Dass ich immer wieder die Erfahrung mache: Es lohnt sich, offen zu sein für andere Sichtweisen, für neue Erfahrungen. Dass alle reicher werden, wenn man Wissen teilt. Drum auch dieser Blog …

Bin schon gespannt, was es nächstes Jahr geben wird!

Darf ich vorstellen: Rieke, mein Patenschaf.

Das ist Rieke, mein Patenschaf. Sie ist 2020 geboren und wohnt in der Schäferei Schöne Schafe in Biesenthal bei Berlin. Dort ist sie emsig mit Naturschutz und Landschaftspflege beschäftigt und ist mittlerweile mehrfache Mutter.

Ein weißes Schaf mit braun und weiß geflecktem Gesiccht und zur Seite abstehenden Ohren schaut neugierig in die Kamera. Sein Vlies ist lockig.

Ein Patenschaf aussuchen ist gar nicht so leicht…

Dieses Bild ist 2020 entstanden, als ich mir ein Schaf aussuchen wollte (es gab so viele! Und sie waren ALLE so flauschig!!). Rieke ist eine Kreuzung aus Gotländischem Pelzschaf und Rhönschaf. Die Vliesfarbe hat sie vom Papa (dessen Vlies ich auch schon mal versponnen habe), die Löckchen und die Zeichnung im Gesicht hat sie von der Mama.

Wie ich so in der Herde stand, konnte ich mich damals nicht für ein Schaf entscheiden (siehe oben, maximaler Flauschfaktor). Den Ausschlag machte dann glaube ich ihr neugieriges aber vorsichtiges Erkunden meines Schnürsenkels (ist der wohl essbar?) und wie sie mit ihrer besten Freundin (einem knuffigen Coburger-Fuchs-Flaschenlamm) umherlief.

Ihre erste Wolle habe ich 2021 nach der Schur mitgenommen – aber leider war ein großer Teil davon verfilzt. Tolle Locken, ganz seidig (das muss von der Mama kommen), aber für mich nicht spinnbar.

Ich habe es nicht fertiggebracht, das Vlies für den Garten zu nehmen, und so lag es in einer Papiertüte, bis ich es neulich nochmal vorholte und genau anschaute. Und siehe da: ein paar Stückchen konnte man doch verwenden. Die hab ich gewaschen und machte mich daran, mit dem Spinnen zu experimentieren. Gar nicht so einfach, und ich will ja auch nichts für Proben “verschwenden”, ich habe ja nur so wenig…

Auf einem steinernen Terrassenfußboden liegen in einem Weidenkorb einzelne lange weiße Locken von Schafwolle rechts am Bildrand, links daneben liegen aufgezupfte Locken (mit einer Kastanie beschwert) sowie kleine Strickproben unterschiedlich dicker handgesponnener Garne.
Die verarbeitbaren Locken habe ich in einem Körbchen gesammelt und einzeln aufgezupft, um die aus der Falte spinnen zu können.

Die Fasern sind lang, leicht gewellt, seidig aber robust. Mit 20 cm Faserlänge könnte ich die Locken zwar kämmen, allerdings wollte ich ein fluffiges, leichtes Garn, und so habe ich (inspiriert vom “Aus-der-Flocke”-Experiment) einfach eine Locke geflickt und dann aus der Falte gesponnen. Ich habe es einmal dünn und einmal dick probiert (mit meiner großen Bodenspindel). Die Idee dahinter: dünneres Garn gibt mehr Lauflänge, sodass es vielleicht für eine Weste reichen könnte, dickeres Garn entspricht mehr der Faser selbst. 

Das Ergebnis: Beides ist schön! Die Garne sind keine Kuschelgarne sondern haben gut Biss, aber sie sind leicht und fluffig und haben auch Halo. Ich vermute, dass sie deshalb auch ein wenig pillen werden, weil ich mit wenig Drall gearbeitet habe (sonst wird es zu hart).

Nahaufnahme der weißen Schafwoll-Locken rechts im Bild und daraus gefertigter Strickproben aus dickem und dünnem handgesponnenen Garn links im Bild. Es ist so flauschig, man möchte am liebsten die Hände ins Bild legen.
Diese Locken! Die Strickproben links im Bild gefallen mir beide gut. Oben das dickere, unten das dünnere Garn.

Nachdem ich die kleinen Strickpröbchen noch eine ganze Weile mit mir herumgetragen und bei verschiedenen Gelegenheiten bekuschelt habe, entschied ich mich dafür, sie doch eher dünner zu verstricken, denn ich trage Kleidung aus so ganz dicken Garnen nicht so gerne. Plus: durch die höhere Lauflänge kommt hoffentlich mehr als eine Weste raus…

Insgesamt habe ich nun 321,4 g und 324,8 m Rieke-Garn. Da werde ich wohl kombinieren müssen, wenn es für einen Pulli reichen soll…

Nahaufnahme eines Stranges handgesponnener weißer Wolle von meinem Patenschaf Rieke. Das Garn ist nicht zu fest gezwirnt und hat einen leichten Glanz.
Und das ist nun das fertige Garn aus Riekes Wolle. Man erkennt den leichten Halo, den Glanz kann man nur erahnen. Jetzt ist die Frage: Färbe ich das noch? Oben zum Vergleich ist Thüringer Merinolandschaf in braun.

Was sind eigentlich Patenschafe?

Manche Schäfereien bieten PatenSCHAFten an, d. h. man zahlt z. B. jährlich einen gewissen Betrag und bekommt dafür im Gegenzug ein Dankeschön. Wie genau das aussieht, ist von Schäferei zu Schäferei unterschiedlich.

In Riekes Fall deckt der Patenschaftsbetrag ungefähr die Kosten der Schafhaltung für sie (inkl. Veterinär, Schur und Futter). Dafür kann ich (nach Anmeldung) bei der Schäferin vorbeikommen und sie besuchen, wenn ich möchte, und ich kann ihr Vlies nach der Schur haben. Ich habe auch eine Patenschafts-Urkunde bekommen, auf der ihre Ohrmarkennummer und ein Bild von ihr drauf sind.

In anderen Schäfereien zahlt man einen kleineren Betrag, und es gibt vielleicht einen Tag der Offenen Tür, zu dem man „sein“ Schaf besuchen kann. Manchmal kann man Namen vergeben, manchmal nicht, die genauen Bedingungen sind immer genau auf die jeweilige Schäferei zugeschnitten.

Gibt es bei Dir in der Nähe auch Patenschafe, hast Du vielleicht sogar eins? Schreibs mir gerne in die Kommentare!

Spinnfest der Berliner Spinner in Velten

Einmal im Jahr veranstalten die Berliner Spinner ein Spinnfest – na, zumindest war das bis Corona so, die Pandemie hat da so einiges aus dem Tritt gebracht. Die letzten beiden Feste waren im Großen Saal des Gemeindehauses Berlin Buch, es gab ein unglaublich leckeres Buffet, einen Tisch mit lauter Inspiration (nicht nur spinntechnisch), einen Wettbewerb „wer spinnt den längsten Faden“, eine musikalische Einlage und wer wollte, konnte an einem Fasertausch teilnehmen (sowas wie „Wichteln“ für Spinnerinnen).

Dieses Jahr hat die liebe Doris wieder die Fäden in die Hand genommen und Anfang Juni ein wunderbares Fest organisiert. Wir waren zu Gast auf dem „Pensionsstall und Reitschule Zum alten Gutshof“ in Velten bei Julia und Ingo. Bei schönstem Juni-Wetter saßen wir auf dem riesigen Innenhof und haben es uns gutgehen lassen, geschnackt, Fasern getauscht und die Hofhunde und -katze gestreichelt.

Bernhardiner. Spinnfest Velten. Faserexperimente.

Der Hof ist Heimat für jede Menge Tiere, die woanders niemand mehr haben wollte und die jetzt bei Julia und Ingo ein neues Zuhause haben – darunter Pfauen, Kakadus, ein Papagei, eine Schildkröte, Pferde, Streifenhörnchen, Alpakas und Englische Angorakaninchen. Der Nachbar hat Emus und Kängurus (ohne Quatsch! Das Foto ist leider nichts geworden). Es gibt auch eine Herde Walliser Schwarznasen (von denen wir zwar nur die Jungböcke gesehen haben – aber herrje, waren die knuffig!). Zwei Bernhardiner sind zwischen den Spinnern umher getrottet und haben aufgepasst, und überall flogen Schwalben herum (und verteilten Broschen …) 113 Nester hat Ingo gezählt!

Emu hinter einem Zaun auf grüner Wiese. Spinnfest Velten. Faserexperimente.

Die liebe Meike aka filzhuhngruenes hat mit Besuchern Mäuse gefilzt, es gab eine Hofführung von Ingo, und nachmittags haben wir sogar vom örtlichen Reitverein eine Reitvorführung bekommen (Quadrillie hieß das) – sehr beeindruckend! Wer noch nicht genug Fasern hatte, konnte sich mit Regionaler Wolle eindecken, unter anderem Carina von der Schäferei Schöne Schafe hatte einen Tisch mit diversen Kardenbändern aufgebaut.

Die Zeit ist wie im Flug vergangen und obwohl ich nur am Schnattern war, habe ich gar nicht mit allen sprechen können. Einige sind von deutlich weiter weg hergekommen, und da sieht man sich eben nicht so oft und muss entsprechend viel nachholen :-). Von der lieben Katja habe ich noch eine coole Geschichte zu ihrem Metallspinnrad gehört – es ist über Umwege zu ihr gekommen, und dann stellte sie am Ende fest, dass es Männer aus ihrem eigenen Dorf in den 50er Jahren gebaut haben! Es spinnt immer noch super, sagt sie.

Metallspinnrad. Spinnfest Velten. Faserexperimente.

Leider habe ich auch kaum Fotos gemacht – nächstes Mal. Vielleicht.

Danke liebe Doris fürs Organisieren, es war ein toller Tag!

Ein Flachs-Workshop im Wandelgrund (und warum Kurse mir manchmal mehr bringen als youtube-Videos)

An einem sonnigen Februarwochenende war ich in Dresden, wo der Verein Werk & Wandel e.V. auf dem Wandelgrund einen Workshop zum Thema Flachsanbau und -verarbeitung organisiert hat. Gehalten wurde er von Christiane Seufferlein vom Verein Bertas Flachs.

Was soll ich sagen?

Es. War. Großartig.

Wieder einmal habe ich gemerkt, wie himmelweit der Unterschied ist zwischen „Ich habe etwas mit dem Kopf verstanden“ und „Ich habe es mit eigenen Händen und am eigenen Körper erfahren“. Zwischen „Ich hab mir ein paar Videos angeschaut und es nachgemacht. War gar nicht so schwer.“ und „Ich habe einen richtig guten Kurs besucht und einen Aha-Moment nach dem anderen gehabt“.

Kathrin sitzt im Garten auf einem Stuhl, vor ihr steht eine Hechel. In der linken Hand hält sie ein Bündel Leinenfasern und hechelt. Photo Credit: Ulrike Kohn
Hier hechele ich gerade ein Bündel Fasern. Das Foto wurde mir freundlicherweise von Ulrike Kohn zur Verfügung gestellt.

Obwohl ich letztes Jahr ja schon mal den sprichwörtlichen Zeh in die Flachsverarbeitung gehalten habe (ich berichtete hier und dort auf Instagram), hat sich mir erst am Wochenende die Flachs-Welt so richtig offenbart. 

Flachs ist nicht nur Faserpflanze. Flachs verbindet Menschen, auch über hundertfünfzig Jahre nach seinem Anbau. Er war Lebensversicherung für Frauen, wenn sie in Notlage kamen, konnten sie den Flachs verkaufen. Wolle kann man zur Not noch alleine verarbeiten, aber beim Flachs (insbesondere bei mehr als einer Handvoll) braucht es eine Gemeinschaft.

  • Raufen.
  • Trocknen.
  • Rösten,
  • Trocknen.
  • Brechen.
  • Schwingen.
  • Hecheln.
  • Ribben.
  • Spinnen.
  • Weben.

Für das Brechen, Schwingen, Hecheln und Ribben braucht es spezielle Werkzeuge und manchmal sogar eine spezielle Feuerstelle. Das kann kein Mensch ganz alleine machen. Vielmehr hat man sich zusammengetan und reihum den Flachs von jedem Hof des Dorfes verarbeitet. Für meine Handvoll Fasern habe ich einen ganzen Nachmittag gebraucht.

Flachsverareitungswerkzeuge und kleine Zöpfe liegen auf einem Gartentisch (Aufsicht).
Diverse Flachsverarbeitungswerkzeuge, die wir verwendet haben. Handkarden zum feinhecheln von Zöpfen (oben rechts), ein Werkzeug zum Schwingen (unten links), eines zum Weichklopfen (Mitte rechts). Und die Zöpfe glänzen richtig in der Frühlingssonne.
Ein kleiner Flachszopf liegt auf einer ausgestreckten Hand. Im Hintergrund: Rasen und ein Obstbaum.
Mein erster frisch gebrochener, geschwungener und gehechelter Flachs. Was für eine Arbeit. Und was für ein schönes Gefühl, diesen Zopf in der Hand zu halten!

Was mir gar nicht so klar war: Flachs wird über die Jahre immer feiner, weil das, was man für eine „Faser“ hält, oftmals ein Bündel Fasern ist, das durch Pektine und Gummis zusammengehalten wird. Erst über die Jahre wird dieser „Kitt“ abgebaut und legt die Fasern frei. Wer also Unterwäsche machen wollte, legte den Flachs erst mal 20 Jahre auf die Seite. Bei Wolle ist das ja anders: Da liegen die einzelnen Fasern von Anfang an vor.

Zwei alte  Flachszöpfe in einer Hand, ein größerer, noch ungehechelt, ein kleinerer, frisch gehechelt und glänzend.
Ein alter Flachszopf, frisch aufbereitet. Unten: vor dem Aufbereiten, der kleine Zopf oben ist frisch gehechelt.

Der heute bei Handspinner*innen so beliebte Langflachs wurde von den Frauen damals allerdings nur ein paar Mal im Leben überhaupt versponnen – er kam ja in die Brautkisten der Mädchen und war ihre Lebensversicherung. Wenn es hart auf hart kam, konnte die Frau den Flachs verkaufen und musste so nicht hungern. Die allermeiste Zeit wurde überwiegend Werg versponnen – für Säcke, Scheuertücher, Heutücher … Arbeitstextilien eben.

Die krasseste Erkenntnis: Alles, was man als Handspinner*in heute an Flachszöpfen kaufen kann, ist alt – und es werden keine neuen Zöpfe mehr für den Verkauf an Handspinner*innen produziert. Flachsanbau für Handspinner*innen passiert im Grunde nur noch für den Eigenbedarf. Und damit verschwindet auch das Wissen um den Anbau und die Verarbeitung. Auch viele regionale Flachs-Varianten sind dem Saatgut für industriell gut verarbeitbaren Flachs gewichen.

In diesem Workshop haben wir nicht nur unglaublich viele Inhalte und spannende Geschichten von Christiane bekommen, sondern wir haben auch besprochen, wie man den Flachsanbau und die -verarbeitung wieder bekannter machen kann. Dazu wird demnächst auf dem Wandelgrund Flachs angebaut, und es sind Mitmach-Aktionen geplant, die den Flachs und Leinen erfahrbar machen sollen. Denn: Flachs ist ein Community-Projekt. Ich freu mich drauf!

Mona und Ulrike vom Projektteam haben einen schönen Blogartikel dazu geschrieben, schau gerne dort vorbei.

Spinnen im Film – eine Premiere bei der Berlinale 2024

“Ihre ergebenste Fräulein” , ein Film von Eva C. Heldmann

Ich bin ja nicht so ein Cineast, aber als ich eine Einladung zu einer Filmpremiere auf der Berlinale 2024 bekam, habe ich keine Sekunde gezögert. Und so fuhr ich an einem frühlingshaften Februartag zum Haus der Kulturen der Welt, um mir den Film anzusehen. Was das mit Wolle und Spinnen zu tun hat? Na, in besagtem Film haben mein Spinnrad und meine spinnenden Hände einen Auftritt!

Blick auf das Haus der Kulturen der Welt an einem bewölkten Tag. Im Vordergrund eine Blumenrabatte.
Das HKW am 16.2.24. Na, könnt ihr den roten Berlinale-Bären oben auf der Treppe erkennen?

Lasst uns nochmal kurz zurückspulen: Letztes Jahr kontaktierte mich die Filmemacherin Eva C. Heldmann über die Handspinngilde. Sie arbeitete an einem Film und suchte jemanden, der ihr das Spinnen zeigen konnte. Wir trafen uns auf einen Kaffee und es entspann sich ein sehr interessantes Gespräch über das eigentliche Sujet des Filmes: Catharina Helena Dörrien. Sie war eine Dame gehobeneren Standes, die im 18. Jhd in Frau Heldmanns Heimatstadt Dillenburg als Botanikerin, Malerin und Pädagogin lebte und wirkte. Für den Film war Frau Heldmann auf der Suche nach Informationen und bewegten Bildern rund um das Thema Spinnen.

Mädchen und Frauen wie Catharina Helena Dörrien war es damals im 18. Jhd. nicht möglich, eine ähnlich umfassende Ausbildung zu bekommen, wie sie für Jungen vorgesehen war. Dennoch eignete sie sich viel Wissen selbst an, indem sie im Unterricht ihrer Brüder anwesend war und sich die Lehrinhalte (u.a. Latein) durch aufmerksames Zuhören und ein phänomenales Gedächtnis einprägte. Sie fertigte in ihrer späteren Arbeit über 1400 unglaublich präzise und detailgetreue farbige Zeichnungen von Pflanzen aus ihrer Umgebung an und erhielt dabei viel Unterstützung von ihrem Arbeitgeber (dessen Kinder sie unterrichtete).

In den Film fanden aber nicht nur Zeichnungen, Briefe und pädagogische Schriften von Frau Dörrien Eingang, sondern auch in dieser Zeit veröffentlichte fürstliche Erlasse der damals Herrschenden. Und dabei ging es dann auch um das Spinnen: zum einen als eine für Mädchen und Frauen damals schickliche Tätigkeit, zum anderen als eine Art Zwangsarbeit für Waisenkinder oder säumige Steuerzahler.

Blick auf eine Kinoleinwand mit einem Still von der Berlinale 2024.
Kurz vor Beginn der Premiere im Kinosaal des HKW. Während der Aufführung habe ich natürlich keine Aufnahmen gemacht.

Der Film war ganz anders als alle Filme, die ich bislang gesehen hatte. In den Bildern sieht man Dillenburg (den Wirkort von Frau Dörrien) heute, viele schöne Nahaufnahmen von Blumen und Gräsern und an einer Stelle auch meine Hände beim Spinnen. Darübergelegt sind Stimmen, die aus einem Brief der Frau Dörrien vorlesen bzw. im Kontrast dazu aus fürstlichen Erlassen. Es wurden offenbar ziemlich viele Erlasse veröffentlicht – zur Versorgung von Armen, zur Vertreibung nicht gewünschter Personen, ein Verbot von Spinnstuben als Orte des Lasters betreffend. Ein Erlass widmete sich der Einrichtung von Spinnschulen, in denen z. B. Waisenkinder oder mit Abgabenzahlungen im Rückstand befindliche Menschen zwangsweise spinnen (lernen) mussten. Diese Erlasse warfen ein ziemlich gruseliges Bild auf diese Zeit und was es bedeuten musste, dort zu leben und nicht zu der erwünschten Schicht Menschen zu gehören. Als ordentlicher Bürger in dieses Land aufgenommen zu werden, war mit hohen Hürden versehen. Selbst eine Ehe mit einer dort sesshaften Person führte bei einer Ablehnung des Aufnahmeantrags nur dazu, dass auch die Eheperson mit dem Antragsteller ausreisen musste.

Und zwischendrin erkannte ich das Klackern meines Spinnrades und meinen manchmal etwas gesprächigen Knecht, die als Tonspur über einige Bilder gelegt waren. Sogar das Geräusch, wie der Woolee Winder den Faden aufzieht, habe ich erkannt 🙂

Still aus dem Film "Ihre ergebenste Fräulein" von Eva C. Heldmann. Nahaufnahme meiner spinnenden Hände am Spinnrad mit einem englischen Untertitel.
Dieses Still aus dem Film „Ihre ergebenste Fräulein“ wurde mir freundlicherweise von Frau Eva C. Heldmann für diesen Blogbeitrag zur Verfügung gestellt.

Der Film ist eher zart und zurückhaltend, er lässt die Bilder und Zitate sprechen und liefert mir als Zuschauerin keine direkten Wertungen. Dadurch hat er bei mir viel nachgewirkt und mich zum Nachdenken angeregt. Während des Films habe ich natürlich aus Urheberrechtsgründen keine Aufnahmen machen können, aber ihr könnt euch vielleicht selbst noch ein Bild machen. Der Film läuft noch am 21.02.24 und am 25.02.24 auf der Berlinale.

Das Beitragsbild für diesen Artikel ist ein Gemälde von Friedrich Ludwig Hauck (1718-1801) – Portrait of Catharina Helena Dörrien by F. L. Hauck, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=91034735

Unter Spinnern – Das Große Spinntreffen der Handspinngilde 2023

Ein Spinntreffen (und ganz besonders das Große Spinntreffen der Handspinngilde) ist ja DIE Möglichkeit, Gleichgesinnte zu treffen, zu fachsimpeln, sich inspirieren zu lassen und weiterzubilden. Endlich ernte ich keine verständnislosen Blicke, wenn ich von Drall, Z-Twist und Support-Spindeln rede! Hier versteht man mich… Es ist ein bißchen wie eine Mischung aus Klassenfahrt und Jahrgangstreffen (mit genauso wenig Schlaf). In diesem Artikel erzähle ich euch vom Jahrestreffen 2023 in Plön, und vielleicht inspiriert das ja den einen oder die andere, nächstes Jahr auch vorbeizukommen. Denn: Du kannst auch teilnehmen, wenn Du kein Mitglied der Handspinngilde bist! Mitglieder haben natürlich eine Art „Vorkaufsrecht“ bei den Kursplätzen, aber freie Plätze kann man auch als Tagesgast vor Ort buchen. Oder eben einfach so zum geselligen Spinnen und für das Rahmenprogramm vorbeikommen.

Ein Spinntreffen – was gibt’s denn da alles?

Das Spinntreffen der Handspinngilde findet einmal im Jahr statt, und zwar (bislang) immer Ende September / Anfang Oktober. Die genauen Termine sind auf der Website der Handspinngilde zu finden. Da dieser Termin schon oft mit internationalen Terminen kollidierte (z. B. der Shetland Wool Week, Wollfestival auf Island), wird es wohl in 2025 einen Termin im Mai geben. Schaut einfach auf der Vereinswebsite unter „Veranstaltungen“, um euch zu informieren.

Das Treffen findet jedes Jahr woanders statt, so daß die Anfahrt für alle mal weiter und mal weniger weit ist. Diesmal war es für mich sehr angenehm, denn der Veranstaltungsort lag im Norden, in Plön in der Nähe von Kiel, also nur knapp 4 h entfernt.

blaue und pinke Plastiktüten mit Rohwolle auf einem Biertisch. Beschreibungen und Preise sind an jeder Tüte.
Zum Marktplatz gehörte diesmal auch Rohwolle aus Katrin Sonnemanns Rohwoll-Kampagne. Alles fein säuberlich beschriftet und mit Verarbeitungsempfehlungen versehen – da kauft niemand die Katze im Sack!

Das Spinntreffen beginnt immer mit den Intensivkursen, die über mehrere Tage gehen und sich umfassend mit einem Thema beschäftigen. Die Themen reichen von Indigofärbekursen über Flachsaufbereitung (bis auf die Röste das volle Programm) bis zu gezieltem Spinnen. Die Kursleiter:innen haben viele Jahre Erfahrung auf ihren jeweiligen Gebieten und man lernt immer was dazu.

Anschließend findet dann das eigentliche Treffen statt. Es beginnt am Anreisetag mit der Mitgliederversammlung und anschließendem geselligen Beisammensein im großen Spinnsaal.

An den nachfolgenden Tagen finden jede Menge Kurse statt, meistens sind es 3-stündige, manchmal auch 6-stündige Kurse (dazu weiter unten mehr).

Weißes Herrenhaus auf grüner Wiese mit leichtem Anstieg. Im Vordergrund Blätter von einem Baum.
Eines der Häuser in Plön, in dem die Kurse stattfanden. Die Kursräume hatten alle einen tollen Blick auf den Plöner See.

Es gibt meist Spiele, ein Quiz (dieses Jahr ging es darum, Fasern zu erraten), eine Modenschau und eine Tombola. Es wurde der längste Strang Deutschlands gewickelt – die Teile dafür hatten die Mitglieder dieses Jahr am Worldwide Spin in Public Day gesponnen und eingeschickt. Unter Mitwirkung vieler helfender Arme wurden alle eingesandten Stränge nun zu einem einzigen Strang zusammengefügt – er war am Ende über 4 km lang!

Oft gibt es auch Ausflüge in Museen oder Textilverarbeitungsstätten. So ging es dieses Mal unter anderem zur Spinnerei Blunck. Am zweiten und dritten Tag gibt es einen Marktplatz mit Fasern, Garnen, Spindeln und Zubehör – für viele die einzige Möglichkeit, Fasern, Spinnräder oder Spindeln vor dem Kauf ausgiebig anzuschauen, zu fühlen und zu testen. Dieses Jahr war auch Katrin Sonnemann mit Rohwolle aus ihrer Rohwoll-Kampagne das erste Mal vor Ort – eine wunderbare Gelegenheit, Wolle ab Schaf zu kaufen.

Auch wunderschön: es gab ein Konzert, denn eine Spinnerin ist Musikerin, hat ihr Instrument dick mit Wolle eingepackt und einfach mitgenommen (ich glaube, es war eine Gambe). Und so saßen alle Interessierten an einem Abend im kleinen Saal, die Räder surrten leise, und lauschten den Klängen Alter Französischer Barockmusik.

Unter Spinnern und anderen Faserverrückten

Die Zeit ist immer sehr intensiv – so viele Gespräche, Beisammensein und neue Eindrücke. Es gibt immer einen großen Spinnsaal, in dem sich alle abends (oder auch zwischendurch) treffen und in einer Art moderner Spinnstube sitzen, spinnen und Kontakte knüpfen. Ich sehe altbekannte Gesichter und freue mich über das Wiedersehen. Daneben komme ich ganz schnell mit mir Unbekannten ins Gespräch – „wie hast Du denn das gemacht? Kannst Du mir mal zeigen, wie …?“. So manches Mal kam mir dabei die Erkenntnis „Ach, Du bist die hinter dem Account xyz! Ich folge Dir doch auf Instagram!“

Kathrin und Antje beim Handspinngildetreffen.
Ein Highlight: ich habe Antje Vajen getroffen! Über ein Jahr lang waren wir schon virtuell verbunden, über ein Fibershed-Projekt und ein Interview in ihrem Podcast, und nun ergab sich die Gelegenheit für einen Plausch „in echt“. Es war herrlich, und das können wir unbedingt wiederholen!

Und ab und an ist es gut, sich mal abzuseilen. Einen Spaziergang zu machen. Luft zu holen. Sonst explodiert nämlich der Kopf. Und dann sieht man viele, denen es genauso geht – man begegnet sich, erkennt sich, lächelt sich wissend zu, und setzt sich alleine auf die Bank am See, um den Wellen zuzuhören und ein wenig zur Ruhe zu kommen.

Blick auf einen See in der Dämmerung mit Dunst am Horizont und rosagefärbtem Himmel mit leichten Wolken.
Und zwischendurch: Energie tanken und Luft holen.

Die Kurse

Für mich sind die Kurse das Highlight des Spinntreffens. Manchen ist das zu stressig, und sie kommen vor allem des geselligen Teils wegen. Da es aber in Berlin kein so üppiges Kursprogramm gibt, nutze ich das sehr gerne, um Neues zu lernen und über meinen Tellerrand zu schauen.

Dieses Jahr war ich ganz schön übermütig und habe drei Kurse in zwei Tagen belegt, was dazu führte, dass ich am Ende ziemlich fertig war. Nächstes Jahr plane ich mir mehr Pausen ein … glaube ich.

Was mir auch klar wurde: Wer im Kurs ist, kann nicht gleichzeitig shoppen gehen. Das ist zwar gut für den Geldbeutel, aber ich war trotzdem etwas enttäuscht, als das eine Vlies, auf das ich spekuliert hatte, dann doch schon verkauft war. (Es kam dann ein anderes mit mir nach Hause, das fast genauso schön war. Der Geldbeutel hat davon also gar nichts mitbekommen …).

Kursübersicht

Was für Kurse gab es dieses Jahr? Puh, viele.

  • Tweed kardieren.
  • Fair-Isle Stricken.
  • Fingerhandschuhe stricken.
  • Spinnen mit Supported-Spindeln und mit Fallspindeln.
  • Knöpfe machen.
  • Farben entdecken, malen und dann auf das Blending Board übertragen.
  • Farbverläufe spinnen bei Verwendung eines Gürtelrockens.
  • Mützen filzen.

Und bestimmt noch mehr, die mir jetzt gerade entfallen sind.

Ich hatte mich für „Spinntechniken von der Steinzeit bis heute“, Nadelbinden und Schlaufenflechten entschieden. Witzigerweise stellte sich heraus, dass alle diese Kurse von derselben Kursleiterin gegeben wurden, mein Unterbewusstsein scheint also einen Plan gehabt zu haben … Ulrike Claßen-Büttner ist nämlich Archäologin und kennt sich von Berufs wegen mit der Entwicklung von textilen Techniken aus. Faszinierend, ich sags euch!

Spinntechniken

Vom Kurs zu den Spinntechniken habe ich mir Inspiration für das Demonstrieren der Technik auf Veranstaltungen versprochen und wurde nicht enttäuscht. Ulli hat uns in 3 h durch die gesamte Geschichte des Fäden-Machens, also durch fast 10 000 Jahre (?) Entwicklung geführt. Schritt für Schritt, vom ersten Verdrehen von Fasern mit den Händen bis zur Verwendung von Spindeln tausende Jahre später. Zur Anschauung hatte sie einen ganzen Tisch voller verschiedener Spindelmodelle mitgebracht, die man alle mal anschauen und in die Hand nehmen konnte! Als Spindelspinnerin war ich hin und weg.

Viele verschiedene Spindeltypen auf einem Tisch mit schwarzem Tuch ausgelegt.
Und hier war ich dann im Himmel: So viele verschiedene Spindeln! Jetzt weiß ich , welche Modelle meiner Sammlung noch fehlen…

Nadelbinden

Es ist schon wieder passiert. Ich dachte beim Buchen des Kurses zum Nadelbinden noch “Ach naja, sieht n bissel komisch und umständlich aus, und das Textil ist bestimmt bretthart. Ist bestimmt nix für Dich, aber probierste halt mal, dann kannste nen Haken dran machen und sagen, Du hast es probiert, aber es war halt nix…”. (Ihr wisst schon, ich muss immer wissen, wie was funktioniert.) 

Tja. 

Das fällt mal wieder in die Kategorie “Berühmte letzte Worte”. Ich häng jetzt nämlich auch an der Nadel. Nadelbinden ist absolut faszinierend! So ganz hab ich noch nicht verstanden, wie die Schlingen miteinander in Verbindung stehen, aber das Textil ist überhaupt nicht bretthart, sondern weich und elastisch. Allerdings ist das selbst für mich als Autodidakt eine Technik, die ich gezeigt bekommen musste, von Abbildungen konnte ich sie nicht lernen. Alle Anleitungen, die ich bislang gesehen hatte, waren mir ein Buch mit sieben Siegeln geblieben.

Blick von oben auf einen kleinen nadelgebundenen Beutel aus schwarzer Wolle mit blauem Rand. Innen ist eine Kastanie.
Meine Hausaufgaben: ein kleiner genadelter Beutel. Perfekt zum Kastanien sammeln.
eine nadelgebundene Maus aus dunkelgrauer Wolle sitzt auf einer Hand. sie füllt die Handfläche komplett aus.
Das ist Mausi, nach dem Treffen zu Hause genadelt nach einer Anleitung von Ulrike Claßen-Büttner.

An dieser Stelle wie immer ein Disclaimer: Nadelbinden kann süchtig machen. Ich bin jetzt bei drei Beuteln als Musterproben und einer Maus. Fortsetzung folgt.

Schlaufenflechten

Schlaufenflechten wollte ich einfach nur aus Neugier ausprobieren. Es ist, wenn man es einmal gezeigt bekommen hat, recht einfach, und man kann aus kleinen Mengen Garn ganz hübsche kleine Bänder machen. Ab 6 Schlaufen kommt ein gewisses Maß an Fingeryoga ins Spiel, denn man muss die Finger einzeln ansprechen und bewegen. Klingt einfach? Dann versuch doch mal, von 6 unter Spannung gehaltenen Schlaufen nur die eine Schlaufe vom Ringfinger an den kleinen Finger der linken Hand weiterzugeben, ohne die andere Hand, den Nachbarn, Füße oder Zähne zu Hilfe zu nehmen…

Am nächsten Morgen hatte ich Blasen an den Fingern, so dass ich erst mal nicht weiterflechten konnte, sondern mich wieder dem Nadelbinden zuwandte… (siehe oben). Merke: Lockerlassen und dann weiterflechten. Lockerlassen. Lockerlassen.

Schlaufengeflochtene bunte Bänder in einer Reihe in einem karierten Notizbuch.
Meine Versuche im Schlaufenflechten. Von links nach rechts läßt sich eine gewisse Verbesserung der Technik und Fingerfertigkeit feststellen.

Premiere: Ich bin jetzt Kursleiterin!

Ich hatte es eigentlich gar nicht geplant, aber dieses Jahr war ich das erste Mal als Kursleiterin beim Spinntreffen dabei. Das kam so: Bei der Grünen Woche 2023 saß ich (wie auch die Jahre davor) mit am Stand der Handspinngilde. Ich bin ja Spindelspinnerin, und so saß ich da mit meiner Lieblingsspindel und spann so vor mich hin. Die Martina schaute immer so zu mir rüber und meinte irgendwann, das sähe so entspannt und schön aus, ob ich nicht Lust hätte, da mal einen Kurs zu geben. Och, dachte ich, warum nicht. Das Thema geriet dann ein wenig aus dem Fokus, aber über den Sommer arbeitete ich an dem Konzept und erstellte ein Workbook. Und nun bin ich Kursleiterin, yeah!

Nahaufnahme von Spiralspindeln aus verschiedenen Hölzern.
Spindeln mit Spirale statt Haken sind meine Lieblingsspindeln.

In dem Kurs geht es, na klar, um meine Lieblingsspindeln. Das sind solche mit Spiralkerbe am oberen Ende, entweder als Spindelstäbe mit Wechselwirteln oder als antike französische Modelle. Das Spinnen mit diesen Spindeln vereint für mich das beste aus allen Welten: ich bestimme selber die Geschwindigkeit, in der ich arbeite, meine Arme sind nie zu kurz, es fehlt auch zwischendrin kein dritter Arm wie bei manchen anderen Techniken. Meine Teilnehmerinnen waren jedenfalls die absolute Wucht, es hat richtig viel Spaß gemacht, ihre Lernfortschritte zu beobachten und zu sehen, wie es irgendwann Klick machte.

Ich denke mal, da wird es wohl eine Fortsetzung geben nächstes Jahr in Gerolfingen…

(Ich habe – natürlich – kein einziges Foto von meinem Kurs gemacht…)

Die Handspinngilde

Jetzt habe ich so oft die Handspinngilde erwähnt, drum stelle ich sie noch einmal kurz vor. Die Handspinngilde ist ein gemeinnütziger Verein mit dem Ziel, das Handspinnen als zentrale Kulturtechnik der Menschheit zu fördern. Die Vereins-Website findest Du unter https://www.handspinngilde.org/

Die Mitgliedschaft kostet derzeit pro Jahr für einen Erwachsenen 30 Euro. Es gibt zwei Mal im Jahr eine Vereinszeitschrift mit Artikeln rund um Textiles und den Verein. Mitglieder haben die Möglichkeit, Literatur aus der Vereinsbibliothek und Werkzeuge bzw. Geräte aus dem Werkzeugpool auszuleihen. Hinzu kommt natürlich die Vernetzung unter Gleichgesinnten im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus.

Der Verein umfasst ein recht großes Gebiet, und so sind wir bemüht, Regionale Ansprechpartner:innen in den einzelnen Regionen zu etablieren. Wenn ihr also mal irgendwo in Deutschland Urlaub macht und jemanden zum gemeinsamen Spinnen sucht, schaut dort vorbei und scheut euch nicht, Kontakt aufzunehmen. Ich bin beispielsweise die Ansprechpartnerin für Fragen rund ums Spinnen in Berlin und nördlichem Umland. Das heißt nicht, dass ich alles weiß und für alles verantwortlich bin, aber ich kenne vielleicht jemanden, der jemanden kennt… 

Mein Fazit – Es lohnt sich immer!

Das Spinntreffen ist immer ein Jahres-Highlight, das noch lange in mir nachklingt. Nirgendwo sonst sieht man so viele verschiedene Räder und Spindeln in Aktion und kann sich mit so vielen Gleichgesinnten austauschen. Als (neue) Kursleiterin sehe ich auch nochmal mit anderen Augen drauf – was da alles an Organisation im Hintergrund abläuft, damit alles reibungslos funktioniert, von der Ausstattung der Kursräume bis zur Zimmervergabe und der Essensplanung. Daher an dieser Stelle ein großes Dankeschön an den Vorstand und alle an der Organisation Beteiligten! Es war wunderbar!

Ich freue mich jetzt schon auf nächstes Jahr. Bis dahin werde ich die Rückmeldungen aus meinem Kurs auswerten und in die nächste Version einfließen lassen. Und ich hab auch schon Ideen für weitere Kurse… aber das muss sicher noch eine Weile reifen. Ich halte euch auf dem laufenden!

Wolle verbrennen?

Immer wieder begegnet mir in Artikeln und Berichten zum Thema regionale Wolle das Statement, dass Schäfer:innen ihre Wolle verbrennen (müssen), weil sie auf ihr sitzen bleiben. Ich habe das bislang immer so hingenommen. Aber wenn ich mal drüber nachdenke, dann runzle ich die Stirn: Wolle ist doch eigentlich schwer entflammbar und selbstlöschend? So erkennt man sie jedenfalls (unter anderem) beim Flammtest, wenn man nicht weiß, aus welchem Material ein Faden oder ein Stoff besteht.

Woher kommt also ein Satz wie „Schäfer:innen verbrennen ihre Wolle“? Wie machen sie das? Fahren sie damit zur örtlichen Müllverbrennungsanlage? Nimmt die überhaupt tierische Nebenprodukte an? Wenn sie sie auf dem Feld verbrennen – stinkt das nicht ganz übel? Und muss man da nicht immer wieder anzünden, bis alles endlich verbrannt ist?

Kennt ihr Schäfer:innen, die ihre Wolle schon mal verbrannt haben? Habt ihr das selber schon mal machen müssen? Wisst ihr da was drüber?

By the way: es ist wieder #Schafschursaison. Wer also regionale Wolle verarbeiten und vor dem Verbrennen retten möchte: now is the time! Schafhalter:innen in eurer Nähe findet ihr bei den Schafzuchtverbänden eures Bundeslandes. Einfach Mal in die Suchmaschine eures Vertrauens eingeben!


Diesen Beitrag habe ich auf Instagram geteilt. Seitdem habe ich von vielen Menschen gehört, dass sie selbst schon gesehen haben, dass Schafhalter:innen ihre Wolle selbst verbrennen (unter Verwendung von Brandbeschleunigern). Andere fahren zur Müllverbrennungsanlage und lassen sie dort kostenpflichtig (und teuer) entsorgen. Das passiert nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa.

Mir blutet das Herz, wenn ich das höre.

Lesetipps rund um Schafe und Textiles (deutsch)

Ob am Strand oder mit einer heißen Tasse Tee auf dem Sofa – ich lese immer gerne ein gutes Buch. Wenn es sich dann noch um Wolle und / oder Schafe dreht und vielleicht noch Geschichten erzählt, umso besser. Heute stelle ich euch meine liebsten Bücher in deutscher Sprache rund um meine Lieblingsfaser vor. Vom Kinderbuch über Schaf-Geschichten bis hin zu fundiert recherchiertem und hervorragend aufbereitetem Fachwissen ist alles dabei.
Im übrigen (und das kennzeichne ich mal als unbeauftragte Werbung aus Überzeugung): Im online-Shop von calling sheep in Sassnitz gibt es eine fein kuratierte Buch-Abteilung, die nicht nur Strickbücher hat, sondern auch Schafkrimis!

Zu jedem Buch habe ich euch ISBN und einen Link zum jeweiligen Verlag gegeben. Das sind keine Sponsored Links, ich bekomme kein Geld dafür. Alle Exemplare habe ich mir selbst gekauft und empfehle sie, weil ich sie selbst für empfehlenswert halte.

Wen übrigens englische Bücher interessieren, der kann sich gerne meine Lesetipps für englische Bücher anschauen.

„Pelles Neue Kleider“ von Elsa Beskow

Beginnen möchte ich mit einem zauberhaften Kinderbuch über den Weg der Wolle vom Schaf zum Kleidungsstück. Pelle ist ein kleiner Junge, und er hat ein Lämmchen. Eines Tages werden ihm seine Kleider zu klein, und er möchte sich neue Kleider machen. Er schert also sein Lamm, aber weil er nicht alles alleine machen kann, sucht er sich Hilfe beim Waschen, kardieren, spinnen, weben, färben und schneidern. Jede Stufe der Wollverarbeitung wird erklärt, und sogar Handkarden und Spinnrad werden korrekt (!!) dargestellt – das ist etwas, was mir direkt ins Auge sprang. Üblicherweise muss man da einige „künstlerische Freiheiten“ in Kauf nehmen, weil die Illustrator*innen selten mit der Funktionsweise von Wollverarbeitungsgeräten vertraut sind. In diesem Falle hat alles seine Richtigkeit.

Dieses Büchlein ist wirklich ein Schatz. Ich habe es bereits bei Spinnkursen mit Kindern eingesetzt, um in das Thema Wolle und Wollverarbeitung einzusteigen – absolute Empfehlung!

Buch Pelles Neue Kleider
„Pelles Neue Kleider“ ist ganz zauberhaft illustriert.

Verlag Urachhaus, ISBN 978-3-8251-7466-8

“Schafe” von Eckhard Fuhr

Ein kleines aber feines Büchlein mit entzückenden Illustrationen und gut recherchierten Geschichten rund um Schafe. Um seine Geschichten zu erzählen, nimmt der Autor viele Gemälde zu Hilfe, auf denen in der einen oder anderen Form Schafe abgebildet sind.
Er erzählt von den ersten Schafen und ihrer Domestizierung, von Transhumanz, Wölfen und Problemen, die die Schafhaltung mit sich brachte.

Am besten gefallen hat mir die Geschichte, wie das Merinoschaf aus Spanien nach Deutschland kam (das Kapitel heißt “Menschenfressende Schafe”). Das war damals ein langwieriges und beschwerliches Unterfangen von fast einem Jahr, in dem erst Abgesandte und Schäfer aus Deutschland nach Spanien reisten und anschließend der Schäfer mit den Schafen zu Fuß von Spanien nach Deutschland zurückkehrte. Nix mit Tiertransporter. Alles zu Fuß, bei Wind und Wetter. Nicht alle Schafe haben das überlebt. Und als er hier ankam, ging die Zuchtarbeit erst los …

Am Ende des Buches gibt es kurze Porträts einzelner Rassen, die dem Autor besonders gefallen haben, inklusive schöner Zeichnungen der jeweiligen Rasse.

Buch Schafe E. Fuhr
Ein kleines, feines Büchlein (leider etwas unscharf, das korrigiere ich nochmal …).

Verlag Matthes & Seitz Berlin, ISBN 978-3-95757-399-5

„Schafe und ihre Menschen in Schleswig-Holstein“ von Ulrike Krickau

In diesem Buch werden Menschen und ihre Schafe vorgestellt – unter anderem Schäfer, Schafscherer, Käsehersteller und eine Familie mit 4 Generationen von Schafhaltern.
Das Inhaltsverzeichnis gibt einen Überblick von „Zuerst die Lämmer“ über „Leben und arbeiten mit Schafen“ und „Rund um die Schafzucht“ bis hin zu „Schafe und Wölfe“ und die „Geschichte der Schafe in Schleswig-Holstein“.

So ganz habe ich den roten Faden in diesem Buch nicht gefunden, es war eher alles ein bißchen zusammengewürfelt. Der Bilder wegen muss man das Buch nicht kaufen. Das tut jedoch den Geschichten und Einblicken selbst keinen Abbruch. Man bekommt ein erstes Verständnis dafür, was die Menschen umtreibt, die Schafe halten und es zeigt, wie viel Arbeit, Herzblut und auch Frust das mit sich bringt, mit welchen Problemen Schafhalter*innen zu kämpfen haben.

Besonders interessiert hat mich hier die Geschichte der Schafschererin Anke Mückenheim, die ich 2019 auf der Grünen Woche kennengelernt hatte – und dann kam 2020 das Buch heraus!

Buch Schafe und ihre Menschen
„Schafe und ihre Menschen …“ ist ein etwas größeres Buch. Die Fotos sind alle ungefähr in dem Stil, der auf dem Cover sichtbar ist.

Boyens-Verlag, ISBN 978-3-8042-1521-4

„Schaf & Mensch“ von Nina Sieverding und Anne Huntemann

Der Untertitel hatte sofort mein Interesse geweckt: „Wie sehen Schafhalter, Landschaftspfleger & Designer die Zukunft des Hausschafes?“ Das klang sehr vielversprechend (Designer und Schafhalter!) und wurde immer besser, als ich das Buch dann in den Händen hielt. Aber hübsch der Reihe nach.

In diesem Buch geht es (dem Inhaltsverzeichnis nach) um Wolle, Milch, Fleisch, Landschaftspflege, Zucht und Schafe als Therapiehelfer. Zu jedem dieser Themen werden Menschen befragt, vom Schäfer über die Schafschererin, die Betreiber einer neu gegründeten Spinnerei bis zu einer jungen Designerin. Teils in Prosa, teils im Interviewstil werden sehr abwechslungsreich Geschichten erzählt und Perspektiven aufgezeigt, und fand mich aufgeregt lächelnd und nickend am Ende des Buches wieder – da ist was in Bewegung! Mit dabei sind bekannte Namen wie Sven de Vries (@schafzwitschern) und Stefanie Kauschuß, aber auch neue spannende Projekte wie die Wendengarn-Spinnerei und der Begegnungshof HerzBerg Herdecke.

Das ganze Buch erscheint mir sehr hochwertig, die Bilder sind toll geschossen, in der Mitte gibt es einen Teil mit Illustrationen zu auf Wiesen verbreiteten Pflanzenarten, die durch Schafhaltung geschützt werden.

Buch Schaf und Mensch
„Schaf & Mensch“ hat ganz hervorragende Fotos – das Cover gibt hier wieder einen guten Eindruck.

Verlag LV.Buch, ISBN 978-3-7843-5663-1

“Die Welt der Stoffe” von Kassia St Clair

Dieses Buch ist grandios! Es steckt voller gut recherchierter Geschichten um Fasern und ihre Aufbereitung: von Leinentüchern im Alten Ägypten, über Seide im Alten China und die Seidenstraße sowie Baumwolle in Amerika bis hin zu modernen Fasern wie Viskose und der Herstellung von Raumanzügen.

Besonders gefallen hat mir das Kapitel „Drachenschiffe – Die Wollsegel der Wikinger“. Die Autorin bringt eine Anzahl anschaulicher Beispiele und Zahlen, und besonders im Gedächtnis blieben mir die Folgenden:

“ In ein großes Segel von 90 Quadratmetern fließt die Arbeit von rund 2 ½ Arbeitsjahren.” (S. 133).

“Man geht davon aus, dass 200 kg Wolle und dementsprechend 10 Jahre Arbeit nötig waren, um ein normales Wikinger-Frachtschiff samt Crew auszustatten …” (S. 138)

Es geht übrigens auch um Outdoorbekleidung aus Naturfasern, wie sie damals u. a. für die Erforschung des Südpols oder die Besteigung des Mount Everest verwendet wurde. Auch heute setzen ja einige Hersteller wieder auf Naturfasern, und oft wird dabei neben der Nachhaltigkeit die Atmungsaktivität der Wolle zitiert. Im Kapitel „Knickerbocker auf 8500 Meter“ las ich dann aber zu meinem Erstaunen, dass in diesen ersten Extrem-Expeditionen die natürliche Atmungsaktivität der Wolle nicht ausreichte, um den Schweiß der Anstrengung vom Körper der Bergsteiger wegzutransportieren. Die Kleidung blieb nass und das „ … führte dazu, dass sich zwischen Kleidungsschichten Eis bildete, dass Schals an Gesichtern und Socken an Füßen klebten und die Isolation der Kleider weiter reduzierten, teilweise gefroren …“ (S. 230). Das war mir so nicht klar.

Wer also viele neue Aspekte über alte Fasern erfahren möchte, dem lege ich dieses Buch schwer ans Herz! Für diejenigen unter euch, die gerne im Original lesen, gibt es das Buch unter dem Titel „The Golden Thread“ zu kaufen.

Buch Welt der Stoffe
„Die Welt der Stoffe“ ist in Stoff gebunden und fühlt sich dadurch hochwertig an.

Verlag Hoffmann und Campe, 1. Auflage 2020, ISBN 978-3-455-00641-4

„Schafe und Wolle in Europa“ von Betty Stikkers, Diderica Westerveld und Thérèse Akkermans

Wer ein auf Wolle ausgerichtetes Nachschlagewerk zu verschiedenen Schafrassen in Europa sucht, hatte es bis vor kurzem schwer. Zwar gab es das englischsprachige „Fleece and Fiber Source Book“, aber dieses konzentrierte sich hauptsächlich auf in Amerika und Großbritannien gehaltene Schafrassen. Erst 2020 kam dieses umfassende Nachschlagewerk für Züchter, Scherer und Wollverarbeiter im Rest Europas heraus, in dem vor allem auch hier beheimatete Landschafrassen vorgestellt werden.

Im ersten Teil gibt das Buch einen historischen Überblick von den ersten Schafen über die Entstehung der Rassen bis hin zu Bakewell. Des weiteren gibt es Hintergrundwissen zur Entstehung der Wolle am Schaf, zu Eigenschaften verschiedener Fasertypen sowie zum Scheren, Sortieren und Waschen eines Vlieses.

Den Hauptteil des Buches machen die alphabetisch geordneten Rasse- und Wolle-Beschreibungen aus. Pro Seite (ca. A5) wird dabei eine Rasse vorgestellt, mit Bildern der Schafe selbst, einer Locke, der Vliesstruktur und eines gesponnenen Garnes. Kurze Texte unter den Bildern geben Auskunft zu den Schafen, den Woll-Eigenschaften, Filz- und Spinn-Eigenschaften sowie der Vliesstruktur.

Das Buch könnt ihr im Onlineshop der Handspinngilde bestellen, und auch bei Alice im Wolleland ist es erhältlich (falls ihr zufällig noch etwas französische Wolle kaufen wollt).

Buch Schafe und Wolle in Europa
Cover
Buch Schafe und Wolle in Europa offen
Blick auf die einzelnen Schafrassen.

Druck: Onlyprint, Herausgeber: Betty Stikkers, ISBN 978-90-824961-3-0

„Was steckt in unserer Kleidung?“ von Rebecca Burgess, Courtney White und Leonie de Abrew

Ein Buch darf hier natürlich nicht fehlen – das Fibershed-Buch. Es ist die deutsche Ausgabe des englischsprachigen Originals „Fibershed“ von Rebecca Burgess, über das ich Anfang 2019 überhaupt erst auf die Fibershed-Bewegung aufmerksam wurde.
Da ich das deutschsprachige Buch noch nicht habe, beleuchte ich hier die englische Originalversion. Im deutschen Buch ist noch ein zusätzliches Kapitel über Fibershed DACH enthalten.

Worum geht es in diesem Buch? Es geht um nicht weniger als eine Neue Textilwirtschaft. Eine Textilwirtschaft, deren Produkte nicht 5x um den Globus gekarrt wurden, sondern aus den Fasern innerhalb einer bestimmten Region stammen – vom Anbau über Spinnen, Weben und Nähen bis zur Kompostierung. Eine solche Region nennt sich auf Englisch „Fibershed“, das etwas sperrige deutsche Wort dafür ist „Fasereinzugsgebiet“.

Das Buch behandelt im ersten Kapitel die Kosten von Fast Fashion – für die Umwelt, die Menschen und die Gesellschaft. Im Anschluss stellt es das Fibershed-Modell vor, das von Rebecca Burgess in ihrer Heimat Nordkalifornien ins Lebe gerufen wurde. Dabei werden Begriffe wie Soil-to-Soil und Carbon Cycle besprochen, um begreiflich zu machen, wie die Textilproduktion mit der Landwirtschaft zusammenhängt. Denn letztendlich ist jedes Kleidungsstück aus Naturfasern ein Produkt der Landwirtschaft.

Allein schon die Geschichte der Fibershed-Bewegung macht das Buch unglaublich lesenswert. Hier werden nicht nur Theorien und Postulate vorgestellt, sondern fundierte Erkenntnisse aus vielen Jahren Arbeit in diesem Bereich. Eine Fülle von Quellen und Ressourcen hilft bei der Vernetzung und der Übertragung des Modells auf die eigene Region – denn natürlich muss es immer auch den regionalen Gegebenheiten angepasst werden. Mittlerweile gibt es weltweit schon über 40 Regionale Fibersheds wie Fibershed DACH!

Loewenzahnverlag, ISBN 978-3706629614

Habt ihr noch tolle Buchempfehlungen? Schreibt mir gerne, dann nehme ich sie hier mit auf!


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Pinterest Pin Schafliteratur 2
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Schaftag 2022 auf dem Tempelhofer Feld

Es ist Sonntag, 21. August, 14 Uhr, und es ist echt heiß. Viel heißer noch als heute früh – die Sonne sticht und die Wolken sehen aus, als würden sie ein Gewitter mitbringen. Schatten ist Mangelware auf dem Tempelhofer Feld, aber ich bleibe trotzdem, denn heute ist Schaftag!

Es gibt in diesem Beitrag leider keine richtig schönen Fotos, irgendwie hatte ich an diesem Tag kein gutes Auge dafür. Nächstes Mal gibt es wieder bessere Bilder!

Ausblick Menschenmenge Tempelhofer Feld Schaftag 2022
Ganz schön was los auf dem Tempelhofer Feld.

Schafe auf dem Tempelhofer Feld

Wusstest Du, dass es auf dem Tempelhofer Feld Schafe gibt? Seit 2019 werden auf dem Tempelhofer Feld Skudden eingesetzt, um das Gelände extensiv zu beweiden und so die Artenvielfalt zu erhalten. Ich hatte irgendwann schon einmal davon gehört, aber da dieser Teil Berlins mit den Öffis fast eine Stunde von meinem Kiez entfernt liegt, komme ich da nur sehr selten vorbei.

Früher wurden hier zweimal im Jahr die Grünflächen radikal abgemäht. Durch diesen Eingriff verloren viele Arten von jetzt auf gleich ihre Rückzugsmöglichkeiten. Heute knabbern hier ungefähr hundert Skudden der Grün Berlin GmbH, betreut von Schäfer Frank Wasem, nach und nach langsam die Wiese klein. So werden diese wertvollen Rückzugsräume für viele Tiere erhalten, weil eben nicht auf einmal die ganze Vegetation weg ist. Das Projekt läuft noch bis 2024 und wird wissenschaftlich begleitet. Wer möchte, kann sich dazu vor Ort informieren (Informationen findet ihr hier auf der Seite der Grün Berlin GmbH).

Wollwasch-Strasse
Eine Wollwaschstraße war aufgebaut, aber leider nicht in Aktion zu beobachten.

Ich vergesse immer, wie weitläufig das Gelände ist, und so bin ich schon etwas fußlahm, als ich auf dem Bereich von Haus 104 ankomme. Es ist ordentlich was los – zwar verläuft sich alles ein bisschen auf dem großen Areal, aber an den Ständen ist man dicht gedrängt. Eine Weberin sitzt an einem Webstuhl auf einem Podest und webt, davor ist ein Tisch, an dem sich Kinder mit kleinen Webrahmen am Weben probieren. Daneben ist eine Wollwaschstrasse aufgebaut, eine ganze Reihe Plastikwannen mit Wasser und Spüli, und davor liegt Rohwolle.

Aktionstisch Naturpigmente Wolkenschafe
Hier konnte man Wolkenschafe basteln.
Wolle färben mit Naturfarben
Es gab auch einen Stand zum Wolle färben mit Naturfarben. Ich weiß leider nicht, ob es nur demonstriert wurde oder ob man auch selber ausprobieren konnte – als ich vorbeiging, war gerade niemand da.

Der Stand, an dem Kinder Filzschnüre herstellen können, ist ebenfalls dicht bedrängt und man muss schon etwas warten, bis man drankommt. Es gibt ein Kinderquiz, Anschauungsmaterial zu Wollen verschiedener Ziegen- und Schafrassen und auch einen Stand mit Wollprodukten der Firma Betten Rieger. Man kann sich zu natürlichen Pigmenten informieren – die Künstlerin Kristin Hensel (drawn with nature) ist auch da (und sehr, sehr beschäftigt). Kinder turnen auf riesigen Strohballen herum, die man sonst nur auf den abgeernteten Feldern liegen sieht.

Box mit Wolle-Fühlproben von verschiedenen Schafrassen
Sehr interessant und toll gemacht: Fühlproben der Wolle verschiedenster Schaf- und Ziegenrassen.

Weiter hinten fahren Kremserkutschen, und die Schafe sind so weit weg, dass es mir heute zu heiß ist, bis dorthin zu laufen. Ich hab auch nicht genug Wasser dabei. (Hinterher habe ich gelernt, dass die Kremserkutschen direkt zu den Schafen fahren – nächstes Mal bin ich schlauer!).

Mein Highlight: die Gesprächsrunde mit Wollexperten

Die Veranstaltung, deretwegen ich eigentlich hier bin, ist die Gesprächsrunde mit Wollexperten aus unterschiedlichen Bereichen. Marco von Nordwolle soll dabei sein, der Schäfer, der für die Skudden hier verantwortlich ist, und auch Frau Rieger von der Firma Betten Rieger aus Görlitz. Leider verspätet sich alles, Windböen pusten ganze Pavillons weg und die Plane von einem Catering-Stand hat es auch entwurzelt. Wahrscheinlich muss da im Hintergrund noch ein bisschen organisiert werden. Kurz nach 15 Uhr ist es endlich so weit: Die Gesprächsrunde geht los und die einzelnen Teilnehmer werden vorgestellt.

Marco Scheel von Nordwolle muss man unter Woll-Verrückten eigentlich gar nicht mehr vorstellen, aber sehr interessant zu lernen: Mittlerweile verarbeitet er die Wolle von 120 000 Schafen im Jahr. Bei geschätzten 3–4 kg Wolle pro Schaf sind das 360 – 480 Tonnen im Jahr. Das ist schon eine Nummer.

Schäfer Christoph Behling ist Skuddenzüchter und hat den Beruf noch zu DDR-Zeiten gelernt. Damals wurde noch auf Wollqualität gezüchtet und Wolle war eine ertragreiche Einnahmequelle für Schäfer. Er achtet (von Berufs wegen) sehr auf die Qualität seiner Wolle, lässt sie zu verschiedenen Produkten verarbeiten und hat selbst keine Probleme, Abnehmer dafür zu finden. Aber er sagt auch: Die meisten anderen Schäfer können das nicht. In der Regel lohnt sich Wollproduktion für Schäfer nur, wenn sie an ein Projekt gekoppelt ist, für das die Wolle produziert wird. Ohne Projekte funktionert es seiner Erfahrung nach nicht.

Schäfer Frank Wasem ist in seiner Berufskleidung da, er ist für die Schafe auf dem Tempelhofer Feld verantwortlich. Er erzählt vom Alltag und von Problemen.

Besonders interessant finde ich die Beiträge von der Künstlerin und Prof. für Architekturbezogene Kunst Folke Köbberling (Achtung: Seite hat kein SSL-Zertifikat). Sie kam mit dem Rohstoff Wolle über einen Schäfer in Berührung, der ihr einen Sack Wolle geschenkt hat. Seitdem setzt sie sich in ihren künstlerischen Projekten damit auseinander, wie man diesen wertvollen Rohstoff bestmöglich einsetzen kann. In ihrem Projekt beim Museum Folkwang in der „grünen mitte essen“ verarbeitete sie die Wolle tonnenweise – als Isolierung, als Schallschutz, unter Reetdächern.

Hand auf einem Skudde-Vlies
Skudde-Vliese zum Anfassen – natürlich musste ich da mal reingreifen!

Es ergibt sich eine sehr angeregte (aber leider viel zu kurze) Diskussion zu vielen wichtigen Punkten im Umgang mit Wolle, die ich euch aus der Erinnerung noch einmal zusammenfasse.

Wollqualität

Die zentrale Frage ist: Was ist gute Qualität? Dabei geht es sowohl um die Feinheit der Wolle als auch um die Sauberkeit. An der Feinheit kann man nur bedingt etwas ändern, vielmehr geht es darum, für die Wolle, die wir haben, den richtigen Verwendungszweck zu finden, findet Marco Scheel. Die Sauberkeit, also wie verkotet, eingestreut oder verklettet die Wolle ist, wird offenbar unterschiedlich gehandhabt. Während Herr Behling berichtet, dass Einstreu und Kot die Qualität der Wolle mindert (und das ist ja auch meine Erfahrung, die meisten Verarbeiter nehmen Wolle mit zu viel Dreck / Einstreu gar nicht erst an), sagt Marco von Nordwolle, dass das so nicht stimmt. Er nimmt auch verstrohte und verkotete Wolle, das können große Wäschereien offenbar sehr gut herauswaschen, und was dann noch in den Fasern ist, wird so stark zerkleinert, dass man es kaum noch sieht. Problematisch würde es erst, wenn man die Wolle dann noch färben wollte, denn Zellulosepartikel (also Heu und Stroh) nehmen Farbe unterschiedlich an und beeinträchtigen so das Färbeergebnis.

Wollwäschereien in Deutschland

Durch sehr hohe Anforderungen an das Abwasser ist es in Deutschland offenbar quasi nicht möglich, eine rentable Wollwäscherei zu betreiben. Daher wird es wohl auch in Zukunft nicht möglich sein, Wolle in großem Maßstab in Deutschland waschen zu lassen, man muss nach Belgien, Moldawien, Polen oder Portugal ausweichen. Offenbar hat Deutschland durch diese höheren Anforderungen einen Standortnachteil. Jetzt kann man sich natürlich fragen: Sind die Anforderungen an das Abwasser in Deutschland zu streng oder in den anderen Ländern zu lasch? Wie machen das Belgien oder Portugal? Ich kann das leider überhaupt nicht einschätzen. Wenn sich da jemand von euch auskennt, schreibt mir gerne oder hinterlasst einen Kommentar!

Bürokratie

Und damit waren wir auch beim Thema Bürokratie. Bürokratie stellt aus Sicht des Schäfers Frank Wasem eine wesentliche Hürde für die Schafhaltung dar. Das reicht von der Verpflichtung zum Anbringen von 2 Ohrmarken pro Tier (eine Anforderung, die es für Schweine z. B. nicht gibt, obwohl viel mehr Schweine als Schafe in Deutschland gehalten werden) bis hin zu der Einstufung von Rohwolle als tierisches Abfallprodukt der Gefahrenkategorie 3, die es z. B. verhindert, dass Wolle verschiedener Schäfer einfach so irgendwo gesammelt werden kann.
(Man kann es machen, aber man braucht dann offenbar eine Genehmigung bzw. Zertifizierung, und diesen Zusatzaufwand können viele Schafhalter und Schäfer einfach nicht leisten, weil es sich nicht rentiert.)

Wasserverbrauch

Marco von Nordwolle wurde gefragt, wie denn der Wasserverbrauch für eines seiner Kleidungsstücke ist – der Verbrauch ist ja bei Baumwolle bekanntermaßen gigantisch hoch. Er nannte die Zahl: 6 Liter. Das ist erstaunlich, finde ich.

Die Zukunft der Wolle

Zum Abschluss kam die Frage auf, wo denn die Teilnehmer die Zukunft der Wolle sehen. Marco Scheel ist es wichtig, dass man Verwendungsmöglichkeiten für Wolle findet, die ihren Eigenschaften entsprechen. Das muss also nicht die Weichheit sein, sondern vielleicht die Isolierfähigkeit. Die ist für die Schafe überlebenswichtig im hiesigen Klima, die haben sie über tausende Jahre verfeinert, die kann man herausarbeiten. So hat Nordwolle zusammen mit Storopack (einer Firma für Isoliermaterial, die eigentlich Styropor verwendet) eine Isolierverpackung entwickelt, in der Wolle zwischen zwei Wellpappe-Schichten eingearbeitet ist. Diese Verpackung ist komplett biologisch abbaubar und soll für den Lebensmittel- und den Pharmabereich eingesetzt werden. (Auf der Website der Firma Storopack konnte ich dazu leider nichts finden).

Für Marco Scheel liegt die Zukunft der Wolle im Hightech-Bereich, weil dort die höchste Wertschöpfung möglich ist. Für die Künstlerin Folke Köbberling und auch Schäfer Frank Wasem ist klar, dass auch die Politik gefragt ist, diverse Hürden abzubauen, damit beispielsweise Rohwolle (also ungewaschene Wolle) auch als Bau- oder Dämmstoff eingesetzt werden kann. Dafür braucht es mutige Menschen, mutige Bauherren, die sich darauf einlassen. Man darf also gespannt sein!


Der Schaftag 2022 wurde gemeinsam veranstaltet von der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher und Klimaschutz, der Grün Berlin GmbH, dem Allmende Kontor, 100 % ThF, Haus 104 und der Feldkoordination.

Alle Jahre wieder – Schafschur 2022

Sonntag früh, kurz nach 6, der Wecker klingelt. An jedem anderen Sonntag hätte ich entnervt das Kissen über den Kopf gezogen und einen Latschen nach dem lärmenden Ding geworfen, aber heute nicht. Heute ist wieder Schafschur!

Das Universum spielt mit, es ist nicht zu heiß und nicht zu kalt und vor allem: Es regnet nicht. Nasse Schafe kann man nämlich nicht scheren. Letzte Woche waren brütende 30 °C, gestern noch zogen stürmische Schauer übers Land, heute ist die Welt wieder in Ordnung.

Den Sortiertisch hab ich gestern schon ins Auto gepackt, jetzt fehlen nur noch Sonnencreme, genug Wasser, etwas zu essen und mein Morgenelixier – Kaffee – und dann gehts schon los Richtung Eberswalde.

Coburger Fuchs Kopf Nahaufnahme
Eine Coburger-Fuchs-Dame vor der Schur.

Morgens um acht in Eberswalde

Als ich um acht ankomme, ist Carina, die Schafhalterin von der Schäferei Schöne Schafe Biesenthal, schon eine ganze Weile auf den Beinen. Die Vorbereitungen gingen gestern schon los – Schafe einfangen und einpferchen, Zäune umstecken, damit alles bereit ist für den Scherer. Jetzt wird noch mal alles kontrolliert, der Ablaufplan für heute präzisiert, Helfer eingewiesen und alles aufgebaut. Heute wird nicht nur geschoren, die Mütter bekommen auch Klauenpflege (die macht der Scherer vor dem Scheren), eine Wurmkur, die Lämmer müssen entwurmt und geimpft werden, und eine Ektoparasitenbehandlung steht auch an. Außerdem wird bei jeder Mutter das Euter, Wolle und Klauen begutachtet und notiert. Und zu guter Letzt werden heute die Lämmer von den Müttern entwöhnt, denn sie sind mittlerweile groß genug. Die Bocklämmchen üben schon mal für die nächste Decksaison, und bevor sie da erfolgreich werden, müssen sie von den Mädels getrennt werden. Volles Programm also.

Lämmer und Mütter während der Schur
Mütter und Lämmer noch vereint vor der Schur. Kurz danach kamen Kinder und Damen in unterschiedliche Abteile.

Ich such mir ein Eckchen und baue meinen Tisch auf. Nach und nach kommen auch weitere Helfer dazu. Zwei Wollbegeisterte aus dem nahegelegenen Spinnkreis werden zum Schafe-Zuführen eingeteilt. Da die Schafe sich nicht von alleine brav in einer Reihe aufstellen, müssen sie mit einem Halfter eingefangen werden, damit der Scherer nahtlos weiterarbeiten kann. Er arbeitet heute in einem deutlich gemütlicheren Tempo als üblich, weil sonst die Drum-Herum-Arbeiten nicht hinterherkommen würden. Die Tierärztin ist jetzt auch da, sie hat die Medikamente zum Impfen mitgebracht und impft die Lämmer. Insgesamt sind wir sicher 12-14 Leute, und jeder hat zu tun.

graue, braune und weiße Lämmer während der Schur
Lämmergewusel – die Lämmer werden noch nicht geschoren und sind in einem separaten Pferch-Abteil untergebracht. Dort können sie ihre Mütter sehen und hören, und können gleichzeitig ihre Behandlung bekommen.

Der beste Job von allen: Wolle sortieren

Ich finde, ich hab den besten Job von allen: Wolle sortieren. Ich nehme dem Scherer das Vlies ab, bringe es zu meinem Sortiertisch und dann wird in Windeseile vorsortiert. So gut es geht, Bauch-Beine-Po rausnehmen, nach Kletten suchen und auch die entfernen, verfilzte Stellen um den Nacken herum. Noch kurz Nachschnitt rausschütteln, dann sind die 2 Minuten schon rum und das nächste Vlies steht an. Zum Glück sind wir zu dritt, alleine würde ich es wohl grade so schaffen, Kotreste zu entfernen und das jeweilige Vlies ins Big Back zu werfen. Wenn ich ein Vlies zum Handspinnen sortiere, nehme ich mir mehr Zeit und gehe wirklich handbreit für handbreit durch, aber das ist hier gar nicht möglich.

schmutzige Hand auf frisch geschorenem Coburger Fuchs Vlies
Wolle sortieren ist ein dreckiger Job. Und auch ein sehr schöner.

Wolle Sortieren ist für mich ein Fest für die Sinne. Die Vliese sind alle unterschiedlich: Rhönschafvliese sind mittelweich und einfach nur riesig, und ich frag mich immer, wie so viel Wolle auf ein einzelnes Schaf draufpasst. Mein Tisch ist für ein Rhönschafvlies definitiv zu klein. Die Vliese der Coburger Füchse hingegen sind weich, leicht und bauschig und ein regelrechter Traum. Wenn die ganzen Kletten raus sind, versteht sich. Und dann sind noch die Vliese der Wensleydales und Gotländischen Pelzschafe. Die sind klein und dafür recht schwer, und sie hängen nicht wirklich gut zusammen, ich muss gut aufpassen, dass sie auf dem Tisch nicht zu sehr zerfallen. Manche sind direkt auf dem Schaf zu wunderschönen Sitzunterlagen gefilzt … Ouessant-Vliese sind ganz klein, aber super schön, und ein dunkles mit ausgebleichten Spitzen hat mich ganz lieb angeflauscht und durfte mit mir nach Hause kommen. Ganz neu dieses Jahr sind Shetland-Vliese mit herrlichem Crimp.

Die Schafe riechen auch alle ein bisschen unterschiedlich, wie mir die anderen beiden Team-Kolleginnen beim Sortieren bestätigten. Ein bestimmtes Rauhwolliges Pommersches Landschaf hatte sogar einen speziellen mandelartigen Geruch. Abgefahren, echt abgefahren.

Und die ganze Zeit über hat man den Schaf-Soundtrack auf den Ohren. Die Schafe lassen dieses Großereignis schließlich nicht unkommentiert vorübergehen. Lämmer rufen nach ihren Müttern, die Mütter rufen zurück oder unterhalten sich über ihre neuen Frisuren – so genau kenn ich mich da noch nicht aus. Aber es ist definitiv ganz schön laut!

Nicht jedes Schaf mag das Scheren. Manche sind Profis – sie wissen, was kommt, halten still und lassen es über sich ergehen. Und manche wissen, was kommt – und fangen an zu zappeln. Da gibt es sehr unterschiedliche Temperamente, und bei manchen muss der Scherer die Schur unterbrechen und das Tier erst beruhigen und wieder richtig hinlegen, bevor es weitergehen kann. Wenn alles gut läuft, wirkt es fast wie ein Tanz mit dem Schaf, wie der Scherer es hält und dreht und mit den Beinen dirigiert.

Scherer beim Scheren eines Coburger Fuchs
Ein Coburger Fuchs wird vom Vlies befreit.

Schafscherer sein, vor allem hauptberuflich, ist ein Knochenjob. In seinem besten Jahr, erzählt er, hat er mal über 26 000 Schafe geschoren. Huiuiui. Das sind eine Menge Schafe. Aber es gibt bei den Scherern, wie auch bei den Schäfern, Nachwuchsprobleme, vor allem bei den Hauptberuflichen. Letztes Jahr haben wieder drei Scherer aufgehört. Wenn man mal annimmt, dass jeder im Jahr so ca. 10 000 bis 15 000 Schafe geschoren hat, dann haben dieses Jahr 30 000 bis 45 000 Schafe ein Problem. Geschoren werden müssen sie, das verlangt der Tierschutz. Aber was macht man als Schafhalter, wenn man keinen Schertermin bekommt? Den Scherer mit höheren Preisen anlocken? Mit Geld, was man über die Schafhaltung gar nicht mehr reinbekommt? Kann man sich Schafhaltung jetzt nur noch leisten, wenn man reich ist? Ich komme ganz schön ins Grübeln.

Immer wieder Neues lernen

Von einem Schafscherer, besonders von einem, der selber mal Schäfer war, kann man eine ganze Menge lernen. So wusste ich zwar, dass es Schafe mit einem (teilweisen) Wollwechsel gibt. Bei Shetlandschafen z. B. hat man zu einer bestimmten Zeit im Jahr einen sogenannten „rise“. An dieser Stelle werden die einzelnen Haare deutlich dünner, sodass sie eine Art Sollbruchstelle bekommen und man sie dort „raufen“ kann, d. h. man kann die Wolle direkt mit den Händen abziehen. Das tut den Schafen nicht weh. Was ich nicht wusste: Ein kleines bisschen ist das auch bei anderen Schafrassen so. Das ist das, was man bei Wolle als „schön abgewachsen“ bezeichnet. Zu einem bestimmten Zeitpunkt im Jahr (der offenbar von Rasse zu Rasse variiert), ist die Wolle abgewachsen, d. h. sie wird über der Haut etwas dünner, sodass sie auch dort leicht zu scheren ist. Wenn man vor diesem Zeitpunkt schert, ist sie noch nicht abgewachsen und der Scherer hat wirklich große Mühe, sich durch die Wolle zu kämpfen. Manchmal kann der Scherer auch nicht unterscheiden, ob er jetzt eine dicke Stelle Wolle schert oder ob da eine Hautfalte im Weg ist. Die Verletzungsgefahr für das Schaf ist also deutlich höher, wenn die Wolle noch nicht richtig abgewachsen ist. Dementsprechend kann man sich den Schurtermin nicht einfach so legen, wie man es gerne hätte, sondern ist auch da an den Haarzyklus gebunden. Wieder was gelernt.

Scherer beim Scheren eines Coburger Fuchs
Nochmal etwas näher bei der Schur des Coburger Fuchs: Die hellere Schicht Wolle, die unterhalb der Hand des Scherers auf dem Vlies liegt, war sehr dicht und ließ sich nur sehr schwer scheren. Ich konnte richtig sehen, wie er Kraft dafür aufwenden musste.

Interessanterweise hatte ich gerade zu diesem Thema einen Blogartikel von Irina von driftwool gelesen. Sie hatte mal die Literatur nach Untersuchungen zum Haarwachstum durchforstet und einen Übersichtsartikel geschrieben. Sehr interessant!

Bei der Schur einer etwas älteren Wensleydale-Dame kamen wir auch auf Wollqualität zu sprechen. Offensichtlich ist es auch so, dass vor allem bei Schafrassen, die wegen ihrer Wolle gezüchtet werden (viele englische Rassen), die Wollqualität mit zunehmendem Alter des Schafes stark abnimmt. Bis zu einem Alter von 4 Jahren ist die Wolle wohl noch in Ordnung, danach wird sie zunehmend schlechter.

Mutterschafe nach der Schur
Nach der Schur geht es unter lautem Geblöke wieder zurück auf die Weide.

Schafhaltung braucht community

Um 15 Uhr ist es dann geschafft. Das letzte Schaf geschoren und behandelt, jetzt geht es ans Aufräumen. Sieben Stunden gearbeitet, 14 Leute. Schafe halten ist definitiv etwas, was man nicht alleine als Einzelperson macht. Viele Dinge und Dienste kann man auch gar nicht mit Geld bezahlen oder in Geld ausdrücken. Was hätte es gekostet, 14 Menschen für 7h einen Mindestlohn zu bezahlen? So funktioniert Schafhaltung (und auch Landwirtschaft) irgendwie nicht.Man braucht eine community, Leute, die sich gegenseitig unterstützen und unter die Arme greifen, ohne nach Geld zu fragen. Die Enthusiasmus oder wenigstens Hilfsbereitschaft mitbringen, die sich einbringen wollen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Die eine Verbindung aufbauen oder erhalten wollen. Die einen Unterschied machen wollen. Und es macht definitiv einen Unterschied, ob man mit dem Scherer alleine auf der Weide steht oder Menschen hat, die einen unterstützen.

Ich weiß jedenfalls, wo mein Ouessant-Schaf gestanden hat, und ich hab auch noch seine Wolle vom letzten Jahr, und wenn ich noch ein kleines bisschen sammele, reicht es vielleicht auch noch für einen Pullover.

Kathrin glücklich und geschafft nach der Schur
Glücklich und geschafft nach der Schur. Nächstes Jahr bin ich wieder dabei!

Brandenburger Schafe – Besuch auf der Lämmerkoppel

Es ist Sonntag, Ende März 2022. Die Schäferei Schöne Schafe hat zur Offenen Lämmerkoppel eingeladen und ich nutzte diese schöne Gelegenheit, mein Patenschaf Rieke zu besuchen. So ging es nach dem Mittagessen mit Kind und Kegel auf nach Biesenthal, nicht ganz eine Stunde nordöstlich von Berlin. Das ist regionale Wolle pur!

Die Schäferei Schöne Schafe in Biesenthal

Die Schäferei Schöne Schafe ist eine kleine Naturschutzschäferei. Die Schafhalterin Carina Vogel züchtet Coburger Fuchsschafe und Gotländische Pelzschafe im Herdbuch, in der Herde finden sich aber auch Kreuzungen aus u.a. Rhönschaf und Gotländischem Pelzschaf, Ouessants und eine Wensleydale-Dame.

Mit ihren Tieren möchte Carina einige der letzten verbliebenen extensiven Grünlandflächen erhalten und schützen. Seit ihre Schafe, Ziegen (Kaschmir!) und Esel hier weiden, haben sich viele Insekten- und Reptilienarten wieder angesiedelt. Ihre Tiere sorgen dafür, dass die Flächen offen bleiben und nicht verbuschen, und so können wertvolle Biotope wie Trockenrasen und aufgelassenes Grünland erhalten werden.

Schafstimmung

Der Himmel ist strahlend blau, das Wetter könnte nicht besser sein, aber der Wind ist noch recht frisch. Als wir um 14 Uhr ankommen, ist schon ziemlich viel Betrieb: Auf einem abgesperrten Teil der Weide parken bereits 10, 15 PKW, und mehrere Besuchergrüppchen stromern über die Schafweide. So viele Besucher hatte ich gar nicht erwartet, letztes Jahr waren es keine zwei Handvoll. Lämmchen mit roten Halsbändern hüpfen herum und kommentieren in den niedlichsten Tönen das ungewohnt lebhafte Treiben.

Rhönschaf-Lamm am Wassereimer
Ein Rhönschaf-Lämmchen!

Kaum aus dem Auto ausgestiegen, geh ich schon in die Knie: ein Rhönschaf-Lämmchen! Es ist so niedlich mit seinem schwarzen Kopf und dem weißen Körper. So richtig sicher steht es allerdings noch nicht, es wackelt hin und her auf seinen Beinen, lässt sich dadurch allerdings auch nicht von der Erkundung des Wassereimers abhalten.

Nach 5 Minuten kann ich mich von dem Kerlchen losreißen, wir gehen weiter auf die Weide. Es gibt ja noch mehr Schafe! Dabei fällt mir deutlich auf, wie trocken und braun die Weide ist. Stimmt, wenn ich so darüber nachdenke, hat es lange nicht mehr geregnet. Das schöne Wetter ist auf einmal gar nicht so schön, wenn ich als Maßstab „verfügbare Futtermengen für die Schafe“ anlege. Nichts wächst, es muss Heu zugefüttert werden, damit die Mutterschafe genug zu fressen haben, um Milch für ihre Lämmer zu haben.

Wir machen Stopp beim Verkaufsstand, den Carina aufgebaut hat. Sie verkauft auch Produkte von ihren Schafen: handgesponnene Wolle (ja, sie spinnt auch!), kardierte Wolle, Schaffelle, Einlegesohlen, Westen, Bettwaren. Fleischprodukte verkauft sie auch, aber die sind heute natürlich nicht dabei (Kühlung auf der Weide ist ein schwieriges Unterfangen).

ruhende Schafe, Rieke mit Lämmern
Schaf-Siesta. Im Vordergrund liegt mein Patenschaf mit ihren drei Lämmern. Dahiner liegen Coburger-Fuchs-Damen, die ganz dunklen Schafe sind Gotländische Pelzschafe.

Dann sind wir endlich im hintersten Winkel der Weide angekommen. Hierher haben sich die Schafe zurückgezogen, sie halten gerade Siesta, liegen in einer großen, lockeren Gruppe und käuen wieder. Einige Lämmchen sind auch direkt eingeschlafen. Carina steht am Heuballen und erzählt den wissbegierigen Besuchern von den Schafen und beantwortet geduldig viele Fragen.

Nach der Siesta steht die Herde auf und sucht sich ein neues Plätzchen. Jetzt können wir auch näher herangehen und die Tiere streicheln, wenn sie das zulassen. Einige Lämmchen sind neugierig und kommen ganz nah, schnuppern an ausgestreckten Händen und versuchen zu knabbern. Ich merke gar nicht, wie die Zeit vergeht, nur wie ich immer ruhiger werde. Schafe haben diesen Beruhigungseffekt, besonders, wenn ich in die Hocke gehe (wenn man optisch kleiner ist, trauen sich die Schafe dichter heran).

Rieke mit Tick, Trick und Track
Rieke mit Tick, Trick und Track.

Rieke, mein Patenschaf, ist eine Kreuzung aus Rhönschaf (Papa) und Gotländischem Pelzschaf (Mama). Sie hat in diesem Jahr das erste Mal Lämmer bekommen, und dann gleich Drillinge! Das ist eher ungewöhnlich, aber sie schlägt sich ganz hervorragend und kümmert sich prima um ihre drei Jungs. Tick, Trick und Track hat Carina sie getauft – sie sind wohl eine ganz schöne Rasselbande.

Frühlingszeit ist Lämmerzeit

Viele Schafe können das ganze Jahr über trächtig werden. Wenn man als Schafhalter:in also nicht ständig Lämmer haben möchte, muss man die Empfängnis steuern – Mädels und Jungs leben also bis auf eine kurze Zeit im Jahr in getrennten Gruppen (der Begriff „Boy-Group“ drängt sich hier auf…).

Wenn es dann so weit ist, bricht eine sehr arbeitsreiche Zeit heran. Es ist wie bei menschlichen Geburten auch: Man weiß nie so genau, wann es losgeht. Man muss oft nachsehen, wie es läuft, um gegebenenfalls eingreifen und helfen zu können. Nicht jede Geburt läuft problemlos ab. Lammen die Tiere das erste Mal oder haben sie schon Erfahrung? Wenn viele Erstgebärende dabei sind, ist mehr Hilfe nötig.

Die Schattenseiten

Nicht immer läuft alles glatt. Manche Tiere werden tot geboren. Manche sterben nach kurzer Zeit. Manche Geburtsverläufe sind schwer und man muß Geburtshilfe leisten. Dafür gibt es leider keine Vorbereitungskurse…
Das Ganze ist so anstrengend und mit Schlafmangel verbunden, wie es sich anhört. Auch emotional ist es sehr belastend, wenn man morgens auf die Weide kommt und schon wieder ein totes Lamm da liegt, das zu schwach war, oder ein Mutterschaf verendet ist.

Die Bilanz dieses Jahr war traurig: Es gab 16 tote Lämmer (tot geboren oder kurz nach der Geburt verstorben), und auch mehrere Mutterschafe haben es nicht geschafft. In jeder Lammzeit muss man damit rechnen, dass 10 – 15 % der Tiere sterben – weil das Mutterschaf schon alt war, durch Infektionen, Unfälle oder einfach Schwäche.

Flaschenlämmer – was sich so niedlich und süß anhört, ist ein ganz schöner Haufen Arbeit. Es ist ein bisschen wie bei Menschen auch: Die Babys brauchen alle zwei Stunden Nahrung. Wenn die Mutter gestorben ist, nicht genug Milch produziert oder das Lamm verstoßen hat, dann muss Carina oder einer der Helfer ran. Alle zwei Stunden. Bis das Lamm groß genug ist, auch Heu zu fressen und nur noch zugefüttert werden muss.

Das Highlight: Das Füttern der Flaschenlämmer

Schwarzes Flaschenlamm
Flaschenlämmer haben ein rotes Halsband bekommen, um sie leichter aus der Herde heraussuchen zu können. Leider hab ich kein Bild vom Füttern selbst – zu viele Beine im Weg für ein Bild…

Natürlich kann ich mich dem Niedlichkeits-Faktor nicht entziehen: Als die Flaschen zubereitet werden und die Lämmchen ganz aufgeregt angetrabt kommen, bin ich natürlich hin und weg. Die Besucherkinder scharen sich um die Helfer, die Carina zur Hand gehen, und alle juchzen und zücken die Handys zum Filmen und Fotografieren. Die sind aber auch zu süß! Und schon in wenigen Wochen sind sie groß, fressen Heu und die Mütter sind froh, wenn es wieder ein bisschen ruhiger wird auf der Koppel. Bis zum nächsten Jahr…

Wolle sortieren – ein Schafkurs

Wolle Sortieren – wenn aus der Schafwolle am Tier am Ende ein Pullover werden soll, kommt man um diesen Schritt der Wollverarbeitung nicht herum. Die Landwirtschaftsschule Luisenhof bietet hierzu einen tollen Weiterbildungskurs an, in dem Schafhalter und andere Interessierte genau solche Themen besprechen und auch praktische Erfahrungen machen können. Heute nehme ich euch mit auf den Skuddenhof Weseram, wo Kursleiter Christopher Behling aus seiner langjährigen Erfahrung in diesem Bereich recht kurzweilig plauderte und demonstrierte.

Üblicherweise findet der Kurs in dem traditionsreichen Gebäude der Schule in Oranienburg statt. Er umfasst theoretische und praktische Einheiten rund um Schafhaltung, -pflege und -krankheiten, aber auch Themen wie die geschichtliche Entwicklung der Wollverwertung in Brandenburg und Deutschland sowie praktisches Wissen zu Wollqualität und Wollverarbeitung werden besprochen. An diesem regnerischen und windigen Herbsttag ging es aber nach Weseram zum Skuddenhof von Katja und Christoph Behling. Hier gab es praktische Demonstrationen zum Thema Wolle sortieren – was unerlässlich ist, wenn ein Schafhalter die Wolle seiner Tiere verarbeiten lassen möchte.

Die Skudden der Behlings waren recht scheu und nur schwer zu fotografieren.

Der Skuddenhof in Weseram

Christoph Behling ist gelernter Schäfer. Er war lange Jahre Zuchtleiter in verschiedenen Betrieben und hat in seiner aktiven Zeit als Schäfer eine Menge Wolle sortiert und zur Verarbeitung gebracht. Wollqualität und Wollertrag waren damals in der DDR erklärte Zuchtziele, um vom Weltmarkt möglichst unabhängig zu werden. Mittlerweile arbeitet er am Schreibtisch, und zusammen mit seiner Frau Katja züchtet er weiße Skudden auf einem ausgebauten Hof in Weseram , eine gute Autostunde von Berlin entfernt. In der großen Scheune hießen die Behlings alle Kursteilnehmer willkommen und dann ging es einen Tag lang nur um Wolle, Vliese und Wollqualität.

Gute Wollqualität liegt den Behlings sehr am Herzen. Ihre ca. 50 Tiere scheren er und seine Frau selbst mit der Handschere. Skudden sind sehr kleine, robuste Schafe, und ihr Vlies ist mischwollig (hier habe ich schon einmal etwas zu Skudden geschrieben) . Oft wird die Wolle nicht weiter verwendet, aber Christoph berichtet mit leuchtenden Augen von einem archäologischen Projekt, für das mit seiner Wolle eine jahrtausendealte Hose nachgearbeitet wurde (schaut mal hier). Damals (also als die Hose hergestellt wurde) gab es noch keine Merinoschafe, die Schafwolle war deutlich gröber und ähnelte mehr der heutigen Skuddenwolle. Auch Textilkünstler und FilzerInnen wissen die gute Qualität seiner Vliese zu schätzen und nehmen sie ihm immer wieder gerne ab. Wie macht er das also?

Bevor es losging…im Vordergrund ist der Sortiertisch zu erkennen.

Gute Wollqualität

Gute Wollqualität, sagt er, fängt beim Futter an. Die Wolle zeigt genau an, ob es einem Schaf übers Jahr gut ging, oder ob es vielleicht krank war und Fieber hatte. An solchen Stellen wird die Wolle leicht dünner und brüchig, die Fasern reißen leichter. Auch die Art und Weise, wie das Futter (v.a. Heu) dargeboten wird, hat Einfluss auf die Wollqualität. Hängt die Raufe zu hoch und über den Köpfen der Tiere, dann fällt ihnen das Heu auf den Rücken, wird quasi in die Wolle „eingearbeitet“ und macht die Vliese kaum verwertbar. Sehr staubige Weideflächen sind auch nicht gut – der Sand und Staub setzen sich auf das Vlies, dringen in die Wolle ein und machen sie mit der Zeit brüchig und spröde. Der Schurzeitpunkt hat ebenfalls einen Einfluss – werden z.B. die Schafe vor der Aufstallung geschoren, enthalten sie weniger Einstreu.

Der Sortiertisch

Sortiert wird ein Vlies auf einem Sortiertisch. Christoph Behling benutzt eine Eigenkonstruktion aus Holzlatten, die er in angenehmer Arbeitshöhe auf Böcke legt. Es tut aber auch ein alter Lattenrost. Für Vliese, die nicht so gut zusammenhalten (oder für feinere Teile) ist manchmal ein Gitter besser, wie z.B. ein Kompostgitter. Egal, was man verwendet, es ist wirklich hilfreich, eine ergonomische Arbeitshöhe einzustellen – der Rücken und die Schultern danken es nach ein paar Stunden ????

Der Sortiertisch. Die Latten müssen gar nicht so eng zusammenliegen.

Das Sortieren

Nicht jedes Teil des Vlieses ist gleichermaßen verwertbar, verschiedene Teile müssen entsprechend ihrer Verwertbarkeit getrennt (also sortiert) werden. Eine gute Übersicht zu den verschiedenen Vliesteilen und ihrer Verwertbarkeit habe ich hier gefunden.

Das geschorene Vlies wird zunächst als Ganzes mit der Schnittkante nach oben auf einen Lattenrost gelegt und ausgebreitet (Bild 1). Meist läßt sich relativ leicht bestimmen, wo der Kopf und wo der Popo gewesen sein muss ????. Das Vlies wird geschüttelt, damit Schmutz und eventuell vorhandene Strohteile von der Oberfläche ab- und durch die Latten fallen. An der Schnittkante kann man schauen, ob der Scherer oft nachziehen musste. Dieser Nachschnitt ist deutlich kürzer als die restlichen Wollfasern und muss entfernt werden, entweder durch Absammeln oder Ausschütteln. Deutlich sichtbare kotverschmutzte Stellen kann man jetzt auch entfernen, indem man die betreffenden Vliesteile einfach abzieht.

Dann wird das Vlies gewendet und mit der Schnittkante nach unten hingelegt. Nochmal kräftig schütteln (Bild 2), und weiterer Nachschnitt und Schmutz fällt heraus, man hört es deutlich rieseln. Jetzt kann man die Fasern beurteilen (Bild 3). Wie lang sind die Stapel? Sind die Fasern brüchig, haben sie Schwachstellen? Sind sie verfilzt? Mit Heukrümeln durchzogen? All diese Faktoren mindern die Wollqualität. Verfilzte Stellen, die sich mit der Hand nicht mehr gut auseinanderziehen lassen, werden entfernt. Auch Pflanzenteile wie Kletten, Stroh oder Heureste sollte man erfühlen und durch Absammeln entfernen. Wenn zu viel davon in einem Vlies ist, lohnt es sich kaum, in stundenlanger Kleinarbeit Fitzelchen für Fitzelchen herauszusammeln. Manchmal ist das auch gar nicht möglich, weil das im Vlies enthaltene Wollfett alles an die Locken klebt. Solche Vliese sind dann eher was zum Düngen – wir nannten sie liebevoll „Tomatenvliese“.

Die besten Vliesteile sind an den Flanken und manchmal – wenn es nicht zu stark gefilzt ist – am Hals. An den Hinterbeinen wird die Wolle meist länger und gröber. Man kann also auch gröbere von feineren Vliesteilen trennen und separat verarbeiten, wenn man das möchte.

Die Spinnradausstellung

Nachdem die Wolle sortiert war, ging es weiter mit einer Führung durch die Spinnradausstellung. Die ist gerade neu gemacht und definitiv einen Abstecher wert für alle, die sich für Faserverarbeitung interessieren. Eine beträchtliche Sammlung von Spinngeräten und Werkzeugen ist in einem Nebengelass zusammengetragen worden und mit viel Enthusiasmus erzählt Christoph von der Geschichte der Räder. Es gibt Flachs-Räder, Hochzeitsräder, große Räder, kleine Räder, Spindelräder, Spindeln, und sogar einen eSpinner. Einige der neueren Modelle werden regelmäßig in den Spinnkursen eingesetzt, zu denen Katja ein Mal im Monat einlädt.

Das Filzen

Nach einer leckeren und wärmenden Suppe ging es im zweiten Teil um eine weitere, sehr alte Wollverarbeitungsart: Das Filzen. Die Kursleiterin Susanne Schächter-Heil hatte Material mitgebracht, und so konnte sich jeder Teilnehmer sein eigenes Andenken herstellen, den meditativen Charakter des Nassfilzens genießen und mit eigenen Händen erfahren, dass Wolle nicht gleich Wolle ist.

Neugierig geworden? Dann schau doch mal bei den Behlings vorbei 🙂

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