Das ist Rieke, mein Patenschaf. Sie ist 2020 geboren und wohnt in der Schäferei Schöne Schafe in Biesenthal bei Berlin. Dort ist sie emsig mit Naturschutz und Landschaftspflege beschäftigt und ist mittlerweile mehrfache Mutter.
Ein Patenschaf aussuchen ist gar nicht so leicht…
Dieses Bild ist 2020 entstanden, als ich mir ein Schaf aussuchen wollte (es gab so viele! Und sie waren ALLE so flauschig!!). Rieke ist eine Kreuzung aus Gotländischem Pelzschaf und Rhönschaf. Die Vliesfarbe hat sie vom Papa (dessen Vlies ich auch schon mal versponnen habe), die Löckchen und die Zeichnung im Gesicht hat sie von der Mama.
Wie ich so in der Herde stand, konnte ich mich damals nicht für ein Schaf entscheiden (siehe oben, maximaler Flauschfaktor). Den Ausschlag machte dann glaube ich ihr neugieriges aber vorsichtiges Erkunden meines Schnürsenkels (ist der wohl essbar?) und wie sie mit ihrer besten Freundin (einem knuffigen Coburger-Fuchs-Flaschenlamm) umherlief.
Ihre erste Wolle habe ich 2021 nach der Schur mitgenommen – aber leider war ein großer Teil davon verfilzt. Tolle Locken, ganz seidig (das muss von der Mama kommen), aber für mich nicht spinnbar.
Ich habe es nicht fertiggebracht, das Vlies für den Garten zu nehmen, und so lag es in einer Papiertüte, bis ich es neulich nochmal vorholte und genau anschaute. Und siehe da: ein paar Stückchen konnte man doch verwenden. Die hab ich gewaschen und machte mich daran, mit dem Spinnen zu experimentieren. Gar nicht so einfach, und ich will ja auch nichts für Proben “verschwenden”, ich habe ja nur so wenig…
Die Fasern sind lang, leicht gewellt, seidig aber robust. Mit 20 cm Faserlänge könnte ich die Locken zwar kämmen, allerdings wollte ich ein fluffiges, leichtes Garn, und so habe ich (inspiriert vom “Aus-der-Flocke”-Experiment) einfach eine Locke geflickt und dann aus der Falte gesponnen. Ich habe es einmal dünn und einmal dick probiert (mit meiner großen Bodenspindel). Die Idee dahinter: dünneres Garn gibt mehr Lauflänge, sodass es vielleicht für eine Weste reichen könnte, dickeres Garn entspricht mehr der Faser selbst.
Das Ergebnis: Beides ist schön! Die Garne sind keine Kuschelgarne sondern haben gut Biss, aber sie sind leicht und fluffig und haben auch Halo. Ich vermute, dass sie deshalb auch ein wenig pillen werden, weil ich mit wenig Drall gearbeitet habe (sonst wird es zu hart).
Nachdem ich die kleinen Strickpröbchen noch eine ganze Weile mit mir herumgetragen und bei verschiedenen Gelegenheiten bekuschelt habe, entschied ich mich dafür, sie doch eher dünner zu verstricken, denn ich trage Kleidung aus so ganz dicken Garnen nicht so gerne. Plus: durch die höhere Lauflänge kommt hoffentlich mehr als eine Weste raus…
Insgesamt habe ich nun 321,4 g und 324,8 m Rieke-Garn. Da werde ich wohl kombinieren müssen, wenn es für einen Pulli reichen soll…
Was sind eigentlich Patenschafe?
Manche Schäfereien bieten PatenSCHAFten an, d. h. man zahlt z. B. jährlich einen gewissen Betrag und bekommt dafür im Gegenzug ein Dankeschön. Wie genau das aussieht, ist von Schäferei zu Schäferei unterschiedlich.
In Riekes Fall deckt der Patenschaftsbetrag ungefähr die Kosten der Schafhaltung für sie (inkl. Veterinär, Schur und Futter). Dafür kann ich (nach Anmeldung) bei der Schäferin vorbeikommen und sie besuchen, wenn ich möchte, und ich kann ihr Vlies nach der Schur haben. Ich habe auch eine Patenschafts-Urkunde bekommen, auf der ihre Ohrmarkennummer und ein Bild von ihr drauf sind.
In anderen Schäfereien zahlt man einen kleineren Betrag, und es gibt vielleicht einen Tag der Offenen Tür, zu dem man „sein“ Schaf besuchen kann. Manchmal kann man Namen vergeben, manchmal nicht, die genauen Bedingungen sind immer genau auf die jeweilige Schäferei zugeschnitten.
Gibt es bei Dir in der Nähe auch Patenschafe, hast Du vielleicht sogar eins? Schreibs mir gerne in die Kommentare!
Einmal im Jahr veranstalten die Berliner Spinner ein Spinnfest – na, zumindest war das bis Corona so, die Pandemie hat da so einiges aus dem Tritt gebracht. Die letzten beiden Feste waren im Großen Saal des Gemeindehauses Berlin Buch, es gab ein unglaublich leckeres Buffet, einen Tisch mit lauter Inspiration (nicht nur spinntechnisch), einen Wettbewerb „wer spinnt den längsten Faden“, eine musikalische Einlage und wer wollte, konnte an einem Fasertausch teilnehmen (sowas wie „Wichteln“ für Spinnerinnen).
Dieses Jahr hat die liebe Doris wieder die Fäden in die Hand genommen und Anfang Juni ein wunderbares Fest organisiert. Wir waren zu Gast auf dem „Pensionsstall und Reitschule Zum alten Gutshof“ in Velten bei Julia und Ingo. Bei schönstem Juni-Wetter saßen wir auf dem riesigen Innenhof und haben es uns gutgehen lassen, geschnackt, Fasern getauscht und die Hofhunde und -katze gestreichelt.
Der Hof ist Heimat für jede Menge Tiere, die woanders niemand mehr haben wollte und die jetzt bei Julia und Ingo ein neues Zuhause haben – darunter Pfauen, Kakadus, ein Papagei, eine Schildkröte, Pferde, Streifenhörnchen, Alpakas und Englische Angorakaninchen. Der Nachbar hat Emus und Kängurus (ohne Quatsch! Das Foto ist leider nichts geworden). Es gibt auch eine Herde Walliser Schwarznasen (von denen wir zwar nur die Jungböcke gesehen haben – aber herrje, waren die knuffig!). Zwei Bernhardiner sind zwischen den Spinnern umher getrottet und haben aufgepasst, und überall flogen Schwalben herum (und verteilten Broschen …) 113 Nester hat Ingo gezählt!
Die liebe Meike aka filzhuhngruenes hat mit Besuchern Mäuse gefilzt, es gab eine Hofführung von Ingo, und nachmittags haben wir sogar vom örtlichen Reitverein eine Reitvorführung bekommen (Quadrillie hieß das) – sehr beeindruckend! Wer noch nicht genug Fasern hatte, konnte sich mit Regionaler Wolle eindecken, unter anderem Carina von der Schäferei Schöne Schafe hatte einen Tisch mit diversen Kardenbändern aufgebaut.
Die Zeit ist wie im Flug vergangen und obwohl ich nur am Schnattern war, habe ich gar nicht mit allen sprechen können. Einige sind von deutlich weiter weg hergekommen, und da sieht man sich eben nicht so oft und muss entsprechend viel nachholen :-). Von der lieben Katja habe ich noch eine coole Geschichte zu ihrem Metallspinnrad gehört – es ist über Umwege zu ihr gekommen, und dann stellte sie am Ende fest, dass es Männer aus ihrem eigenen Dorf in den 50er Jahren gebaut haben! Es spinnt immer noch super, sagt sie.
Leider habe ich auch kaum Fotos gemacht – nächstes Mal. Vielleicht.
Danke liebe Doris fürs Organisieren, es war ein toller Tag!
Wieder einmal habe ich gemerkt, wie himmelweit der Unterschied ist zwischen „Ich habe etwas mit dem Kopf verstanden“ und „Ich habe es mit eigenen Händen und am eigenen Körper erfahren“. Zwischen „Ich hab mir ein paar Videos angeschaut und es nachgemacht. War gar nicht so schwer.“ und „Ich habe einen richtig guten Kurs besucht und einen Aha-Moment nach dem anderen gehabt“.
Flachs ist nicht nur Faserpflanze. Flachs verbindet Menschen, auch über hundertfünfzig Jahre nach seinem Anbau. Er war Lebensversicherung für Frauen, wenn sie in Notlage kamen, konnten sie den Flachs verkaufen. Wolle kann man zur Not noch alleine verarbeiten, aber beim Flachs (insbesondere bei mehr als einer Handvoll) braucht es eine Gemeinschaft.
Raufen.
Trocknen.
Rösten,
Trocknen.
Brechen.
Schwingen.
Hecheln.
Ribben.
Spinnen.
Weben.
Für das Brechen, Schwingen, Hecheln und Ribben braucht es spezielle Werkzeuge und manchmal sogar eine spezielle Feuerstelle. Das kann kein Mensch ganz alleine machen. Vielmehr hat man sich zusammengetan und reihum den Flachs von jedem Hof des Dorfes verarbeitet. Für meine Handvoll Fasern habe ich einen ganzen Nachmittag gebraucht.
Was mir gar nicht so klar war: Flachs wird über die Jahre immer feiner, weil das, was man für eine „Faser“ hält, oftmals ein Bündel Fasern ist, das durch Pektine und Gummis zusammengehalten wird. Erst über die Jahre wird dieser „Kitt“ abgebaut und legt die Fasern frei. Wer also Unterwäsche machen wollte, legte den Flachs erst mal 20 Jahre auf die Seite. Bei Wolle ist das ja anders: Da liegen die einzelnen Fasern von Anfang an vor.
Der heute bei Handspinner*innen so beliebte Langflachs wurde von den Frauen damals allerdings nur ein paar Mal im Leben überhaupt versponnen – er kam ja in die Brautkisten der Mädchen und war ihre Lebensversicherung. Wenn es hart auf hart kam, konnte die Frau den Flachs verkaufen und musste so nicht hungern. Die allermeiste Zeit wurde überwiegend Werg versponnen – für Säcke, Scheuertücher, Heutücher … Arbeitstextilien eben.
Die krasseste Erkenntnis: Alles, was man als Handspinner*in heute an Flachszöpfen kaufen kann, ist alt – und es werden keine neuen Zöpfe mehr für den Verkauf an Handspinner*innen produziert. Flachsanbau für Handspinner*innen passiert im Grunde nur noch für den Eigenbedarf. Und damit verschwindet auch das Wissen um den Anbau und die Verarbeitung. Auch viele regionale Flachs-Varianten sind dem Saatgut für industriell gut verarbeitbaren Flachs gewichen.
In diesem Workshop haben wir nicht nur unglaublich viele Inhalte und spannende Geschichten von Christiane bekommen, sondern wir haben auch besprochen, wie man den Flachsanbau und die -verarbeitung wieder bekannter machen kann. Dazu wird demnächst auf dem Wandelgrund Flachs angebaut, und es sind Mitmach-Aktionen geplant, die den Flachs und Leinen erfahrbar machen sollen. Denn: Flachs ist ein Community-Projekt. Ich freu mich drauf!
“Ihre ergebenste Fräulein” , ein Film von Eva C. Heldmann
Ich bin ja nicht so ein Cineast, aber als ich eine Einladung zu einer Filmpremiere auf der Berlinale 2024 bekam, habe ich keine Sekunde gezögert. Und so fuhr ich an einem frühlingshaften Februartag zum Haus der Kulturen der Welt, um mir den Film anzusehen. Was das mit Wolle und Spinnen zu tun hat? Na, in besagtem Film haben mein Spinnrad und meine spinnenden Hände einen Auftritt!
Lasst uns nochmal kurz zurückspulen: Letztes Jahr kontaktierte mich die Filmemacherin Eva C. Heldmann über die Handspinngilde. Sie arbeitete an einem Film und suchte jemanden, der ihr das Spinnen zeigen konnte. Wir trafen uns auf einen Kaffee und es entspann sich ein sehr interessantes Gespräch über das eigentliche Sujet des Filmes: Catharina Helena Dörrien. Sie war eine Dame gehobeneren Standes, die im 18. Jhd in Frau Heldmanns Heimatstadt Dillenburg als Botanikerin, Malerin und Pädagogin lebte und wirkte. Für den Film war Frau Heldmann auf der Suche nach Informationen und bewegten Bildern rund um das Thema Spinnen.
Mädchen und Frauen wie Catharina Helena Dörrien war es damals im 18. Jhd. nicht möglich, eine ähnlich umfassende Ausbildung zu bekommen, wie sie für Jungen vorgesehen war. Dennoch eignete sie sich viel Wissen selbst an, indem sie im Unterricht ihrer Brüder anwesend war und sich die Lehrinhalte (u.a. Latein) durch aufmerksames Zuhören und ein phänomenales Gedächtnis einprägte. Sie fertigte in ihrer späteren Arbeit über 1400 unglaublich präzise und detailgetreue farbige Zeichnungen von Pflanzen aus ihrer Umgebung an und erhielt dabei viel Unterstützung von ihrem Arbeitgeber (dessen Kinder sie unterrichtete).
In den Film fanden aber nicht nur Zeichnungen, Briefe und pädagogische Schriften von Frau Dörrien Eingang, sondern auch in dieser Zeit veröffentlichte fürstliche Erlasse der damals Herrschenden. Und dabei ging es dann auch um das Spinnen: zum einen als eine für Mädchen und Frauen damals schickliche Tätigkeit, zum anderen als eine Art Zwangsarbeit für Waisenkinder oder säumige Steuerzahler.
Der Film war ganz anders als alle Filme, die ich bislang gesehen hatte. In den Bildern sieht man Dillenburg (den Wirkort von Frau Dörrien) heute, viele schöne Nahaufnahmen von Blumen und Gräsern und an einer Stelle auch meine Hände beim Spinnen. Darübergelegt sind Stimmen, die aus einem Brief der Frau Dörrien vorlesen bzw. im Kontrast dazu aus fürstlichen Erlassen. Es wurden offenbar ziemlich viele Erlasse veröffentlicht – zur Versorgung von Armen, zur Vertreibung nicht gewünschter Personen, ein Verbot von Spinnstuben als Orte des Lasters betreffend. Ein Erlass widmete sich der Einrichtung von Spinnschulen, in denen z. B. Waisenkinder oder mit Abgabenzahlungen im Rückstand befindliche Menschen zwangsweise spinnen (lernen) mussten. Diese Erlasse warfen ein ziemlich gruseliges Bild auf diese Zeit und was es bedeuten musste, dort zu leben und nicht zu der erwünschten Schicht Menschen zu gehören. Als ordentlicher Bürger in dieses Land aufgenommen zu werden, war mit hohen Hürden versehen. Selbst eine Ehe mit einer dort sesshaften Person führte bei einer Ablehnung des Aufnahmeantrags nur dazu, dass auch die Eheperson mit dem Antragsteller ausreisen musste.
Und zwischendrin erkannte ich das Klackern meines Spinnrades und meinen manchmal etwas gesprächigen Knecht, die als Tonspur über einige Bilder gelegt waren. Sogar das Geräusch, wie der Woolee Winder den Faden aufzieht, habe ich erkannt 🙂
Der Film ist eher zart und zurückhaltend, er lässt die Bilder und Zitate sprechen und liefert mir als Zuschauerin keine direkten Wertungen. Dadurch hat er bei mir viel nachgewirkt und mich zum Nachdenken angeregt. Während des Films habe ich natürlich aus Urheberrechtsgründen keine Aufnahmen machen können, aber ihr könnt euch vielleicht selbst noch ein Bild machen. Der Film läuft noch am 21.02.24 und am 25.02.24 auf der Berlinale.
Das Beitragsbild für diesen Artikel ist ein Gemälde von Friedrich Ludwig Hauck (1718-1801) – Portrait of Catharina Helena Dörrien by F. L. Hauck, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=91034735
Ein Spinntreffen (und ganz besonders das Große Spinntreffen der Handspinngilde) ist ja DIE Möglichkeit, Gleichgesinnte zu treffen, zu fachsimpeln, sich inspirieren zu lassen und weiterzubilden. Endlich ernte ich keine verständnislosen Blicke, wenn ich von Drall, Z-Twist und Support-Spindeln rede! Hier versteht man mich… Es ist ein bißchen wie eine Mischung aus Klassenfahrt und Jahrgangstreffen (mit genauso wenig Schlaf). In diesem Artikel erzähle ich euch vom Jahrestreffen 2023 in Plön, und vielleicht inspiriert das ja den einen oder die andere, nächstes Jahr auch vorbeizukommen. Denn: Du kannst auch teilnehmen, wenn Du kein Mitglied der Handspinngilde bist! Mitglieder haben natürlich eine Art „Vorkaufsrecht“ bei den Kursplätzen, aber freie Plätze kann man auch als Tagesgast vor Ort buchen. Oder eben einfach so zum geselligen Spinnen und für das Rahmenprogramm vorbeikommen.
Ein Spinntreffen – was gibt’s denn da alles?
Das Spinntreffen der Handspinngilde findet einmal im Jahr statt, und zwar (bislang) immer Ende September / Anfang Oktober. Die genauen Termine sind auf der Website der Handspinngilde zu finden. Da dieser Termin schon oft mit internationalen Terminen kollidierte (z. B. der Shetland Wool Week, Wollfestival auf Island), wird es wohl in 2025 einen Termin im Mai geben. Schaut einfach auf der Vereinswebsite unter „Veranstaltungen“, um euch zu informieren.
Das Treffen findet jedes Jahr woanders statt, so daß die Anfahrt für alle mal weiter und mal weniger weit ist. Diesmal war es für mich sehr angenehm, denn der Veranstaltungsort lag im Norden, in Plön in der Nähe von Kiel, also nur knapp 4 h entfernt.
Das Spinntreffen beginnt immer mit den Intensivkursen, die über mehrere Tage gehen und sich umfassend mit einem Thema beschäftigen. Die Themen reichen von Indigofärbekursen über Flachsaufbereitung (bis auf die Röste das volle Programm) bis zu gezieltem Spinnen. Die Kursleiter:innen haben viele Jahre Erfahrung auf ihren jeweiligen Gebieten und man lernt immer was dazu.
Anschließend findet dann das eigentliche Treffen statt. Es beginnt am Anreisetag mit der Mitgliederversammlung und anschließendem geselligen Beisammensein im großen Spinnsaal.
An den nachfolgenden Tagen finden jede Menge Kurse statt, meistens sind es 3-stündige, manchmal auch 6-stündige Kurse (dazu weiter unten mehr).
Es gibt meist Spiele, ein Quiz (dieses Jahr ging es darum, Fasern zu erraten), eine Modenschau und eine Tombola. Es wurde der längste Strang Deutschlands gewickelt – die Teile dafür hatten die Mitglieder dieses Jahr am Worldwide Spin in Public Day gesponnen und eingeschickt. Unter Mitwirkung vieler helfender Arme wurden alle eingesandten Stränge nun zu einem einzigen Strang zusammengefügt – er war am Ende über 4 km lang!
Oft gibt es auch Ausflüge in Museen oder Textilverarbeitungsstätten. So ging es dieses Mal unter anderem zur Spinnerei Blunck. Am zweiten und dritten Tag gibt es einen Marktplatz mit Fasern, Garnen, Spindeln und Zubehör – für viele die einzige Möglichkeit, Fasern, Spinnräder oder Spindeln vor dem Kauf ausgiebig anzuschauen, zu fühlen und zu testen. Dieses Jahr war auch Katrin Sonnemann mit Rohwolle aus ihrer Rohwoll-Kampagne das erste Mal vor Ort – eine wunderbare Gelegenheit, Wolle ab Schaf zu kaufen.
Auch wunderschön: es gab ein Konzert, denn eine Spinnerin ist Musikerin, hat ihr Instrument dick mit Wolle eingepackt und einfach mitgenommen (ich glaube, es war eine Gambe). Und so saßen alle Interessierten an einem Abend im kleinen Saal, die Räder surrten leise, und lauschten den Klängen Alter Französischer Barockmusik.
Unter Spinnern und anderen Faserverrückten
Die Zeit ist immer sehr intensiv – so viele Gespräche, Beisammensein und neue Eindrücke. Es gibt immer einen großen Spinnsaal, in dem sich alle abends (oder auch zwischendurch) treffen und in einer Art moderner Spinnstube sitzen, spinnen und Kontakte knüpfen. Ich sehe altbekannte Gesichter und freue mich über das Wiedersehen. Daneben komme ich ganz schnell mit mir Unbekannten ins Gespräch – „wie hast Du denn das gemacht? Kannst Du mir mal zeigen, wie …?“. So manches Mal kam mir dabei die Erkenntnis „Ach, Du bist die hinter dem Account xyz! Ich folge Dir doch auf Instagram!“
Und ab und an ist es gut, sich mal abzuseilen. Einen Spaziergang zu machen. Luft zu holen. Sonst explodiert nämlich der Kopf. Und dann sieht man viele, denen es genauso geht – man begegnet sich, erkennt sich, lächelt sich wissend zu, und setzt sich alleine auf die Bank am See, um den Wellen zuzuhören und ein wenig zur Ruhe zu kommen.
Die Kurse
Für mich sind die Kurse das Highlight des Spinntreffens. Manchen ist das zu stressig, und sie kommen vor allem des geselligen Teils wegen. Da es aber in Berlin kein so üppiges Kursprogramm gibt, nutze ich das sehr gerne, um Neues zu lernen und über meinen Tellerrand zu schauen.
Dieses Jahr war ich ganz schön übermütig und habe drei Kurse in zwei Tagen belegt, was dazu führte, dass ich am Ende ziemlich fertig war. Nächstes Jahr plane ich mir mehr Pausen ein … glaube ich.
Was mir auch klar wurde: Wer im Kurs ist, kann nicht gleichzeitig shoppen gehen. Das ist zwar gut für den Geldbeutel, aber ich war trotzdem etwas enttäuscht, als das eine Vlies, auf das ich spekuliert hatte, dann doch schon verkauft war. (Es kam dann ein anderes mit mir nach Hause, das fast genauso schön war. Der Geldbeutel hat davon also gar nichts mitbekommen …).
Kursübersicht
Was für Kurse gab es dieses Jahr? Puh, viele.
Tweed kardieren.
Fair-Isle Stricken.
Fingerhandschuhe stricken.
Spinnen mit Supported-Spindeln und mit Fallspindeln.
Knöpfe machen.
Farben entdecken, malen und dann auf das Blending Board übertragen.
Farbverläufe spinnen bei Verwendung eines Gürtelrockens.
Mützen filzen.
Und bestimmt noch mehr, die mir jetzt gerade entfallen sind.
Ich hatte mich für „Spinntechniken von der Steinzeit bis heute“, Nadelbinden und Schlaufenflechten entschieden. Witzigerweise stellte sich heraus, dass alle diese Kurse von derselben Kursleiterin gegeben wurden, mein Unterbewusstsein scheint also einen Plan gehabt zu haben … Ulrike Claßen-Büttner ist nämlich Archäologin und kennt sich von Berufs wegen mit der Entwicklung von textilen Techniken aus. Faszinierend, ich sags euch!
Spinntechniken
Vom Kurs zu den Spinntechniken habe ich mir Inspiration für das Demonstrieren der Technik auf Veranstaltungen versprochen und wurde nicht enttäuscht. Ulli hat uns in 3 h durch die gesamte Geschichte des Fäden-Machens, also durch fast 10 000 Jahre (?) Entwicklung geführt. Schritt für Schritt, vom ersten Verdrehen von Fasern mit den Händen bis zur Verwendung von Spindeln tausende Jahre später. Zur Anschauung hatte sie einen ganzen Tisch voller verschiedener Spindelmodelle mitgebracht, die man alle mal anschauen und in die Hand nehmen konnte! Als Spindelspinnerin war ich hin und weg.
Nadelbinden
Es ist schon wieder passiert. Ich dachte beim Buchen des Kurses zum Nadelbinden noch “Ach naja, sieht n bissel komisch und umständlich aus, und das Textil ist bestimmt bretthart. Ist bestimmt nix für Dich, aber probierste halt mal, dann kannste nen Haken dran machen und sagen, Du hast es probiert, aber es war halt nix…”. (Ihr wisst schon, ich muss immer wissen, wie was funktioniert.)
Tja.
Das fällt mal wieder in die Kategorie “Berühmte letzte Worte”. Ich häng jetzt nämlich auch an der Nadel. Nadelbinden ist absolut faszinierend! So ganz hab ich noch nicht verstanden, wie die Schlingen miteinander in Verbindung stehen, aber das Textil ist überhaupt nicht bretthart, sondern weich und elastisch. Allerdings ist das selbst für mich als Autodidakt eine Technik, die ich gezeigt bekommen musste, von Abbildungen konnte ich sie nicht lernen. Alle Anleitungen, die ich bislang gesehen hatte, waren mir ein Buch mit sieben Siegeln geblieben.
An dieser Stelle wie immer ein Disclaimer: Nadelbinden kann süchtig machen. Ich bin jetzt bei drei Beuteln als Musterproben und einer Maus. Fortsetzung folgt.
Schlaufenflechten
Schlaufenflechten wollte ich einfach nur aus Neugier ausprobieren. Es ist, wenn man es einmal gezeigt bekommen hat, recht einfach, und man kann aus kleinen Mengen Garn ganz hübsche kleine Bänder machen. Ab 6 Schlaufen kommt ein gewisses Maß an Fingeryoga ins Spiel, denn man muss die Finger einzeln ansprechen und bewegen. Klingt einfach? Dann versuch doch mal, von 6 unter Spannung gehaltenen Schlaufen nur die eine Schlaufe vom Ringfinger an den kleinen Finger der linken Hand weiterzugeben, ohne die andere Hand, den Nachbarn, Füße oder Zähne zu Hilfe zu nehmen…
Am nächsten Morgen hatte ich Blasen an den Fingern, so dass ich erst mal nicht weiterflechten konnte, sondern mich wieder dem Nadelbinden zuwandte… (siehe oben). Merke: Lockerlassen und dann weiterflechten. Lockerlassen. Lockerlassen.
Premiere: Ich bin jetzt Kursleiterin!
Ich hatte es eigentlich gar nicht geplant, aber dieses Jahr war ich das erste Mal als Kursleiterin beim Spinntreffen dabei. Das kam so: Bei der Grünen Woche 2023 saß ich (wie auch die Jahre davor) mit am Stand der Handspinngilde. Ich bin ja Spindelspinnerin, und so saß ich da mit meiner Lieblingsspindel und spann so vor mich hin. Die Martina schaute immer so zu mir rüber und meinte irgendwann, das sähe so entspannt und schön aus, ob ich nicht Lust hätte, da mal einen Kurs zu geben. Och, dachte ich, warum nicht. Das Thema geriet dann ein wenig aus dem Fokus, aber über den Sommer arbeitete ich an dem Konzept und erstellte ein Workbook. Und nun bin ich Kursleiterin, yeah!
In dem Kurs geht es, na klar, um meine Lieblingsspindeln. Das sind solche mit Spiralkerbe am oberen Ende, entweder als Spindelstäbe mit Wechselwirteln oder als antike französische Modelle. Das Spinnen mit diesen Spindeln vereint für mich das beste aus allen Welten: ich bestimme selber die Geschwindigkeit, in der ich arbeite, meine Arme sind nie zu kurz, es fehlt auch zwischendrin kein dritter Arm wie bei manchen anderen Techniken. Meine Teilnehmerinnen waren jedenfalls die absolute Wucht, es hat richtig viel Spaß gemacht, ihre Lernfortschritte zu beobachten und zu sehen, wie es irgendwann Klick machte.
Ich denke mal, da wird es wohl eine Fortsetzung geben nächstes Jahr in Gerolfingen…
(Ich habe – natürlich – kein einziges Foto von meinem Kurs gemacht…)
Die Handspinngilde
Jetzt habe ich so oft die Handspinngilde erwähnt, drum stelle ich sie noch einmal kurz vor. Die Handspinngilde ist ein gemeinnütziger Verein mit dem Ziel, das Handspinnen als zentrale Kulturtechnik der Menschheit zu fördern. Die Vereins-Website findest Du unter https://www.handspinngilde.org/ .
Die Mitgliedschaft kostet derzeit pro Jahr für einen Erwachsenen 30 Euro. Es gibt zwei Mal im Jahr eine Vereinszeitschrift mit Artikeln rund um Textiles und den Verein. Mitglieder haben die Möglichkeit, Literatur aus der Vereinsbibliothek und Werkzeuge bzw. Geräte aus dem Werkzeugpool auszuleihen. Hinzu kommt natürlich die Vernetzung unter Gleichgesinnten im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus.
Der Verein umfasst ein recht großes Gebiet, und so sind wir bemüht, Regionale Ansprechpartner:innen in den einzelnen Regionen zu etablieren. Wenn ihr also mal irgendwo in Deutschland Urlaub macht und jemanden zum gemeinsamen Spinnen sucht, schaut dort vorbei und scheut euch nicht, Kontakt aufzunehmen. Ich bin beispielsweise die Ansprechpartnerin für Fragen rund ums Spinnen in Berlin und nördlichem Umland. Das heißt nicht, dass ich alles weiß und für alles verantwortlich bin, aber ich kenne vielleicht jemanden, der jemanden kennt…
Mein Fazit – Es lohnt sich immer!
Das Spinntreffen ist immer ein Jahres-Highlight, das noch lange in mir nachklingt. Nirgendwo sonst sieht man so viele verschiedene Räder und Spindeln in Aktion und kann sich mit so vielen Gleichgesinnten austauschen. Als (neue) Kursleiterin sehe ich auch nochmal mit anderen Augen drauf – was da alles an Organisation im Hintergrund abläuft, damit alles reibungslos funktioniert, von der Ausstattung der Kursräume bis zur Zimmervergabe und der Essensplanung. Daher an dieser Stelle ein großes Dankeschön an den Vorstand und alle an der Organisation Beteiligten! Es war wunderbar!
Ich freue mich jetzt schon auf nächstes Jahr. Bis dahin werde ich die Rückmeldungen aus meinem Kurs auswerten und in die nächste Version einfließen lassen. Und ich hab auch schon Ideen für weitere Kurse… aber das muss sicher noch eine Weile reifen. Ich halte euch auf dem laufenden!
Immer wieder begegnet mir in Artikeln und Berichten zum Thema regionale Wolle das Statement, dass Schäfer:innen ihre Wolle verbrennen (müssen), weil sie auf ihr sitzen bleiben. Ich habe das bislang immer so hingenommen. Aber wenn ich mal drüber nachdenke, dann runzle ich die Stirn: Wolle ist doch eigentlich schwer entflammbar und selbstlöschend? So erkennt man sie jedenfalls (unter anderem) beim Flammtest, wenn man nicht weiß, aus welchem Material ein Faden oder ein Stoff besteht.
Woher kommt also ein Satz wie „Schäfer:innen verbrennen ihre Wolle“? Wie machen sie das? Fahren sie damit zur örtlichen Müllverbrennungsanlage? Nimmt die überhaupt tierische Nebenprodukte an? Wenn sie sie auf dem Feld verbrennen – stinkt das nicht ganz übel? Und muss man da nicht immer wieder anzünden, bis alles endlich verbrannt ist?
Kennt ihr Schäfer:innen, die ihre Wolle schon mal verbrannt haben? Habt ihr das selber schon mal machen müssen? Wisst ihr da was drüber?
By the way: es ist wieder #Schafschursaison. Wer also regionale Wolle verarbeiten und vor dem Verbrennen retten möchte: now is the time! Schafhalter:innen in eurer Nähe findet ihr bei den Schafzuchtverbänden eures Bundeslandes. Einfach Mal in die Suchmaschine eures Vertrauens eingeben!
Diesen Beitrag habe ich auf Instagram geteilt. Seitdem habe ich von vielen Menschen gehört, dass sie selbst schon gesehen haben, dass Schafhalter:innen ihre Wolle selbst verbrennen (unter Verwendung von Brandbeschleunigern). Andere fahren zur Müllverbrennungsanlage und lassen sie dort kostenpflichtig (und teuer) entsorgen. Das passiert nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa.
Ob am Strand oder mit einer heißen Tasse Tee auf dem Sofa – ich lese immer gerne ein gutes Buch. Wenn es sich dann noch um Wolle und / oder Schafe dreht und vielleicht noch Geschichten erzählt, umso besser. Heute stelle ich euch meine liebsten Bücher in deutscher Sprache rund um meine Lieblingsfaser vor. Vom Kinderbuch über Schaf-Geschichten bis hin zu fundiert recherchiertem und hervorragend aufbereitetem Fachwissen ist alles dabei. Im übrigen (und das kennzeichne ich mal als unbeauftragte Werbung aus Überzeugung): Im online-Shop von calling sheep in Sassnitz gibt es eine fein kuratierte Buch-Abteilung, die nicht nur Strickbücher hat, sondern auch Schafkrimis!
Zu jedem Buch habe ich euch ISBN und einen Link zum jeweiligen Verlag gegeben. Das sind keine Sponsored Links, ich bekomme kein Geld dafür. Alle Exemplare habe ich mir selbst gekauft und empfehle sie, weil ich sie selbst für empfehlenswert halte.
Beginnen möchte ich mit einem zauberhaften Kinderbuch über den Weg der Wolle vom Schaf zum Kleidungsstück. Pelle ist ein kleiner Junge, und er hat ein Lämmchen. Eines Tages werden ihm seine Kleider zu klein, und er möchte sich neue Kleider machen. Er schert also sein Lamm, aber weil er nicht alles alleine machen kann, sucht er sich Hilfe beim Waschen, kardieren, spinnen, weben, färben und schneidern. Jede Stufe der Wollverarbeitung wird erklärt, und sogar Handkarden und Spinnrad werden korrekt (!!) dargestellt – das ist etwas, was mir direkt ins Auge sprang. Üblicherweise muss man da einige „künstlerische Freiheiten“ in Kauf nehmen, weil die Illustrator*innen selten mit der Funktionsweise von Wollverarbeitungsgeräten vertraut sind. In diesem Falle hat alles seine Richtigkeit.
Dieses Büchlein ist wirklich ein Schatz. Ich habe es bereits bei Spinnkursen mit Kindern eingesetzt, um in das Thema Wolle und Wollverarbeitung einzusteigen – absolute Empfehlung!
Ein kleines aber feines Büchlein mit entzückenden Illustrationen und gut recherchierten Geschichten rund um Schafe. Um seine Geschichten zu erzählen, nimmt der Autor viele Gemälde zu Hilfe, auf denen in der einen oder anderen Form Schafe abgebildet sind. Er erzählt von den ersten Schafen und ihrer Domestizierung, von Transhumanz, Wölfen und Problemen, die die Schafhaltung mit sich brachte.
Am besten gefallen hat mir die Geschichte, wie das Merinoschaf aus Spanien nach Deutschland kam (das Kapitel heißt “Menschenfressende Schafe”). Das war damals ein langwieriges und beschwerliches Unterfangen von fast einem Jahr, in dem erst Abgesandte und Schäfer aus Deutschland nach Spanien reisten und anschließend der Schäfer mit den Schafen zu Fuß von Spanien nach Deutschland zurückkehrte. Nix mit Tiertransporter. Alles zu Fuß, bei Wind und Wetter. Nicht alle Schafe haben das überlebt. Und als er hier ankam, ging die Zuchtarbeit erst los …
Am Ende des Buches gibt es kurze Porträts einzelner Rassen, die dem Autor besonders gefallen haben, inklusive schöner Zeichnungen der jeweiligen Rasse.
„Schafe und ihre Menschen in Schleswig-Holstein“ von Ulrike Krickau
In diesem Buch werden Menschen und ihre Schafe vorgestellt – unter anderem Schäfer, Schafscherer, Käsehersteller und eine Familie mit 4 Generationen von Schafhaltern. Das Inhaltsverzeichnis gibt einen Überblick von „Zuerst die Lämmer“ über „Leben und arbeiten mit Schafen“ und „Rund um die Schafzucht“ bis hin zu „Schafe und Wölfe“ und die „Geschichte der Schafe in Schleswig-Holstein“.
So ganz habe ich den roten Faden in diesem Buch nicht gefunden, es war eher alles ein bißchen zusammengewürfelt. Der Bilder wegen muss man das Buch nicht kaufen. Das tut jedoch den Geschichten und Einblicken selbst keinen Abbruch. Man bekommt ein erstes Verständnis dafür, was die Menschen umtreibt, die Schafe halten und es zeigt, wie viel Arbeit, Herzblut und auch Frust das mit sich bringt, mit welchen Problemen Schafhalter*innen zu kämpfen haben.
Besonders interessiert hat mich hier die Geschichte der Schafschererin Anke Mückenheim, die ich 2019 auf der Grünen Woche kennengelernt hatte – und dann kam 2020 das Buch heraus!
„Schaf & Mensch“ von Nina Sieverding und Anne Huntemann
Der Untertitel hatte sofort mein Interesse geweckt: „Wie sehen Schafhalter, Landschaftspfleger & Designer die Zukunft des Hausschafes?“ Das klang sehr vielversprechend (Designer und Schafhalter!) und wurde immer besser, als ich das Buch dann in den Händen hielt. Aber hübsch der Reihe nach.
In diesem Buch geht es (dem Inhaltsverzeichnis nach) um Wolle, Milch, Fleisch, Landschaftspflege, Zucht und Schafe als Therapiehelfer. Zu jedem dieser Themen werden Menschen befragt, vom Schäfer über die Schafschererin, die Betreiber einer neu gegründeten Spinnerei bis zu einer jungen Designerin. Teils in Prosa, teils im Interviewstil werden sehr abwechslungsreich Geschichten erzählt und Perspektiven aufgezeigt, und fand mich aufgeregt lächelnd und nickend am Ende des Buches wieder – da ist was in Bewegung! Mit dabei sind bekannte Namen wie Sven de Vries (@schafzwitschern) und Stefanie Kauschuß, aber auch neue spannende Projekte wie die Wendengarn-Spinnerei und der Begegnungshof HerzBerg Herdecke.
Das ganze Buch erscheint mir sehr hochwertig, die Bilder sind toll geschossen, in der Mitte gibt es einen Teil mit Illustrationen zu auf Wiesen verbreiteten Pflanzenarten, die durch Schafhaltung geschützt werden.
Dieses Buch ist grandios! Es steckt voller gut recherchierter Geschichten um Fasern und ihre Aufbereitung: von Leinentüchern im Alten Ägypten, über Seide im Alten China und die Seidenstraße sowie Baumwolle in Amerika bis hin zu modernen Fasern wie Viskose und der Herstellung von Raumanzügen.
Besonders gefallen hat mir das Kapitel „Drachenschiffe – Die Wollsegel der Wikinger“. Die Autorin bringt eine Anzahl anschaulicher Beispiele und Zahlen, und besonders im Gedächtnis blieben mir die Folgenden:
“ In ein großes Segel von 90 Quadratmetern fließt die Arbeit von rund 2 ½ Arbeitsjahren.” (S. 133).
“Man geht davon aus, dass 200 kg Wolle und dementsprechend 10 Jahre Arbeit nötig waren, um ein normales Wikinger-Frachtschiff samt Crew auszustatten …” (S. 138)
Es geht übrigens auch um Outdoorbekleidung aus Naturfasern, wie sie damals u. a. für die Erforschung des Südpols oder die Besteigung des Mount Everest verwendet wurde. Auch heute setzen ja einige Hersteller wieder auf Naturfasern, und oft wird dabei neben der Nachhaltigkeit die Atmungsaktivität der Wolle zitiert. Im Kapitel „Knickerbocker auf 8500 Meter“ las ich dann aber zu meinem Erstaunen, dass in diesen ersten Extrem-Expeditionen die natürliche Atmungsaktivität der Wolle nicht ausreichte, um den Schweiß der Anstrengung vom Körper der Bergsteiger wegzutransportieren. Die Kleidung blieb nass und das „ … führte dazu, dass sich zwischen Kleidungsschichten Eis bildete, dass Schals an Gesichtern und Socken an Füßen klebten und die Isolation der Kleider weiter reduzierten, teilweise gefroren …“ (S. 230). Das war mir so nicht klar.
Wer also viele neue Aspekte über alte Fasern erfahren möchte, dem lege ich dieses Buch schwer ans Herz! Für diejenigen unter euch, die gerne im Original lesen, gibt es das Buch unter dem Titel „The Golden Thread“ zu kaufen.
„Schafe und Wolle in Europa“ von Betty Stikkers, Diderica Westerveld und Thérèse Akkermans
Wer ein auf Wolle ausgerichtetes Nachschlagewerk zu verschiedenen Schafrassen in Europa sucht, hatte es bis vor kurzem schwer. Zwar gab es das englischsprachige „Fleece and Fiber Source Book“, aber dieses konzentrierte sich hauptsächlich auf in Amerika und Großbritannien gehaltene Schafrassen. Erst 2020 kam dieses umfassende Nachschlagewerk für Züchter, Scherer und Wollverarbeiter im Rest Europas heraus, in dem vor allem auch hier beheimatete Landschafrassen vorgestellt werden.
Im ersten Teil gibt das Buch einen historischen Überblick von den ersten Schafen über die Entstehung der Rassen bis hin zu Bakewell. Des weiteren gibt es Hintergrundwissen zur Entstehung der Wolle am Schaf, zu Eigenschaften verschiedener Fasertypen sowie zum Scheren, Sortieren und Waschen eines Vlieses.
Den Hauptteil des Buches machen die alphabetisch geordneten Rasse- und Wolle-Beschreibungen aus. Pro Seite (ca. A5) wird dabei eine Rasse vorgestellt, mit Bildern der Schafe selbst, einer Locke, der Vliesstruktur und eines gesponnenen Garnes. Kurze Texte unter den Bildern geben Auskunft zu den Schafen, den Woll-Eigenschaften, Filz- und Spinn-Eigenschaften sowie der Vliesstruktur.
Druck: Onlyprint, Herausgeber: Betty Stikkers, ISBN 978-90-824961-3-0
„Was steckt in unserer Kleidung?“ von Rebecca Burgess, Courtney White und Leonie de Abrew
Ein Buch darf hier natürlich nicht fehlen – das Fibershed-Buch. Es ist die deutsche Ausgabe des englischsprachigen Originals „Fibershed“ von Rebecca Burgess, über das ich Anfang 2019 überhaupt erst auf die Fibershed-Bewegung aufmerksam wurde. Da ich das deutschsprachige Buch noch nicht habe, beleuchte ich hier die englische Originalversion. Im deutschen Buch ist noch ein zusätzliches Kapitel über Fibershed DACH enthalten.
Worum geht es in diesem Buch? Es geht um nicht weniger als eine Neue Textilwirtschaft. Eine Textilwirtschaft, deren Produkte nicht 5x um den Globus gekarrt wurden, sondern aus den Fasern innerhalb einer bestimmten Region stammen – vom Anbau über Spinnen, Weben und Nähen bis zur Kompostierung. Eine solche Region nennt sich auf Englisch „Fibershed“, das etwas sperrige deutsche Wort dafür ist „Fasereinzugsgebiet“.
Das Buch behandelt im ersten Kapitel die Kosten von Fast Fashion – für die Umwelt, die Menschen und die Gesellschaft. Im Anschluss stellt es das Fibershed-Modell vor, das von Rebecca Burgess in ihrer Heimat Nordkalifornien ins Lebe gerufen wurde. Dabei werden Begriffe wie Soil-to-Soil und Carbon Cycle besprochen, um begreiflich zu machen, wie die Textilproduktion mit der Landwirtschaft zusammenhängt. Denn letztendlich ist jedes Kleidungsstück aus Naturfasern ein Produkt der Landwirtschaft.
Allein schon die Geschichte der Fibershed-Bewegung macht das Buch unglaublich lesenswert. Hier werden nicht nur Theorien und Postulate vorgestellt, sondern fundierte Erkenntnisse aus vielen Jahren Arbeit in diesem Bereich. Eine Fülle von Quellen und Ressourcen hilft bei der Vernetzung und der Übertragung des Modells auf die eigene Region – denn natürlich muss es immer auch den regionalen Gegebenheiten angepasst werden. Mittlerweile gibt es weltweit schon über 40 Regionale Fibersheds wie Fibershed DACH!
Es ist Sonntag, 21. August, 14 Uhr, und es ist echt heiß. Viel heißer noch als heute früh – die Sonne sticht und die Wolken sehen aus, als würden sie ein Gewitter mitbringen. Schatten ist Mangelware auf dem Tempelhofer Feld, aber ich bleibe trotzdem, denn heute ist Schaftag!
Es gibt in diesem Beitrag leider keine richtig schönen Fotos, irgendwie hatte ich an diesem Tag kein gutes Auge dafür. Nächstes Mal gibt es wieder bessere Bilder!
Schafe auf dem Tempelhofer Feld
Wusstest Du, dass es auf dem Tempelhofer Feld Schafe gibt? Seit 2019 werden auf dem Tempelhofer Feld Skudden eingesetzt, um das Gelände extensiv zu beweiden und so die Artenvielfalt zu erhalten. Ich hatte irgendwann schon einmal davon gehört, aber da dieser Teil Berlins mit den Öffis fast eine Stunde von meinem Kiez entfernt liegt, komme ich da nur sehr selten vorbei.
Früher wurden hier zweimal im Jahr die Grünflächen radikal abgemäht. Durch diesen Eingriff verloren viele Arten von jetzt auf gleich ihre Rückzugsmöglichkeiten. Heute knabbern hier ungefähr hundert Skudden der Grün Berlin GmbH, betreut von Schäfer Frank Wasem, nach und nach langsam die Wiese klein. So werden diese wertvollen Rückzugsräume für viele Tiere erhalten, weil eben nicht auf einmal die ganze Vegetation weg ist. Das Projekt läuft noch bis 2024 und wird wissenschaftlich begleitet. Wer möchte, kann sich dazu vor Ort informieren (Informationen findet ihr hier auf der Seite der Grün Berlin GmbH).
Ich vergesse immer, wie weitläufig das Gelände ist, und so bin ich schon etwas fußlahm, als ich auf dem Bereich von Haus 104 ankomme. Es ist ordentlich was los – zwar verläuft sich alles ein bisschen auf dem großen Areal, aber an den Ständen ist man dicht gedrängt. Eine Weberin sitzt an einem Webstuhl auf einem Podest und webt, davor ist ein Tisch, an dem sich Kinder mit kleinen Webrahmen am Weben probieren. Daneben ist eine Wollwaschstrasse aufgebaut, eine ganze Reihe Plastikwannen mit Wasser und Spüli, und davor liegt Rohwolle.
Der Stand, an dem Kinder Filzschnüre herstellen können, ist ebenfalls dicht bedrängt und man muss schon etwas warten, bis man drankommt. Es gibt ein Kinderquiz, Anschauungsmaterial zu Wollen verschiedener Ziegen- und Schafrassen und auch einen Stand mit Wollprodukten der Firma Betten Rieger. Man kann sich zu natürlichen Pigmenten informieren – die Künstlerin Kristin Hensel (drawn with nature) ist auch da (und sehr, sehr beschäftigt). Kinder turnen auf riesigen Strohballen herum, die man sonst nur auf den abgeernteten Feldern liegen sieht.
Weiter hinten fahren Kremserkutschen, und die Schafe sind so weit weg, dass es mir heute zu heiß ist, bis dorthin zu laufen. Ich hab auch nicht genug Wasser dabei. (Hinterher habe ich gelernt, dass die Kremserkutschen direkt zu den Schafen fahren – nächstes Mal bin ich schlauer!).
Mein Highlight: die Gesprächsrunde mit Wollexperten
Die Veranstaltung, deretwegen ich eigentlich hier bin, ist die Gesprächsrunde mit Wollexperten aus unterschiedlichen Bereichen. Marco von Nordwolle soll dabei sein, der Schäfer, der für die Skudden hier verantwortlich ist, und auch Frau Rieger von der Firma Betten Rieger aus Görlitz. Leider verspätet sich alles, Windböen pusten ganze Pavillons weg und die Plane von einem Catering-Stand hat es auch entwurzelt. Wahrscheinlich muss da im Hintergrund noch ein bisschen organisiert werden. Kurz nach 15 Uhr ist es endlich so weit: Die Gesprächsrunde geht los und die einzelnen Teilnehmer werden vorgestellt.
Marco Scheel von Nordwolle muss man unter Woll-Verrückten eigentlich gar nicht mehr vorstellen, aber sehr interessant zu lernen: Mittlerweile verarbeitet er die Wolle von 120 000 Schafen im Jahr. Bei geschätzten 3–4 kg Wolle pro Schaf sind das 360 – 480 Tonnen im Jahr. Das ist schon eine Nummer.
Schäfer Christoph Behling ist Skuddenzüchter und hat den Beruf noch zu DDR-Zeiten gelernt. Damals wurde noch auf Wollqualität gezüchtet und Wolle war eine ertragreiche Einnahmequelle für Schäfer. Er achtet (von Berufs wegen) sehr auf die Qualität seiner Wolle, lässt sie zu verschiedenen Produkten verarbeiten und hat selbst keine Probleme, Abnehmer dafür zu finden. Aber er sagt auch: Die meisten anderen Schäfer können das nicht. In der Regel lohnt sich Wollproduktion für Schäfer nur, wenn sie an ein Projekt gekoppelt ist, für das die Wolle produziert wird. Ohne Projekte funktionert es seiner Erfahrung nach nicht.
Schäfer Frank Wasem ist in seiner Berufskleidung da, er ist für die Schafe auf dem Tempelhofer Feld verantwortlich. Er erzählt vom Alltag und von Problemen.
Besonders interessant finde ich die Beiträge von der Künstlerin und Prof. für Architekturbezogene Kunst Folke Köbberling (Achtung: Seite hat kein SSL-Zertifikat). Sie kam mit dem Rohstoff Wolle über einen Schäfer in Berührung, der ihr einen Sack Wolle geschenkt hat. Seitdem setzt sie sich in ihren künstlerischen Projekten damit auseinander, wie man diesen wertvollen Rohstoff bestmöglich einsetzen kann. In ihrem Projekt beim Museum Folkwang in der „grünen mitte essen“ verarbeitete sie die Wolle tonnenweise – als Isolierung, als Schallschutz, unter Reetdächern.
Es ergibt sich eine sehr angeregte (aber leider viel zu kurze) Diskussion zu vielen wichtigen Punkten im Umgang mit Wolle, die ich euch aus der Erinnerung noch einmal zusammenfasse.
Wollqualität
Die zentrale Frage ist: Was ist gute Qualität? Dabei geht es sowohl um die Feinheit der Wolle als auch um die Sauberkeit. An der Feinheit kann man nur bedingt etwas ändern, vielmehr geht es darum, für die Wolle, die wir haben, den richtigen Verwendungszweck zu finden, findet Marco Scheel. Die Sauberkeit, also wie verkotet, eingestreut oder verklettet die Wolle ist, wird offenbar unterschiedlich gehandhabt. Während Herr Behling berichtet, dass Einstreu und Kot die Qualität der Wolle mindert (und das ist ja auch meine Erfahrung, die meisten Verarbeiter nehmen Wolle mit zu viel Dreck / Einstreu gar nicht erst an), sagt Marco von Nordwolle, dass das so nicht stimmt. Er nimmt auch verstrohte und verkotete Wolle, das können große Wäschereien offenbar sehr gut herauswaschen, und was dann noch in den Fasern ist, wird so stark zerkleinert, dass man es kaum noch sieht. Problematisch würde es erst, wenn man die Wolle dann noch färben wollte, denn Zellulosepartikel (also Heu und Stroh) nehmen Farbe unterschiedlich an und beeinträchtigen so das Färbeergebnis.
Wollwäschereien in Deutschland
Durch sehr hohe Anforderungen an das Abwasser ist es in Deutschland offenbar quasi nicht möglich, eine rentable Wollwäscherei zu betreiben. Daher wird es wohl auch in Zukunft nicht möglich sein, Wolle in großem Maßstab in Deutschland waschen zu lassen, man muss nach Belgien, Moldawien, Polen oder Portugal ausweichen. Offenbar hat Deutschland durch diese höheren Anforderungen einen Standortnachteil. Jetzt kann man sich natürlich fragen: Sind die Anforderungen an das Abwasser in Deutschland zu streng oder in den anderen Ländern zu lasch? Wie machen das Belgien oder Portugal? Ich kann das leider überhaupt nicht einschätzen. Wenn sich da jemand von euch auskennt, schreibt mir gerne oder hinterlasst einen Kommentar!
Bürokratie
Und damit waren wir auch beim Thema Bürokratie. Bürokratie stellt aus Sicht des Schäfers Frank Wasem eine wesentliche Hürde für die Schafhaltung dar. Das reicht von der Verpflichtung zum Anbringen von 2 Ohrmarken pro Tier (eine Anforderung, die es für Schweine z. B. nicht gibt, obwohl viel mehr Schweine als Schafe in Deutschland gehalten werden) bis hin zu der Einstufung von Rohwolle als tierisches Abfallprodukt der Gefahrenkategorie 3, die es z. B. verhindert, dass Wolle verschiedener Schäfer einfach so irgendwo gesammelt werden kann. (Man kann es machen, aber man braucht dann offenbar eine Genehmigung bzw. Zertifizierung, und diesen Zusatzaufwand können viele Schafhalter und Schäfer einfach nicht leisten, weil es sich nicht rentiert.)
Wasserverbrauch
Marco von Nordwolle wurde gefragt, wie denn der Wasserverbrauch für eines seiner Kleidungsstücke ist – der Verbrauch ist ja bei Baumwolle bekanntermaßen gigantisch hoch. Er nannte die Zahl: 6 Liter. Das ist erstaunlich, finde ich.
Die Zukunft der Wolle
Zum Abschluss kam die Frage auf, wo denn die Teilnehmer die Zukunft der Wolle sehen. Marco Scheel ist es wichtig, dass man Verwendungsmöglichkeiten für Wolle findet, die ihren Eigenschaften entsprechen. Das muss also nicht die Weichheit sein, sondern vielleicht die Isolierfähigkeit. Die ist für die Schafe überlebenswichtig im hiesigen Klima, die haben sie über tausende Jahre verfeinert, die kann man herausarbeiten. So hat Nordwolle zusammen mit Storopack (einer Firma für Isoliermaterial, die eigentlich Styropor verwendet) eine Isolierverpackung entwickelt, in der Wolle zwischen zwei Wellpappe-Schichten eingearbeitet ist. Diese Verpackung ist komplett biologisch abbaubar und soll für den Lebensmittel- und den Pharmabereich eingesetzt werden. (Auf der Website der Firma Storopack konnte ich dazu leider nichts finden).
Für Marco Scheel liegt die Zukunft der Wolle im Hightech-Bereich, weil dort die höchste Wertschöpfung möglich ist. Für die Künstlerin Folke Köbberling und auch Schäfer Frank Wasem ist klar, dass auch die Politik gefragt ist, diverse Hürden abzubauen, damit beispielsweise Rohwolle (also ungewaschene Wolle) auch als Bau- oder Dämmstoff eingesetzt werden kann. Dafür braucht es mutige Menschen, mutige Bauherren, die sich darauf einlassen. Man darf also gespannt sein!
Der Schaftag 2022 wurde gemeinsam veranstaltet von der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher und Klimaschutz, der Grün Berlin GmbH, dem Allmende Kontor, 100 % ThF, Haus 104 und der Feldkoordination.
Sonntag früh, kurz nach 6, der Wecker klingelt. An jedem anderen Sonntag hätte ich entnervt das Kissen über den Kopf gezogen und einen Latschen nach dem lärmenden Ding geworfen, aber heute nicht. Heute ist wieder Schafschur!
Das Universum spielt mit, es ist nicht zu heiß und nicht zu kalt und vor allem: Es regnet nicht. Nasse Schafe kann man nämlich nicht scheren. Letzte Woche waren brütende 30 °C, gestern noch zogen stürmische Schauer übers Land, heute ist die Welt wieder in Ordnung.
Den Sortiertisch hab ich gestern schon ins Auto gepackt, jetzt fehlen nur noch Sonnencreme, genug Wasser, etwas zu essen und mein Morgenelixier – Kaffee – und dann gehts schon los Richtung Eberswalde.
Morgens um acht in Eberswalde
Als ich um acht ankomme, ist Carina, die Schafhalterin von der Schäferei Schöne Schafe Biesenthal, schon eine ganze Weile auf den Beinen. Die Vorbereitungen gingen gestern schon los – Schafe einfangen und einpferchen, Zäune umstecken, damit alles bereit ist für den Scherer. Jetzt wird noch mal alles kontrolliert, der Ablaufplan für heute präzisiert, Helfer eingewiesen und alles aufgebaut. Heute wird nicht nur geschoren, die Mütter bekommen auch Klauenpflege (die macht der Scherer vor dem Scheren), eine Wurmkur, die Lämmer müssen entwurmt und geimpft werden, und eine Ektoparasitenbehandlung steht auch an. Außerdem wird bei jeder Mutter das Euter, Wolle und Klauen begutachtet und notiert. Und zu guter Letzt werden heute die Lämmer von den Müttern entwöhnt, denn sie sind mittlerweile groß genug. Die Bocklämmchen üben schon mal für die nächste Decksaison, und bevor sie da erfolgreich werden, müssen sie von den Mädels getrennt werden. Volles Programm also.
Ich such mir ein Eckchen und baue meinen Tisch auf. Nach und nach kommen auch weitere Helfer dazu. Zwei Wollbegeisterte aus dem nahegelegenen Spinnkreis werden zum Schafe-Zuführen eingeteilt. Da die Schafe sich nicht von alleine brav in einer Reihe aufstellen, müssen sie mit einem Halfter eingefangen werden, damit der Scherer nahtlos weiterarbeiten kann. Er arbeitet heute in einem deutlich gemütlicheren Tempo als üblich, weil sonst die Drum-Herum-Arbeiten nicht hinterherkommen würden. Die Tierärztin ist jetzt auch da, sie hat die Medikamente zum Impfen mitgebracht und impft die Lämmer. Insgesamt sind wir sicher 12-14 Leute, und jeder hat zu tun.
Der beste Job von allen: Wolle sortieren
Ich finde, ich hab den besten Job von allen: Wolle sortieren. Ich nehme dem Scherer das Vlies ab, bringe es zu meinem Sortiertisch und dann wird in Windeseile vorsortiert. So gut es geht, Bauch-Beine-Po rausnehmen, nach Kletten suchen und auch die entfernen, verfilzte Stellen um den Nacken herum. Noch kurz Nachschnitt rausschütteln, dann sind die 2 Minuten schon rum und das nächste Vlies steht an. Zum Glück sind wir zu dritt, alleine würde ich es wohl grade so schaffen, Kotreste zu entfernen und das jeweilige Vlies ins Big Back zu werfen. Wenn ich ein Vlies zum Handspinnen sortiere, nehme ich mir mehr Zeit und gehe wirklich handbreit für handbreit durch, aber das ist hier gar nicht möglich.
Wolle Sortieren ist für mich ein Fest für die Sinne. Die Vliese sind alle unterschiedlich: Rhönschafvliese sind mittelweich und einfach nur riesig, und ich frag mich immer, wie so viel Wolle auf ein einzelnes Schaf draufpasst. Mein Tisch ist für ein Rhönschafvlies definitiv zu klein. Die Vliese der Coburger Füchse hingegen sind weich, leicht und bauschig und ein regelrechter Traum. Wenn die ganzen Kletten raus sind, versteht sich. Und dann sind noch die Vliese der Wensleydales und Gotländischen Pelzschafe. Die sind klein und dafür recht schwer, und sie hängen nicht wirklich gut zusammen, ich muss gut aufpassen, dass sie auf dem Tisch nicht zu sehr zerfallen. Manche sind direkt auf dem Schaf zu wunderschönen Sitzunterlagen gefilzt … Ouessant-Vliese sind ganz klein, aber super schön, und ein dunkles mit ausgebleichten Spitzen hat mich ganz lieb angeflauscht und durfte mit mir nach Hause kommen. Ganz neu dieses Jahr sind Shetland-Vliese mit herrlichem Crimp.
Die Schafe riechen auch alle ein bisschen unterschiedlich, wie mir die anderen beiden Team-Kolleginnen beim Sortieren bestätigten. Ein bestimmtes Rauhwolliges Pommersches Landschaf hatte sogar einen speziellen mandelartigen Geruch. Abgefahren, echt abgefahren.
Und die ganze Zeit über hat man den Schaf-Soundtrack auf den Ohren. Die Schafe lassen dieses Großereignis schließlich nicht unkommentiert vorübergehen. Lämmer rufen nach ihren Müttern, die Mütter rufen zurück oder unterhalten sich über ihre neuen Frisuren – so genau kenn ich mich da noch nicht aus. Aber es ist definitiv ganz schön laut!
Nicht jedes Schaf mag das Scheren. Manche sind Profis – sie wissen, was kommt, halten still und lassen es über sich ergehen. Und manche wissen, was kommt – und fangen an zu zappeln. Da gibt es sehr unterschiedliche Temperamente, und bei manchen muss der Scherer die Schur unterbrechen und das Tier erst beruhigen und wieder richtig hinlegen, bevor es weitergehen kann. Wenn alles gut läuft, wirkt es fast wie ein Tanz mit dem Schaf, wie der Scherer es hält und dreht und mit den Beinen dirigiert.
Schafscherer sein, vor allem hauptberuflich, ist ein Knochenjob. In seinem besten Jahr, erzählt er, hat er mal über 26 000 Schafe geschoren. Huiuiui. Das sind eine Menge Schafe. Aber es gibt bei den Scherern, wie auch bei den Schäfern, Nachwuchsprobleme, vor allem bei den Hauptberuflichen. Letztes Jahr haben wieder drei Scherer aufgehört. Wenn man mal annimmt, dass jeder im Jahr so ca. 10 000 bis 15 000 Schafe geschoren hat, dann haben dieses Jahr 30 000 bis 45 000 Schafe ein Problem. Geschoren werden müssen sie, das verlangt der Tierschutz. Aber was macht man als Schafhalter, wenn man keinen Schertermin bekommt? Den Scherer mit höheren Preisen anlocken? Mit Geld, was man über die Schafhaltung gar nicht mehr reinbekommt? Kann man sich Schafhaltung jetzt nur noch leisten, wenn man reich ist? Ich komme ganz schön ins Grübeln.
Immer wieder Neues lernen
Von einem Schafscherer, besonders von einem, der selber mal Schäfer war, kann man eine ganze Menge lernen. So wusste ich zwar, dass es Schafe mit einem (teilweisen) Wollwechsel gibt. Bei Shetlandschafen z. B. hat man zu einer bestimmten Zeit im Jahr einen sogenannten „rise“. An dieser Stelle werden die einzelnen Haare deutlich dünner, sodass sie eine Art Sollbruchstelle bekommen und man sie dort „raufen“ kann, d. h. man kann die Wolle direkt mit den Händen abziehen. Das tut den Schafen nicht weh. Was ich nicht wusste: Ein kleines bisschen ist das auch bei anderen Schafrassen so. Das ist das, was man bei Wolle als „schön abgewachsen“ bezeichnet. Zu einem bestimmten Zeitpunkt im Jahr (der offenbar von Rasse zu Rasse variiert), ist die Wolle abgewachsen, d. h. sie wird über der Haut etwas dünner, sodass sie auch dort leicht zu scheren ist. Wenn man vor diesem Zeitpunkt schert, ist sie noch nicht abgewachsen und der Scherer hat wirklich große Mühe, sich durch die Wolle zu kämpfen. Manchmal kann der Scherer auch nicht unterscheiden, ob er jetzt eine dicke Stelle Wolle schert oder ob da eine Hautfalte im Weg ist. Die Verletzungsgefahr für das Schaf ist also deutlich höher, wenn die Wolle noch nicht richtig abgewachsen ist. Dementsprechend kann man sich den Schurtermin nicht einfach so legen, wie man es gerne hätte, sondern ist auch da an den Haarzyklus gebunden. Wieder was gelernt.
Interessanterweise hatte ich gerade zu diesem Thema einen Blogartikel von Irina von driftwool gelesen. Sie hatte mal die Literatur nach Untersuchungen zum Haarwachstum durchforstet und einen Übersichtsartikel geschrieben. Sehr interessant!
Bei der Schur einer etwas älteren Wensleydale-Dame kamen wir auch auf Wollqualität zu sprechen. Offensichtlich ist es auch so, dass vor allem bei Schafrassen, die wegen ihrer Wolle gezüchtet werden (viele englische Rassen), die Wollqualität mit zunehmendem Alter des Schafes stark abnimmt. Bis zu einem Alter von 4 Jahren ist die Wolle wohl noch in Ordnung, danach wird sie zunehmend schlechter.
Schafhaltung braucht community
Um 15 Uhr ist es dann geschafft. Das letzte Schaf geschoren und behandelt, jetzt geht es ans Aufräumen. Sieben Stunden gearbeitet, 14 Leute. Schafe halten ist definitiv etwas, was man nicht alleine als Einzelperson macht. Viele Dinge und Dienste kann man auch gar nicht mit Geld bezahlen oder in Geld ausdrücken. Was hätte es gekostet, 14 Menschen für 7h einen Mindestlohn zu bezahlen? So funktioniert Schafhaltung (und auch Landwirtschaft) irgendwie nicht.Man braucht eine community, Leute, die sich gegenseitig unterstützen und unter die Arme greifen, ohne nach Geld zu fragen. Die Enthusiasmus oder wenigstens Hilfsbereitschaft mitbringen, die sich einbringen wollen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Die eine Verbindung aufbauen oder erhalten wollen. Die einen Unterschied machen wollen. Und es macht definitiv einen Unterschied, ob man mit dem Scherer alleine auf der Weide steht oder Menschen hat, die einen unterstützen.
Ich weiß jedenfalls, wo mein Ouessant-Schaf gestanden hat, und ich hab auch noch seine Wolle vom letzten Jahr, und wenn ich noch ein kleines bisschen sammele, reicht es vielleicht auch noch für einen Pullover.
Es ist Sonntag, Ende März 2022. Die Schäferei Schöne Schafe hat zur Offenen Lämmerkoppel eingeladen und ich nutzte diese schöne Gelegenheit, mein Patenschaf Rieke zu besuchen. So ging es nach dem Mittagessen mit Kind und Kegel auf nach Biesenthal, nicht ganz eine Stunde nordöstlich von Berlin. Das ist regionale Wolle pur!
Die Schäferei Schöne Schafe in Biesenthal
Die Schäferei Schöne Schafe ist eine kleine Naturschutzschäferei. Die Schafhalterin Carina Vogel züchtet Coburger Fuchsschafe und Gotländische Pelzschafe im Herdbuch, in der Herde finden sich aber auch Kreuzungen aus u.a. Rhönschaf und Gotländischem Pelzschaf, Ouessants und eine Wensleydale-Dame.
Mit ihren Tieren möchte Carina einige der letzten verbliebenen extensiven Grünlandflächen erhalten und schützen. Seit ihre Schafe, Ziegen (Kaschmir!) und Esel hier weiden, haben sich viele Insekten- und Reptilienarten wieder angesiedelt. Ihre Tiere sorgen dafür, dass die Flächen offen bleiben und nicht verbuschen, und so können wertvolle Biotope wie Trockenrasen und aufgelassenes Grünland erhalten werden.
Schafstimmung
Der Himmel ist strahlend blau, das Wetter könnte nicht besser sein, aber der Wind ist noch recht frisch. Als wir um 14 Uhr ankommen, ist schon ziemlich viel Betrieb: Auf einem abgesperrten Teil der Weide parken bereits 10, 15 PKW, und mehrere Besuchergrüppchen stromern über die Schafweide. So viele Besucher hatte ich gar nicht erwartet, letztes Jahr waren es keine zwei Handvoll. Lämmchen mit roten Halsbändern hüpfen herum und kommentieren in den niedlichsten Tönen das ungewohnt lebhafte Treiben.
Kaum aus dem Auto ausgestiegen, geh ich schon in die Knie: ein Rhönschaf-Lämmchen! Es ist so niedlich mit seinem schwarzen Kopf und dem weißen Körper. So richtig sicher steht es allerdings noch nicht, es wackelt hin und her auf seinen Beinen, lässt sich dadurch allerdings auch nicht von der Erkundung des Wassereimers abhalten.
Nach 5 Minuten kann ich mich von dem Kerlchen losreißen, wir gehen weiter auf die Weide. Es gibt ja noch mehr Schafe! Dabei fällt mir deutlich auf, wie trocken und braun die Weide ist. Stimmt, wenn ich so darüber nachdenke, hat es lange nicht mehr geregnet. Das schöne Wetter ist auf einmal gar nicht so schön, wenn ich als Maßstab „verfügbare Futtermengen für die Schafe“ anlege. Nichts wächst, es muss Heu zugefüttert werden, damit die Mutterschafe genug zu fressen haben, um Milch für ihre Lämmer zu haben.
Wir machen Stopp beim Verkaufsstand, den Carina aufgebaut hat. Sie verkauft auch Produkte von ihren Schafen: handgesponnene Wolle (ja, sie spinnt auch!), kardierte Wolle, Schaffelle, Einlegesohlen, Westen, Bettwaren. Fleischprodukte verkauft sie auch, aber die sind heute natürlich nicht dabei (Kühlung auf der Weide ist ein schwieriges Unterfangen).
Dann sind wir endlich im hintersten Winkel der Weide angekommen. Hierher haben sich die Schafe zurückgezogen, sie halten gerade Siesta, liegen in einer großen, lockeren Gruppe und käuen wieder. Einige Lämmchen sind auch direkt eingeschlafen. Carina steht am Heuballen und erzählt den wissbegierigen Besuchern von den Schafen und beantwortet geduldig viele Fragen.
Nach der Siesta steht die Herde auf und sucht sich ein neues Plätzchen. Jetzt können wir auch näher herangehen und die Tiere streicheln, wenn sie das zulassen. Einige Lämmchen sind neugierig und kommen ganz nah, schnuppern an ausgestreckten Händen und versuchen zu knabbern. Ich merke gar nicht, wie die Zeit vergeht, nur wie ich immer ruhiger werde. Schafe haben diesen Beruhigungseffekt, besonders, wenn ich in die Hocke gehe (wenn man optisch kleiner ist, trauen sich die Schafe dichter heran).
Rieke, mein Patenschaf, ist eine Kreuzung aus Rhönschaf (Papa) und Gotländischem Pelzschaf (Mama). Sie hat in diesem Jahr das erste Mal Lämmer bekommen, und dann gleich Drillinge! Das ist eher ungewöhnlich, aber sie schlägt sich ganz hervorragend und kümmert sich prima um ihre drei Jungs. Tick, Trick und Track hat Carina sie getauft – sie sind wohl eine ganz schöne Rasselbande.
Frühlingszeit ist Lämmerzeit
Viele Schafe können das ganze Jahr über trächtig werden. Wenn man als Schafhalter:in also nicht ständig Lämmer haben möchte, muss man die Empfängnis steuern – Mädels und Jungs leben also bis auf eine kurze Zeit im Jahr in getrennten Gruppen (der Begriff „Boy-Group“ drängt sich hier auf…).
Wenn es dann so weit ist, bricht eine sehr arbeitsreiche Zeit heran. Es ist wie bei menschlichen Geburten auch: Man weiß nie so genau, wann es losgeht. Man muss oft nachsehen, wie es läuft, um gegebenenfalls eingreifen und helfen zu können. Nicht jede Geburt läuft problemlos ab. Lammen die Tiere das erste Mal oder haben sie schon Erfahrung? Wenn viele Erstgebärende dabei sind, ist mehr Hilfe nötig.
Die Schattenseiten
Nicht immer läuft alles glatt. Manche Tiere werden tot geboren. Manche sterben nach kurzer Zeit. Manche Geburtsverläufe sind schwer und man muß Geburtshilfe leisten. Dafür gibt es leider keine Vorbereitungskurse… Das Ganze ist so anstrengend und mit Schlafmangel verbunden, wie es sich anhört. Auch emotional ist es sehr belastend, wenn man morgens auf die Weide kommt und schon wieder ein totes Lamm da liegt, das zu schwach war, oder ein Mutterschaf verendet ist.
Die Bilanz dieses Jahr war traurig: Es gab 16 tote Lämmer (tot geboren oder kurz nach der Geburt verstorben), und auch mehrere Mutterschafe haben es nicht geschafft. In jeder Lammzeit muss man damit rechnen, dass 10 – 15 % der Tiere sterben – weil das Mutterschaf schon alt war, durch Infektionen, Unfälle oder einfach Schwäche.
Flaschenlämmer – was sich so niedlich und süß anhört, ist ein ganz schöner Haufen Arbeit. Es ist ein bisschen wie bei Menschen auch: Die Babys brauchen alle zwei Stunden Nahrung. Wenn die Mutter gestorben ist, nicht genug Milch produziert oder das Lamm verstoßen hat, dann muss Carina oder einer der Helfer ran. Alle zwei Stunden. Bis das Lamm groß genug ist, auch Heu zu fressen und nur noch zugefüttert werden muss.
Das Highlight: Das Füttern der Flaschenlämmer
Flaschenlämmer haben ein rotes Halsband bekommen, um sie leichter aus der Herde heraussuchen zu können. Leider hab ich kein Bild vom Füttern selbst – zu viele Beine im Weg für ein Bild…
Natürlich kann ich mich dem Niedlichkeits-Faktor nicht entziehen: Als die Flaschen zubereitet werden und die Lämmchen ganz aufgeregt angetrabt kommen, bin ich natürlich hin und weg. Die Besucherkinder scharen sich um die Helfer, die Carina zur Hand gehen, und alle juchzen und zücken die Handys zum Filmen und Fotografieren. Die sind aber auch zu süß! Und schon in wenigen Wochen sind sie groß, fressen Heu und die Mütter sind froh, wenn es wieder ein bisschen ruhiger wird auf der Koppel. Bis zum nächsten Jahr…
Wolle Sortieren – wenn aus der Schafwolle am Tier am Ende ein Pullover werden soll, kommt man um diesen Schritt der Wollverarbeitung nicht herum. Die Landwirtschaftsschule Luisenhof bietet hierzu einen tollen Weiterbildungskurs an, in dem Schafhalter und andere Interessierte genau solche Themen besprechen und auch praktische Erfahrungen machen können. Heute nehme ich euch mit auf den Skuddenhof Weseram, wo Kursleiter Christopher Behling aus seiner langjährigen Erfahrung in diesem Bereich recht kurzweilig plauderte und demonstrierte.
Üblicherweise findet der Kurs in dem traditionsreichen Gebäude der Schule in Oranienburg statt. Er umfasst theoretische und praktische Einheiten rund um Schafhaltung, -pflege und -krankheiten, aber auch Themen wie die geschichtliche Entwicklung der Wollverwertung in Brandenburg und Deutschland sowie praktisches Wissen zu Wollqualität und Wollverarbeitung werden besprochen. An diesem regnerischen und windigen Herbsttag ging es aber nach Weseram zum Skuddenhof von Katja und Christoph Behling. Hier gab es praktische Demonstrationen zum Thema Wolle sortieren – was unerlässlich ist, wenn ein Schafhalter die Wolle seiner Tiere verarbeiten lassen möchte.
Die Skudden der Behlings waren recht scheu und nur schwer zu fotografieren.
Der Skuddenhof in Weseram
Christoph Behling ist gelernter Schäfer. Er war lange Jahre Zuchtleiter in verschiedenen Betrieben und hat in seiner aktiven Zeit als Schäfer eine Menge Wolle sortiert und zur Verarbeitung gebracht. Wollqualität und Wollertrag waren damals in der DDR erklärte Zuchtziele, um vom Weltmarkt möglichst unabhängig zu werden. Mittlerweile arbeitet er am Schreibtisch, und zusammen mit seiner Frau Katja züchtet er weiße Skudden auf einem ausgebauten Hof in Weseram , eine gute Autostunde von Berlin entfernt. In der großen Scheune hießen die Behlings alle Kursteilnehmer willkommen und dann ging es einen Tag lang nur um Wolle, Vliese und Wollqualität.
Gute Wollqualität liegt den Behlings sehr am Herzen. Ihre ca. 50 Tiere scheren er und seine Frau selbst mit der Handschere. Skudden sind sehr kleine, robuste Schafe, und ihr Vlies ist mischwollig (hier habe ich schon einmal etwas zu Skudden geschrieben) . Oft wird die Wolle nicht weiter verwendet, aber Christoph berichtet mit leuchtenden Augen von einem archäologischen Projekt, für das mit seiner Wolle eine jahrtausendealte Hose nachgearbeitet wurde (schaut mal hier). Damals (also als die Hose hergestellt wurde) gab es noch keine Merinoschafe, die Schafwolle war deutlich gröber und ähnelte mehr der heutigen Skuddenwolle. Auch Textilkünstler und FilzerInnen wissen die gute Qualität seiner Vliese zu schätzen und nehmen sie ihm immer wieder gerne ab. Wie macht er das also?
Bevor es losging…im Vordergrund ist der Sortiertisch zu erkennen.
Gute Wollqualität
Gute Wollqualität, sagt er, fängt beim Futter an. Die Wolle zeigt genau an, ob es einem Schaf übers Jahr gut ging, oder ob es vielleicht krank war und Fieber hatte. An solchen Stellen wird die Wolle leicht dünner und brüchig, die Fasern reißen leichter. Auch die Art und Weise, wie das Futter (v.a. Heu) dargeboten wird, hat Einfluss auf die Wollqualität. Hängt die Raufe zu hoch und über den Köpfen der Tiere, dann fällt ihnen das Heu auf den Rücken, wird quasi in die Wolle „eingearbeitet“ und macht die Vliese kaum verwertbar. Sehr staubige Weideflächen sind auch nicht gut – der Sand und Staub setzen sich auf das Vlies, dringen in die Wolle ein und machen sie mit der Zeit brüchig und spröde. Der Schurzeitpunkt hat ebenfalls einen Einfluss – werden z.B. die Schafe vor der Aufstallung geschoren, enthalten sie weniger Einstreu.
Der Sortiertisch
Sortiert wird ein Vlies auf einem Sortiertisch. Christoph Behling benutzt eine Eigenkonstruktion aus Holzlatten, die er in angenehmer Arbeitshöhe auf Böcke legt. Es tut aber auch ein alter Lattenrost. Für Vliese, die nicht so gut zusammenhalten (oder für feinere Teile) ist manchmal ein Gitter besser, wie z.B. ein Kompostgitter. Egal, was man verwendet, es ist wirklich hilfreich, eine ergonomische Arbeitshöhe einzustellen – der Rücken und die Schultern danken es nach ein paar Stunden ????
Der Sortiertisch. Die Latten müssen gar nicht so eng zusammenliegen.
Das Sortieren
Nicht jedes Teil des Vlieses ist gleichermaßen verwertbar, verschiedene Teile müssen entsprechend ihrer Verwertbarkeit getrennt (also sortiert) werden. Eine gute Übersicht zu den verschiedenen Vliesteilen und ihrer Verwertbarkeit habe ich hier gefunden.
Das geschorene Vlies wird zunächst als Ganzes mit der Schnittkante nach oben auf einen Lattenrost gelegt und ausgebreitet (Bild 1). Meist läßt sich relativ leicht bestimmen, wo der Kopf und wo der Popo gewesen sein muss ????. Das Vlies wird geschüttelt, damit Schmutz und eventuell vorhandene Strohteile von der Oberfläche ab- und durch die Latten fallen. An der Schnittkante kann man schauen, ob der Scherer oft nachziehen musste. Dieser Nachschnitt ist deutlich kürzer als die restlichen Wollfasern und muss entfernt werden, entweder durch Absammeln oder Ausschütteln. Deutlich sichtbare kotverschmutzte Stellen kann man jetzt auch entfernen, indem man die betreffenden Vliesteile einfach abzieht.
1 – Schnittseite oben, Absammeln und Schütteln (Skuddenvlies)
2 – Schütteln und Wenden (Zackelschafvlies)
3 – Locken beurteilen vom Zackelschaf
Dann wird das Vlies gewendet und mit der Schnittkante nach unten hingelegt. Nochmal kräftig schütteln (Bild 2), und weiterer Nachschnitt und Schmutz fällt heraus, man hört es deutlich rieseln. Jetzt kann man die Fasern beurteilen (Bild 3). Wie lang sind die Stapel? Sind die Fasern brüchig, haben sie Schwachstellen? Sind sie verfilzt? Mit Heukrümeln durchzogen? All diese Faktoren mindern die Wollqualität. Verfilzte Stellen, die sich mit der Hand nicht mehr gut auseinanderziehen lassen, werden entfernt. Auch Pflanzenteile wie Kletten, Stroh oder Heureste sollte man erfühlen und durch Absammeln entfernen. Wenn zu viel davon in einem Vlies ist, lohnt es sich kaum, in stundenlanger Kleinarbeit Fitzelchen für Fitzelchen herauszusammeln. Manchmal ist das auch gar nicht möglich, weil das im Vlies enthaltene Wollfett alles an die Locken klebt. Solche Vliese sind dann eher was zum Düngen – wir nannten sie liebevoll „Tomatenvliese“.
Die besten Vliesteile sind an den Flanken und manchmal – wenn es nicht zu stark gefilzt ist – am Hals. An den Hinterbeinen wird die Wolle meist länger und gröber. Man kann also auch gröbere von feineren Vliesteilen trennen und separat verarbeiten, wenn man das möchte.
Nachdem die Wolle sortiert war, ging es weiter mit einer Führung durch die Spinnradausstellung. Die ist gerade neu gemacht und definitiv einen Abstecher wert für alle, die sich für Faserverarbeitung interessieren. Eine beträchtliche Sammlung von Spinngeräten und Werkzeugen ist in einem Nebengelass zusammengetragen worden und mit viel Enthusiasmus erzählt Christoph von der Geschichte der Räder. Es gibt Flachs-Räder, Hochzeitsräder, große Räder, kleine Räder, Spindelräder, Spindeln, und sogar einen eSpinner. Einige der neueren Modelle werden regelmäßig in den Spinnkursen eingesetzt, zu denen Katja ein Mal im Monat einlädt.
Es gab eine Menge Räder zu bestaunen…
… hier sogar mal eins mit nur einem halben Flügel (und es lief trotzdem rund!)…
… und hier ein Blick in den moderneren Teil der Ausstellung…
… auch Handspindeln fehlten nicht.
Das Filzen
Erst eine Grundlage filzen…
…dann ein paar Locken dazu.
Nach einer leckeren und wärmenden Suppe ging es im zweiten Teil um eine weitere, sehr alte Wollverarbeitungsart: Das Filzen. Die Kursleiterin Susanne Schächter-Heil hatte Material mitgebracht, und so konnte sich jeder Teilnehmer sein eigenes Andenken herstellen, den meditativen Charakter des Nassfilzens genießen und mit eigenen Händen erfahren, dass Wolle nicht gleich Wolle ist.
Neugierig geworden? Dann schau doch mal bei den Behlings vorbei 🙂
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