Das ist Rieke, mein Patenschaf. Sie ist 2020 geboren und wohnt in der Schäferei Schöne Schafe in Biesenthal bei Berlin. Dort ist sie emsig mit Naturschutz und Landschaftspflege beschäftigt und ist mittlerweile mehrfache Mutter.
Ein Patenschaf aussuchen ist gar nicht so leicht…
Dieses Bild ist 2020 entstanden, als ich mir ein Schaf aussuchen wollte (es gab so viele! Und sie waren ALLE so flauschig!!). Rieke ist eine Kreuzung aus Gotländischem Pelzschaf und Rhönschaf. Die Vliesfarbe hat sie vom Papa (dessen Vlies ich auch schon mal versponnen habe), die Löckchen und die Zeichnung im Gesicht hat sie von der Mama.
Wie ich so in der Herde stand, konnte ich mich damals nicht für ein Schaf entscheiden (siehe oben, maximaler Flauschfaktor). Den Ausschlag machte dann glaube ich ihr neugieriges aber vorsichtiges Erkunden meines Schnürsenkels (ist der wohl essbar?) und wie sie mit ihrer besten Freundin (einem knuffigen Coburger-Fuchs-Flaschenlamm) umherlief.
Ihre erste Wolle habe ich 2021 nach der Schur mitgenommen – aber leider war ein großer Teil davon verfilzt. Tolle Locken, ganz seidig (das muss von der Mama kommen), aber für mich nicht spinnbar.
Ich habe es nicht fertiggebracht, das Vlies für den Garten zu nehmen, und so lag es in einer Papiertüte, bis ich es neulich nochmal vorholte und genau anschaute. Und siehe da: ein paar Stückchen konnte man doch verwenden. Die hab ich gewaschen und machte mich daran, mit dem Spinnen zu experimentieren. Gar nicht so einfach, und ich will ja auch nichts für Proben “verschwenden”, ich habe ja nur so wenig…
Die Fasern sind lang, leicht gewellt, seidig aber robust. Mit 20 cm Faserlänge könnte ich die Locken zwar kämmen, allerdings wollte ich ein fluffiges, leichtes Garn, und so habe ich (inspiriert vom “Aus-der-Flocke”-Experiment) einfach eine Locke geflickt und dann aus der Falte gesponnen. Ich habe es einmal dünn und einmal dick probiert (mit meiner großen Bodenspindel). Die Idee dahinter: dünneres Garn gibt mehr Lauflänge, sodass es vielleicht für eine Weste reichen könnte, dickeres Garn entspricht mehr der Faser selbst.
Das Ergebnis: Beides ist schön! Die Garne sind keine Kuschelgarne sondern haben gut Biss, aber sie sind leicht und fluffig und haben auch Halo. Ich vermute, dass sie deshalb auch ein wenig pillen werden, weil ich mit wenig Drall gearbeitet habe (sonst wird es zu hart).
Nachdem ich die kleinen Strickpröbchen noch eine ganze Weile mit mir herumgetragen und bei verschiedenen Gelegenheiten bekuschelt habe, entschied ich mich dafür, sie doch eher dünner zu verstricken, denn ich trage Kleidung aus so ganz dicken Garnen nicht so gerne. Plus: durch die höhere Lauflänge kommt hoffentlich mehr als eine Weste raus…
Insgesamt habe ich nun 321,4 g und 324,8 m Rieke-Garn. Da werde ich wohl kombinieren müssen, wenn es für einen Pulli reichen soll…
Was sind eigentlich Patenschafe?
Manche Schäfereien bieten PatenSCHAFten an, d. h. man zahlt z. B. jährlich einen gewissen Betrag und bekommt dafür im Gegenzug ein Dankeschön. Wie genau das aussieht, ist von Schäferei zu Schäferei unterschiedlich.
In Riekes Fall deckt der Patenschaftsbetrag ungefähr die Kosten der Schafhaltung für sie (inkl. Veterinär, Schur und Futter). Dafür kann ich (nach Anmeldung) bei der Schäferin vorbeikommen und sie besuchen, wenn ich möchte, und ich kann ihr Vlies nach der Schur haben. Ich habe auch eine Patenschafts-Urkunde bekommen, auf der ihre Ohrmarkennummer und ein Bild von ihr drauf sind.
In anderen Schäfereien zahlt man einen kleineren Betrag, und es gibt vielleicht einen Tag der Offenen Tür, zu dem man „sein“ Schaf besuchen kann. Manchmal kann man Namen vergeben, manchmal nicht, die genauen Bedingungen sind immer genau auf die jeweilige Schäferei zugeschnitten.
Gibt es bei Dir in der Nähe auch Patenschafe, hast Du vielleicht sogar eins? Schreibs mir gerne in die Kommentare!
In letzter Zeit begegnen mir immer wieder Fragen zu Handkarden. Braucht man die unbedingt? Wenn ja, worauf sollte man beim Kauf achten? Was gibt es überhaupt für welche? Welche sind besonders gut? Gibt es die auch gebraucht? Es wurde also mal Zeit für einen kleinen Artikel zum Thema. Ich habe versucht, für die meisten Fragen Antworten zu geben und hoffe, dass er Dir hilft, die für Dich richtigen Handkarden zu finden.
Was sind Handkarden und wofür brauche ich die?
Handkarden sind Wollverarbeitungsgeräte, mit denen Du Wolle (oder andere Fasern) zum Spinnen vorbereiten kannst. Sie sehen aus wie etwas überdimensionierte Hunde- oder Katzenbürsten, ihre Nadeln bzw. „Borsten“ sind aber stabiler und härter. Durch die Faservorbereitung werden die Fasern gleichmäßig aufgelockert. Das Spinnen geht mit so vorbereiteten Fasern oft leichter von der Hand und das Garn wird gleichmäßiger.
Handkarden bestehen aus einer rechteckigen, manchmal auch quadratischen Platte und einem Handgriff, und sie kommen immer als Paar. Die Platte kann entweder gerade oder gebogen sein. Gebogene und gerade Karden arbeiten sich etwas unterschiedlich (dazu weiter unten mehr), machen aber im Grunde das gleiche (nämlich die Fasern fluffig und besser spinnfähig).
Auf der Platte ist der Kardenbelag befestigt. Der Kardenbelag besteht aus einer Leder- oder Gummi-Matte, in die gebogene Nadeln in unterschiedlicher Dichte eingelassen sind. Gut ist, wenn der Kardenbelag nicht angeklebt sondern nur getackert ist, damit er sich ein wenig beim Kardieren bewegen kann, wenn er muss.
Sind Handkarden Kämme?
Nein, Handkarden sind keine Kämme. Mit Handkarden kardierst Du und stellst kardierte Faservorbereitungen her (z.B. Batts oder Rolags), mit Kämmen kämmst Du und stellst Kammzüge her. Zum Thema Kämmen versus Kardieren schau Dir hierzu gerne auch meinen Artikel zu Kamm- und Streichgarnen an.
Du kannst in manchen Fällen die Karden so benutzen, dass Du etwas dem Kämmen sehr ähnliches machst, aber die Standard-Technik „Kardieren“ ist nicht mit dem Kämmen zu verwechseln.
Was kann ich mit Handkarden machen?
Mit Handkarden kannst Du Deine Fasern zum Spinnen vorbereiten, z.B.
wenn Du ein geschorenes Vlies hast und nicht aus der Flocke spinnen möchtest
wenn sie etwas kompaktiert sind und sich nicht gut spinnen lassen,
wenn Du verschiedene Fasern gleichmäßig mischen möchtest
Zugegeben, beim einheitlichen Mischen großer Mengen Fasern ist das Arbeiten mit einer Trommelkarde leichter (und besser reproduzierbar), aber für alles andere bevorzuge ich die Handkarden.
Es gibt im wesentlichen drei „Produkte“ die Du mit den Handkarden herstellen kannst:
Batts bzw. Kardenband,
Rolags und
Fauxlags
Das einfachste ist das Batt bzw. Vlies. Nach dem Kardieren hebst Du einfach die Fasern von den Nadeln ab – voila: ein Batt! Das kannst Du noch ein bißchen ausziehen und Dir so ein kleines Kardenband machen, oder Du spinnst es einfach so.
Wenn Du noch luftigere Garne machen möchtest, kannst Du die Fasern auf der Karde von der langen Seite her aufrollen und Rolags machen (ich nenne es auch liebevoll „Röllchen drehen“). Dabei wickelst Du die Fasern wie einen Croissant-Teig auf, sodass sie einen kleinen Tornado bilden, wenn Du in das Rolag wie in ein Fernglas schaust.
Alternativ kannst Du die Fasern von der kurzen Seite her aufrollen, sodass die Fasern parallel zur Röllchen-Achse verlaufen, dann hast Du ein Faux-lag (ein falsches Rolag).
Natürlich kannst Du Deine Handkarden auch unkonventionell einsetzen! Du kannst eine einzelne wie eine Flickkarde benutzen, Du kannst auch die Fasern nach dem Kardieren einfach drauflassen und direkt von der Karde abspinnen – Dein Projekt, Deine Regeln!
Bei Handkarden gibt es Unterschiede in der Benadelung(also der Anzahl der Nadeln pro Fläche) und in der Form (gerade vs. gebogen, große oder kleine Grundfläche). Und dann gibt es da noch die kleinen Geschwister der Handkarden, die Flickkarde und die Trommelkardenbürste.
Die Nadeldichte – grob, mittel oder fein
Die Nadeldichte, auf Englisch „teeth per square inch“ oder „tpi“, ist vielleicht das wichtigste Merkmal der Handkarden. Ich kenne Beläge mit 42 tpi, 48 tpi, 72 tpi, 108 tpi, 120 tpi und über 200 tpi. Man kann sie auch in „grob“, „mittel“ und „fein“ einteilen, aber hier scheiden sich manchmal schon die Geister: Manche Hersteller geben bei 48 tpi „mittel“ an, und das wäre für mich schon „grob“. Besser ist also, sich nach der Zahl zu richten.
Welche Nadeldichte man wählt, richtet sich nach den Fasern, die man damit verarbeiten möchte. Als erste Faustregel gilt: Je höher die Nadeldichte desto feiner die Fasern. Wenn Du also ausschließlich Angora oder Kaschmir kardieren möchtest, kannst Du getrost die 48er Karde im Shop lassen und Dir eine 108er kaufen. Baumwollkarden haben meines Wissens die höchste Nadeldichte (über 200).
Ich persönlich arbeite die meiste Zeit mit 72er Karden. Damit kardiere ich hauptsächlich mittelfeine Wollen (von der Skudde über Coburger Fuchs bis zum Ryeland oder Merinofleischschaf, die schon recht fein sind), und ich bin damit sehr zufrieden.
Die Nadeln sind übrigens nicht gerade, sondern haben alle einen Knick. Die Spitze der Nadeln zeigt zum Griff hin. (Wenn die Spitzen vom Griff weg zeigen, hat jemand den Belag falsch herum aufgezogen…)
Gerade oder Gebogen, klein oder groß
Handkarden gibt es einmal mit einem planen Arbeitsbereich (z.B. die von Kromski) und einmal mit einem leicht gebogenen Arbeitsbereich (z.B. bei Ashford). Mit beiden Varianten kann man das Gleiche machen, nämlich kardieren, und sie produzieren auch die gleichen Ergebnisse. Was sich unterscheidet, sind die Bewegungen, die ich beim Kardieren ausführe.
Für die gebogenen Karden machen meine Arme und Handgelenke eine ausladende Schaukelbewegung (das hat ein bißchen was von “Orchester dirigieren”), bei den geraden Karden mache ich eine eher sparsame Parallelbewegung der beiden Karden.
Die Grundfläche der Karde ist z.B. für Baumwollkarden manchmal etwas kleiner (weil weniger tief) oder manchmal eher quadratisch als rechteckig. Je kleiner die Grundfläche einer Karde, desto leichter und weniger ermüdend für die Hände ist das Arbeiten – aber die Menge Fasern pro Kardiervorgang ist natürlich auch kleiner! Hier gilt es, ein gutes Mittelmaß zu finden.
Ich möchte an dieser Stelle gar nicht allzu tief in die Technik einsteigen, aber für mich habe ich festgestellt, dass ich bei den geraden Karden die Fasern leichter von einer Karde auf die andere übertragen (“abstreichen”) kann, und auch die Rolags gelingen mir da manchmal besser. Auf den gebogenen hingegen kann ich besser Fasern mischen – warum auch immer …
Die kleinen Geschwister – Flickkarde und Bürste für die Trommelkarde
Wenn man den Begriff “Handkarde” sehr weit fasst, dann könnte man auch zwei weitere Geräte mit dazuzählen, nämlich die Flickkarde und die Anpress-Bürste für die Trommelkarde. Sie sehen ein bißchen aus wie ganz kleine Mini-Handkarden, aber es gibt einen entscheidenden Unterschied: Sie kommen einzeln und nicht im Paar.
Wofür braucht man die denn jetzt schon wieder…?
Flickkarden sind klein und handlich. Mit ihnen kann man z.B. die Spitzen oder die Schnittkanten einzelner Locken vorsichtig ausbürsten und so öffnen (“flicken”). Dadurch werden sehr kompakte Locken mit verklebten Spitzen manchmal besser für das Kardieren vorbereitet (die Fasern reißen dann nicht so leicht beim kardieren und es bilden sich weniger Knötchen). Flickkarden sind manchmal ganz praktisch, aber ich brauche sie eher selten.
Den Flickkarden zum Verwechseln ähnlich sind die kleinen Bürsten, die es manchmal zu Trommelkarden dazu gibt. Dort verwendet man sie, um die Fasern gut auf die Trommel zu drücken. Und dafür müssen sie einen kleinen aber entscheidenden Unterschied aufweisen: ihr Kardenbelag ist in die “falsche” Richtung aufgezogen. In diesem Fall muss das so sein, damit man bequem gleichzeitig die Trommelkarde und die Bürste bedienen kann. Aber daraus erklärt sich auch, warum man diese Bürsten nicht gut als Flickkarde nehmen kann. Man müsste zum Flicken die Bürste immer irgendwie falsch herum halten… Also: Augen auf beim Flickkardenkauf!
Welche Handkarden verwendet man wofür?
Ich habe es oben schon angedeutet – die Benadelung ist das Hauptkriterium, wenn es darum geht, welche Fasern man mit welchen Karden verarbeitet. Alles andere (gerade, gebogen, flacher oder runder Griff…) spielt eine eher untergeordnete Rolle.
Wenn Du also überlegst, Handkarden zu kaufen, überlege kurz, was Du damit überwiegend machen möchtest.
Die Wolle Deiner Angorakaninchen mit Seide mischen? Dann würde ich mindestens eine 72er, eher sogar eine 108er Benadelung nehmen.
Fettwolle von den Coburger Fuchs-Schafen Deiner Oma kardieren? Dann sind 48er oder 72er Karden vermutlich gut geeignet.
Industriekammzüge auflockern und schöne Farben mischen? Dann kannst Du mit 72er Karden eigentlich nichts falsch machen.
Worauf kannst Du beim Kauf achten?
Die richtige Benadelung für Deine Zwecke
Hauptkriterium beim Kardenkauf war für mich die Nadeldichte. Ich ging davon aus, dass ich mit einer mittleren Benadelung nichts falsch machen kann, und habe mir als erstes ein Paar 72er Karden gekauft. Damit arbeite ich auch immer noch hauptsächlich. Jahre später habe ich mir noch ein 108er Paar für feinere Fasern und ein noch feineres und kleines Paar zum Kardieren von Baumwolle gekauft – das ging mit meinen 72er leider gar nicht… (Wenn Dich meine Baumwoll-Experimente interessieren, dann lies gerne in meine Artikel über farbig gewachsene Baumwolle Teil 1 und meine Spinn-Erfahrungen in Teil 2 rein
Gewicht und Ergonomie
Wenn Du Probleme mit den Händen und der Kraft hast, könnten für Dich auch das Gewicht und die Ergonomie der Karden eine Rolle spielen. Kardieren mit Handkarden geht ganz schön auf Hände und Arme bzw. Schultern, und wenn Du viel kardieren wirst, ist es gut, möglichst leichte und gut in der Hand liegende Karden zu haben.
Ich habe ein Paar, das “aus einem Stück” ist, d.h. Griff und Platte sind nicht separat. Dadurch sind sie zwar etwas leichter, aber der Griff ist nicht rund sondern flach. Diese Karden liegen mir nicht gut in der Hand, sie sind sehr “eckig”. Wenn ich also länger kardieren möchte, greife ich doch lieber zu den Karden mit den runden Griffen (obwohl die schwerer sind).
Am liebsten kardiere ich mit meinen ganz kleinen Karden Baumwolle. Die Karden sind so schön leicht, dass ich ohne Ermüdungserscheinungen relativ lange kardieren kann. Und die kleinen Punis, die ich damit mache, sind einfach herzallerliebst!
Gerade oder gebogen?
Gerade oder gebogen – das ist so ein bißchen die Gretchenfrage. Am besten ist natürlich, wenn Du das mal für Dich ausprobieren kannst. Bei mir ging das damals nicht, und ich hab mir dann einfach die gebogenen von Ashford bestellt und bin gut damit klar gekommen. Mittlerweile habe ich auch ein gerades Modell, und mit etwas Üben finde ich, dass ich bei den geraden Karden von Kromski die Rolags manchmal besser hinbekomme – das kann aber vielleicht auch an den Fasern liegen, manche Fasern wollen einfach keine Rolags sein. Auch das Übertragen der Fasern von einer Karde auf die andere gelingt mir mit geraden Karden manchmal etwas besser.
Fettige oder fettfreie Wolle?
Einen Punkt gibt es, über den Du nachdenken kannst: Wenn Du sowohl fettige Wolle (nur mit Regenwasser gewaschen) als auch z.B. industrielle Kammzüge mit den Handkarden verarbeiten möchtest, könnte es empfehlenswert sein, je ein Paar Karden für die fettige und eines für die fettfreie Wolle zu verwenden. Das Wollfett legt sich auch auf die Karde und hinterlässt dort einen etwas klebrigen Film, der sich mit der fettfreien Wolle nicht gut verträgt. Aber das probierst Du am besten selbst aus.
Gebrauchte Karden kaufen
Gebrauchte Karden sind ein super Einstieg – etwas günstiger als ganz neu, und die meisten Karden halten wirklich ewig!
Wenn Du Karden gebraucht kaufen möchtest, schau vielleicht, ob das Holz gespalten, der Belag beschädigt (rissig) oder die Nadeln verrostet sind. Solche Karden würde ich lieber nicht kaufen, daran wirst Du nicht lange Freude haben. Der Rost könnte sich auf Deine schönen schneeweißen Fasern legen und sie irreversibel verfärben. Zwar kann man den Belag auch austauschen, aber damit habe ich keine Erfahrungen.
Frag vielleicht auch, was vorher damit kardiert wurde. Wenn die Vorbesitzerin damit Fettwolle kardiert hat und Du aber feine Seidenkammzüge mischen möchtest, könnte es sein, dass Du erst mal die Fettrückstände von den Nadeln entfernen musst – oder Du könntest Dich entscheiden, dieses Paar dann doch nicht zu kaufen…
Kardenparade – Alle meine Karden!
Hui, das sind jetzt alles ganz schön viele Überlegungen für einen einfachen Kardenkauf… vielleicht hilft es Dir, wenn ich Dir mal meine Karden kurz vorstelle?
Mein erstes Paar: Ashford 72 tpi
Mein erstes Paar waren die gebogenen Ashford-Karden mit der 72er Benadelung. Das ist auch heute noch mein Arbeits-Paar, mit dem ich das meiste kardiere.
Für feine Fasern: Ashford 108 tpi und Kromski 102 tpi
Später wollte ich versuchen, ob für feinere Fasern nicht auch feinere Karden besser geeignet sind. Ich habe mir also die etwas feineren von Ashford und Kromski bestellt. Diese Karden benutze ich seltener, weil ich nicht so oft feinere Fasern kardiere. Dennoch möchte ich sie nicht missen. Die Nadeln sind nicht nur dichter sondern auch dünner und damit biegsamer und somit vermutlich schonender für die Fasern.
Für Baumwolle: Ashford Baumwollkarden 190 tpi und Louet (110 tpi “extra fein”)
Als ich anfing, mich mit Baumwolle zu beschäftigen, habe ich mir diese Karden zugelegt. Mein Favorit sind die kleineren Louet-Karden – auf den großen Ashfords sind mir die Punis zu lang, das spinnt sich dann für mich nicht so gut. Ich will aber nicht ausschließen, dass das reine Übungssache ist und sehr geübte BaumwollspinerInnen die langen Punis bevorzugen.
Ich hoffe, meine Überlegungen helfen Dir bei der Auswahl der für Dich geeigneten Handkarden. Wenn Du noch Fragen hast oder Dir hier ein wichtiger Aspekt fehlt, hinterlasse gerne einen Kommentar.
Die genannten Handkarden bekommst Du im gut sortierten Fachhandel, wo es Spinnräder gibt. Meine habe ich bei „Das Wollschaf“ gekauft. Schau gerne auf meiner Linkseite vorbei. Dort habe ich einige Quellen gesammelt (es sind keine Affiliate links).
Bei der letzten Schur blutete mir ja ein kleines bißchen das Herz, als ich sehr schöne Vliesteile aussortieren musste, weil sie eine Farbmarkierung trugen. Solche Farbmarkierungen sind manchmal nötig, um z. B. Tiere zu kennzeichnen, die man ganz schnell auf einen Blick in der Herde wiederfinden will und nicht erst die Ohrmarkennummern raussuchen kann. Oder um zu sehen, welche Schafdame schon Besuch vom Bock hatte 🙂 .
Ich nahm also kurzerhand die aussortierten farbigen Vliesteile mit (es waren zum Glück nicht so viele) und führte ein Wasch-Experiment durch: Geht die Farbe in meinem Standard-Wasch-Prozess raus? Die Hersteller beschreiben diese Farben manchmal als „auswaschbar“, aber z. B. Spinnereien nehmen Wolle mit Farbmarkierungen nicht an.
Die verwendeten Farben
Eine kurze Recherche zum Thema „Farbmarkierungen für Schafe“ brachte zwar etliche Produkte zutage, aber leider fand ich keine genauen Angaben zu Inhaltsstoffen.
Es gibt Wachsblöcke, die als Deckanzeiger für Schafe dienen. Diese Wachsblöcke enthalten (der Name sagt es) neben den Pigmenten Wachs und Paraffine. Wachse und Paraffine sind nicht so richtig gut wasserlöslich und man braucht geeignete Bedingungen (Detergenz, Temperatur), um sie zu lösen und somit von der Wolle zu entfernen.
Neben diesen Wachsblöcken gibt es Markiersprays und als auswaschbar bezeichnete Stempelfarbe. Bei manchen Farbsprays steht „6 Monate regenbeständig“ auf dem Etikett – daraus schließe ich, dass es ebenfalls nicht so richtig gut wasserlöslich ist. Für die meisten Produkte machen die Hersteller zur Löslichkeit (in welchem Lösungsmittel auch immer) keine Angaben.
Ich erinnere mich an eine Charge kardierte Wolle, die ich mal gekauft hatte, die enthielt knallpinke, fest in der Wolle haftende Krümel. Damals vermutete ich auch eine Art Stempelmarkierung, die dann doch nicht auswaschbar war – allerdings konnte ich keine Informationen dazu bekommen, was das für Farbe war.
In Ermangelung von klaren Daten muss ich mir also selber was zusammenreimen, und meine Gedanken dazu gehen in die folgende Richtung:
Die Markierung ist wichtig und soll weithin und lange sichtbar sein (sonst bräuchte man sich diese Mühe nicht machen).
Was lange und weithin sichtbar sein soll, muss auch haltbar sein und sich gut mit der Wolle verbinden. Ergo: es darf sich eigentlich nicht gut auswaschen, ausbleichen oder abklopfen lassen. Der Verwendungszweck der Markierungsmittel steht also im Gegensatz zu der Anforderung, leicht und rückstandsfrei von der Wolle entfernt werden zu können.
Mein Standard-Wasch-Prozess mit Unicorn Power Scour
Für meinen Standard-Wasch-Prozess nehme ich heißes Wasser aus der Leitung und Unicorn Power Scour (die letzten Reste, es ist zu meinem Leidwesen gar nicht mehr so leicht in Europa zu bekommen). Die Wolle tue ich in Wäschenetze, und dann kommt sie erst 15 – 20 min in heißes Wasser ohne alles, um den größten Dreck rauszubekommen. Wenn die Wolle sehr arg dreckig ist, weiche ich sie auch über Nacht in kaltem Wasser ein und trockne sie, bevor es mit dem Detergens weitergeht. Alternativ bleibt sie nass, aber ich erhöhe langsam wieder die Temperatur, bevor sie zum heißen Waschschritt übergeht.
Danach kommt sie wieder in heißes Wasser, diesmal mit Power Scour, wieder 15 – 20 min. Bei der Dosierung richte ich mich nach den Herstellerangaben (1 EL = 10 ml pro 500 g fettige Wolle, tendenziell auch etwas weniger). Wichtig ist dabei, dass die Wolle nicht in dem Detergens-haltigen Wasser wieder abkühlt – das Lanolin wird wieder fest und würde sich wieder auf die Wolle legen, das wollen wir nicht. Anschließend wird sie gespült, bis kein sichtbarer Dreck mehr rauskommt (meist 1–2 x).
Das Ergebnis: Leuchtende Farben
Das Ergebnis nach dem Standard-Waschprogramm: Die Wolle ist schön sauber – und die Farben leuchten …
Bei näherer Betrachtung der gewaschenen Wolle stellte ich fest: Die rote Farbe weichte ordentlich auf und machte rote Finger. Die Farbe fühlte sich schmierig an – vielleicht war das so eine wachshaltige Markierung? Das Rot ließ sich jedenfalls von den Fingern abwaschen, also muss das mit dem „auswaschbar“ ja irgendwie doch stimmen …
Ich nahm also eine rote Locke und rieb die rote Farbe mit den Fingern. Und siehe da: Das Waschwasser (mit einem kleinen Schuß Spüli) wurde knallrot und die Farbe kam ab! Also doch auswaschbar? Ich entfernte die Farbklumpen so gut es ging. Nach dem Trocknen blieb aber leider immer noch ein rötlicher Schimmer auf den Fasern zurück.
Mein Fazit ist also: Ja, kann man Farbmarkierungen auswaschen. Aber es geht nur, wenn man sich jeder Locke einzeln widmet, und selbst dann geht es nicht rückstandsfrei raus. Das ist sehr zeitaufwändig und der Erfolg ist überschaubar. Für mich bleibt es dabei: Diese Vliesteile sortiert man besser raus und verarbeitet sie separat – zu Artyarn vielleicht? Dann muss man die Farbe auch gar nicht rausbekommen.
Aus der Community erreichten mich auch noch Tipps: So soll der Orangenreiniger von Frosch hier sehr gute Ergebnisse erzielen (das werde ich mal probieren). Von anderer Seite wurde mir berichtet, dass der Pottasche-Waschprozess die Farben auch nicht komplett entfernen kann …
Hast Du Erfahrungen mit dem Auswaschen von Farbmarkierungen? Teile sie gerne in den Kommentaren!
Dieser Beitrag erschien in gekürzter Form auf Instagram. Schau gerne dort vorbei und lies die Kommentare aus der Community!
Dies ist eigentlich ein Teil der Geschichte hinter der Entstehung der “Faserexperimente”. Da waren Naturfarben, da war regionale Wolle, und dann war da der Wunsch, das irgendwie zusammenzubringen. Ein Garn aus regionaler Wolle herstellen, mit Naturfarben gefärbt. Es war ein Abenteuer, so viel kann ich schon mal sagen. Hol Dir ein Getränk Deiner Wahl, lehn Dich entspannt zurück – dieser Artikel ist etwas länger.
Sommer 2019 – ein Samen wird gelegt
Ich erinnere mich wie heute an den Moment, der irgendwie den Samen für das legte, was da noch kommen sollte. Es war auf einer kleinen Brandenburger Landstraße, von links die untergehende Sonne und weit und breit kein Auto, nur Wiesen und Alleebäume. Es war der Sommer 2019, und ich fuhr am Ende eines Färbekurses nach Hause – mit einem Regenbogen im Kofferraum, viel Sonne im Herzen und einem Lächeln auf den Lippen.
In dem Kurs bei Elke von Tulliver Yarn ging es um das Färben mit Naturfarben, und er war unglaublich inspirierend und bereichernd. Danach purzelten mir die Ideen nur so durch den Kopf, so dass ich Elke im Anschluß kontaktierte und sie und ihr Atelier für ein verrücktes Experiment buchte (kannst Du hier nochmal nachlesen). In den Färbepausen kam das Gespräch irgendwann auf die unterschiedlichen Wolleigenschaften diverser Schafrassen und auf regionale Wolle bzw. dass diese nicht so leicht zu bekommen ist. Am Ende kam eins zum anderen, und als wir im Januar 2020 bei einem Kaffee den Abschluss von #dasexperimentnr1 gefeiert haben, wurde die Idee geboren, Garne aus Wolle von regionalen (sprich: Brandenburger) Schafen herzustellen.
Wir fingen an zu recherchieren. Dabei konnten wir unsere jeweiligen Expertisen wirkungsvoll kombinieren: Ich kannte mich als Handspinnerin mit verschiedenen Fasern aus, Elke ist Textildesignerin und beschäftigte sich seit vielen Jahren mit dem Färben von Wollgarnen mit Naturfarben.
Was uns an handelsüblichen Garnen am meisten störte
Bei vielen der heute im Handel angebotenen Garne sieht die Produktionskette, ganz grob zusammengefasst, in etwa so aus: Die Wolle kommt von riesigen Schafherden aus Australien oder Neuseeland. Gewaschen, meist auch karbonisiert und superwash behandelt, wird sie in China, dann geht es weiter zum Kardieren und Spinnen nach Italien und danach nach Indien zum Färben, bevor sie in Europa im Einzelhandel landet. Welchen – weiten – Weg ein bestimmtes Garn zurückgelegt hat, lässt sich am Endprodukt meist nicht mehr ohne weiteres nachverfolgen.
Wolle von deutschen Schafen wird hingegen oft entsorgt, verbuddelt oder verbrannt – und kostet den Schäfer auch noch Geld für den Scherer. Die wenigsten Schäfer können ihre Wolle einem Wollhändler verkaufen, und selbst dann sind kaum die Schurkosten gedeckt. Von einem einträglichen Geschäft, das dem Schäfer den Lebensunterhalt sichert, kann nicht die Rede sein.
Regionale Wolle mit transparenten Lieferketten – Das Anliegen von Tulliver Sheep
Wolle sollte sich für deutsche Schäfer wieder lohnen. Gemeinsam wollten Elke und ich Wolle von deutschen Schafen so regional wie möglich zu Garnen verarbeiten lassen, um so lokale Schäfer und Schafhalter zu unterstützen und ganz nebenbei einen wichtigen Beitrag zum Naturschutz und der Erhaltung der Artenvielfalt leisten.
Wir wollten die Produktions- und Lieferkette für Tulliver Sheep-Garne so transparent wie möglich machen. Damit wollten wir zeigen, welche Stationen die Wolle durchläuft und welche Schritte gegangen werden müssen, damit du als Kund*in am Ende weißt, was das für Wolle ist, die du in der Hand hältst.
Zum Zeitpunkt unseres Projektes gab es bereits es einige solcher Initiativen in Deutschland, die darum bemüht sind, Wolle von deutschen Schafen zu verarbeiten, u.a. Elbwolle, Rauwerk, Raincloud & Sage (die es mittlerweile leider nicht mehr gibt), Woollentwine, Finkhof, Das Goldene Vlies (um nur einige zu nennen). Wir dachten: Je mehr es davon gibt, desto besser!
Du denkst jetzt vielleicht: „Aber deutsche Wolle ist doch so kratzig…“ Und ja, lange Zeit waren ultimative Weichheit und Maschinenwaschbarkeit tatsächlich die schlagenden Verkaufsargumente für Wolle. Deutsche Wolle ist in der Tat nicht so butterweich wie Merinowolle aus Australien – das liegt einfach in ihrer Natur (und an dem Klima, in dem die Schafe leben). Sie muss aber auch nicht mit Australischer Merino konkurrieren. Wir wollten zeigen, dass Wolle nicht gleich Wolle ist.
Uns interessierten dabei nicht nur rassespezifische Garne, sondern auch besondere Mischungen verschiedener Rassen. Wolle kann zum Beispiel seidig glänzen, einen schönen Fall haben oder auch elastisch sein. Jede Wollsorte hat ihre eigenen Charakteristika, die man auf das nächste Projekt abstimmen kann. Zudem kann unbehandelte Wolle durch besondere Haltbarkeit punkten. Und: viele Garne sind durchaus weich genug für Kleidung und Accessoires. Manchmal bedarf es einfach eines gewissen Gewöhnungsprozesses, um sich auch wieder auf Qualitäten einzulassen, die nicht die ultimative Weichheit aufweisen.
Der Beginn unserer Reise – Schafrassen sampeln!
Wir fingen Anfang 2020 an, lokale Schäfer und Schafhalter ausfindig zu machen. Im Mai 2020 waren wir dann bei der ersten Schur dabei.
Das ganze Jahr über sammelten wir weiter Vliese verschiedener Rassen, darunter Rhönschaf, Coburger Fuchs und verschiedene Kreuzungen daraus, Merinofleischschaf, Shropshire, Ouessant, Ostfriesische Milchschafe, Rauhwoller-Kreuzungen. Ich stellte auf meinem Spinnrad erste Garnproben her und wir machten uns ein Bild von den verschiedenen Eigenschaften der Wollen. Waren sie wirklich so kratzig, wie viele sagen? Wie ist es mit der Elastizität? Wie dünn kann man die Fasern ausspinnen?
Nebenher haben wir viel recherchiert, was Logistik und Verarbeitungsmethoden angeht. Wie viele Vliese passen in einen Kofferraum? Wo kann man die Wolle waschen lassen? Wer könnte sie uns kardieren? Und wo kann man die Wolle spinnen lassen? Gibt es Mindestmengen, die verarbeitet werden müssen? Wie muss die Wolle beschaffen sein, um sie maschinell verarbeiten lassen zu können? Coronabedingt waren leider viele Dinge nicht möglich, wie z. B. Besuche bei Spinnereien.
Erste Ergebnisse im Mikro-Maßstab
Wir hatten also über den Sommer 2020 von Hobbyhaltern einige Vliese verschiedener Rassen besorgt und schön sortiert. Nun wollten wir damit zunächst kleine Chargen beauftragen, um uns ein Bild von den möglichen Garnen zu machen.
Bei unserer Recherche fanden wir nicht weit von Berlin die Kleine Spinnerei. Diese Spinnerei arbeitet mit Mini-Mill-Equipment, sie kann 1-20kg Rohwolle verarbeiten und deckt dabei alle Schritte vom Waschen der Wolle bis zum fertigen Garn ab. Das kam uns sehr gelegen, und so packten wir im September 2020 den Kofferraum voll mit sortierter Wolle und machten uns auf den Weg nach Springe. Dort verbrachten wir ein paar sehr lehrreiche Stunden und beauftragten drei verschiedene Garne: Ostfriesisches Milchschaf, eine Mischung aus Coburger Fuchs und Merino sowie eine Mischung aus Shropshire und Merino. Wir wollten eine Idee davon bekommen, wie sich ein Garn aus diesen Mischungen anfühlen könnte, ob sich irgendwann größere Chargen lohnen könnten.
Im Januar 2021 war es dann endlich soweit und wir konnten die ersten Garne in der Hand halten.
Am besten gefallen hat uns das Garn aus Ostfriesischem Milchschaf. Es hatte eine wunderbare Farbe, eine schöne Zwirnung, und die Maschenprobe war wunderbar gleichmäßig und zeigte einen leichten Flausch („halo“). Die Mischung aus Shropshire und Merino war sehr elastisch und somit fantastisch für alles mögliche mit Bündchen geeignet. In diesem Garn haben sich die Fasereigenschaften der beiden Schafrassen wunderbar ergänzt. Das Coburger Fuchs-Merino-Garn zeigte ein schönes Maschenbild und war deutlich weniger elastisch als das Shropshire-Garn. Die beiden Misch-Garne hatten einen leichten Dick-Dünn-Charakter, der für ein interessantes Strickbild sorgte.
Was wir für den Mikro-Maßstab lernen konnten
Es dauert seine Zeit. Von der ersten Schur im Mai 2020 über die Beauftragung im September 2020 und die Lieferung der Garne im Januar 2021 bis zum Verkaufsbeginn im Mai 2021 ist ein gutes Jahr vergangen. Wartezeiten von 9 – 15 Monaten sind bei Mini-Mills aufgrund der sehr hohen Nachfrage keine Seltenheit. Wollten wir aus Vliesen der 2021er Schur dort ein Garn produzieren lassen, wäre es also ca. Ende 2022 produziert und erst 2023 online erhältlich.
Wolle in sauberer Qualität zu bekommen, die auch von Mini-Mill-Spinnereien verarbeitet werden kann, ist nicht trivial. Sie muss sehr sehr sauber und filzfrei sein. Die meisten Schafhalter und Schäfer verstehen unter „super Qualität“ etwas anderes als eine Spinnerei. Die Wollqualität wird zwar bei Herdbuch-Schafen durchaus bewertet, die Kriterien dafür sind jedoch etwas andere als die, die eine Spinnerei ansetzt. Selbst wenn ein Schäfer explizit auf Wollqualität züchtet, kann die Wolle so verschmutzt sein, dass nicht jede Wäscherei sie ausreichend sauber bekommt. Einige Vliese, in die wir große Hoffnungen gesetzt hatten, konnten aufgrund des Verschmutzungsgrades dort nicht verarbeitet werden und wir mussten sie wieder mitnehmen.
Der Verarbeitungsweg über Mini-Mills eignet sich vor allem für die Verarbeitung sehr kleiner Mengen Wolle, wie sie bei Hobbyhaltern mit wenigen Schafen anfallen. Sie ist Deutschland jedoch nur an wenigen Orten möglich. Die Infrastruktur zur Verarbeitung kleinerer Wollmengen in Deutschland ist größtenteils Ende des letzten Jahrhunderts verlorengegangen (z.B. Schließung der Leipziger Wollkämmerei im Jahre 1990, Schließung des Bremer Wollkontors 2009).
Die Verarbeitung in Mini-Mills ist vergleichsweise teuer und somit nicht wirklich rentabel. Grund dafür sind die kleinen Mengen, die pro Zeit verarbeitet werden können und die geringen Ausbeuten. Die Maschinen sortieren viele Fasern aus oder können sie nicht verarbeiten. Die erste Charge Tulliver Sheep, das Milchschaf-Garn, wurde auf einer solchen Anlage verarbeitet. Die Ausbeute (bezogen auf das Vliesgewicht) betrug hier nur ca. 40%.
Der nächste Schritt schloss sich logisch an: größere Mengen produzieren lassen.
Vom Schaf zum Garn – Stationen der Wollverarbeitung (und was man beachten sollte)
Es hört sich immer so einfach an – man nimmt die Wolle von Schafen aus der Umgebung, bevor sie weggeworfen wird, und dann macht man halt einfach Garn draus. Kann ja nicht so schwierig sein. Aber wir haben gelernt, dass das eher eine lange Reise mit mehreren Stationen ist. Jede Station hat ihre eigenen Herausforderungen. Die zu beschreitende Route hängt stark davon ab, welche und wie viel Wolle man hat. Bei der Kleinen Spinnerei gab es von der Wolle bis zum Garn alles aus einer Hand, aber wenn man größere Mengen verarbeiten lassen möchte, muss man sich jeden einzelnen Schritt selber zusammenorganisieren.
Nachfolgend beschreibe ich, wie so eine Lieferkette vom Schaf zum Garn aussehen kann. Es beginnt natürlich mit dem Schaf und seiner Wolle.
Alles beginnt mit der Wolle
Wolle ist ein Naturprodukt. Sie wächst ein ganzes Jahr am Tier und zeigt an, wie es ihm übers Jahr erging. Man kann es als „ernte“ betrachten, die einmal im Jahr stattfindet – Wolle ist m Ende des Tages ein landwirtschaftliches Produkt.
Ob ein Schaf gute Wolle hat oder nicht, hängt wiederum von verschiedenen Faktoren ab und entscheidet sich nicht erst bei der Schur. Unter anderem spielen eine Rolle:
Genetik: innerhalb einer Rasse haben manche Tiere bessere Wolle als andere
Stelle am Körper: z.B. Bauch und Beine sind oft gröber und kürzer
Ernährung: Nährstoffmangel kann sich auf die Wollqualität auswirken („Schafe und Wolle in Europa“, ISBN 978-90-824961-3-0)
Krankheiten (Ektoparasiten, Fieber, Stress): wenn sich das Schaf schubbert und kratzt, verfilzt die Wolle und ist nicht mehr für die Garnherstellung verwendbar. Manchmal wird Wolle brüchig und reißt, wenn das Schaf krank war (z. B. kann die Wolle einen Fieberknick bekommen).
Haltungsart: bei Stallhaltung kann die Wolle durch schmutziges Stroh unbrauchbar sein, bei Haltung unter freiem Himmel sind oft Kletten in der Wolle, die vor der Verarbeitung entfernt werden müssen.
Da sich z. B. Ernährung und Gesundheitszustand durchaus ändern können, kann man sagen, dass es bei Wolle (wie auch bei Weinen) so etwas wie „Jahrgänge“ geben kann. Durch Verschnitt (d. h. Mischen) verschiedener genau definierter Wollen kann man über die Jahre eine einheitliche Qualität erreichen und anbieten. So wird es im großen Maßstab in der Industrie gemacht. Bei kleineren Mengen, so wie sie hierzulande oftmals bei Nebenerwerbs-Schafhaltern anfallen, ist das so nicht möglich. Die Wolle und somit die angebotenen Chargen unterscheiden sich von Jahr zu Jahr etwas. Wie die Wolle eines Jahrgangs wird, weiß man frühestens im darauffolgenden Jahr…
Aus schlechter Wolle kann man kein gutes Garn machen.
Fakt ist: aus schlechter Wolle kann man kein gutes Garn machen. Es ist eigentlich unerlässlich, schon auf dem Schaf und dann bei der Schur auf Wollqualität zu achten. Was hier versäumt wird, kann man später nicht mehr (oder teilweise nur chemisch z. B. durch Carbonisieren) korrigieren.
Die einzelnen Stationen der Wollverarbeitung
Welchen Weg muß die Wolle nun gehen, wenn man ein Garn aus ihr herstellen möchte? Im Allgemeinen sind das diese hier:
Schur und Sortieren
Waschen
Kardieren bzw. Kämmen
Spinnen
Färben
Die Reihenfolge ist eigentlich immer die gleiche (bis auf das Färben, dazu weiter unten mehr).
Die Schafschur und das Sortieren der Wolle
Die Garnqualität fängt schon beim Schaf an. Ein Mal im Jahr muss ein Schaf geschoren werden, das verlangt auch das Tierschutzgesetz (hier mal ein Urteil dazu oder auch eine Empfehlung für Schafhalter in Baden-Würtemberg). Der Schafhalter bestellt also einen Scherer, und wenn er keinen Stall hat, hofft er auch auf trockenes Wetter. Nasse Schafe soll man nämlich nicht scheren.
Der Scherplatz sollte sauber und trocken sein, die Vliese sollten dabei nicht auf den (sandigen, grasigen, mit Stroh ausgelegten…) Boden geworfen sondern auf eine saubere Plane gelegt werden.
Die Schur funktioniert am besten mit einem gut eingespielten Team: Die Tiere müssen vor der Schur in ein vorbereitetes Areal gebracht werden. Es muss jemanden geben, der dem Scherer die Tiere zuführt und wegbringt, und jemanden, der die Wolle wegnimmt und in luftdurchlässigen Säcken verstaut. Idealerweise gibt es sogar jemanden, der jedes Vlies einzeln begutachtet und von grob verschmutzen Teilen befreit und einrollt, bevor es in die Säcke kommt.
In Australien und Neuseeland gibt es dafür die Berufe des Wool Handlers (der die Wolle von schmutzigen Teilen befreit) und des Wool Sorters (Wollsortierers, der die Fasern nach Feinheit beurteilt und sortiert).
Wenn in der Herde mehrere Farben vorkommen, müssen die Vliese auch nach Farben sortiert werden, die dann jeweils zusammen verarbeitet werden sollen. Einzelne dunkle Haare in einer Charge weißer Wolle können die ganze Charge ruinieren.
Nicht jede Wolle ist für jede Verarbeitungsart geeignet. Nur die besten Vliesteile mit möglichst einheitlicher Faserlänge können zur Herstellung von Garnen verwendet werden. Unbrauchbare Vliesteile wie z.B. verfilzte Stellen, mit Farbspray markierte Wolle, Kotwolle, Wolle mit Einstreu, Futterresten oder Kletten müssen entfernt werden. Sie eignen sich am besten als Dünger (direkt oder nach der Verarbeitung zu Pellets). Auch Wolle, die deutlich kürzer oder gekräuselter ist als die Flankenwolle (z.B. am Bauch und den Beinen), muss aussortiert werden. Diese Wolle ist eher als Füllstoff oder zum Filzen geeignet.
Das Waschen der Wolle
Die Rohwolle wird im nächsten Schritt gewaschen. Dabei werden Schmutz, Sand, Wollwachs und Wollschweiß entfernt und die Wolle verliert dadurch ungefähr die Hälfte an Gewicht (vgl. „Von Faser, Farben und Fäden“ U. Bogdan 2015, ISBN 978-3-00-048308-0). Im industriellen Maßstab wird die Wolle dabei in mehreren Stufen gereinigt, indem sie durch hintereinanderliegende Bottiche oder Becken geführt wird. Jedes Becken enthält Wasser oder Seifenlösung einer bestimmten Temperatur und dient der Entfernung einer bestimmten Komponente. Beim Übergang von einem zum nächsten Becken wird die Wolle wie in einer Mangel zwischen zwei Walzen ausgedrückt. Marco von Nordwolle hat das mal in einer Instagram-Story gezeigt, hier kommst Du zu seiner Story auf Instagram.
Weil Rohwolle ein tierisches Nebenprodukt der Klasse 3 ist, muss eine solche Wäscherei auch immer behördlich angemeldet sein und ist auch abwassertechnisch strengen Auflagen unterworfen. Zudem ist das Waschen sehr wasserintensiv. Die großen Wäschereien haben daher oft eigene Wasserrückgewinnungsanlagen oder Kläranlagen und führen einen Großteil des Wassers dem Prozess wieder zu.
Wolle hat unterschiedliche Lanolingehalte. Wenn sie zu aggressiv gewaschen wird, dann wird sie sehr trocken und spröde, manchmal sogar brüchig. Wird sie zu wenig gewaschen, ist sie zum einen nicht sauber und enthält zum anderen noch zu viel Rest-Lanolin. Ein zu hoher Rest-Lanolin-Gehalt verklebt die Maschinen bei der Spinnerei, es kann also sein, dass eine Spinnerei eine Laboranalyse der gewaschenen Wolle haben möchte um sicherzustellen, dass sie sich ihre Maschinen nicht kaputtmacht.
Das Kardieren bzw. Kämmen
Die gewaschene Wolle wird aufgelockert und anschließend über mehrere große Walzen („Karden“) geführt, die im Grunde nichts anderes sind als rotierende Hundebürsten. Am Ende ergibt das ein Kardenband. Das Kardenband wird so lange gestreckt (d.h. die Fasern werden auseinandergezogen), bis es ungefähr fingerdick ist. Das nennt sich dann Vorgarn und bereitet die Fasern auf das anschließende Spinnen vor. Auf diese Art hergestellte Garne sind Streichgarne. Streichgarne sind leicht, bauschig und wärmen gut.
Man kann nach dem Kardieren (vor dem Spinnen) noch weitere Schritte durchführen, z.B. das sog. Gilling. Man erhält dann Kammzüge, die zu Kammgarn verarbeitet werden können. Dieser Prozess führt zu mehr Abfall / Prozessverlusten und man erhält am Ende ein eher glattes, glänzendes Garn, das weniger Luft enthält als ein Streichgarn und auch nicht ganz so gut wärmt. Kammgarne werden gern zur Herstellung von Anzugstoffen verwendet.
Die meisten Spinnereien akzeptieren für ihre Maschinen nur Fasern einer bestimmten Faserlänge (meist ist das so um die 7-14 cm). Wer längere Fasern hat, muss sich entweder was anderes überlegen oder die Fasern auf die richtige Länge schneiden lassen.
Das Spinnen
Beim Spinnen wird das Vorgarn bzw. der Kammzug weiter vorgezogen und verdreht, damit ein Einzelfaden entsteht. Für Handstrickgarne werden anschließend 2 oder mehr Einzelfäden miteinander in die Gegenrichtung verdreht, um das fertige Garn zu erhalten (daher der Begriff 2ply oder 3ply).
Das Färben
Das Färben der Wolle kann an zwei Stellen geschehen: Entweder „in der Flocke“ nach dem Waschen oder nachdem sie zu Garn gesponnen wurden. Beim Färben „in der Flocke“ hat man die Möglichkeit, verschiedene Farben zusammen zu kardieren und so eine Mischfarbe zu erzeugen (funktioniert ähnlich wie mit dem Tuschkasten, gelb und blau ergibt grün). Die so entstehenden Farben sind manchmal lebendiger als solche, die im Garn gefärbt werden. Ein Beispiel dafür sind Tweed-Garne. Wenn man z.B. verschiedene Grautöne anbieten möchte, ist es einfacher, einen Teil der Wolle schwarz zu färben und dann in verschiedenen Mischverhältnissen schwarze mit weißer Wolle zusammen zu kardieren. Auf diese Weise muss man nur 1x färben, kann aber mehrere Grautöne anbieten und diese sind dann auch sehr gut reproduzierbar, was den meisten Kund*innen sehr wichtig ist.
Upscaling. Oder: wie man eine Lieferkette bastelt.
Die Verarbeitung auf den Mini Mills funktionierte sehr gut, allerdings war die Herstellung vergleichsweise teuer und die meisten Mini Mills (wenn sie denn noch Kunden annehmen) haben lange Bearbeitungszeiten von über einem Jahr (wir hatten da mit 4 Monaten also richtig Glück!).
Annähernd wirtschaftlich wird die Garnherstellung aber eigentlich erst, wenn man große Mengen verarbeiten lässt. Und mit „große Mengen“ meine ich alles ab 500 kg Rohwolle (und auch dafür muss man teilweise Mindermengenzuschläge zahlen). Dafür bekommt man aber nicht mehr den ganzen Service aus einer Hand, sondern man muss jede Station einzeln organisieren. Man beauftragt eine Spedition, die die Rohwolle zur Wäscherei und anschließend die gewaschene Wolle von der Wäscherei in die Spinnerei transportiert. Eine „Pilotcharge“ in dieser Größenordnung kostet schnell mal einen fünfstelligen Betrag. Und ähnlich wie bei einem Hausbau muss alles aufeinander abgestimmt werden: die Qualität, die die Wäscherei an die Spinnerei liefert, muss dort auch verarbeitbar sein. Das ist leider nicht immer der Fall. Außerdem muss man dann berücksichtigen, dass es für jede Station wieder Wartezeiten gibt und man mit so kleinen Mengen wie 500kg gerne mal irgendwo dazwischengeschoben wird.
Wir machten uns also auf die Suche nach Schafherden, die genügend Rohwolle bringen würden, um auf die 500kg Mindestmenge zu kommen. Das war gar nicht so leicht, denn in Berlin und Brandenburg gibt es nicht mehr so viele große Herden mit Schafrassen, die ein aufregendes Garn geben würden. Die Schäferei lohnt sich nicht mehr und viele hauptberufliche Schäfer geben auf. Hinzu kommt, dass in diesen Mengen schon allein die Schur und das Sortieren der Wolle zu einem nicht zu unterschätzenden Aufwand werden. Das Wissen um das richtige Sortieren existiert nur noch vereinzelt und ist nicht mehr Schwerpunkt bei der Schur – allein zu diesem Thema könnte ich einen eigenen Beitrag schreiben.
Mein Favorit, das Shropshire, flog also schon in der Vorrunde aus dem Ring – es gibt einfach nicht genug davon in Brandenburg. Aber: wir konnten einen Schäfer ausfindig machen, der Merinofleischschafe hält (die sehr feine Wolle haben) und haben uns damit versucht, die einzelnen Stationen der Herstellung anzugehen. Aber allein der nächste Schritt – das Ausfindig machen einer Spedition, die ein tierisches Nebenprodukt in ungenormten, nicht stapelbaren Säcken transportiert – ist eine echte Herausforderung und kostet, wie man so schön sagt, einen Arm und ein Bein.
Zu Testzwecken haben wir in der Zwischenzeit erst einmal ein paar Kilo Merinowolle zum Waschen zu einem regionalen Anbieter geschickt. Was wir zurückbekamen, war zwar gewaschen, allerdings hatte die Wolle einen deutlichen Grauschleier und noch viel Schmutz in den Spitzen. Wir schickten eine Probe davon zur Spinnerei und bekamen als Rückmeldung: Diese Wolle können wir so nicht auf unsere Maschinen geben. Uns wurde ein anderer Anbieter empfohlen (der aber deutlich höhere Mindestannahmemengen hatte). Merke: Das Waschen von Wolle braucht viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl und nicht jedes Waschverfahren führt zu Wolle, die von jeder Spinnerei verarbeitet werden kann.
Was also tun? In den Größenordnungen, die für uns händelbar waren, kamen wir nicht so richtig weiter. Da hilft eigentlich nur, Kräfte zu bündeln. Wir nahmen schließlich Kontakt zu elbwolle auf, die bereits seit vielen Jahren die Wolle lokaler Schafe in großem Maßstab zu Garnen verarbeiten lässt. So ergab es sich, dass wir einen Teil einer Charge abnehmen konnten, der gerade geschoren und so gut wie auf dem Weg in die Wäscherei war. Ein Teil der Garne ging dann direkt in Elkes Werkstatt, um dort gefärbt zu werden, ein anderer Teil ging zu einer professionellen Naturfärberei, die das Equipment hat, um größere Chargen Garn gleichmäßig zu färben. Elke bot die Garne dann in ihrem Shop an.
Was wir lernen konnten
Garnherstellung, die auch für Handfärber wirklich rentabel ist, ist nur mit großen Mengen Wolle möglich (ab 1t Rohwolle). In diesen Größenordnungen war es für uns besonders schwierig, Wolle von geeigneter Feinheit und Länge zu finden, denn es gibt nicht mehr viele große Herden mit geeigneter Wollqualität (zumindest nicht in Brandenburg und für die Rassen, die uns vorschwebten). Immer mehr Berufsschäfer geben ihren Beruf auf, weil sich Schäferei nicht mehr lohnt. Im Jahr 2019 gab es in Brandenburg insgesamt 294 erfasste Schafhalter. Nur 8 von ihnen hatten mehr als 1000 Schafe, 51 hielten zwischen 301 und 1000 Schafen (Quelle: Tab. 6.2 im Tierzuchtreport Berichtsjahr 2019, Landesamt für Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Flurneuordnung, Mai 2020).
Upscaling auf 1 Tonne Rohwolle funktioniert überhaupt erst, wenn man nicht nur sich selbst sondern auch mehrere Mitarbeiter von dem Gewinn bezahlen kann, denn als Soloselbständige*r ist das nicht mehr zu stemmen. Ansonsten läuft es wie so oft bei Familienbetrieben, wo manche Kräfte quasi umsonst arbeiten.
Es braucht Mitarbeiter, die sich professionell um die Vermarktung kümmern. Regional hergestellte Wolle hat ihren Preis und ist nicht so weich wie die superwash-Wolle aus Übersee, an die viele Menschen gewöhnt sind. Beides muß beständig erklärt werden.
Was im kleinen Maßstab gut funktioniert (wie z.B. das Sortieren oder Transportieren der Wolle) ist im großen Maßstab schwieriger, aufwändiger und benötigt deutlich mehr Koordination. Wolle hat Volumen: 15 kg sind ein großer Bettbezug voll. Für 500kg braucht man schon einen ganz großen Sprinter. Ein Wollsack (Big Bag) wiegt 50kg, und den bekommt man nicht mehr so einfach in den Transporter gehoben.
Die Infrastruktur für die Verarbeitung lokaler Schafwolle ist nur noch lückenhaft in Europa vorhanden. In Deutschland existiert keine Wollwäscherei für große Mengen Wolle, die nächsten Betriebe sind in Belgien bzw. Polen. Das Waschen kleinerer Mengen ist möglich, das Ergebnis ist aber qualitativ nicht mit großindustriellen Prozessen vergleichbar.
Kann man nicht auch mittlere Mengen verarbeiten lassen?
Wenn die Mini-Mills also zu teuer und die großen Mengen zu aufwändig sind, dann müsste man doch auch mittlere Mengen verarbeiten können…? Das würde sich doch dann in dem Bereich bewegen, der für die meisten Hobbyschafhalter relevant ist?
Naja.
Es gibt einen Familienbetrieb in Deutschland, der ab ca. 20 kg Rohwolle verarbeitet. Das wollten wir ausprobieren und dort ein ganz besonderes Garn herstellen lassen. Wir hatten eine schöne Schafrasse ausgesucht und die komplette Schur einer Hobbyhalterin aufgekauft. Sie wog nach dem Vorsortieren ca. 15 kg und passte in einen Bettbezug (also die Wolle, nicht die Schafhalterin).
Es reichte also noch nicht ganz für die Beauftragung dieser Spinnerei. Zwar konnten wir dann noch eine weitere kleine Herde ausfindig machen und dort ebenfalls Wolle ankaufen. Allerdings stellte sich beim Sortieren heraus, dass die Wolle teilweise extrem eingefüttert war. Ich sortierte mehrere Wochen immer stundenweise die Wolle und musste mehr als die Hälfte der Vliese aussortieren. Manche waren überhaupt nicht zu gebrauchen. Und was nützt die feinste Faser, wenn sie komplett mit Heu zugesetzt ist? Genau. Gar nix.
Am Ende war es sehr schwierig, den Kontakt zu der Spinnerei zu bekommen. (Später habe ich gehört, dass sie keine Neukunden mehr annehmen.) Und weil wir irgendwann unsere Garage wieder brauchten und ich nicht noch weitere zwei Jahre dort Wolle sammeln konnte, habe ich statt Garnen Kardenband herstellen lassen – Kardenband geht irgendwie immer noch.
Unser Fazit – mittlere Mengen wären toll (funktionierten aber auch nicht)
Und so endete unser Experiment. Die kleinen Mengen waren nicht wirtschaftlich herzustellen, die großen Mengen hätten zu viel Investition und Vorleistung erforderlich gemacht, die wir nicht leisten konnten. Die mittleren Mengen, die für uns händelbar gewesen wären, waren aber für uns ebenfalls nicht machbar (da hätten wir noch 1 – 2 Jahre Wolle sammeln müssen). Und auch hier gibt es ja unglaublich lange Wartezeiten, selbst wenn uns magischerweise ein Produktionsslot zugeflogen wäre und wir schon alle Wolle beisammengehabt hätten. Die Zusammenarbeit mit Ute von Elbwolle war für uns die einzig machbare Variante.
So hatten wir zwar am Ende kein “eigenes” Garn, aber sehr viel gelernt über Lieferketten (oder vielmehr: die klaffenden Lücken in Lieferketten für bestimmte Größenordnungen). Was für ein Aufwand das ist. Und dass auch die schönste Faser nichts nützt, wenn das Schaf ein Ferkelchen ist.
Teile dieses Textes waren bislang zum Nachlesen unseres Experimentes auf dem Blog von Tulliver Yarn veröffentlicht. Elke hat leider Tulliver Yarn aufgeben müssen, und so habe ich beschlossen, hier von unserem Experiment zu erzählen – denn schließlich war das einer der Gründe, diesen Blog hier zu starten. Hier möchte ich Wissen und Erfahrungen teilen, damit alle etwas davon haben und nicht jede das Rad neu erfinden muss.
In meinem Jahresrückblick 2021-Artikel habe ich auch schon über dieses Projekt berichtet. Wenn Du magst, kannst Du auch dort nochmal nachlesen.
Beitragsfoto: Elke Schröter (mit freundlicher Genehmigung).
Neulich habe ich sehr interessante regionale Fasern gesponnen: eine Kreuzung aus Berrichon und Merino. Schöne seidige und lange Fasern, die nicht zu viel Drall mochten, und die sich nach dem Spinnen und Waschen überraschenderweise sehr trocken anfühlten und einen halo entwickelten.
Allerdings: das Kardenband enthielt eine Menge Einstreu. Alle paar Meter musste ich beim Spinnen anhalten und die Pinzette zücken, damit nicht zu viel davon im Garn landet. Auf den Bildern sieht man es nicht so gut, aber es ist immer noch eine ganze Menge im Garn. Anscheinend hat sich da jemand bei der Schur nicht die Mühe gemacht, eingestreute Vliesteile zu entfernen. Oder die Person wusste nicht, dass das Heu nicht einfach so (und schon gar nicht vollständig) beim Spinnen rausfällt, sondern zu großen Teilen im Garn bleibt.
Im industriellen Maßstab wird Wolle vor dem Spinnen ab einem Gewichtsanteil von ca. 5% Vegetabilien carbonisiert. „Vegetabilien“ sind nichts anderes als Pflanzenreste (Heu, Kletten etc.) und bestehen aus Zellulose. Beim Carbonisieren werden die Fasern durch ein Bad aus verdünnter Schwefelsäure gezogen, getrocknet und anschließend auf ca. 100°C für 10-15min erhitzt. Unter diesen Bedingungen verkohlt die Zellulose, während die Wollefasern einigermaßen säuretolerant sind und diese Prozedur recht unbeschadet überstehen. Die Kohle kann anschließend aus der Wolle ausgeklopft werden.
Wie viel Säure braucht man, um z. B. 1 Tonne Wolle zu carbonisieren? Wäre es nicht viel umweltfreundlicher, die Wolle schon bei der Schur so zu sortieren, dass eingestreute Vliesteile entfernt werden? Oder vielleicht sogar schon bei der Haltung der Tiere darauf zu achten, dass sie sich nicht einstreuen können (wenn man weiß, dass die Wolle in die Garnherstellung gehen soll)?
Hattet ihr schon mal Heureste im Garn? Und wenn ja, wie viel? Macht euch das was aus?
Dieser Beitrag ist zuerst am 27. Januar 2022 auf Instagram erschienen:
Endlich ist der finale Bericht zu einer Marktanalyse für deutsche Schafschurwolle da. Die Studie wurde 2021 vom BMEL in Auftrag gegeben.
Der Platz reicht hier auf Insta nicht für alles, aber ich zitiere mal aus der Kurzzusammenfassung:
„Bemühungen zur Verbesserung der derzeitigen Situation sollten sich primär nicht auf einzelne Anwendungsgebiete beziehen, sondern so gerichtet sein, dass sie die Infrastruktur fördern und mehrere Anwendungsgebiete gleichzeitig unterstützen. Dann können vereinzelte Nischenprodukte entstehen, die eine möglichst hohe Wertschöpfung generieren.“
„Schafwolle bietet viele Möglichkeiten, wird bisweilen jedoch unter ihrem Wert verwendet und ist wenig bekannt. Um diese Situation zu ändern, bedarf es einer ganzheitlichen und nachhaltigen Umsetzung einzelner Maßnahmen. (…)“
Einige der empfohlenen Maßnahmen:
Handbuch zur Verbesserung und Vereinheitlichung der Wollqualität
Beauftragung und Durchführung einer Klimabilanzstudie zur Herstellung von Schafschurwolle
Prüfung und Bewertung der Realisierbarkeit einer deutschen Wollwäscherei (wobei da wohl schon einiges läuft)
Aufhebung der Einstufung von Schafschurwolle als Material der Kategorie 3
Entwicklung und Realisierung einer Plattform zur Vernetzung aller relevanten Marktteilnehmer
Interessant zum Punkt 4 der Liste: Das Ministerium, das diese Studie in Auftrag gegeben hat, sieht keine Möglichkeit, an der Einstufung von Wolle als Kategorie 3-Material etwas zu ändern, siehe dazu auch die Dokumentation auf Arte (via youtube) und diesen Beitrag von mir.
Und bezüglich Punkt 5 möchte ich auf Fibershed DACH und den Community Spacehinweisen. Der Community Space ist genau so ein Ort für alle an der Lieferkette Beteiligten zum Vernetzen, zum unkomplizierten Austausch von Wissen, zum Verbinden von Menschen, die sich gegenseitig unterstützen können.
Vor kurzem sah ich eine Reportage auf Arte (hier nochmal eine aktualisierte Version der Doku), in der es um Schafwolle, Probleme bei der Verwendung und Vermarktung sowie um zwei derzeitige Projekte ging, die Abhilfe schaffen wollen. Es sind großartige Projekte, und auch die Reportage ist wirklich sehenswert.
Ich habe aber auch ein paar Anmerkungen dazu (und @chantimanou hat die meisten davon in ihrer Instagram-Story schon genannt). Ergänzen möchte ich hier etwas zu dem Thema Enzyme.
In der Reportage wird ein Forschungsprojekt der Prickly Thistle mit der Universität Edinburgh erwähnt: Sie möchten durch enzymatische Behandlung kratzige Highland-Wolle wieder weicher machen. Auf dem Bildschirm ist kurz das Wort „Keratinase“ zu sehen.
Was ist das?
Keratinasen sind Enzyme (also natürlich vorkommende Proteine), die Keratin (also der Stoff, aus dem Wolle und Haare sind) komplett abbauen können. Durch geschicktes Timing der Behandlung will das Forschungsteam an der Uni die Fasern nicht komplett verdauen, sondern nur die äußere Schicht „andauen“ und entfernen. Dadurch sollen die Fasern feiner (also ihr Durchmesser kleiner) und sie somit weicher werden.
Hmm. Es ist ein zusätzlicher Prozess-Schritt, der nicht ganz billig sein dürfte. Biotechnologische Verfahren sind in der Regel nicht günstig. Enzyme in dem Maßstab herzustellen, dass sie Tonnen von Wolle prozessieren können, ist aufwändig und kostet zusätzliche Energie und Rohstoffe.
Und tut das der Faser wirklich gut? Meine Vermutung: die Wolle ist dann eben ein bissel superwash. Wolle, ja, aber ein bisschen leblos.
Könnte man stattdessen nicht überlegen, mit der vorhandenen Wolle etwas anderes zu machen als Bekleidung? Eine Verwendung finden, die genau zu der Wolle passt, so wie sie ist? Das spart am meisten Ressourcen.
Dieser Beitrag ist zuerst auf Instagram veröffentlicht worden. Hier sind ein paar Gedanken, die dort zu diesem Thema diskutiert wurden (anonymisiert):
Man muss auch mit der Realität arbeiten: deutsche bzw. generell gröbere Wolle hat nun mal einen schlechten Ruf beim Verbraucher und wird daher nicht nachgefragt. Wenn also die enzymatische Behandlung dazu führt, dass die Nachfrage steigt, dann wäre das doch ein Schritt in die richtige Richtung.
Es kann nicht wirtschaftlich sein, die regionale Wolle, die ohnehin schon nicht mit den Weltmarktpreisen mithalten kann, noch mit teuren Verfahren vermarktungsfähig machen zu wollen. Lieber jede Wolle für ihren Zweck verwenden und bei der Zucht wieder auf Wollqualität achten.
Habt ihr auch so Favoriten-Schafe? Meine sind Ouessants. Bei der letzten Schur ist, trotz strenger Woll-Diät, ein Ouessant-Vlies auf unerklärliche Weise in meinem Kofferraum gelandet. Zu Hause stellte ich fest, dass ich von diesem einen Schaf bereits zwei Vliese aus vorigen Jahren im Keller hatte. Es drängten sich mir förmlich die Begriffe “Wolljahrgang” und “Jahrgangswolle” auf, gefolgt von einer Reihe Fragen. Wie unterscheiden sich die Vliese von Jahr zu Jahr? Ändert sich die Wollqualität? Kann ich aus dem Vlies ablesen, wie es dem Schaf ging? Nun, JoJo-Effekt hin oder her, im Dienste der Wissenschaft nahm ich also auch das dritte Vlies mit und machte mich an ein Experiment.
Ouessant – die kleinste Schafrasse der Welt
Ouessants (manchmal auch Quessants) sind auch als Bretonische Zwergschafe bekannt und laut „Farbatlas Nutztierrassen“ die kleinste Schafrasse der Welt. Die maximale Widerristhöhe beträgt nur 46 cm! An der Entstehung der Rasse waren sehr wahrscheinlich Nordische Kurzschwanzschafe beteiligt. Das Leben auf dem „Archipel d’ Ouessant“, von dem sie stammen, ist sehr hart: Das Futter ist karg, das Wetter rau, und so passten sich die Schafe ihrer Umgebung an und wurden immer kleiner (Verzwergung).
Es gibt sie in weiß, braun, schwarz und (seltener) grau. Der Atlas sagt, sie haben lange Wolle mit dichter feiner Unterwolle, aber so lang finde ich die Fasern in „meinem“ Vlies gar nicht. Die Vliesgewichte der Auen liegen zwischen 1 und 1,5 kg.
Die weiße Wolle soll etwas gröber sein als die dunkle, dazu kann ich aber nichts sagen, da ich nur die dunklen Vliese kenne. Die Angaben zur Feinheit schwanken zwischen den verschiedenen Quellen (27–28 Mikron bei Barbara Aufenanger, 25–38 Mikron bei „Schafe und Wolle in Europa“).
Weich und gut gekräuselt – meine Ouessant-Wolle ist ein Traum
Meine Vliese sind dunkelbraun, haben relativ kurze Fasern (im Durchschnitt 5 cm) und sind sehr schön gekräuselt (Crimp). Ouessants sind eigentlich mischwollig , ich kann jedoch in meinen Vliesen keine nennenswerten Deckhaare feststellen. Die Spitzen sind sonnengebleicht, leicht gefilzt und mit Mini-Kletten durchsetzt, die sich aber beim Kardieren leicht heraussammeln lassen. Und ja, dieses Schaf wurde zugefüttert und hat sich geheime Vorräte angelegt, vor allem im Nackenbereich…
Die Wolle von „meinem“ Schaf ist für mich auf jeden Fall halstauglich weich. Allerdings sind die Unterschiede in den Fasereigenschaften wohl von Tier zu Tier sehr unterschiedlich. Es gibt andere Ouessants in anderen Herden, die wesentlich glattere und gröbere Wolle haben. Und auch die Filzeigenschaften sind von Tier zu Tier verschieden. „Mein“ Ouessant ist eine von drei Damen, die in einer gemischten Herde mitlaufen. Von den beiden anderen gibt es bei der Schur regelmäßig fertig gefilzte Sitzfelle, nur dieses eine Vlies ist jedes Mal filzfrei.
Die sonnengebleichten Spitzen sind das beste an meinen Vliesen, finde ich. Sie geben beim Kardieren kleine Farbsprenkel und verleihen dem Garn eine Art Tweedcharakter (aber dazu weiter unten mehr).
Ouessant verspinnen – viel Drall und langer Auszug
Die Vliese habe ich mit Power Scour gemäß Herstellerangaben gewaschen. Sie enthalten nach dem Waschen nur noch wenig Lanolin (das bevorzuge ich), aber auch ein paar Hautschüppchen.
Ich habe von jedem Jahrgang ca. 20 – 25 g Locken wahllos aus dem Sack gezogen und zu Rolags kardiert. Die Rolags bleiben klein und fest und halten sehr gut zusammen.
Von früheren Spinnproben wusste ich: die Faser verträgt Drall und ist aufgrund der Kürze (Länge möchte ich gar nicht sagen) hervorragend für den langen Auszug geeignet. Gesponnen habe ich auf meinem Lendrum mit dem WooLee Winder bei 1:19 im langen Auszug. Jeden Einzelfaden habe ich anschließend mit sich selbst verzwirnt. Nach dem Entspannungsbad habe ich daraus jeweils ein kleines Quadrat gewebt.
Beim Spinnen der 2020er Probe bin ich nach ca. ⅓ der Fasern auf die höhere Übersetzung 1:19 gewechselt. Zur Sicherheit habe ich noch eine zweite Probe gemacht, die ausschließlich bei 1:19 gesponnen wurde um sicherzugehen, dass das keinen Einfluss auf das Garn hatte. Weichheit und Griff sind identisch mit der ersten Probe, d. h. die Elastizität ist wirklich auf die Fasereigenschaften und nicht die Spinnparameter zurückzuführen.
Weich, elastisch und tweedy – das ist mein Ouessant
Bevor ich zu den einzelnen Jahrgängen komme, halten wir uns nochmal kurz folgende Punkte vor Augen:
Schurtermin ist meist im Juni, kurz bevor die Lämmer abgesetzt werden.
Die Schur eines Jahrgangs enthält immer die Wolle vom Jahr davor.
Leider kann ich mich nicht mehr wirklich gut an das Wetter der jeweiligen Jahre erinnern, um die mit den Fasereigenschaften abzugleichen …Nunja.
Die herausstechendsten Eigenschaften der Faser sind ihre Weichheit, Elastizität und der Tweedcharakter, der durch die ausgebleichten Spitzen entsteht. Trotz ihrer Feinheit lassen sich die Fasern nicht so superdünn ausziehen, wie ich dachte. Die Garne werden etwas unregelmäßig (auch durch die Nuppsies) und puffen im Entspannungsbad ordentlich auf. Dadurch entsteht ein Zwirnwinkel, der mir außerordentlich gut gefällt. Hach, fantastisch, ich kann es gar nicht abwarten, damit zu arbeiten!
Jahrgang 2020 ergibt gefühlt ein Garn, das ein kleines bisschen weicher und elastischer ist als die anderen beiden Jahrgänge. Das würde zu der Vorstellung passen, dass die Wolle der Schafe über die Jahre immer gröber wird – und im Umkehrschluss die Wolle eines jüngeren Schafes (d. h. eines frühen Jahrgangs) weicher ist. Der Unterschied ist aber wirklich kaum merklich. Die hellen Spitzen, die beim Kardieren etwas gerissen sind, geben dem Garn wie schon erwähnt einen fast tweedartigen oder speckled-Charakter. Das gefällt mir sehr gut!
Jahrgang 2022: Dieses Garn ist gleichmäßiger, nicht ganz so elastisch und deutlich dunkler als die anderen beiden Garne. Ich habe keine besonders dunkle Stelle im Vlies ausgewählt – offenbar hatte das Schaf in diesem Jahr wirklich weniger ausgeblichene Spitzen. Schien da weniger Sonne? Stand das Schaf auf einer Weide, die mehr Schatten bot? Ich erinnere mich daran, dass zur Zeit der Lämmerkoppel alles sehr heiß und trocken war, aber ansonsten bin ich etwas ratlos. An Weichheit steht es aber dem 2020er Garn nicht nach. Die Qualität der Fasern und auch der Garne ist vergleichbar. Durch die Abwesenheit der helleren Spitzen erklärt sich auch die höhere Gleichmäßigkeit in der Garnstärke beim Spinnen.
Jahrgang 2023: Fasern und Garn sind wieder heller als 2022 und deutlich tweedartig. Die Weichheit ist minimal geringer als die des 2020er Jahrgangs, ansonsten sind die Garne im Grunde kaum zu unterscheiden.
Mein Fazit
Die drei Jahrgänge unterscheiden sich hauptsächlich in der Farbe und dem „Blondierungsgrad“ der Spitzen. Ich habe mir jetzt nicht die Mühe gemacht, die Sonnenstunden für jedes Jahr zu recherchieren, weil ich ja auch nicht weiß, wo genau die Schafe standen (die Standorte bestimmt ja die Schäferin).
Eine Abnahme der Faserqualität bezüglich Feinheit und Weichheit konnte ich alles in allem nicht finden. Auch wenn das Garn aus dem 2020er Vlies ein wenig weicher und elastischer war, ist der Unterschied wirklich sehr gering und setzte sich nicht über die weiteren Jahrgänge fort. Und so könnte ich also beherzt drei Vliese kombinieren und einen Pullover machen, ohne die Gefahr, dass ein Ärmel weicher wird als der andere. Bleibt zu überlegen, ob ich die Farbunterschiede als feature nutzen möchte oder lieber mische und so einheitlichere Garne bekomme. *Seufz* decisions, decisions …
Das muss aber nicht immer so sein. Bei Coburger Füchsen kann man deutlich fühlen, welches Vlies von einer Erstschur stammt und welches von einem sehr alten Schaf. Bei sehr gut filzender Wolle wie z. B. Skudden kann ein Frühjahr mit abwechselnd feuchtem und warmem und trockenem Wetter eine komplette Schur am Schaf filzen und zum Spinnen unbrauchbar machen.
Wenn man vom einzelnen Schaf auf die Herden-Ebene wechselt, dann ist auch hier Jahrgangswolle möglich, d. h. ein Unterschied in der Wollqualität von Jahr zu Jahr im Mittel der Herde. Da ich keine Schäferin bin, kann ich hier nur spekulieren, aber ich erinnere mich, dass Rosy Green Wool schon vor etlichen Jahren Jahrgangsgarne verkauft haben, die es so in dieser Form nie wieder gab. (Leider habe ich keine links mehr dazu gefunden.) So wie eben ein besonderer Jahrgang bei einem guten Wein.
Was kann ich draus machen?
Meine Ouessantwolle ist definitiv pullover-, mützen- und halstauglich. Mehr als zwei Fäden muss man auch gar nicht zum Zwirnen verwenden, das Garn ist so bouncy, dass ein 3ply fast ein bisschen overkill wäre, ein 2ply reicht vollkommen aus.
Wenn ich es verstricken wollte, würde mir als erstes ein Pullover oder eine Weste einfallen, eventuell sogar was mit Rollkragen oder Kapuze. Mustertechnisch würde ich bei glatt rechts bleiben, damit der Tweedcharakter mit den Nuppsies (Fachwörter! ) herausgestellt wird. Was die Faser nicht hat, ist ein glatter Fall.
Aber auch die Webproben haben etwas. Ich bin zu wenig erfahren im Weben, aber aufgrund der inhärenten Elastizität käme man eventuell sogar mit Leinwandbindung recht weit, selbst für Kleidungsstücke. Mir schwebt auch ein Umhang oder ein Cape vor, mit Kapuze, aber dafür würde ich vorher definitiv noch Bindungsproben machen, um sicherzugehen, dass der Stoff entsprechend gut fällt und Falten wirft.
Und Taschen? Hmm … eine … Tasche würde aufgrund der Elastizität vermutlich ausbeulen. Aber vielleicht kann man den Stoff anfilzen und somit etwas Elastizität rausnehmen? Die Filzeigenschaften dürften gut sein, wir erinnern uns an die fertigen Sitzfelle direkt am Schaf …
Habt ihr schon mal Ouessant verarbeitet? Wie sind eure Erfahrungen, was habt ihr daraus gemacht? Schreibt es in die Kommentare!
Literatur
Hans Hinrich Sambraus „Farbatlas Nutztierrassen (7. Auflage)“, Ulmer Verlag.
Barbara Aufenanger „Das Wollprojekt. Wolleigenschaften in Deutschland gehaltener Schafrassen.“ ISBN 978-3-00-040686-7
Betty Stikkers, Diderica Westerveld, Thérèse Akkermans „Wolle und Schafe in Europa“ ISBN 978-90-824961-3-0
Kann man eigentlich Garnreste verwenden, um wieder neue Garne herzustellen? Diese Frage kam auf, während ich mit Mona auf dem Sofa saß und wir aus Skudde-Wolle Rolags kardierten. Ich kenne nur eine einzige Firma, die Garnreste in ihre Garne einarbeiten lässt, der Prozess ist also offenbar nicht so ganz trivial. Ich wollte es mal wieder genauer wissen und startete ein Experiment, um der Frage auf den Grund zu gehen. In diesem Artikel zeige ich Dir, wie ich Garnreste aufbereitet habe, warum das nicht so einfach war, und warum Sari-Seide auch nicht die Lösung ist.
Was ist eigentlich „Tweed“?
Das erwähnte, mit Garnresten hergestellte kommerzielle Garn ist von Hedgehog Fibres. Es hat einen gewissen Tweed-Charakter und viele interessante bunte Sprenkel. „Tweed“ ist aber eigentlich weniger die Bezeichnung für ein Garn, sondern eher für einen bestimmten Stoff mit charakteristischem Aussehen. Dieser Stoff wird traditionell aus Wolle von Cheviot- und Scottish Blackface-Schafen hergestellt (das sagt zumindest Wikipedia über Harris Tweed).
Das Besondere ist: gefärbt wird die Wollflocke und nicht das fertig gesponnene Garn. Durch Mischen verschieden gefärbter Wollflocken nach genauen Rezepten schon vor dem Kardieren entstehen dann beim Kardieren fein nuancierte Farbtöne. Die Farbe entsteht also durch optische Mischung vieler Farben und wirkt dadurch viel lebendiger als Stoffe, die im Garn gefärbt wurden. Wenn die Fasern dabei nicht zu 100 % gleichmäßig gemischt sind, bleiben im Garn manchmal kleine andersfarbige „Speckles“ oder Nuppsies. Die beleben das Garn und vermitteln den Tweed-Charakter, den die meisten von uns vor Augen haben, wenn wir an „Tweed“ denken. Wer sich genauer dazu informieren möchte, findet auf der Website von Harris Tweed viele Informationen.
Wie kann ich den Tweed-Effekt erzeugen?
Wie kann ich nun (ohne 30 Portionen Wolle in der Flocke zu färben) mit Fasern aus meinem Vorrat den Tweed-Effekt imitieren? Wie muss ich die Materialien vorbereiten und einsetzen, um den gewünschten Effekt zu erreichen?
Der erste Anstoß kam, ich sagte es schon, durch den Besuch von Mona. Mona webt sehr gerne Schals für ihr Projekt #fromfarmtoscarf. Mittlerweile sind es über 40 Schals, und über die Zeit sammelten sich bei ihr viele Garnreste an, für die sie eine sinnvolle Verwendung suchte. Wir hatten uns für das Skudde-Projekt mit Fibershed DACH getroffen und ich zeigte Mona, wie man Wolle kardiert und mit der Handspindel spinnt. Und als wir dann ihre Garnreste mit den Skuddefasern zusammen kardierten, kamen sehr interessante Garne heraus.
Sofort ploppten die Ideen in meinem Kopf hoch. Und wie dann das so ist im Hause faserexperimente – das wollte ich mir unbedingt noch näher ansehen und auch mit anderen Materialien und Herangehensweisen experimentieren. Ich hatte da nämlich noch recycelte Sariseide irgendwo in einer Kiste … Und waren nicht vor einiger Zeit mal „Tweed”-Kammzüge in Mode? Mit Farb-Nuppsies aus Viskose? Richtig, in den Tiefen meines Vorrates fand ich einen (ein Impulskauf am Ende eines sehr schönen Wollefestes in Leipzig). Ich war also bestens präpariert – es konnte losgehen!
Skudde-Kardenband vom Skudden- und Island-Schafhof für die weiteren Versuche
Recycelte Sariseide vom Wollschaf
Garnreste von Mona
Trommelkarde
Handkarde, Hundebürsten
Artikel aus dem Magazin „PLY“ (Ausgabe 37 Sommer 2022 „Mix“, S. 10 ff.)
Vorversuch: Garnreste mit Handkarden einkardieren
Für die Vorversuche mit Mona hatte ich entgrannte Wolle von Bunten Skudden mit der Hand zu Rolags kardiert. Die Fasern waren ca. 4 cm lang. Während des Kardiervorganges legte ich Garnreste längs zwischen die Fasern und kardierte sie mit ein.
Die Garnreste waren alle ca. 2 – 4 cm lang. Zuerst legte ich die kompletten Fäden (meist zweifach gezwirnt) ein. Beim Spinnen merkte ich, dass diese Fäden durch ihre Dicke sich nicht so gut mit den umliegenden Fasern verbinden und herausstehen. Ich ging dann dazu über, die Garnreste in ihre Einzelfäden zu trennen, bevor ich sie auf die Karde legte. Das gefiel mir besser und die einzelnen Fäden verbanden sich sehr gut mit den Fasern zum Faden.
Durch die Rolag-Struktur und das Spinnen im langen Auszug wurden die bunten Garnreste gut in den entstehenden Faden eingezogen und ich musste nicht sehr viel mit den Fingern manipulieren.
Ergebnis
Das Ergebnis waren Garne mit längeren, farblich abgesetzten Abschnitten im Faden. Beim Zwirnen mit sich selbst traf ein bunter Abschnitt überwiegend einen weißen Abschnitt, sodass eine Art „barber-pole“- oder Zuckerstangen-Effekt entstand.
Im Gewebe sah das sehr schön und dezent aus:
Versuch 1: Garnreste mit der Trommelkarde einkardieren
Das Kardieren von Rolags ist an sich eine sehr meditative Sache. Allerdings dauert es seine Zeit. Im nächsten Versuch wollte ich es mit der Trommelkarde versuchen, denn damit geht Kardieren um ein Vielfaches schneller. Das dabei entstehende Batt spinnt sich etwas anders als die Rolags, nicht ganz so luftig.
Zu Hilfe kam mir auch ein Artikel aus der PLY (Ausgabe 37 / Sommer 2020, S. 10 ff)). Dort stand, man kann die Fadenreste auch mit Hundebürsten aufrauhen, bevor man sie auf die Trommelkarde gibt. Aha! Also hab ich die Hundebürsten geholt und Fasern aufgerubbelt.
Dazu habe ich Fadenreste, so wie sie kamen, auf die Hundebürste gelegt und “kardiert”. Hmmm. Die Metall-Borsten der Hundebürsten sehen zwar aus wie die bei meinen Handkarden, sie sind aber viel weicher und biegsamer. So richtig was anhaben konnten sie den Fadenresten nichts. Die waren nach der Behandlung immer noch als solche erkennbar (wenn auch oberflächlich deutlich aufgerauht).
Nun, nur Versuch macht kluch, und so kardierte ich jeweils 5g aufgerauhte Fadenreste und 50g Kardenband zusammen auf der Trommelkarde in insgesamt 2 Durchgängen. Fasern und Fadenreste habe ich in mehreren Schichten abwechselnd aufgebracht, dabei habe ich die Fadenreste direkt auf die Trommel gelegt und nicht über den Anschiebetisch zugegeben.
Die Batts habe ich längs in 4 Streifen geteilt und diese Streifen nacheinander von der Spitze im (mehr oder weniger) langen Auszug gesponnen, jedes Batt auf eine Spule. Die Fäden der beiden Spulen habe ich anschließend miteinander verzwirnt.
Ergebnis
Wie ich schon vermutet hatte, stellte sich heraus, dass sich die Fadenreste nicht so gut einarbeiten ließen und oftmals aus dem Garn hervorstanden. Das Spinnen war dadurch etwas mühsam, denn ich musste viel mit den Fingern eingreifen und manipulieren, damit die Garnreste nicht einfach aus dem gesponnenen Faden rausfallen.
An manchen Stellen ist das fertige Garn sehr unregelmäßig und dick und dünn, vor allem dort, wo zwei Fadenreste im gezwirnten Garn aufeinandertreffen.
Versuch 2: Garnreste aufbereiten und dann auf der Trommelkarde einkardieren
Wenn die Fadenreste gut in den Faden integriert werden sollen, kommt man wohl offenbar um eine ordentliche Vorbereitung der Fadenreste nicht herum. Also hab ich in den sauren Apfel gebissen und mit einem guten Hörbuch auf den Ohren jeden Faden in seine Einzelfäden zerlegt und anschließend mit einer richtigen Handkarde (72 tpi) bearbeitet, bis ich ein flauschiges buntes kleines Batt erhielt. Für die 10 g Fäden habe ich ca. eine Stunde gebraucht.
Auch hier habe ich wieder 2 × 50 g Kardenband und je 5 g aufbereitete Fadenreste auf der Trommelkarde in zwei Durchgängen kardiert. Die Batts habe ich ebenfalls wieder längs in vier Streifen geteilt und im mehr oder weniger langen Auszug gesponnen.
Ergebnis
Das sah doch schon sehr viel besser aus! Die Fäden integrierten sich deutlich leichter und standen nicht mehr so aus dem Garn heraus. Das Garn war gleichmäßiger und nicht mehr stellenweise sehr dick (wo zwei Fadenreste plus die Skudde-Fasern aufeinandertrafen).
So richtig „tweedig“ wirkte das Garn allerdings noch nicht…
Versuch 3: blaue Sariseide auf der Trommelkarde einkardieren
Um dem Tweed-Charakter etwas näher zu kommen, wollte ich es jetzt durch Mischen der Fasern mit recycelter Sari-Seide probieren.
Recycelte Sari-Seide im Kammzug gibt es in vielen verschiedenen leuchtenden Farben im online-Handel zu kaufen. In weiser Voraussicht (hüstel) hatte ich vor einigen Jahren verschiedene Farben gekauft und seitdem gestreichelt und gehütet, bis die richtige Faser um die Ecke kam. Enter stage left: Skudde-Kardenband. Ich holte also die Kiste mit Sari-Seide aus dem Keller und fing an abzuwiegen. Keine Vorbereitung nötig, einfach wiegen und dann los, yay!
Wie auch bei den Fadenresten habe ich zwei Portionen Kardenband und Sariseide abgewogen (jeweils 50 g bzw. 5 g) und in zwei Durchgängen zu zwei Batts kardiert. Auch hier habe ich wieder abwechselnd viele dünne Schichten Skudde und Seide aufgetragen. Das Kardenband lief normal über den Anschiebetisch, die Sariseide ließ ich direkt auf die Trommel laufen.
Die fertigen Batts habe ich, genau wie oben beschrieben, wieder längs in vier Streifen gerissen und im langen Auszug auf zwei Spulen gesponnen. Die fertigen beiden Singles habe ich miteinander verzwirnt.
Und dann ist es passiert.
(cue: dramatische Musik)
Ich hab das fertige Garn im Entspannungsbad vergessen.
Das Waschwasser war tief blau.
Ihr ahnt es schon: Die Sariseide hat stark ausgeblutet. Seufz.
Ergebnis
Das Garn hat Farbnupsies, ist aber mit einem lila Farbton überlegt.
Meine Vermutung: Farbreste aus der Sariseide haben sich herausgelöst und auf die Wollfasern gelegt. Man kennt das Phänomen des Ausblutens von handgefärbten Garnen. Dabei werden beim Waschen des fertigen Strickstücks überschüssige Farbpigmente ausgespült. An sich ist es nicht dramatisch, solange man einfarbige Strickstücke hat. Bei zweifarbigen Mustern führt es aber dazu, dass die ausgewaschenen Pigmente der einen Farbe vom Garn der anderen Farbe (vorzugsweise von weiß) aufgenommen werden. Dann hat man z. B. nicht mehr ein blau-weißes, sondern ein blau-hellblaues Muster … sehr ärgerlich. Und in meinem Fall wollte ich eigentlich schönes hellgraues Garn mit einigen blauen Sprenkeln. Nunja.
In all dem Ärger fragte ich mich dann: woher kommt eigentlich diese recycelte Sari-Seide? Bislang dachte ich immer, die wird farblich sortiert aufbereitet, aber so wie das ausblutet, ist das eher einfach nochmal gefärbt worden. Und schon hab ich gar nicht mehr ein so schönes Gefühl dabei, recycelte Sari-Seide zu verwenden…
Versuch 4: nochmal Sariseide und nicht zu lange waschen
Nun musste ich natürlich diesen Versuch wiederholen. Bei längerem Überlegen kam mir nämlich noch die Idee, dass im Falle der Sari-Seide ja auch die Fasern etwas anders gemischt wurden. Die Sari-Seide war sehr fein verteilt in den Skudde-Fasern, und beim Spinnen könnte es auch zu optischen Misch-Effekten kommen. Um zu schauen, ob dieser lila Unterton nur durch das Ausbluten verursacht wird oder auf optische Mischung der Fasern zurückzuführen ist, wollte ich dieses Mal nur ganz ganz kurz waschen, um ein Ausbluten der Farben zu verhindern.
Zum Glück hatte ich noch ausreichend Kardenband und Sariseide, allerdings keine blaue mehr, sondern nur noch rote. In der Hoffnung, dass sich rote Farbstoffe ähnlich verhalten wie blaue, damit die Vergleichbarkeit beider Versuche gegeben ist, wog ich nochmal Fasern ab. Zweimal 50 g Kardenband und 5 g Seide, zwei Batts, zwei Fäden, ein Garn. Definitiv nicht im Waschwasser vergessen (das Waschwasser war definitiv nicht so stark verfärbt). Und doch….
Ergebnis
Das fertige Garn hat definitiv einen Rotschimmer. Demzufolge ist nicht alleine ein Ausbluten der Farbstoffe in der Sariseide die Ursache für den Schimmer, sondern die feine Mischung der Fasern im Batt und beim Spinnen spielt mindestens eine ähnliche Rolle für das Erscheinungsbild des fertigen Garnes. Dazu kommt, dass ich den Faden relativ fein gesponnen habe – dadurch wird der Effekt der optischen Mischung auch stärker, als es bei einem dicken Garn der Fall wäre. Statt feiner, klar abgegrenzter Farbkleckse entstand so beim Spinnen dieser Schleier. Das wollte ich so eigentlich nicht.
Versuch 5: Der „Tweed“ – Kammzug
Dann war da ja noch der kommerzielle Tweed-Kammzug, von ganz unten im Faservorrat. Und weil das quasi wie Tütensuppe zum Spinnen ist und keine Vorbereitung erforderlich war, hab ich den auch noch schnell versponnen. Als Vergleich, sozsagen.
Leider konnte ich dem Label nicht entnehmen, welche Schafrasse das war. Die bunten Sprenkel waren aus Viskose, die eine andere Farbe als die Fasern hatte. Demzufolge war dieser Kammzug nicht handgefärbt, sondern wurde ziemlich sicher rein industriell hergestellt.
Die Fasern (und auch das fertige Garn) waren jedenfalls deutlich weicher als die Skuddefasern in den anderen Garnen. Und irgendwie …nichtssagender? charakterloser? Ich bin nicht ganz sicher, wie ich es beschreiben soll. Nichtssagend weich. Ja, das trifft es einigermaßen.
Das Garn hatte Nuppsies (aus Viskose), die teilweise während des Spinnens herausfielen. Es sieht nicht schlecht aus, ist sehr gleichmäßig, und der tweedige Charakter ist definitiv vorhanden.
Es ist aber ein bisschen doll bunt für meinen Geschmack. Der Tweed-Charakter, der ja eigentlich eher dezenter Natur ist, geht vor den bunten Farben etwas verloren.
Fazit: Das schönste Tweed-Garn von allen
Was habe ich nun gelernt? Und welches Garn ist das schönste?
1. Garnreste einkardieren ist nicht so einfach, wie es klingt (jedenfalls nicht, wenn das Ergebnis gut werden soll). Im Nachhinein würde ich sagen: Am besten arbeitet es sich mit dem Rolags, denn durch die Röllchenform und die Verwirbelung der Fasern werden die einkardierten Fäden quasi in den entstehenden Faden hineingezogen. Beim Spinnen aus den geteilten Batts standen die Fäden eher mal heraus und waren etwas störrischer beim Einarbeiten. Wie bei vielem lohnt sich also auch hier das langsamere Arbeiten und der Extra-Arbeitsschritt.
2. Die gute Vorbereitung der Garnfäden ist ein Extra-Arbeitsschritt, der sich lohnt, wenn die Garnreste gut in das neue Garn integriert werden sollen. Hundebürsten haben zu weiche Borsten, es müssen aus meiner Erfahrung schon Handkarden sein.
3. Auflegen ist vermutlich besser als Auflaufen lassen. Beim Einkardieren von Sari-Seide wäre es für weniger „Schleier-Effekt“ vermutlich besser gewesen, die Seide nicht bei drehender Trommel auf die Trommelkarde auflaufen zu lassen, sondern bei stehender Trommel einzelne Tupfen zu setzen. Vermutlich war es auch viel zu viel Seide. 10 % erschien mir ausreichend niedrig. Bei einem nächsten Versuch würde ich es vielleicht mit 5 % und Auflegen versuchen.
Die entstandenen Garne sind alle recht unterschiedlich (nicht nur durch die Farben und die verwendeten Materialien), aber sie gefallen mir auf ihre Weise alle gut. Und wie ich über die Jahre gelernt habe, liegt die Wahrheit nicht nur im Garn, sondern darüber hinaus auch in der fertigen Probe. Ich wollte also wissen: wie sehen die Garne verarbeitet aus? Die Pröbchen vom Zoom Loom haben es gezeigt:
Das Garn Nr. 1 mit den grob vorbereiteten Garnresten (unten rechts) gibt deutliche bunte Sprenkel und Farbtupfer. Durch die Leinwandbindung werden längere bunte Stücke etwas unterbrochen und das Ganze kommt dem “Nuppsi”-Charakter etwas näher.
Garn Nr. 2 mit den feineren und besser eingearbeiteten Fadenresten (oben rechts) ergibt zumindest in dem Probestück auch dezentere Farbtupfer. Der Unterschied zu Garn Nr. 1 ist deutlich. Und obwohl ich Garn Nr. 2 eigentlich schöner finde, gefällt mir Garn Nr. 1 im Webstück deutlich besser. Es zeigt sich wieder: die Wahrheit liegt im fertigen Stück und nicht unbedingt im Garn!
Die Garne mit der Sariseide (Nr. 3 und 4) haben den jeweiligen farblichen Unterton der verwendeten Seide. Die farblichen Sprenkel sind wiederum eher dezent, sodass die textile Fläche recht einheitlich wirkt. Für ein graues Garn mit bunten Sprenkeln war diese Methode nicht geeignet. Die Garne sind aber trotzdem schön, und wenn ich mehr davon hätte, könnte ich mir einen zweifarbigen Norweger-Pullover daraus vorstellen. Ich darf ihn nur nicht im Ennspannungsbad vergessen…
Garn Nr. 5 ist nett, aber ich finde, es kann mit den anderen Garnen nicht ganz mithalten. Der dezente Tweed-Charakter wird durch die bunten Farben etwas zunichte gemacht. Für dieses Garn habe ich dann nicht mal mehr den Zoom Loom bemüht – dezenter würde es wohl auch gewebt nicht werden… Als Farbtupfer gemischt mit neutraleren Garnen kann ich mir dieses Garn aber gut vorstellen.
… zuguterletzt
Und als ich fertig war mit meinem Experiment, was hab ich da gefunden?
„Wolle ist Tierquälerei“. Dieses Statement habe ich früher nie verstanden. Scheren tut dem Schaf doch nicht weh, das ist doch wie Haareschneiden, oder? Und dann, es muss um 2009 gewesen sein, hörte ich zum ersten Mal den Begriff „Mulesing“. Ich begann, mich zu diesem Thema zu informieren, und ich war erst einmal entsetzt. Aber je tiefer ich mich damit beschäftigte, desto klarer wurde mir: Es gibt nicht nur schwarz und weiß, sondern auch viele Schattierungen dazwischen. In diesem Artikel versuche ich, das Thema von mehreren Seiten zu beleuchten und den aktuellen Stand der Dinge wiederzugeben.
Mulesing – eine brutale Praxis
Mulesing ist – stark verkürzt – eine Methode, bei der Schafen ohne Betäubung bewollte Hautfalten am Hinterteil chirurgisch entfernt werden, um einen parasitären Befall mit Fliegenlarven zu verhindern. Das sich bildende Narbengewebe ist nicht mehr bewollt und bietet den Fliegenlarven keine Nahrungsgrundlage mehr. Mittlerweile haben schon viele Menschen von dieser tierquälerischen Praxis gehört und wer sicher sein will, Wolle ohne Tierleid zu kaufen (ob als Garn oder fertiges Textil), achtet dabei auf den Zusatz „mulesingfrei“.
Aber was steckt eigentlich genau dahinter? Warum gibt es diese Praxis, welchen Zweck erfüllt sie, und wie ist der heutige Stand der Entwicklung? Seit ich mich das letzte Mal tiefer mit dem Thema beschäftigt habe, ist viel passiert. Wenn ich aber den Begriff „Mulesing“ oder „mulesingfreie Wolle“ in die Suchmaschine eingebe, bekomme ich eine Reihe von Beiträgen angezeigt, die meist in verkürzter und teilweise polarisierender Art und Weise zu diesem Thema informieren. Wirkliche Zusammenhänge konnte ich nur in wissenschaftlichen Fachartikeln finden. Das Thema ist nämlich ist nicht so schwarz-weiß, wie es oft dargestellt wird, und das möchte ich hier beleuchten.
In diesem Artikel werde ich keine Bilder zeigen. Dadurch leidet zwar wahrscheinlich die Lesbarkeit, aber mir reichen ehrlich gesagt die Bilder in meinem Kopf, um mich um den Schlaf zu bringen …
Das Problem: Myiasis, der gefürchtete „Flystrike“
Bevor wir uns das Mulesing aber genauer anschauen, werfen wir einen Blick auf die Krankheit, gegen die es schützen soll: Myiasis, den Fliegenbefall (auf Englisch: Flystrike).
Fliegen (v.a. Schmeißfliegen) werden von übelriechenden, feuchten und warmen Teilen eines Schafvlieses angezogen. Oft sind das Teile des Körpers, die regelmäßig verkotet und nass werden. Das sind z. B. bei Durchfall die Schwanz- und die Urogenitalregion (sog. tail bzw. breech strike) oder aber Stellen auf dem Körper, die bei nassem Wetter nicht richtig trocknen können, wie z. B. Achselregionen (sog. body strike). Die Fliegen legen dort ihre Eier ab, so sind sie vor dem Austrocknen geschützt und haben es warm. Irgendwann schlüpfen dann kleine Larven, die auf der Suche nach Nahrung zwar erst den im Vlies enthaltenen Dung fressen, die aber auch vor dem lebenden Fleisch ihres Wirtes nicht haltmachen – das Schaf wird quasi bei lebendigem Leib aufgefressen. Die Schafe zeigen erst recht spät Anzeichen von Unwohlsein, sie werden unruhig, können nicht mehr stillstehen und versuchen, betroffene Stellen zu schubbern und zu beißen.
Wie sieht Flystrike bei einem Schaf aus?
In dem Buch „Counting Sheep“ beschreibt der britische Schäfer Philip Walling sehr plastisch, was passiert, wenn ein Schaf (in diesem Falle ein Lincoln-Schaf mit sehr dichter schwerer Wolle) von Fliegenmaden befallen ist und der Befall nicht rechtzeitig entdeckt wird. (Ich habe das Buch auf Englisch, dies ist meine eigene freie Übersetzung).
„Einmal begegnete ich einem jungen Schaf, das von Schwärmen von Schmeißfliegen bedrängt wurde. Es hatte nicht die Kraft wegzulaufen, und ich sah auch sofort warum: Das Vlies, das an einem langen Streifen verfaulter Haut an seinem Hinterteil und den Flanken hing, löste sich in meinen Händen und brachte eine brodelnde Masse Maden zum Vorschein, die sich an seinem Fleisch vollfrass. Sie krabbelten rein und raus aus Anus und Vulva, die sie teilweise weggefressen hatten.(…) Ich würgte, als ich das verlorene Tier zum nächsten Baum zog, um es festzubinden und als ich nach Hause rannte, um mein Gewehr zu holen. (…)“
Phillip Walling in “Counting Sheep”
Ich lasse das jetzt mal kurz so stehen.
Flystrike ist eine sehr langsame und brutale Art zu sterben. Das Schaf kann sich nicht dagegen wehren. Wenn der Befall nicht rechtzeitig erkannt und behandelt wird, hat das Schaf keine Chance.
Wo kommt Flystrike vor?
Flystrike kommt hauptsächlich in Australien vor, denn hier kommen vier folgenschwere Faktoren zusammen, die diese Krankheit zu einem großen Problem werden lassen:
Besonders faltige und damit für Flystrike anfällige Schafe (die Vermont-Variante des Merinoschafs, dazu gleich mehr),
Sehr große Herden, die nur extensiv betreut werden können. Eine tägliche Kontrolle aller Tiere, wie sie hier in Deutschland vorgeschrieben ist, ist dort nicht möglich.
Die Einschleppung einer neuen Fliegenart (Lucilia cuprina), die Flystrike verursachen konnte,
Ein warmes Klima.
Flystrike an sich ist dabei nichts Neues, denn wo Schafe sind, sind oft auch Fliegen. Auch in Großbritannien und Neuseeland gibt es Fälle (siehe obiges Zitat), aber das Problem ist weniger gravierend, weil dort nicht die genannten vier Faktoren zusammentreffen.
Bis Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts war Flystrike auch in Australien kein besonders großes Problem, da die Schafe keine Falten und keine Wolle an ihrem Hinterteil hatten. Das änderte sich mit der Einführung des stark faltigen Vermont-Merinoschafs (auch bei Wikipedia nachzulesen), das in den 1880er Jahren nach Australien gebracht und weitergezüchtet wurde. Man war der Meinung, mit den Falten die Hautoberfläche und somit den Wollertrag pro Tier vergrößern zu können.
Unglücklicherweise stellte sich aber heraus, dass die Vliesqualität der Vermont-Schafe schlechter war als bei den bis dato in Australien gezüchteten Merinos. Sie hatten zwar ein höheres Rohvliesgewicht, aber aufgrund des hohen Wollfettgehaltes brachten sie weniger Reinwolle (Gewicht der Wolle nach dem Waschen). Der höhere Wollfettgehalt und die Falten machten die Tiere deutlich anfälliger für flystrike. Die Wolle war weniger homogen, weniger fein, und die Ablammungsrate war geringer. Warum sie trotzdem weitergezüchtet wurden, ist mir nicht ganz klar geworden.
Die faltigen Schafe waren nun da. Aber wie kam die Fliege nach Australien? Man weiß es nicht genau. Als sie aber da war, fühlte sie sich auf den Schafen sofort heimisch und sorgte für sehr viel Tierleid und hohe Verluste. Diese Verluste waren durchaus ökonomischer Natur, denn die Wolle war damals noch viel mehr wert. Starb ein Tier, so ging nicht nur der Fleischertrag verloren, sondern auch der Wollertrag.
Die „Lösung“: Mulesing, das Entfernen der Hautfalten
Wie konnte man nun in Australien die vielen Schafe vor den Fliegen schützen und somit gleichzeitig die Verluste für den Farmer verringern? Ein gewisser Herr Mules, seines Zeichens Schafzüchter, hatte da 1929 (oder 1931, ich habe verschiedene Angaben gefunden) eine Idee. Er entwickelte die nach ihm benannte Methode, bei der dem Schaf Hautfalten in After- und Genitalbereich chirurgisch entfernt werden. Ziel der Operation ist eine Vernarbung des Gewebes, damit dort keine Wolle mehr wächst. Dadurch bieten die behandelten Tiere den Fliegen keine attraktive Brutstätte mehr und werden dementsprechend nicht von Flystrike heimgesucht.
Das Problem ist: Es wurden keine Betäubungs- und Schmerzmittel während und nach dieser Prozedur eingesetzt. Auch heute noch setzen nicht alle Farmer Schmerzmittel ein.
Auswirkungen des Mulesing auf die Tiere
Die Tiere zeigen nach dem Mulesing für 24- 48h eine eindeutige Stress-Antwort und auffälliges Verhalten: sie stehen anders, legen sich kaum hin, fressen wenig, spielen nicht und zeigen wenig soziale Interaktion. Außerdem zeigen sie starke Furcht vor der Person, die das Mulesing an ihnen durchgeführt hat, und zwar noch Wochen später. Auch die Gewichtszunahme (ein wirtschaftlich wichtiger Indikator für das Wohlbefinden des Schafs) kann bis zu 14 Tage niedriger ausfallen als üblich.
Wenn Wissenschaftler Stresslevel messen wollen, messen sie meist Cortisol-Level im Blut (Cortisol ist ein Stress-Hormon). Aber kann man so das Ausmaß des Leids eines Tieres in Zahlen ausdrücken? Das ist sicherlich wissenschaftlich fundiert – aber ich persönlich kann nicht sagen, ob ein Tier mit einem geringfügig niedrigeren Cortisol-Wert nun auch weniger gelitten hat. Angst oder Schmerzen in Zahlen auszudrücken ist für mich (und das ist meine persönliche Auffassung) immer ein Graubereich.
Aufgrund der Grausamkeit der Prozedur waren viele Schafhalter auch nicht bereit, sie selber durchzuführen, und so wurden Mulesing-Dienstleister etabliert. Auf diese Weise blieben die Schafe zutraulich zu ihren Haltern, waren aber dennoch durch das Mulesing vor Flystrike geschützt. Einige Beiträge, die ich im Netz gefunden habe, berichten davon, dass Mulesing eigentlich von Fachleuten durchgeführt werden muss. Das würde aber oft nicht gemacht, oft würde auch nicht mit den richtigen Werkzeugen gearbeitet, sodass die Tiere auf diese Weise noch einmal extra leiden. Woher diese Information kommt, kann ich nicht sagen, aus den Fachartikeln ist eine solche Praxis nicht ersichtlich.
„Behandelt“ werden mittlerweile Lämmer von 8 bis 12 Wochen, mit der Begründung, der zu entfernende Hautbereich sei kleiner als bei einem erwachsenen Tier. Die Verwendung von Schmerzmitteln ist in den Australischen Standards zum Tierwohl für Schafe nur für Tiere im Alter zwischen 6 und 12 Monaten vorgeschrieben. Übrigens beschränkt sich die Anwendung des Mulesing nicht nur auf Merinoschafe: auch Corriedales und Kreuzungen daraus wurden bzw. werden der Prozedur unterzogen.
Ist Mulesing denn wirksam?
Ja, Mulesing ist ein wirksamer Schutz vor Flystrike. Die Angaben in der Literatur liegendurchaus weit auseinander, je nachdem, wie die Untersuchung designt war und was womit verglichen wurde (gemulesed / nicht gemulesed und faltig oder gemulesed / nicht gemulesed und unbewollt, Frühling vs. Herbst etc.). Wer gerne Zahlen mag, schaut in den Artikel von Rothwell et al.
Aber: Mulesing senkt nur die Wahrscheinlichkeit für tail strike, also den Befall der Urogenitalregion. Body strike (d. h. Achselregionen o. ä.) ist bei entsprechenden klimatischen Bedingungen weiterhin möglich. Der größte Vorteil liegt offenbar darin, dass man es nur ein Mal durchführen muss und das Schaf dann sein ganzes Leben vor tail strike geschützt ist.
Argumente für den Einsatz von Mulesing
Beim Mulesing zeigen die Tiere für 24 – 48 h eine messbare Stress-Antwort (Lee und Fisher 2007). Die Stress-Antwort bei Flystrike ist offenbar vergleichbar hoch – und sie hält so lange an, bis der Flystrike behandelt wird oder das Schaf stirbt. Das kann durchaus länger dauern als die 24 – 48 h beim Mulesing.
Schafe, die einen Flystrike überlebt haben, haben meist minderwertige Wolle und sind weniger fruchtbar. Nach Berechnungen einer Kosten-Nutzen-Analyse, die im Jahr 2001 an der Universität Melbourne durchgeführt wurde, beträgt der wirtschaftliche Nutzen des Mulesing pro Schaf im Jahr durchschnittlich $1.84 bei einer Herdengröße zwischen 3700 und 7500 Schafen. Der Nutzen von Mulesing, so wird dort auch argumentiert, erhöht sich über die Lebenszeit eines Schafes – wohingegen bei alternativen Methoden zur Verhinderung des Flystrike jedes Jahr aufs Neue investiert werden muss.
Aus der Sicht eines Schafhalters hat Mulesing vor allem vor dem Hintergrund der sehr großen Herden eine Reihe von Vorteilen (nach James 2006)
Schutz vor Flystrike (tail strike) mit geringstmöglichem Aufwand für den Schafhalter.
Weniger verfärbte (durch Urin etc.) und verkotete Wolle und damit höherer Reinertrag
Weniger crutching erforderlich (das ist das Ausscheren der Wolle im Afterbereich außerhalb der regulären Schur zur Wollernte)
Leichteres Scheren
Weniger Arbeitsaufwand für die Inspektion der Herden und das Behandeln befallener Tiere
Weniger (giftige) chemische Rückstände in der Wolle (weil weniger Ektoparasitenmittel verabreicht werden müssen)
Abstimmen des Scherzeitpunktes mit der Wollqualität (und nicht nur zur Schadensbegrenzung wegen der Fliegen)
Die National Farmers Federation in Australien argumentiert, dass mulesing der effektivste und praktischste Weg ist, um Flystrike zu verhindern. Ihren Berechnungen zufolge würden sonst 3 Mio. Schafe jedes Jahr daran kläglich verenden.
Wer hier noch ein kleines bißchen tiefer gehen möchte, kann sich auf dem Blog „Mulesing & Welfare“ umschauen. Dort wird das Thema sehr sachlich, ebenfalls ohne Bilder und leicht verständlich (auf Englisch) aufbereitet. Über den Autor steht dort allerdings nur, dass er ein französischer Master-Student im Animal Welfare Program der Uni in Vancouver (Kanada) ist. Ein Impressum ist nicht zu finden, ich kann also die Vertrauenswürdigkeit nicht einschätzen. Die Art der Darstellung des Themas erscheint mir jedoch fundiert und vertrauenswürdig.
Mulesing war seit seiner Einführung umstritten
Seit das Verfahren in Australien eingeführt wurde, wurde es auch von vielen Farmern als grausam abgelehnt. Alternative Verfahren wurden gesucht und gefunden, aber keines schien so erfolgreich Flystrike zu verhindern wie das Mulesing (dazu weiter unten mehr).
Am Ende setzte sich Mulesing aber trotz der Grausamkeit durch. Das lag zum einen wohl an der Effizienz, mit der Flystrike verhindert werden kann, zum anderen wohl aber auch an einer ordentlichen Portion Lobbyarbeit.
Mein persönlicher Eindruck ist hier (und ich kann mich hier durchaus irren): Durch das Etablieren der Dienstleister hatten die Schafhalter einen Schritt mehr Abstand zur Grausamkeit, und die Einführung fiel ihnen vielleicht einen Tacken leichter. Wenn ich meinen Tieren nicht selbst wehtun muss, sondern es andere für mich tun, ist mir das Leid nicht ganz so nah. Zudem: wenn ich nicht 100 oder 500 Tiere versorgen muss, sondern 6000, dann bewegen sich auch handling und Logistik in einem ganz anderen Rahmen und bilden eine ganz andere Entscheidungsgrundlage.
Alternativen: Pest oder Cholera oder ganz viel Arbeit
Was sind denn nun die Alternativen? Die Schafe nicht dem Mulesing unterziehen, dafür aber riskieren, dass sie elendiglich an Flystrike zugrunde gehen? Es erscheint mir wie die Wahl zwischen Pest und Cholera. Die Praxis ist entsetzlich, das steht außer Frage. Aber kein Mulesing durchführen und die Schafe verenden zu lassen erscheint mir auch nicht die richtige Lösung.
Über die Jahre, ich sagte es schon, gab es viele Ansätze für alternative Verfahren. Nicht alle davon waren weniger schmerzhaft, und keines war so überzeugend, dass es wirklich Fuß fassen konnte. Im Folgenden gebe ich eine Übersicht dazu, die allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.
Man kann die Verfahren grob in zwei Kategorien unterteilen: Verfahren, die Haut entfernen und Verfahren, die keine Haut entfernen.
Entfernung der Haut durch andere Verfahren
Verwendung von Clips
Ähnlich wie bei der Gummiring-Methode, mit der hierzulande die Schwänze kupiert (gekürzt) werden, setzt man spezielle Clips ein, die die Hautfalten abklemmen. Dadurch wird die Durchblutung verhindert, die Haut stirbt ab und vernarbt. Auch diese Methode ist wohl schmerzhaft. Zieh Dir mal einen Gummi oder eine Schnur eng um einen Finger für ein paar Minuten und probier es aus.
Chemisches Mulesing
Im Jahre 1938 meldete ein Tierarzt namens Lewis Manchester eine Methode zur Prävention von Flystrike bei Schafen zum Patent an (Manchester Verfahren). Dabei wird derselbe Hautbereich wie beim Mulesing mit einer stark ätzenden Flüssigkeit (z. B. Kalilauge) betupft, und zwar so lange, bis die Wolle anfängt sich aufzulösen. Wer schon einmal die Warnhinweise auf einer Flasche Kalilauge gesehen hat, wird ahnen können, dass diese gezielte Verätzung höllisch weh tun muss. Der Heilungsprozess kann sich bis zu 11 Wochen hinziehen – das sind fast 3 Monate. Zum Vergleich: Die Wunde nach dem Mulesing ist meist nach ca. 5 Wochen abgeheilt.
Durch die verlängerte Wundheilung waren die Schafe auch noch länger anfällig für Flystrike. In der Literatur wird berichtet, dass die Personen, die die Tiere so behandelten, diese Methode grausam fanden.
Neben Kalilauge wurde auch mit Quaternären Ammoniumverbindungen sowie Phenol und anderen Proteine denaturierenden Substanzen experimentiert. Diese Substanzen mussten allerdings in Dosen verwendet werden, die teilweise für die Tiere tödlich und auch für die Operatoren nicht ungefährlich waren (Aufnahme über die Haut in den Körper). Es wurden zwar Applikatoren für diese Methode entwickelt und patentiert, aber so richtig fassten auch all diese Varianten nicht Fuß. Offenbar waren sie arbeitsintensiver und auch weniger effektiv als das Mulesing.
Kältebehandlung
Das Entfernen von Hautbereichen durch Erfrierungen wurde ebenfalls erprobt. Dafür wurden zum Beispiel Brandeisen verwendet, die in einer Mischung aus Trockeneis und Methanol gekühlt waren (bis -70 °C). Alternativ wurde die Haut mit Flüssigstickstoff (-196 °C) oder cryogenen Gasen behandelt, allerdings führte das nicht zu einer dauerhaften Verhinderung des Wollwachstums. Alles, was oberhalb von -20 °C blieb, führt zu unvollständiger Nekrose des Gewebes. Die Haut konnte sich somit wieder regenerieren (was an sich schon ein kleines Wunder ist) und somit irgendwann auch wieder Wolle produzieren. Eine solche Behandlung hätte also in regelmäßigen Abständen wiederholt werden müssen (während bei Mulesing nur ein Eingriff erforderlich ist). Und da sind wir wieder bei den enormen Herdengrößen und den damit verbundenen logistischen Schwierigkeiten.
Ionisierende Strahlung
Zwischen 1987 und 1991 wurden über 5 Mio. Dollar ausgegeben für Versuche mit ionisierender Strahlung an über 1000 Schafen. Durch die Strahlung konnte zwar das Wollwachstum zunächst unterbrochen werden, allerdings konnte sich die Haut auch hier nach einer Weile wieder erholen und es kam erneut zu Wollwachstum (und somit der Gefahr des Flystrike). Wenn die Strahlungsdosis erhöht wurde, um die Regenerationsfähigkeit der Haut komplett zu zerstören, kam es zu verstärkter Vernarbung. Die Narben und der Heilungsprozess waren offenbar auch schmerzhaft für die Tiere, und während der Heilung waren sie aufgrund der gebildeten nässenden Wunde wiederum anfälliger für Flystrike.
Photodynamische Therapie
Beim Menschen wird photodynamische Therapie beispielsweise bei der Behandlung von Hautkrebs eingesetzt. Betreffende Hautpartien werden mit einer speziellen Creme bestrichen, deren Wirkstoff in die Haut eindringt. Wird die Haut anschließend mit Licht einer bestimmten Wellenlänge bestrahlt, kommt es zur Freisetzung von aggressivem Sauerstoff (Sauerstoff-Radikale, sog. photodynamischer Effekt), der wiederum die behandelten Hautzellen zum Absterben bringt.
Bei den Schafen wird das ähnlich gemacht. Die gewünschte Region (d. h. der Po) wird geschoren, mit einer Substanz bestrichen (5-Amino-Levulinsäure, wen es interessiert) und nach 3- 10 Stunden mit sehr hellem rot-gelbem Licht (600 – 700 nm, d. h. im sichtbaren Spektrum) bestrahlt. Hierbei wird gezielt die Haarwurzel zerstört. In einem Feldversuch 1999 – 2001 konnte gezeigt werden, dass diese Methode fast genauso gut vor Flystrike geschützt hat wie das Mulesing. Ob dieses Verfahren für die Tiere schmerzhaft war, ging leider nicht aus dem Artikel hervor. Trotz dieser verheißungsvollen Ergebnisse hat diese Methode bis heute nicht Fuß gefasst.
Enzymatische Behandlung der Haut
Ein sehr interessanter Ansatz ist die Behandlung der Haut mit natürlich vorkommenden Enzymen*. Forscher hatten herausgefunden, dass sie mit bestimmten Enzymen (Collagenase, ein Collagen-abbauendes Enzym, und sog. Matrixmetalloproteinasen) ganze Follikel aus der Haut isolieren konnten. Die so isolierten Follikel waren nicht mehr lebensfähig – also perfekt, wenn man das Wollwachstum verhindern will.
Was hat man nun gemacht? Man hat in den betroffenen Bereich eine Collagenase-haltige Lösung in die Haut injiziert. Die daraufhin eintretende Reaktion war anscheinend vergleichbar mit dem, was auch nach dem Mulesing-Eingriff mit der Haut passiert – aber ohne die Schmerzen. Offenbar setzte aber einige Wochen nach der Behanldung wieder etwas Wollwachstum ein, sodass man von dieser Methode auch nichts wieder gehört hat.
*natürlich vorkommend meint in diesem Fall vermutlich: Collagenasen und Matrixmetalloproteinasen kommen natürlicherweise in den Geweben vor. Für die Injektionen wurden aber sicher biotechnologisch hergestellte Enzyme verwendet. Wenn man die natürlichen Enzyme verwenden will, muss man sie aus irgendwas isolieren (so wie früher Insulin aus Schweinepankreas). Dafür bräuchte man dann wieder ganz schön viel Schafhaut und hätte eine Menge Arbeit. Biotechnologisch ist verlässlicher und skalierbarer.
Alternativen ohne Entfernung oder Behandlung der Haut
Scheren und Beobachten
Durch häufigeres Scheren des Hinterbereiches der Schafe wird verkotete und urin-verfärbte Wolle vom Schaf entfernt und so die Attraktivität für die Fliegen herabgesetzt. Die praktische Umsetzung dürfte allerdings viel Arbeit bedeuten (und wieder: Stichwort Herdengröße), und häufigeres Scheren alleine reicht nicht aus, um Flystrike in den Griff zu bekommen. Zusätzlich müsste der Schafhalter das Wetter im Auge haben (wegen der Feuchtigkeit) sowie den Jahreszyklus und das Vorkommen der Fliegen in seinem Weidegebiet. Bei verstärktem Fliegenaufkommen muss er seine Tiere häufiger überprüfen, um einen Befall rechtzeitig erkennen und versorgen zu können. Die Verwendung von speziellen Fliegenfallen kann die Anzahl der Fliegen im Weidegebiet drastisch reduzieren.
Verwendung von Insektiziden
Insektizide werden häufig eingesetzt, um Schafe vor Ektoparasitenbefall zu schützen. Dafür werden die Schafe einer Tauchprozedur unterzogen (engl dipping), bei der das komplette Schaf für eine Weile untergetaucht wird (auch der Kopf). Es gab bei Nordwolle vor einer Weile mal ein Video dazu (Achtung, die Bilder sind echt nicht schön! Marco reagiert auf Sheep Dipping).
Das Ding ist folgendes: Insektizide sind halt giftig. Es sind z. B. Organophosphate oder organische Fluorverbindungen, die, wenn sie aus dem Vlies ausgewaschen sind, zu weiteren giftigen Verbindungen abgebaut werden können und in den Boden gespült werden.
Züchterische Selektion
Die Züchtung von Schafen, die keine Falten haben und idealerweise am Hinterteil auch nicht bewollt sind, wäre natürlich die beste Lösung. Es gibt einige Schafrassen, die diese Ausstattung schon haben (z. B. Wiltshire Horn, Border Leicester). Allerdings können prinzipiell auch andere Körperteile als die After-Region von Flystrike betroffen sein, sodass selbst faltenfreie Schafe ohne Bewollung am Hinterteil immer noch nicht komplett vor Flystrike geschützt wären.
Neueste Forschungen untersuchen, wie man durch genetische Selektion von Schafen mit bestimmten immunologischen Eigenschaften die Anfälligkeit für Flystrike reduzieren kann. Diese Anfälligkeit kann sich nämlich auch im Immunsystem zeigen – manche Schafe haben bei Madenbefall eine Immunreaktion, die den Befall eindämmen kann, und manche eben nicht. Die züchterische Selektion robusterer Tiere ist allerdings ein längerer Prozess.
Impfung
Eine Impfung mit Larven-Antigenen kann offenbar den Fliegenbefall sowie die Größe der entstehenden Wunden reduzieren. Wie der Mechanismus genau funktioniert, weiß man noch nicht. In die Entwicklung von Impfstoffen hatte man große Hoffnungen gesetzt, aber offenbar ist der große Durchbruch bis heute nicht gelungen.
Der heutige Stand der Dinge
Fakt ist: Mulesing ist in Australien Regeln unterworfen, die sowohl Anforderungen an die Qualifikation der durchführenden Personen stellen als auch die Anwendung von Schmerzmitteln vorschreiben – wenn auch nur in einem bestimmten Altersfenster (wie oben schon einmal beschrieben).
Auf öffentlichen Druck sollte das Verfahren in Australien ab 2010 verboten werden. Jedoch wurde diese Entscheidung Ende 2009 wieder zurückgenommen, weil die heilbringende Alternative (nämlich ein Impfstoff, auf den man gesetzt hatte), sich nicht materialisierte.
In Neuseeland ist die Praxis hingegen seit dem 01. Oktober 2018 verboten. Dort hat man durch eine Kombination aus verschiedenen Maßnahmen (hauptsächlich Züchtung) geschafft, den Flystrike anderweitig in Schach zu halten.
In Australien hofft man heute immer noch auf das Flystrike-Vakzin und überlegt eine neue Deadline zur Abschaffung des Mulesing in 2030. Ob diese Deadline wirklich offiziell wird, weiß man nicht, denn es ist längst nicht sicher, ob bis dahin ein verlässlich wirksames Vakzin verfügbar sein wird.
Nun liegt es an den Schafhaltern, sich nach Alternativen umzusehen und sie einzusetzen, um ihre riesigen Herden vor Flystrike zu schützen und gleichzeitig kostendeckend zu arbeiten.
Die Tierschutzvereinigung Vier Pfoten zitiert einen von ihnen beauftragten Bericht, der die Umfragedaten von 97 Schafhaltern aus Australien auswertet, die z. B. mit genetischer Selektion eine Abkehr vom Mulesing geschafft haben (der Bericht „Towards a non-mulesed future“ und aufbereitet als Blogartikel).
Diesen Artikel habe ich nur unter Vorbehalt gelesen, und ich zitiere ihn hier nur um zu zeigen, dass es durchaus züchterische Bemühungen gibt, in Zukunft mulesingfrei zu arbeiten. Meine Bedenken sind folgende:
Punkt 1: Er ist von Vier Pfoten in Auftrag gegeben worden. Wie unabhängig die mit der Umfrage und dem Bericht beauftragte Organisation ist, kann ich nicht beurteilen. Der Bericht zeigt nur Ergebnisse, die mit den Werten und Zielen von Vier Pfoten übereinstimmen und keine Kritikpunkte.
Punkt 2: Der Bericht enthält keine Rohdaten, und auch in das Fragendesign oder die Rücklaufquote erhält man keinen Einblick. Wie aussagekräftig oder repräsentativ er ist, geht aus dem Bericht nicht hervor. Schlecht designte Fragen und eine nicht repräsentative Rücklaufquote verfälschen das Bild.
Punkt 3: Mich macht etwas stutzig, dass innerhalb von 5 Jahren Zuchterfolge erzielt worden sein sollen. Normalerweise ist Zuchtarbeit eine Lebensaufgabe für einen Schäfer. In 5 Jahren sind gerade einmal 5 Generationen Schafe umfasst, das ist züchterisch sehr wenig. Bei der Zucht gibt es keine schnellen Lösungen und auch keine Abkürzungen.
Entscheidet selbst, ob ihr diesem Bericht Vertrauen schenkt oder nicht. Ich bin skeptisch. Wenn das so einfach und auch noch profitabel wäre, warum machen es dann nicht längst alle?
Mulesing – geht das auch in Deutschland?
Zuallererst: In Deutschland verbietet das Tierschutzgesetz, mit Schmerzen verbundene Eingriffe an Wirbeltieren ohne Betäubung durchzuführen (§ 5). Nach der Nutztierhaltungsverordnung muss jedes Tier jeden Tag in Augenschein genommen werden, und es darf ihm kein Leid zugefügt werden. Mulesing ist also nicht explizit verboten, aber die geltenden Vorschriften machen es de facto aus meiner Sicht unmöglich. (Ein explizites Verbot von Mulesing, so wie es in verschiedenen Blogartikeln behauptet wird, habe ich nicht gefunden.)
Bei in Deutschland gehaltenen Merinoschafen handelt es sich zudem meistens um Merinolandschafe oder Merinofleischschafe. Diese Merinoschafe unterscheiden sich genetisch (und auch äußerlich, also phänotypisch) von den Australischen Merinos. Deutsche Merinos haben weniger Falten und sind dementsprechend weniger anfällig für Flystrike, sodass Mulesing bei ihnen auch nicht erforderlich ist.
Mulesingfreie Wolle – gibt es eine Zertifizierung?
Nach diesem Artikel von Vier Pfoten sind schon über 3000 Australische Schafhalter als Mulesing-frei zertifiziert. Wer dieses Zertifikat allerdings ausstellt und was die Zertifizierung beinhaltet, konnte ich leider nicht herausfinden. Möglicherweise war auch einfach nur die Meldung an das National Wool Declaration-System damit gemeint (offenbar wird hier erfasst, welchen Mulesing-Status eine Wolle hat).
Mein Fazit: Es ist nicht schwarz-weiß. Und ich habe noch Fragen.
Schafhaltung in Australien funktioniert anders als hier in Deutschland. Während in Deutschland die durchschnittliche Herde ca. 160 Tiere umfasst (Stand 2017) und der Tierschutz vorsieht, dass die Tiere täglich überprüft werden müssen, ist das in Australien bei den dortigen Herdengrößen (zwischen 2000 und 6000 Tieren, je nach Region) teilweise gar nicht möglich. Oft sind die Tiere sich selbst überlassen und werden nur 1x im Jahr zur Schur mit Hubschraubern und Pferden zusammengetrieben (so wurde es mir berichtet von einer Spinn-Kollegin, die mal einige Jahre in Australien gewohnt hat). Das Schlüsselwort ist hier Massentierhaltung, und zwar in Kombination mit Zucht auf maximalen Wollertrag pro Tier. Der Begriff „Überzüchtung“ springt mir auch in den Kopf.
Woher kommen diese riesigen Herdengrößen? Ich vermute: Es ist ein Zusammenspiel zwischen riesigem Wollbedarf und der Entfernung des Menschen vom Schaf als Lebewesen. Wie auch Tiere in der Massentierhaltung für die Lebensmittelproduktion werden Schafe als eine Art Commodity behandelt. Etwas, was man optimieren kann. Maximaler Ertrag bei minimaler Weidefläche. Wissenschaftlich in Zahlen gepresst. Wenn ich den Wollertrag pro Tier um X Gramm erhöhen kann, dann kann das Endprodukt um Y Dollar günstiger verkauft werden.
Wenn ich eine Herde mit 6000 Tieren habe und 3 Mitarbeiter, dann ist einfach mal klar, dass ich nicht jedes Schaf jeden Tag ansehen kann. Dann bleibt mir als Schafhalter, wenn ich mit den Tieren, die ich nun mal habe, wirtschaftlich arbeiten will, vielleicht nichts anderes übrig als „Augen zu und durch“. Einmal Mulesing und das Schaf ist ein Leben lang geschützt – zumindest vor tail strike. Das ist doch wirtschaftlicher und weniger aufwändig, als ständig Popos zu scheren und Schafe zu dippen. Zumal sie ja definitiv auch leiden, wenn sie befallen werden.
Die Triebkraft dahinter, der Maximierungsdruck, kommt vielleicht noch nicht mal von den Farmern und Schafhaltern selbst. Ich möchte nicht jedem Farmer Gier unterstellen, denn ich glaube nicht, dass er (oder sie) mit Wolle so richtig reich werden kann. Vielleicht entspringt dieser Druck eher aus der in der Verarbeitungskette dahinterliegenden Industrie. Er entspringt vielleicht aus der Tatsache, dass die Menschen heute weit entfernt sind von den Prozessen, die ihnen Kleidung und Essen bringen. Dass fast niemand mehr den gesamten Herstellungsprozess von vorn bis hinten selbst durchführt, sondern alles zerstückelt und über den Globus verteilt ist.
Wäre Mulesing denn akzeptabel, wenn es nicht nach dem Gießkannenprinzip bei jedem Schaf prophylaktisch durchgeführt würde, sondern unter Verwendung von ausreichenden (!) Mengen Schmerzmitteln und nur dann, wenn die Inzidenz für Flystrike andernfalls nachweislich sehr hoch ist? Wo ist die Grenze?
Selbst jetzt, obwohl ich mich lange und intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt habe, kann ich immer noch nicht einschätzen, ob das durch Flystrike verursachte Tierleid nicht doch größer wird, wenn Mulesing sofort gestoppt wird. Das Stoppen des Mulesing alleine reicht vielleicht gar nicht aus, wenn die Herden gleich groß bleiben.
Mulesing hängt offenbar auch eng mit der Herdengröße zusammen. Müsste man dann nicht die Herdengrößen verringern? Geht das überhaupt? Sind nur so große Herden wirklich wirtschaftlich? Muss man sich vielleicht einfach mal von der beliebigen Skalierbarkeit landwirtschaftlicher Produkte verabschieden und akzeptieren, dass nicht immer alles jederzeit in unbegrenzer Menge verfügbar ist? Weil Wolle mehr wert ist? Auf der anderen Seite: sehr große Herden gab es auch schon, als Australien noch gar keine Kolonie war… Es ist einfach nicht schwarz weiß.
Für mich ist klar: Ich will das nicht. Ich will nichts aus Wolle anziehen und auch nicht verarbeiten, wenn ein Schaf so behandelt wurde. Wie ein Stück leblose Materie. Es erinnert mich an meinen Geschichtsunterricht, im Abitur, als wir Descartes durchgenommen haben. Erinnert ihr euch? Der Typ, der meinte, Tiere sind eher so Automaten und haben keine Seele? Und wenn man sie ohne Narkose seziert, dann sind das keine Schmerzensschreie, sondern einfach nur automatisch ablaufende Reflexe? Das hat mich schon damals gegruselt. Es nannte sich „Aufklärung“.
Und klar, ich kann mich darauf zurückziehen, dass ich sowieso keine Wolle aus Australien trage und verarbeite, sondern in letzter Zeit nur noch regionale Wolle, wo ich sogar die Schafe selbst kenne. Aber reicht das?
Quellenangaben
Hier findet ihr zum Nachlesen und Selbststudium einige Literaturangaben. Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit, auch nach der Veröffentlichung habe ich viele weitere Quellen gefunden. Eine gute Hilfe sind auch Google Scholar und Research Gate.
Philip Walling “Counting Sheep. A Celebration of the Pastoral Heritage of Britain” ; ISBN 978-1846685057
J Rothwell, P Hynd, A Brownlee, M Dolling, S Williams. Research into alternatives to mulesing. Australian Veterinary Journal Volume 85, No 1, January 2007
CJC Phillips. A review of mulesing and other methods to control flystrike (cutaneous myiasis) in sheep. Animal Welfare 2009, 18:113 – 121. ISSN 0962-7286
AC Kotze and PJ James. Control of sheep flystrike: what’s been tried in the past and where to from here. Australian Veterinary Journal Volume 100 No 1-2, January-February 2022
J Sneddon, B Rollin. Mulesing and Animal Ethics. J Agric Environ Ethics (2010) 23:371-386
P James. Genetic alternatives to Mulesing and tail docking in sheep: a review. Australian Journal of Experimental Agriculture 2006 (46) 1-18.
Edwards L. “Lamb mulesing: Impact on welfare and alternatives” February 2012CAB Reviews Perspectives in Agriculture Veterinary Science Nutrition and Natural Resources 7(061) DOI:10.1079/PAVSNNR20127061
C Lee, AD Fisher Welfare consequences of mulesing of sheep (Abstract) First published: 13 March 2007
Es ist Sonntag, 21. August, 14 Uhr, und es ist echt heiß. Viel heißer noch als heute früh – die Sonne sticht und die Wolken sehen aus, als würden sie ein Gewitter mitbringen. Schatten ist Mangelware auf dem Tempelhofer Feld, aber ich bleibe trotzdem, denn heute ist Schaftag!
Es gibt in diesem Beitrag leider keine richtig schönen Fotos, irgendwie hatte ich an diesem Tag kein gutes Auge dafür. Nächstes Mal gibt es wieder bessere Bilder!
Schafe auf dem Tempelhofer Feld
Wusstest Du, dass es auf dem Tempelhofer Feld Schafe gibt? Seit 2019 werden auf dem Tempelhofer Feld Skudden eingesetzt, um das Gelände extensiv zu beweiden und so die Artenvielfalt zu erhalten. Ich hatte irgendwann schon einmal davon gehört, aber da dieser Teil Berlins mit den Öffis fast eine Stunde von meinem Kiez entfernt liegt, komme ich da nur sehr selten vorbei.
Früher wurden hier zweimal im Jahr die Grünflächen radikal abgemäht. Durch diesen Eingriff verloren viele Arten von jetzt auf gleich ihre Rückzugsmöglichkeiten. Heute knabbern hier ungefähr hundert Skudden der Grün Berlin GmbH, betreut von Schäfer Frank Wasem, nach und nach langsam die Wiese klein. So werden diese wertvollen Rückzugsräume für viele Tiere erhalten, weil eben nicht auf einmal die ganze Vegetation weg ist. Das Projekt läuft noch bis 2024 und wird wissenschaftlich begleitet. Wer möchte, kann sich dazu vor Ort informieren (Informationen findet ihr hier auf der Seite der Grün Berlin GmbH).
Ich vergesse immer, wie weitläufig das Gelände ist, und so bin ich schon etwas fußlahm, als ich auf dem Bereich von Haus 104 ankomme. Es ist ordentlich was los – zwar verläuft sich alles ein bisschen auf dem großen Areal, aber an den Ständen ist man dicht gedrängt. Eine Weberin sitzt an einem Webstuhl auf einem Podest und webt, davor ist ein Tisch, an dem sich Kinder mit kleinen Webrahmen am Weben probieren. Daneben ist eine Wollwaschstrasse aufgebaut, eine ganze Reihe Plastikwannen mit Wasser und Spüli, und davor liegt Rohwolle.
Der Stand, an dem Kinder Filzschnüre herstellen können, ist ebenfalls dicht bedrängt und man muss schon etwas warten, bis man drankommt. Es gibt ein Kinderquiz, Anschauungsmaterial zu Wollen verschiedener Ziegen- und Schafrassen und auch einen Stand mit Wollprodukten der Firma Betten Rieger. Man kann sich zu natürlichen Pigmenten informieren – die Künstlerin Kristin Hensel (drawn with nature) ist auch da (und sehr, sehr beschäftigt). Kinder turnen auf riesigen Strohballen herum, die man sonst nur auf den abgeernteten Feldern liegen sieht.
Weiter hinten fahren Kremserkutschen, und die Schafe sind so weit weg, dass es mir heute zu heiß ist, bis dorthin zu laufen. Ich hab auch nicht genug Wasser dabei. (Hinterher habe ich gelernt, dass die Kremserkutschen direkt zu den Schafen fahren – nächstes Mal bin ich schlauer!).
Mein Highlight: die Gesprächsrunde mit Wollexperten
Die Veranstaltung, deretwegen ich eigentlich hier bin, ist die Gesprächsrunde mit Wollexperten aus unterschiedlichen Bereichen. Marco von Nordwolle soll dabei sein, der Schäfer, der für die Skudden hier verantwortlich ist, und auch Frau Rieger von der Firma Betten Rieger aus Görlitz. Leider verspätet sich alles, Windböen pusten ganze Pavillons weg und die Plane von einem Catering-Stand hat es auch entwurzelt. Wahrscheinlich muss da im Hintergrund noch ein bisschen organisiert werden. Kurz nach 15 Uhr ist es endlich so weit: Die Gesprächsrunde geht los und die einzelnen Teilnehmer werden vorgestellt.
Marco Scheel von Nordwolle muss man unter Woll-Verrückten eigentlich gar nicht mehr vorstellen, aber sehr interessant zu lernen: Mittlerweile verarbeitet er die Wolle von 120 000 Schafen im Jahr. Bei geschätzten 3–4 kg Wolle pro Schaf sind das 360 – 480 Tonnen im Jahr. Das ist schon eine Nummer.
Schäfer Christoph Behling ist Skuddenzüchter und hat den Beruf noch zu DDR-Zeiten gelernt. Damals wurde noch auf Wollqualität gezüchtet und Wolle war eine ertragreiche Einnahmequelle für Schäfer. Er achtet (von Berufs wegen) sehr auf die Qualität seiner Wolle, lässt sie zu verschiedenen Produkten verarbeiten und hat selbst keine Probleme, Abnehmer dafür zu finden. Aber er sagt auch: Die meisten anderen Schäfer können das nicht. In der Regel lohnt sich Wollproduktion für Schäfer nur, wenn sie an ein Projekt gekoppelt ist, für das die Wolle produziert wird. Ohne Projekte funktionert es seiner Erfahrung nach nicht.
Schäfer Frank Wasem ist in seiner Berufskleidung da, er ist für die Schafe auf dem Tempelhofer Feld verantwortlich. Er erzählt vom Alltag und von Problemen.
Besonders interessant finde ich die Beiträge von der Künstlerin und Prof. für Architekturbezogene Kunst Folke Köbberling (Achtung: Seite hat kein SSL-Zertifikat). Sie kam mit dem Rohstoff Wolle über einen Schäfer in Berührung, der ihr einen Sack Wolle geschenkt hat. Seitdem setzt sie sich in ihren künstlerischen Projekten damit auseinander, wie man diesen wertvollen Rohstoff bestmöglich einsetzen kann. In ihrem Projekt beim Museum Folkwang in der „grünen mitte essen“ verarbeitete sie die Wolle tonnenweise – als Isolierung, als Schallschutz, unter Reetdächern.
Es ergibt sich eine sehr angeregte (aber leider viel zu kurze) Diskussion zu vielen wichtigen Punkten im Umgang mit Wolle, die ich euch aus der Erinnerung noch einmal zusammenfasse.
Wollqualität
Die zentrale Frage ist: Was ist gute Qualität? Dabei geht es sowohl um die Feinheit der Wolle als auch um die Sauberkeit. An der Feinheit kann man nur bedingt etwas ändern, vielmehr geht es darum, für die Wolle, die wir haben, den richtigen Verwendungszweck zu finden, findet Marco Scheel. Die Sauberkeit, also wie verkotet, eingestreut oder verklettet die Wolle ist, wird offenbar unterschiedlich gehandhabt. Während Herr Behling berichtet, dass Einstreu und Kot die Qualität der Wolle mindert (und das ist ja auch meine Erfahrung, die meisten Verarbeiter nehmen Wolle mit zu viel Dreck / Einstreu gar nicht erst an), sagt Marco von Nordwolle, dass das so nicht stimmt. Er nimmt auch verstrohte und verkotete Wolle, das können große Wäschereien offenbar sehr gut herauswaschen, und was dann noch in den Fasern ist, wird so stark zerkleinert, dass man es kaum noch sieht. Problematisch würde es erst, wenn man die Wolle dann noch färben wollte, denn Zellulosepartikel (also Heu und Stroh) nehmen Farbe unterschiedlich an und beeinträchtigen so das Färbeergebnis.
Wollwäschereien in Deutschland
Durch sehr hohe Anforderungen an das Abwasser ist es in Deutschland offenbar quasi nicht möglich, eine rentable Wollwäscherei zu betreiben. Daher wird es wohl auch in Zukunft nicht möglich sein, Wolle in großem Maßstab in Deutschland waschen zu lassen, man muss nach Belgien, Moldawien, Polen oder Portugal ausweichen. Offenbar hat Deutschland durch diese höheren Anforderungen einen Standortnachteil. Jetzt kann man sich natürlich fragen: Sind die Anforderungen an das Abwasser in Deutschland zu streng oder in den anderen Ländern zu lasch? Wie machen das Belgien oder Portugal? Ich kann das leider überhaupt nicht einschätzen. Wenn sich da jemand von euch auskennt, schreibt mir gerne oder hinterlasst einen Kommentar!
Bürokratie
Und damit waren wir auch beim Thema Bürokratie. Bürokratie stellt aus Sicht des Schäfers Frank Wasem eine wesentliche Hürde für die Schafhaltung dar. Das reicht von der Verpflichtung zum Anbringen von 2 Ohrmarken pro Tier (eine Anforderung, die es für Schweine z. B. nicht gibt, obwohl viel mehr Schweine als Schafe in Deutschland gehalten werden) bis hin zu der Einstufung von Rohwolle als tierisches Abfallprodukt der Gefahrenkategorie 3, die es z. B. verhindert, dass Wolle verschiedener Schäfer einfach so irgendwo gesammelt werden kann. (Man kann es machen, aber man braucht dann offenbar eine Genehmigung bzw. Zertifizierung, und diesen Zusatzaufwand können viele Schafhalter und Schäfer einfach nicht leisten, weil es sich nicht rentiert.)
Wasserverbrauch
Marco von Nordwolle wurde gefragt, wie denn der Wasserverbrauch für eines seiner Kleidungsstücke ist – der Verbrauch ist ja bei Baumwolle bekanntermaßen gigantisch hoch. Er nannte die Zahl: 6 Liter. Das ist erstaunlich, finde ich.
Die Zukunft der Wolle
Zum Abschluss kam die Frage auf, wo denn die Teilnehmer die Zukunft der Wolle sehen. Marco Scheel ist es wichtig, dass man Verwendungsmöglichkeiten für Wolle findet, die ihren Eigenschaften entsprechen. Das muss also nicht die Weichheit sein, sondern vielleicht die Isolierfähigkeit. Die ist für die Schafe überlebenswichtig im hiesigen Klima, die haben sie über tausende Jahre verfeinert, die kann man herausarbeiten. So hat Nordwolle zusammen mit Storopack (einer Firma für Isoliermaterial, die eigentlich Styropor verwendet) eine Isolierverpackung entwickelt, in der Wolle zwischen zwei Wellpappe-Schichten eingearbeitet ist. Diese Verpackung ist komplett biologisch abbaubar und soll für den Lebensmittel- und den Pharmabereich eingesetzt werden. (Auf der Website der Firma Storopack konnte ich dazu leider nichts finden).
Für Marco Scheel liegt die Zukunft der Wolle im Hightech-Bereich, weil dort die höchste Wertschöpfung möglich ist. Für die Künstlerin Folke Köbberling und auch Schäfer Frank Wasem ist klar, dass auch die Politik gefragt ist, diverse Hürden abzubauen, damit beispielsweise Rohwolle (also ungewaschene Wolle) auch als Bau- oder Dämmstoff eingesetzt werden kann. Dafür braucht es mutige Menschen, mutige Bauherren, die sich darauf einlassen. Man darf also gespannt sein!
Der Schaftag 2022 wurde gemeinsam veranstaltet von der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher und Klimaschutz, der Grün Berlin GmbH, dem Allmende Kontor, 100 % ThF, Haus 104 und der Feldkoordination.
Sonntag früh, kurz nach 6, der Wecker klingelt. An jedem anderen Sonntag hätte ich entnervt das Kissen über den Kopf gezogen und einen Latschen nach dem lärmenden Ding geworfen, aber heute nicht. Heute ist wieder Schafschur!
Das Universum spielt mit, es ist nicht zu heiß und nicht zu kalt und vor allem: Es regnet nicht. Nasse Schafe kann man nämlich nicht scheren. Letzte Woche waren brütende 30 °C, gestern noch zogen stürmische Schauer übers Land, heute ist die Welt wieder in Ordnung.
Den Sortiertisch hab ich gestern schon ins Auto gepackt, jetzt fehlen nur noch Sonnencreme, genug Wasser, etwas zu essen und mein Morgenelixier – Kaffee – und dann gehts schon los Richtung Eberswalde.
Morgens um acht in Eberswalde
Als ich um acht ankomme, ist Carina, die Schafhalterin von der Schäferei Schöne Schafe Biesenthal, schon eine ganze Weile auf den Beinen. Die Vorbereitungen gingen gestern schon los – Schafe einfangen und einpferchen, Zäune umstecken, damit alles bereit ist für den Scherer. Jetzt wird noch mal alles kontrolliert, der Ablaufplan für heute präzisiert, Helfer eingewiesen und alles aufgebaut. Heute wird nicht nur geschoren, die Mütter bekommen auch Klauenpflege (die macht der Scherer vor dem Scheren), eine Wurmkur, die Lämmer müssen entwurmt und geimpft werden, und eine Ektoparasitenbehandlung steht auch an. Außerdem wird bei jeder Mutter das Euter, Wolle und Klauen begutachtet und notiert. Und zu guter Letzt werden heute die Lämmer von den Müttern entwöhnt, denn sie sind mittlerweile groß genug. Die Bocklämmchen üben schon mal für die nächste Decksaison, und bevor sie da erfolgreich werden, müssen sie von den Mädels getrennt werden. Volles Programm also.
Ich such mir ein Eckchen und baue meinen Tisch auf. Nach und nach kommen auch weitere Helfer dazu. Zwei Wollbegeisterte aus dem nahegelegenen Spinnkreis werden zum Schafe-Zuführen eingeteilt. Da die Schafe sich nicht von alleine brav in einer Reihe aufstellen, müssen sie mit einem Halfter eingefangen werden, damit der Scherer nahtlos weiterarbeiten kann. Er arbeitet heute in einem deutlich gemütlicheren Tempo als üblich, weil sonst die Drum-Herum-Arbeiten nicht hinterherkommen würden. Die Tierärztin ist jetzt auch da, sie hat die Medikamente zum Impfen mitgebracht und impft die Lämmer. Insgesamt sind wir sicher 12-14 Leute, und jeder hat zu tun.
Der beste Job von allen: Wolle sortieren
Ich finde, ich hab den besten Job von allen: Wolle sortieren. Ich nehme dem Scherer das Vlies ab, bringe es zu meinem Sortiertisch und dann wird in Windeseile vorsortiert. So gut es geht, Bauch-Beine-Po rausnehmen, nach Kletten suchen und auch die entfernen, verfilzte Stellen um den Nacken herum. Noch kurz Nachschnitt rausschütteln, dann sind die 2 Minuten schon rum und das nächste Vlies steht an. Zum Glück sind wir zu dritt, alleine würde ich es wohl grade so schaffen, Kotreste zu entfernen und das jeweilige Vlies ins Big Back zu werfen. Wenn ich ein Vlies zum Handspinnen sortiere, nehme ich mir mehr Zeit und gehe wirklich handbreit für handbreit durch, aber das ist hier gar nicht möglich.
Wolle Sortieren ist für mich ein Fest für die Sinne. Die Vliese sind alle unterschiedlich: Rhönschafvliese sind mittelweich und einfach nur riesig, und ich frag mich immer, wie so viel Wolle auf ein einzelnes Schaf draufpasst. Mein Tisch ist für ein Rhönschafvlies definitiv zu klein. Die Vliese der Coburger Füchse hingegen sind weich, leicht und bauschig und ein regelrechter Traum. Wenn die ganzen Kletten raus sind, versteht sich. Und dann sind noch die Vliese der Wensleydales und Gotländischen Pelzschafe. Die sind klein und dafür recht schwer, und sie hängen nicht wirklich gut zusammen, ich muss gut aufpassen, dass sie auf dem Tisch nicht zu sehr zerfallen. Manche sind direkt auf dem Schaf zu wunderschönen Sitzunterlagen gefilzt … Ouessant-Vliese sind ganz klein, aber super schön, und ein dunkles mit ausgebleichten Spitzen hat mich ganz lieb angeflauscht und durfte mit mir nach Hause kommen. Ganz neu dieses Jahr sind Shetland-Vliese mit herrlichem Crimp.
Die Schafe riechen auch alle ein bisschen unterschiedlich, wie mir die anderen beiden Team-Kolleginnen beim Sortieren bestätigten. Ein bestimmtes Rauhwolliges Pommersches Landschaf hatte sogar einen speziellen mandelartigen Geruch. Abgefahren, echt abgefahren.
Und die ganze Zeit über hat man den Schaf-Soundtrack auf den Ohren. Die Schafe lassen dieses Großereignis schließlich nicht unkommentiert vorübergehen. Lämmer rufen nach ihren Müttern, die Mütter rufen zurück oder unterhalten sich über ihre neuen Frisuren – so genau kenn ich mich da noch nicht aus. Aber es ist definitiv ganz schön laut!
Nicht jedes Schaf mag das Scheren. Manche sind Profis – sie wissen, was kommt, halten still und lassen es über sich ergehen. Und manche wissen, was kommt – und fangen an zu zappeln. Da gibt es sehr unterschiedliche Temperamente, und bei manchen muss der Scherer die Schur unterbrechen und das Tier erst beruhigen und wieder richtig hinlegen, bevor es weitergehen kann. Wenn alles gut läuft, wirkt es fast wie ein Tanz mit dem Schaf, wie der Scherer es hält und dreht und mit den Beinen dirigiert.
Schafscherer sein, vor allem hauptberuflich, ist ein Knochenjob. In seinem besten Jahr, erzählt er, hat er mal über 26 000 Schafe geschoren. Huiuiui. Das sind eine Menge Schafe. Aber es gibt bei den Scherern, wie auch bei den Schäfern, Nachwuchsprobleme, vor allem bei den Hauptberuflichen. Letztes Jahr haben wieder drei Scherer aufgehört. Wenn man mal annimmt, dass jeder im Jahr so ca. 10 000 bis 15 000 Schafe geschoren hat, dann haben dieses Jahr 30 000 bis 45 000 Schafe ein Problem. Geschoren werden müssen sie, das verlangt der Tierschutz. Aber was macht man als Schafhalter, wenn man keinen Schertermin bekommt? Den Scherer mit höheren Preisen anlocken? Mit Geld, was man über die Schafhaltung gar nicht mehr reinbekommt? Kann man sich Schafhaltung jetzt nur noch leisten, wenn man reich ist? Ich komme ganz schön ins Grübeln.
Immer wieder Neues lernen
Von einem Schafscherer, besonders von einem, der selber mal Schäfer war, kann man eine ganze Menge lernen. So wusste ich zwar, dass es Schafe mit einem (teilweisen) Wollwechsel gibt. Bei Shetlandschafen z. B. hat man zu einer bestimmten Zeit im Jahr einen sogenannten „rise“. An dieser Stelle werden die einzelnen Haare deutlich dünner, sodass sie eine Art Sollbruchstelle bekommen und man sie dort „raufen“ kann, d. h. man kann die Wolle direkt mit den Händen abziehen. Das tut den Schafen nicht weh. Was ich nicht wusste: Ein kleines bisschen ist das auch bei anderen Schafrassen so. Das ist das, was man bei Wolle als „schön abgewachsen“ bezeichnet. Zu einem bestimmten Zeitpunkt im Jahr (der offenbar von Rasse zu Rasse variiert), ist die Wolle abgewachsen, d. h. sie wird über der Haut etwas dünner, sodass sie auch dort leicht zu scheren ist. Wenn man vor diesem Zeitpunkt schert, ist sie noch nicht abgewachsen und der Scherer hat wirklich große Mühe, sich durch die Wolle zu kämpfen. Manchmal kann der Scherer auch nicht unterscheiden, ob er jetzt eine dicke Stelle Wolle schert oder ob da eine Hautfalte im Weg ist. Die Verletzungsgefahr für das Schaf ist also deutlich höher, wenn die Wolle noch nicht richtig abgewachsen ist. Dementsprechend kann man sich den Schurtermin nicht einfach so legen, wie man es gerne hätte, sondern ist auch da an den Haarzyklus gebunden. Wieder was gelernt.
Interessanterweise hatte ich gerade zu diesem Thema einen Blogartikel von Irina von driftwool gelesen. Sie hatte mal die Literatur nach Untersuchungen zum Haarwachstum durchforstet und einen Übersichtsartikel geschrieben. Sehr interessant!
Bei der Schur einer etwas älteren Wensleydale-Dame kamen wir auch auf Wollqualität zu sprechen. Offensichtlich ist es auch so, dass vor allem bei Schafrassen, die wegen ihrer Wolle gezüchtet werden (viele englische Rassen), die Wollqualität mit zunehmendem Alter des Schafes stark abnimmt. Bis zu einem Alter von 4 Jahren ist die Wolle wohl noch in Ordnung, danach wird sie zunehmend schlechter.
Schafhaltung braucht community
Um 15 Uhr ist es dann geschafft. Das letzte Schaf geschoren und behandelt, jetzt geht es ans Aufräumen. Sieben Stunden gearbeitet, 14 Leute. Schafe halten ist definitiv etwas, was man nicht alleine als Einzelperson macht. Viele Dinge und Dienste kann man auch gar nicht mit Geld bezahlen oder in Geld ausdrücken. Was hätte es gekostet, 14 Menschen für 7h einen Mindestlohn zu bezahlen? So funktioniert Schafhaltung (und auch Landwirtschaft) irgendwie nicht.Man braucht eine community, Leute, die sich gegenseitig unterstützen und unter die Arme greifen, ohne nach Geld zu fragen. Die Enthusiasmus oder wenigstens Hilfsbereitschaft mitbringen, die sich einbringen wollen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Die eine Verbindung aufbauen oder erhalten wollen. Die einen Unterschied machen wollen. Und es macht definitiv einen Unterschied, ob man mit dem Scherer alleine auf der Weide steht oder Menschen hat, die einen unterstützen.
Ich weiß jedenfalls, wo mein Ouessant-Schaf gestanden hat, und ich hab auch noch seine Wolle vom letzten Jahr, und wenn ich noch ein kleines bisschen sammele, reicht es vielleicht auch noch für einen Pullover.
Skuddenwolle hat nicht den Ruf, besonders weich zu sein. Sie wird auch nicht besonders oft zu Garn verarbeitet. Das liegt vor allem an ihrer Beschaffenheit und den nötigen Verarbeitungschritten, die sich daraus ergeben. Bis vor etwa zwei Jahren hatte ich von Skudde-Wolle gelesen und gehört, aber „in echt“ hatte ich sie noch nie bearbeitet. Dann besuchte ich Sigi und ihre Bunten Skudden in Stahnsdorf. Sie schenkte mir ein Stück Vlies, und damit begann ich eine Reihe sehr interessanter Experimente zu unterschiedlichen Verarbeitungsweisen und war erstaunt über die Ergebnisse.
Wie ist ein Skuddenvlies beschaffen?
Skudden gehören zu den Nordischen Kurzschwanzschafen(wie z. B. auch Shetland-Schafe) und sind mischwollig. Ihr Vlies wiegt meist nicht viel mehr als 1 kg und besteht im Grunde aus drei verschiedenen Faserarten:
Lange Deckhaare (Grannenhaare)
Feine Unterwolle
Stichel- bzw. Borstenhaare
Mit diesen drei Fasertypen sind die Schafe perfekt an die Witterungsbedingungen angepasst, unter denen sie leben. Die langen Deckhaare leiten Regenwasser ab und sorgen dafür, dass das Tier nicht bis auf die Haut durchnässt. Die feine Unterwolle ist gekräuselt und wärmt, und die Stichel- bzw. Borstenhaare sorgen wie ein Gerüst dafür, dass die Stapel bzw. Strähnen aufrecht bleiben und die wärmenden Lufteinschlüsse in der Wolle gehalten werden. (Ein Schäfer, der es ja wissen muss, hat mir erklärt, dass man bei Mischwollen nicht von „Stapeln“ spricht, Stapel gibt es nur bei mernio-artigen Vliesen. Bei Skudde spricht man eher von Strähnen oder Locken).
Diese drei Faserarten sind sowohl hinsichtlich der Faserlänge als auch ihrer Beschaffenheit sehr unterschiedlich. Die langen Deckhaare können gut und gerne 30 cm lang sein, und sie sind in der Regel auch sehr glatt. Die Unterwolle hingegen ist deutlich kürzer und auch gekräuselt. Diese Kräuselung sorgt für das Einschließen von Luftpolstern und Wärme. In den Vliesen, die ich bearbeitet habe, hatte die Unterwolle eine Länge von ca. 5-7 cm.
Die gemeinsame Verarbeitung von Fasern so unterschiedlicher Länge ist eine Herausforderung, da sich nicht so einfach eine homogene Mischung erreichen lässt. Beim Kämmen trennen sich die langen von den kurzen Haaren, und beim Kardieren wickeln sich die langen Haare um kleinere Walzen. Eine maschinelle Verarbeitung ist daher ohne ein vorheriges Zerschneiden der Fasern kaum möglich.
Als Handspinner:in hat man bei der Verarbeitung mehr Möglichkeiten (und nein, man muss die Fasern nicht zerschneiden). Der Prozess ist jedoch aufwändiger, als man es vielleicht von gleichmäßigeren Vliesen gewohnt ist, und er lässt sich auch nicht gut beschleunigen.
Wie kann ich ein Skuddenvlies verarbeiten?
Wie kann man nun so unterschiedliche Faserarten am besten verarbeiten? Einige Inspiration dazu erhielt ich durch die fantastischen Webinare von Josefin Waltin. Die schwedische Spinnerin arbeitet viel mit den mischwolligen Vliesen Schwedischer Landrassen, die ebenfalls zur Gruppe der Nordischen Kurzschwanzschafe gehören. In den Webinaren berichtet sie, wie sie die Wolle vorbereitet und wonach sie entscheidet, wie sie sie verarbeitet. Die Garne, die sie spinnt und zeigt, sind absolut fantastisch.
Die Erkenntnisse fasst sie auch in wunderbaren Blogartikeln zusammen – wie in diesem hier zu Rya-Wolle, Aland-Wolle und diesem hier über Mischwolle (engl. dual coat). Sie hat eine faszinierende und sehr schöne Methode entwickelt, diese Wollen vorzubereiten und zu verarbeiten (wie hier z. B. in diesem Video erklärt).
Skuddenwolle ist offenbar den schwedischen Landrassen ähnlich, aber dennoch scheint es Unterschiede zu geben. Das Verhältnis von Deckhaar zu Unterwolle ist bei schwedischen Landrassen eher bei 50/50 oder 40/60. Die Skudde-Vliese, die ich bearbeitet habe, enthielten deutlich weniger Deckhaar. Auch enthielten die meisten Skudde-Vliese, die ich in der Hand hatte, deutlich mehr Stichelhaare als schwedische Landrassen (soweit ich das über das Video beurteilen kann). Meiner Erfahrung nach fallen die Stichelhaare nicht alle während der Verarbeitung heraus, sie bleiben relativ lange im Garn und sie stören mich auch wirklich, wenn ich aus dem Garn ein Kleidungsstück herstellen möchte (hier habe ich über das Empfinden von Weichheit bei Wolle geschrieben).
Josefin verarbeitet mischwollige Vliese entweder so, wie sie vom Tier kommen (Deckhaare und Unterwolle gemeinsam), oder aber sie trennt die Deckhaare von der Unterwolle und verarbeitet diese Faserarten separat. Diese Herangehensweise erschien mir absolut logisch und so folgte ich in diesem Experiment ihrem Beispiel. Ich wollte wissen: Wie kann ich das Beste aus der Skudde-Wolle herausholen? Wie viel Aufwand ist das? Und lohnt sich das überhaupt?
„Wolle“ oder „Haare“ – was ist der Unterschied?
Das Lehrbuch „Wollkunde“ von Herbert Doehner und Horst Reumuth in der 2. Auflage von 1964 sagt dazu folgendes:
„Es empfiehlt sich, im Sprachgebrauch von Haaren nur dann zu sprechen, wenn es sich um grobe, weder gewellte noch gekräuselte Gebilde handelt. Wolle ist dagegen relativ fein, stets gekräuselt, mindestens gewellt und in Stapeln zu einem Vlies vereint, einem Wollverband also, der auch nach der Schur noch seinen Zusammenhang behält.“
Versuch 1: Vergleich von zusammen und getrennt verarbeiteten Fasern
Das erste Stück Skudde-Vlies, das ich in den Händen hielt, stammte von einer Bunten Skudde aus der Herde von Sigis Schafe. Inspiriert von Josefins Ansatz wollte ich die verschiedenen Faserarten sowohl getrennt voneinander als auch zusammen verarbeiten.
So habe ich die Fasern verarbeitet
In einem ersten Versuch habe ich das Vliesstück vor der Verarbeitung bei ca. 60°C mit PowerScour gewaschen und danach in zwei ungefähr gleich große Teile geteilt.
Für die gemeinsame Verarbeitung habe ich die gesamten Fasern mit meinen Handkarden (72tpi) zu Rolags kardiert. Die Rolags waren erstaunlich gut herzustellen. Zwar waren die Fasern unterschiedlich lang, aber der Längenunterschied war für das Kardieren nicht hinderlich, solange ich sorgfältig gearbeitet habe und die Fasern sich nicht auf sich selbst zurückfalteten.
Für diese Rolags habe ich Deckhaare und Unterwolle zusammen kardiert.
Nahaufnahme der zusammen kardierten Fasern. Die dunklen Haare sind recht spröde und pieksig, für Kemp sind sie allerdings zu lang.
Bei der getrennten Verarbeitung habe ich per Hand nach dem Waschen die Deckhaare ausgezogen. Das war durchaus mühsam, da die Schnittkanten leicht angefilzt waren. Das Kardieren der Rolags war jedoch ebenso einfach wie bei den gemeinsam verarbeiteten Fasern. Leider erinnere ich mich nicht mehr genau, wie ich die Deckhaare vorbereitet habe. Möglicherweise habe ich sie nicht gekämmt, sondern nur in die Handkarden eingehängt und von dort aus direkt gesponnen.
Rolags nur aus der Unterwolle kardiert enthielten deutlich weniger dieser schwarzen pieksigen Haare. Dementsprechend wurde das Garn deutlich heller.
Die drei Garne – sehr charakteristisch
Die drei Garne, (gemeinsam verarbeitet, nur Deckhaar, nur Unterwolle) waren durchaus unterschiedlich in der Haptik. Alle drei Garne waren keine Schmusegarne, da in diesem Vliesstück auch eine Menge Stichelhaare waren, die sich beim Kardieren nicht vollständig entfernen ließen (lies hier nochmal nach, was Stichelhaare sind). Auf der anderen Seite habe ich auch schon Garne produziert, die einen deutlich höheren, wie soll ich sagen, “Durchblutungsfaktor” hatten.
Die drei Garne aus dem ersten Versuch: links aus gemeinsam verarbeiteten Fasern, in der Mitte nur aus Unterwolle, rechts aus den Deckhaaren.
Von den drei Garnen war das, was nur aus Unterwolle gesponnen war, erwartungsgemäß das weicheste (auch wenn ich es nicht als „flauschig“ bezeichnen würde). Interessant sind auch die Farbunterschiede: Die Unterwolle war in diesem Fall heller als die Deckhaare. Und wie sich bei einem Blick auf das Vlies auch schon vermuten lässt, enthält es deutlich mehr Unterwolle als Deckhaare.
Versuch 2: Deckhaare und Unterwolle getrennt verarbeiten
In einem zweiten Versuch habe ich die Deckhaare VOR dem Waschen mit der Hand ausgezogen. Durch das noch enthaltene Lanolin war eine Art natürliches Gleitmittel in den Fasern enthalten, das die Trennung von Deckhaaren und Unterwolle in der Theorie erleichtern sollte, und das wollte ich unbedingt ausprobieren.
Für diesen Versuch habe ich ein dunkles Vliesstück verarbeitet, das fast keine Stichelhaare enthielt – ich ging also davon aus, dass die Garne weniger pieksig sein würden als im ersten Versuch.
Die Schnittkanten des Vliesstücks waren nicht angefilzt,
So habe ich das Vliesstück vorbereitet und verarbeitet
Ich bin Locke für Locke durch das Vlies gegangen, habe mit den Händen eine Locke abgetrennt und die Schnittkante mit einer Hand festgehalten. Mit der anderen habe ich die Spitze mit den Deckhaaren zwischen Daumen und Zeigefinger festgehalten und durch leichtes Hin- und Herziehen die beiden Faserarten getrennt. Mit den Händen allein ging es teilweise schon ganz gut, noch besser ging es aber mit Kämmen. Das Prinzip ist das gleiche:
einige Locken (nicht zu viele) mit der Schnittkante in den Kamm einlegen
Spitze zwischen Daumen und Zeigefinger einklemmen, so dass nur die Deckhaare erfasst werden
langsames Ziehen und hin- und her-Bewegen trennt die Deckhaare recht gut vom Rest der Strähne
Deckhaare und Unterwolle habe ich anschließend getrennt gewaschen und dann aufbereitet.
(1)(2)(1) Locke in den Kamm einlegen, nur die Spitze mit den Deckhaaren fassen. (2) Deckhaare unter Hin- und Her-Bewegen ausziehen. Die Unterwolle bleibt im Kamm.
Separieren der Faserarten mit Kämmen
Das Ausziehen der Deckhaare mit den Händen kann schnell sehr mühsam werden, daher bin ich dazu übergegangen, Kämme zu benutzen. Wollkämme kommen in vielen Geschmacksrichtungen. Die wichtigsten Eckpunkte bei der Auswahl sind:
1) Die Anzahl der Reihen an Zinken (z. B. einreihig oder zweireihig). Zweireihige Kämme halten die Fasern stärker zurück und man kann die Faserarten leichter trennen. Einreihige Kämme halten die Fasern nur leicht zurück und die Faserarten trennen sich weniger leicht – was hilfreich sein kann, wenn man die Fasern gemeinsam verarbeiten möchte.
2) Der Abstand der Zinken zueinander. Sind die Zinken zu weit auseinander, dann halten sie die Fasern weniger gut fest. Ein einreihiger Kamm mit geringem Zinkenabstand kann im Zweifel genauso gut Fasern festhalten wie ein zweireihiger Kamm mit größerem Zinkenabstand.
3) Die Höhe der Zinken. Ein Kamm mit niedrigen Zinken hat ein niedrigeres Fassungsvermögen als einer mit hohen Zinken (Kämme belädt man idealerweise nur zu 1/3 der Zinkenhöhe). In meiner Erfahrung kämmt es sich auch nicht gut, wenn der Kamm breiter ist als seine Zinken hoch sind.
Ich habe für meine Versuch sowohl die einreihigen Mini-Kämme von Louet verwendet als auch ein zweireihiges Modell aus einem 3D-Drucker. Die Mini-Kämme haben für mich besser funktioniert.
Die Deckhaare ließen sich gut kämmen. Ich habe daraus Kammzüge gezogen, die ich mit der Handspindel zu einem Kammgarn mit sehr wenig Drall verarbeitet habe.
Die ausgezogenen Deckhaare habe ich nach dem Waschen gekämmt und kleine Nester aus Kammzug gemacht. Ich hätte sie auch gut vom Kamm spinnen können.
Das Kammgarn auf der Spindel. Ich habe eine langsam drehende Kopfspindel dafür gewählt, um möglichst wenig Drall zu erzeugen.
Die Unterwolle habe ich nach dem Waschen mit Kämmen geöffnet (Josefin Waltin zeigt das ganz wunderbar in diesem Video). Nach 2–3 Kämmvorgängen habe ich mit beiden Händen die Wolle von den Kämmen gezogen (keinen Kammzug, sondern einfach in Büscheln herausgezogen). Die so geöffneten Fasern ließen sich anschließend mit Handkarden (72tpi) wunderbar leicht zu Rolags verarbeiten.
Die Fasern waren deutlich kürzer als die Deckhaare und fühlten sich weich und seidig an (das Fehlen von Stichelhaaren hat sicher geholfen …). Nachdem ich eine Weile gearbeitet hatte, fiel mir auf, dass das, was ich für Unterwolle gehalten hatte, offenbar wiederum aus zwei verschiedenen Fasertypen bestand. Zum einen waren da längere Fasern, wie man sie vielleicht auch vom Gotländischen Pelzschaf kennt oder vom Rauhwolligen Pommerschen Landschaf. Etwas gewellt, nicht sehr biegsam, d. h. etwas Haar-artig. Und dann waren da noch ganz, ganz feine dunkelbraune Flaumfasern. Das muss die echte Unterwolle gewesen sein. Sie ließ sich leider nicht wirklichfotografieren und auch nicht durch Kämmen von den anderen Fasern trennen, dafür waren die beiden Faserarten wohl zu gleichartig in der Länge. Beim Kämmen zieht man ja quasi systembedingt immer erst die langen Fasern vom Kamm und dann immer kürzere, sodass man theoretisch Fasern der Länge entsprechend trennen könnte.
Rolags aus der Unterwolle und eine etwas schneller drehende Spindel.
Die getrennten Garne – eines flauschig, eines fest
Durch die Trennung der Faserarten fiel mir auf, dass auch bei diesem Vliesstück (wie auch in Versuch 1 schon beschrieben) die Deckhaare eine andere Farbe hatten als die Unterwolle. Anders als bei der Probe aus Versuch 1 ist hier das Unterhaar dunkler als das Deckhaar. Für beide Garne habe ich nur wenig Drall zugefügt, sodass die Garne für mich dadurch sehr weich wurden (das Fehlen der Stichelhaare mag auch dazu beigetragen haben).
Das Garn aus den Deckhaaren hat kaum Elastizität (das Deckhaar ist kaum gekräuselt) und würde sich sicher hervorragend für ein Kettgarn beim Weben eignen. Das Garn aus der Unterwolle wird vermutlich schön warm, denn die etwas steiferen der beiden Faserarten sorgt für Stand und den Lufteinschluss, den es für die Wärmeisolation braucht. Noch habe ich es nicht weiterverarbeitet, aber ich bin schon sehr gespannt darauf. Aus der Unterwolle habe ich sowohl ein zweifädiges als auch ein dreifädiges Garn hergestellt. Das zweifädige gefällt mir etwas besser, weil es mehr Luft und Leichtigkeit vermittelt. Das dreifädige wirkt irgendwie schwerer und fast schon wuchtig.
Das Kammgarn aus den Deckhaaren. Leider etwas unscharf, aber man erkennt den lockeren Zwirn und die schöne melierte Farbe,
Das Streichgarn aus der Unterwolle. Ganz andere Farbe, anderer Zwirnwinkel. Durch die Abwesenheit von Kemp ist dieses Garn wirklich sehr flauschig.
… und noch mal ein Gruppenfoto! Oben das Garn aus den Deckhaaren, darunter aus der Unterwolle. Definitiv kein 50:50-Verhältnis!
Mein Fazit: Kratzig oder flauschig, beides ist möglich – ich bin fasziniert!
Ich bin fasziniert. Skudde muss nicht so rau oder kratzig sein, wie viele berichten. Mittlerweile habe ich Vliesstücke von mehreren Tieren verarbeitet, und dabei habe ich wieder einmal gemerkt, dass es bei Wolle nicht Den Einen Weg gibt. Die Variabilität der Wolle von Tier zu Tier erscheint mir bei der Skudde besonders groß zu sein. Es hängt immer davon ab, was man für ein Vlies vor sich hat und was man erreichen möchte. Es gibt definitiv Vliese, die ein super … nunja, äh … Teppichgarn (oder, um mal im Bild von eingangs zu bleiben: Topfkratzer) geben. Aber es gibt auch durchaus flauschige Skudden! In die dunklen Garne bin ich regelrecht verschossen und träume jetzt schon von verschiedenen Verarbeitungsmöglichkeiten. Nur Stricken ist da definitiv zu eng gedacht. Das Kammgarn aus den Deckhaaren würde definitiv ein tolles Kettgarn für ein Webstück geben – gestrickt zeigt es sich sicher nicht von seiner besten Seite. Das Streichgarn aus der Unterwolle könnte man sehr wohl stricken, aber es wäre auch hervorragend für den Schuss geeignet. Und dann kann man ja noch mit Mustern spielen …in Josefins Blogartikel hat sie einen wirklich sehr interessanten Gedanken: Wenn man ein Twill-Gewebe herstellt, dann bekommt man ein zwei-seitiges Gewebe. Auf der einen Seite wäre die robustere Kette dominant, auf der anderen Gewebeseite der weichere Schuss. Perfekt für eine Innen- und eine Außen-Seite …die Möglichkeiten sind schier endlos.
Und das ist genau der Punkt, der mich so fasziniert: Als Handspinnerin kann ich beide Garne verarbeiten! Ich kann das Beste aus mehreren Welten vereinen, wenn ich mich dafür entscheide. Vermutlich hat man das auch früher so gemacht, weil man es sich nicht leisten konnte, einen Teil der Wolle einfach so wegzuwerfen. Es wurde genutzt, was da war. Dadurch entstand eine Vielfalt an Möglichkeiten der Verarbeitung, derer man sich heutzutage beraubt, wenn Maschinen nur begrenzte Faserlängen verarbeiten können.
Kurz vor der Finalisierung dieses Artikels lief mir ein Blogartikel zu einem ganz ähnlichen Projekt über den Weg (danke, Universum!). Kerstin Neumüller aus Stockholm möchte aus der Wolle von Island-Schafen ein Gewebe herstellen, das völlig plastikfrei und doch funktional ist – eine Seite soll flauschig werden, die andere wasserabweisend (da hab ich doch gleich an Josefins Artikel gedacht!). Das Allercoolste: Sie bekommt sogar ein Stipendium des Staates Schweden dafür! Ich bin schon sehr gespannt, was sie berichten wird.
Viele Menschen denken beim Thema „regionale Wolle“ nur eins: kratzig. Aber warum wird Wolle eigentlich als weich oder als kratzig empfunden? Und ist regionale Wolle wirklich immer kratzig? In diesem kurzen Artikel gehe ich dem ein wenig auf den Grund.
Ob Wolle als weich oder kratzig empfunden wird, hängt im Wesentlichen von 3 Faktoren ab. Und ein Spoiler vorab: man kann sich auch an verschiedene Stadien der Weichheit herantasten.
Faktor 1: Die Fasereigenschaften
Faserdurchmesser und Biegsamkeit
Wie kratzig ein Kleidungsstück empfunden wird, hängt mit dem Durchmesser und der Biegsamkeit der Fasern zusammen, aus denen es hergestellt wurde.
Die Faserdicke (bzw. der Faserdurchmesser) wird in Mikrometer (auch Micron genannt) angegeben, also in tausendstel Millimeter (10-6 m). Mir persönlich sagen die Zahlen immer nicht so viel, daher habe ich die Durchmesser verschiedener Faserarten einmal im Verhältnis zueinander in die folgende Abbildung getan.
Verhältnis verschiedener Faserdurchmesser zueinander. Die Kreise habe ich mit den unten angegebenen Werten in PowerPoint erstellt (1000fache Vergrößerung, 50 µm wurden zu 50 mm). 1 = menschliches Haar, ca. 50 µm; 2 = Corriedale, 27 µm, 3 = Austral. Merino, 17 – 22 µm, abgebildet: 20 µm, 4 = Kaschmir, 16 µm 5 = Baumwolle, 10 – 14 µm, abgebildet: 12 µm Wenn Du Dich jetzt fragst, wie das mit Alpaka-Fasern ist: Das ist nochmal eine Klasse für sich. Von „Royal“ (19 µm) bis „Alpaka“ (30 µm) ist da alles dabei. Die Feinheit von Alpaka-Fasern kann also zwischen „fast Kaschmir“ und „grob wie Corriedale“ variieren. (Angaben aus dem Science and Technology Program vom Woolmark Learning Centre, Kurs Wool Fibre Science, Module 3 und 7, Topic 3 sowie einer Alpakazucht-Website, die es leider nicht mehr gibt. Ich recherchiere das bei Gelegenheit nach.)
Je feiner eine Faser ist, desto kleiner ist die Micron-Zahl (also ihr Durchmesser). Feine Fasern biegen sich leichter als dickere Fasern. Fasern, die sich sehr leicht biegen, üben weniger punktuellen Druck auf die Haut aus, reizen die Nervenenden weniger und werden daher als weniger kratzig empfunden. Dementsprechend werden dickere Fasern auch als pieksiger und unangenehmer empfunden.
Schafe haben nun nicht überall Fasern mit identischen Durchmessern, sondern immer eine Mischung aus verschieden dicken Fasern, einen sogenannten Durchmesserbereich (z. B. 24–32 µm).
Aber Achtung: selbst wenn zwei Wollproben den gleichen Durchmesserbereich haben (z. B. 24 – 32 µm), können sie sich im Gefühl dennoch unterscheiden. Der Grund hierfür liegt in der Verteilung der Durchmesser. Wenn Probe 1 (rot) z. B. deutlich mehr 24 µm-Fasern enthält und Probe 2 (grün) mehr 28 µm-Fasern, wird Probe 1 als weicher wahrgenommen.
Versuch einer Visualisierung der Verteilung von Faserdurchmessern in einer Woll-Probe (Durchmesser-Bereich). Der Durchmesserbereich ist bei beiden Proben ähnlich. Die grüne Probe enthält jedoch im Vergleich zur roten Probe weniger 24 µm-Fasern und mehr 26 µm-Fasern und darüber. Die rote Probe wird dementsprechend als weicher empfunden.
Auch die Schuppenhöhe der Fasern scheint einen Einfluss auf die empfundene Weichheit zu haben. In diesem Artikel kannst Du noch mehr zum Aufbau der Wollfasern nachlesen.
Und dann gibt es noch die kleinen fiesen Stichelhaare. Der Name sagt da einfach mal alles. Stichelhaare sind sehr kurze und sehr spröde Haare, die sich nur schwer biegen und als sehr kratzig empfunden werden. Oftmals kommen sie in Vliesen von mischwolligen Schafen vor (in Garnen aus australischer Merino wirst Du sie definitiv nicht finden). Sie haben die unangenehme Eigenschaft, immer irgendwie an die Oberfläche zu kommen, egal wie tief sie einkardiert wurden. Wenn man die nicht entfernt, bevor man ein Garn aus den Fasern spinnt, dann bekommt man so eine Art Pfeifenputzergarn. Sehr … sagen wir mal: durchblutungsfördernd. Stichelhaare sind aus meiner Erfahrung die pieksigsten Bestandteile von Garnen überhaupt.
Nahaufnahme eines Skudde-Vlieses vor dem Waschen. Die Pfeile zeigen auf prominente Stichelhaare, rechts sogar ganze Büschel davon. Wenn man diese Vliesteile zu Garn verarbeitet, bekommt man einen prima Scheuerschwamm.
Der Wool Comfort Factor – Maßeinheit für Weichheit
Wie pieksig Wolle ist, kann man sogar messen. Dafür wurden bereits 2012 spezielle Geräte , die sogenannten „wool comfort meter“, entwickelt und mit tausenden Verbrauchern getestet. Hier findest Du ein sehr informatives Video dazu.
Dieses Gerät bestimmt im Grunde genommen die Anzahl der abstehenden Faserenden auf einer gegebenen textilen Fläche (und ggf. noch ihren Durchmesser). Der ausgegebene Messwert, also die „Maßeinheit der Weichheit“ sozusagen, ist der Wool Comfort Factor. Er gibt den Anteil an Fasern einer Probe an, die feiner als 30 µm (bzw. 28 µm für gewebte Textilien) sind. Je niedriger die Zahl, desto angenehmer ist das Textil auf der Haut.
Die 30 µm-Grenze ist also eine Art Magische Schallgrenze – Fasern darüber gelten als grob.
Faktor 2: Persönliches Empfinden
Manche Menschen reagieren empfindlicher als andere auf die Berührung mit Wollfasern. Während ich Wolle von Rauhwolligen Pommerschen Landschafen auch am Hals tragen kann, ist anderen Menschen selbst Deutsche Merino noch zu kratzig. Die Haut reagiert dann einfach sensibler auf die „Pieks-Reize“ (der englische Begriff „Prickle Factor“ wird oft dafür verwendet, nicht zu verwechseln mit dem oben genannten Wool Comfort Factor).
Das Pieksen selbst wird durch die Fasern ausgelöst, die auf die Haut drücken. Dadurch reizen sie feine Nervenenden in der Haut. Drücken die Fasern nur ganz leicht auf die Haut, wird eine Faser als weich empfunden, drücken sie stärker und dellen die Haut stärker ein, werden sie auch als kratziger empfunden. Ein bisschen lässt sich das vielleicht mit weichen oder harten Zahnbürsten vergleichen. Weiche Borsten reizen die Haut weniger als harte, weil weiche Borsten weniger punktuellen Druckreiz ausüben.
Ich habe mich hier mal an einer Zeichnung versucht. Links sind die feineren, biegsamen Fasern zu sehen, die die Nervenenden in der Haut (gelbe Verästelungen) weniger reizen. Rechts sind weniger biegsame Fasern mit höherem Prickle Factor gezeichnet.
Und hier kommt aus meiner Sicht das individuelle Empfinden ins Spiel. Diese Magische Schallgrenze von 30 µm ist ein Wert, der aus der Befragung tausender Probanden ermittelt wurde. Aber wie bitte bildet man den Mittelwert aus individuellen Empfindungen? Es ist der Versuch, Gefühle in Zahlen auszudrücken – ein reichlich schwieriges Unterfangen.
Es gibt etliche Schafrassen, deren Wolle nahe oder jenseits der 30 µm-Grenze liegt, die aber dennoch an der Haut getragen werden können. Dazu gehören beispielsweise Gotländisches Pelzschaf (28 – 32 µm), Wensleydale (30 – 36 µm) und Skudde (32 – 40 µm): Alle diese Fasern kann ich problemlos auf der Haut tragen, sogar am Hals. Das ging natürlich nicht von heute auf morgen, sondern es war ein Prozess, in dessen Verlauf sich mein Empfinden für Wolle verändert hat.
Ehrlicherweise muss ich aber auch sagen: Nicht jedes Garn bzw. jede Faser ist dafür gemacht, an der Haut getragen zu werden.
Faktor 3: Verarbeitung der Faser und des Textils
Letztlich entscheidet auch immer die Verarbeitung der jeweiligen Faser darüber, wie sie auf der Haut empfunden wird. Wurde die Faser fest oder locker gesponnen? Wurde der Faden gewebt oder gestrickt (und auch hier wieder: locker oder fest)? Welche Art Textil wurde hergestellt und wofür wird es verwendet – Schal, Pullover, Socken?
Fasern, die mit zu viel Drall gesponnen wurden, ergeben immer ein Garn, das sich relativ hart anfühlt. Ein hartes Garn kann weder durch Weben noch durch Stricken oder Häkeln flauschiger werden.
Manchmal wird ein Garn weniger kratzig, wenn man die Fasern beim Spinnen glattstreicht (wie z. B. bei einem Kammgarn). Es stehen dann nicht so viele Enden nach außen, die die Haut reizen können. Dafür muss man aber Abstriche bei den Isolationseigenschaften machen.
Meine persönliche Entdeckungsreise jenseits des Flausch-Lands
Früher war für mich „weich“ das Hauptkriterium beim Wollkauf, gleich nach „Farbe“. Irgendwann begann ich mich aber dafür zu interessieren, wie sich die Wollen verschiedener Schafrassen voneinander unterscheiden. Ich fing also an, zu spinnen. Und da öffnete sich eine ganz neue Welt. „Weich“ gab es auf einmal in vielen Varianten. „Weich“ reichte nicht mehr aus, um eine Empfindung zu beschreiben. Es gab trocken-weich, bouncy, seidig und glatt, matt und flauschig, griffig und elastisch … und ja, es gab auch kratzige Wolle. Aber nur, wenn sie Stichelhaare enthielt.
Dieses Armband war quasi eine Strickprobe von Frodo, der bunten Skudde. Man sieht deutlich, wie viele Härchen aus dem Garn herausstehen, aber es ist so weich und flauschig, dass ich tagsüber vergessen habe, dass ich es trage!
Das beste Beispiel ist Skudde-Wolle. Skudde hatte ich bis dahin noch nie verarbeitet, aber jede(r), mit dem/ der ich über Skudden sprach, wusste zu berichten, dass das sehr kratzige Wolle ist. Erst als ich für mich selbst eine Spinn- und Strickprobe anfertigte, stellte ich fest, dass dem gar nicht so ist!
Für mich hat sich also das alte Sprichwort bestätigt: Probieren geht über Studieren. Und jeder empfindet „weich“ und „kratzig“ ja anders. Ich habe mich an verschiedene Stadien von „weich“ gewöhnt und so neue Erfahrungen gewonnen.
Vielleicht muss man auch mal überlegen, wie man „weich“ oder „kratzig“ definiert. Oder ob man sein Vokabular um Begriffe wie „wollig“, „griffig“, „elastisch“ oder „seidig glänzend“ erweitert. Und vielleicht muss ein Garn auch nicht immer nur weich sein. Aber das ist ein Thema für einen anderen Blogartikel…
Literatur
Barbara Aufenanger „Das Wollprojekt. Wolleigenschaften in Deutschland gehaltener Schafrassen“. ISBN 978-3-00-040686-7
Deborah Robson, Carol Ekarius „Fleece and Fiber Sourcebook“. ISBN 978-1-60342-711-1
Das Thema “superwash” -Ausrüstung bei Handarbeitsgarnen ist in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus gerückt. Dass dahinter oft Chemie und damit verbunden teils beträchtliche Folgen für die Umwelt einhergehen, wissen mittlerweile viele. Und schon steht man vor einem Dilemma: Die Farben sind ja wirklich toll, aber das schlechte Gewissen der Umwelt gegenüber ist immer da. Nur: bedeutet “superwash” immer auch “umweltschädlich”? In letzter Zeit wurden deutlich umweltfreundlichere Verfahren entwickelt, die sogar Standards wie GOTS und OekoTex genügen.
Warum filzt Wolle eigentlich?
Wolle filzt, wenn sich nebeneinanderliegende Fasern unauflöslich miteinander verhaken. Verantwortlich für das Verhaken sind die Schuppen auf der Faseroberfläche. In diesem Artikel hier gehe ich auf den Aufbau von Wollfasern detaillierter ein, wenn Dich das interessiert.
Die Schuppen geben der Faser sozusagen eine Richtung, die man spüren kann, wenn man eine Locke zwischen die Finger nimmt und sie einmal von der Wurzel zur Spitze durch die aneinandergedrückten Finger zieht und einmal in umgekehrte Richtung. In Richtung der Spitze gleitet es deutlich leichter. Dieser Effekt nennt sich “direktionaler Reibungseffekt” (directional friction effect). Er sorgt auch dafür, dass z.B. Schmutz von der Wurzel zur Spitze transportiert und somit aus dem Vlies entfernt werden kann.
Ich kann nicht besonders gut zeichnen, schon gar nicht mit digitalen Programmen, aber ich denke, es ist erkennbar: Die Fasern haben durch die Schuppenstruktur eine Richtung, und wenn sich die Schuppen verhaken, geht es weder vor noch zurück – die Fasern sind verfilzt.
Der Prozess des Verfilzens wird zwar immer mit diesem direktionalen Reibungseffekt erklärt, aber bis ins allerletzte Detail ist er offenbar noch nicht verstanden (dabei ist Filzen eine der ältesten textilen Techniken überhaupt!). Für den genauen Mechanismus werden in der Literatur verschiedene Modelle beschrieben (Fu et al. 2015 erwähnt z.B. den Shorter’s Mechanismus), allerdings muss ich gestehen – so richtig gut vorstellen kann ich es mir nicht. Mein (etwas diffuses) Verständnis ist dieses: Wenn Fasern nicht parallel liegen, sondern in unterschiedlichen Richtungen aufeinandertreffen und sich bei Bewegung mit ihren Schuppen verhaken, dann kommen sie nur noch vor und nicht mehr zurück, und wenn sie dann weiter bewegt werden, kommen sie irgendwann weder vor noch zurück und sind verfilzt. Parallel und gleichartig orientiert liegende Fasern verfilzen weniger leicht.
Allgemein lässt sich als Faustregel sagen:
Feine Fasern filzen leichter als gröbere Fasern
Fasern mit ausgeprägterer Schuppenstruktur (also solche mit höheren Schuppen) filzen leichter
Interessanterweise gibt es in der Tat einige Schafrassen, die deutlich weniger zum Filzen geeignet sind bzw. den Ruf haben, gar nicht zu filzen (Down-Rassen z.B. wie Southdown). Es wäre spannend zu wissen, inwieweit sich die Faserstruktur der Down-Rassen z.B. von Merino unterscheidet und wie genau das dann das Filzverhalten beeinflusst. Wenn sich jemand mit mir dazu austauschen möchte…immer gerne! Es gibt jede Menge wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema, nur leider habe ich keinen Zugang mehr zu einer Uni-Bibliothek.
Wenn Wolle nicht filzen soll, müssen demnach irgendwie die Schuppen auf der Oberfläche der einzelnen Fasern verändert werden.
Woll-Mutanten in der Wissenschaft
Es gibt Merino-Schafe, die eine ganz bestimmte Mutation tragen. Diese Mutation heißt felting lustre mutant und sie führt dazu, dass die Wolle dieser Schafe besonders leicht filzt. Anhand vergleichender Untersuchungen konnte z.B. Plowman et al. 2019 zeigen, dass zwischen diesen felting lustre – Mutationen und Wildtypen (also „normalen“ Merinos) Unterschiede in der Ortho- und Paracortex-Struktur der Fasern sowie in der Proteinzusammensetzung der Fasern bestehen. Hingegen scheinen Unterschiede im Faserdurchmesser oder in der Höhe der Schuppen (also der Schuppenstruktur) keinen dominanten Effekt auf das Verfilzen zu haben.
Viele Verfahren zum Verhindern des Filzens beruhen aber darauf, die Schuppen irgendwie zu zerstören. Das widerspricht so ein bisschen den oben beschriebenen Beobachtungen von Plowman. Die Literatur ist da also etwas…widersprüchlich und das Ganze wahrscheinlich nicht durch lineare Zusammenhänge zu erklären.
Im Woolmark Learning Centre gibt es einen sehr interessanten Kurs zum Thema „Shrinkage of Wool Products“. Die Registrierung ist kostenlos.
Verbraucher*innen wünschen sich heute pflegeleichte Kleidungsstücke. Dementsprechend wird erwartet, dass auch Textilien aus Wolle oder mit Wollanteil maschinenwaschbar und trocknergeeignet sind. Den Wünschen und Vorstellungen der Verbraucher folgend hat die Textilindustrie daher Verfahren entwickelt, mit denen in großem Maßstab genau das erreicht wird.
Ob auf chemischen, physikalischem oder enzymatischem Wege, eines ist allen Verfahren gemeinsam: sie alle verändern die Schuppenstruktur an der Oberfläche der Wollfasern, um das Verhaken der einzelnen Fasern miteinander zu verhindern. Dabei müssen die Schuppen offenbar gar nicht komplett entfernt werden (Zahn et al. 2012).
Beachte: bei den im folgenden beschriebenen Verfahren berücksichtige ich nur die, die für Fasern oder Garne verwendet werden können. Es gibt weitere Verfahren, die z.B. nur auf gewebten Textilien angewendet werden können, auf diese gehe ich aber in diesem Artikel nicht ein.
Chemisch: Das Chlor-Hercosett-Verfahren
Das erste Verfahren, mit dem Wolle filzfrei ausgerüstet werden konnte, war das Chlor-Hercosett-Verfahren. Es wurde von der CSIRO (Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation) undThe International Wool Secretariatin den 1970er Jahren entwickelt und wird mittlerweile in über 20 Fabriken weltweit eingesetzt (Rippon et al. 2016).
In diesem Verfahren wird die Wolle (die lose Wolle oder Kammzüge) mit Chlor behandelt. Dadurch wird die Grundsubstanz der Faser, das Keratin, an der Oberfläche chemisch verändert (für die chemisch Interessierten: es werden sämtliche zugänglichen Disulfidbrücken in den Fasern gespalten und auch ca. 60% der Oberflächenlipide der Epicuticula entfernt). Dadurch wird die Oberfläche hydrophiler (= wasserliebender) und erleichtert so z.B. auch das Eindringen der Farbstoffmoleküle über den interzellulären Raum in das Innere der Fasern. Dieser Zustand ist nicht besonders stabil, daher werden die Fasern in der Regel anschließend noch mit einem Polymer überzogen.
Das Verfahren läuft in folgenden Schritten ab:
Chlorierung. Die Fasern werden dafür in eine Lösung gelegt, die entweder in Wasser eingeleitetes Chlorgas ist (Kroy-Hercosett-Prozess, siehe Zahn et al. 20212) oder aber mit Schwefelsäure angesäuertes Natriumhypochlorit (dieses Verfahren ist etwas milder). Dabei wird ein Großteil der kovalent an der Faseroberfläche gebundenen Lipide entfernt, Disulfidbrücken gespalten und die Faseroberfläche hydrophiler (d.h. wasserliebender) gemacht (s.o.).
Neutralisation mit Sulfit-Lösung.
Überzug mit einem reaktiven kationischen Polymer. Ursprünglich war das eine Polyamid/Epichlorohydrin-Verbindung namens Hercosett 57, mittlerweile werden auch andere Verbindungen benutzt (z.B. Hercosett 125).
Zusatz weiterer Prozesshilfen (z.B. Benetzungsmittel, Weichspüler) und Trocknen, um das Polymer auf der Faseroberfläche zu vernetzen.
Der wichtigste Schritt (nämlich der, der das anschließende Filzen verhindert) ist die Chlorierung. Auch ohne den Polymerüberzug sind die Fasern dann filzfrei, allerdings können die chemisch veränderten Proteine auch ausgewaschen werden und somit ist die filzfrei-Ausrüstung noch nicht wasch- und trocknerfest. Verläßlich und dauerhaft filzfrei werden die Fasern erst durch das Aufbringen des Polymers. Die Chlorierung macht die Faseroberfläche auch hydrophiler und somit besser benetzbar für Wasser, Farbstoffe oder eben das Polymer.
Statt des Chlors wird mittlerweile auch PMS verwendet (…nein, nicht das PMS. Permonoschwefelsäure, HOOSO3H, wen es interessiert). Mit dieser Methode werden allerdings keine Oberflächen-Lipide entfernt.
Das große Problem der Hercosett-Verfahren ist, ihr ahnt es schon: die Abwässer. Sie enthalten große Mengen Organische Chlorverbindungen und sind hochgradig umweltschädlich. Seit Jahrzehnten wird daher nach Alternativen gesucht und geforscht, von denen aber nur wenige in industriellem Maßstab zufriedenstellende Ergebnisse liefern.
Neuere Entwicklungen z.B. der Firma Schoeller verwenden andere Oxidationsmittel und sogenannte Micropatches aus “ökologischen Polymeren”, d.h. sie ummanteln die Fasern nicht mehr komplett sondern nur noch netzartig. Dieses Verfahren erfüllt die Anforderungen verschiedener Standards, u.a. GOTS.
Enzymatisch: Das Proteolytische Verfahren
Umweltfreundlichere Verfahren verwenden Enzyme, um die Oberfläche der Fasern so zu verändern, dass sie filzfrei werden. Die Enzyme können in einer gepufferten wäßrigen Lösung arbeiten und es entstehen dabei keine toxischen Abfallprodukte. Die Enzyme selbst werden meist biotechnologisch hergestellt, d.h. aus Bakterienkulturen gewonnen. Die verwendeten Bakterien enthalten die Enzyme entweder von Natur aus oder könnten genetisch verändert worden sein, um die Enzyme herzustellen.
Was machen die Enzyme? Enzyme sind Proteine, die chemische Reaktionen beschleunigen können (man sagt, sie haben eine katalytische Funktion). In unserem Falle sind es Proteasen, das heißt, sie bauen Proteine ab. Die chemische Reaktion, die sie beschleunigen, ist also die “hydrolytische Spaltung von Peptidbindungen”, oder Proteolyse.
Wolle ist selbst auch ein Protein und kann daher von Proteasen abgebaut werden. Das ist übrigens auch ein Grund, warum man Wolle nicht unbedingt mit herkömmlichem Waschmittel waschen sollte – die in Waschmitteln enthaltenen Enzyme sind oft Proteasen, die die Wolle angreifen und abbauen können.
Die Schwierigkeit ist nun, die Fasern nicht komplett zu zerstören, sondern nur die Schuppenstruktur an der Oberfläche. Die Proteasen dürfen also nur ein bißchen knabbern, und sie dürfen auch nicht in das Innere der Wollfasern gelangen. Wenn sie da erst mal sitzen, knabbern sie womöglich fröhlich weiter, bis die gesamte Faser abgebaut ist. Technisch wird das oft so gelöst, dass die Proteasen an Polymere gekoppelt werden (zum Beispiel Polyethylenglycol). Dadurch werden sie so groß, dass sie nicht mehr zwischen den Schuppen in die Fasern gelangen können und somit nur noch die Faseroberfläche als Angriffspunkt haben (s. Abbildung).
Auch hier gilt wieder: ich kann nicht gut zeichnen. Die PacMan-artigen Gebilde sollen die Proteasemoleküle sein. Sie sind so klein, dass sie sich ohne weiteres ins Innere der Fasern vorarbeiten können (oberes Bild). Wenn sie hingegen chemisch an Polymere gekoppelt werden, die um ein Vielfaches größer sind als sie selbst (blaue Kugeln), dann können sie nicht mehr in das Innere vordringen. Sie sind quasi an den Kugeln immobilisiert und können nur noch von außen die Fasern angreifen. Aber auch hier gilt: Wenn man sie lange genug gewähren lässt, können sie auch in dieser Form die Fasern nachhaltig schädigen und letzten Endes abbauen.
Es gibt mittlerweile mehrere Verfahren, eines davon ist in Deutschland entwickelt worden und kann auch in größerem Maßstab eingesetzt werden (das ProLana-Verfahren von Dr. Petry). Der Knackpunkt ist: die Wolle ist nicht ganz so filzfrei wie mit dem Hercosett-Verfahren behandelte. Es gibt Richtwerte, die man einhalten muss, um die Wolle “superwash” nennen zu können, und diese Richtwerte können mit den verfügbaren enzymatischen Verfahren offenbar (noch) nicht ganz eingehalten werden (hier wird ein wenig darauf eingegangen). Man darf aber gespannt sein, ob durch weitere Forschung hier nicht doch noch ein Durchbruch erzielt werden kann.
Enzymatische Verfahren benötigen immer noch Wasser (und natürlich Nährlösungen für die Bakterien), aber ich gehe davon aus, dass die Abwässer längst nicht so umweltschädlich sind wie beim Hercosett-Verfahren.
Physikalisch: Das Plasma-Verfahren
Das dritte mir bekannte Verfahren, um Wolle filzfrei zu machen, ist das sogenannte Plasma-Verfahren.
Was ist denn bitte ein Plasma? Ein Plasma ist in unserem Falle ein Gasgemisch, das durch elektrische Entladung einen bestimmten Anteil geladener (=”ionisierter”) Teilchen enthält. Diese geladenen Teilchen können dann die Faseroberfläche verändern.
Die zu behandelnden Fasern werden in eine Kammer eingebracht. In diese Kammer wird ein Gasgemisch eingeleitet, das aus einem inerten Trägergas (z.B. Helium, ein Edelgas.”inert” meint, dass es selbst nicht an der Reaktion beteiligt ist) und einem Plasma-generierenden Gas (z.B. Sauerstoff, Stickstoff oder Luft) besteht. Durch elektrische Entladungen wird in der Kammer das Plasma erzeugt. Das Plasma verändert dann die Faseroberfläche, indem es, mal ganz grob formuliert, Löcher und Mikrokrater bis zu einer Tiefe von 5nm in die Oberfläche schießt. Auch hierbei werden höchstwahrscheinlich die Oberflächenlipide entfernt, die Fasern so hydrophiler (=wasserliebender) gemacht sowie die Disulfid-Brücken gespalten.
Plasma-Verfahren sind deutlich umweltfreundlicher als das Hercosett-Verfahren, weil keine schädlichen Abfallprodukte entstehen und somit die Umwelt nicht dadurch belastet werden kann. Nicht einmal Wasser wird benötigt, lediglich die Energie, die zur Plasma-Erzeugung erforderlich ist, und die könnte z.B. aus Ökostrom kommen.
Allerdings ist der Durchsatz auch nicht besonders hoch, so dass diese Methode im industriellen Maßstab zwar angewendet wird, aber keine so große Rolle spielt. Und auch hier ist die Wolle anschließend offenbar nicht so zuverlässig filzfrei wie mit den chemischen Verfahren. Für das Bedrucken von Stoffen hingegen eignet sich diese Methode hervorragend. Ein Beispiel für einen kommerziellen Plasmaprozess findet ihr bei Südwolle. Dieses Verfahren ist unter anderem für GOTS und Oeko-Tex zertifiziert.
Muss Wolle nun immer filzfrei sein?
Superwash oder nicht – bei diesem Thema scheiden sich die Geister. Während es für die einen nichts mehr mit der ursprünglichen Faser zu tun hat und eher abwertend als “Harzfaser mit Keratinkern” bezeichnet wird, begeistern sich andere für die leuchtenden Farben und das pflegeleichte handling (gerade für Dinge, die oft gewaschen werden, z.B. Babysachen). Die Wahrheit findest Du nur für Dich heraus, indem Du ausprobierst, was für Dich am besten funktioniert.
Mit Malve gefärbte Garne. Das superwash-behandelte Cheviot sticht deutlich hervor durch seine deutlich dunklere Färbung (jeweils 2. v.l.)
Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass sich superwash-behandelte Fasern anders verhalten als unbehandelte. Durch eine Verwechslung habe ich einmal superwash-behandeltes statt unbehandeltes Cheviot geliefert bekommen. Während des Spinnens ist mir das zwar nicht so aufgefallen. Beim anschließenden Färben haben die superwash-Garne aber definitiv die Farben besser aufgenommen (wie ich in diesem Experiment selbst festgestellt habe).
Durch die veränderte Schuppenstruktur haben die Garne oft einen anderen Fall als unbehandelte Garne. Es kann auch sein, dass z.B. Pullover nach dem Waschen länger werden, weil eben die Schuppen nicht mehr so gut zusammenhalten, die Fasern mehr aneinander vorbeigleiten und die Strickstücke so ihre Form etwas verlieren. Möglicherweise lässt sich das aber beim Stricken auch durch ein festeres Maschenbild ausgleichen.
Eine sehr umfassende Übersicht zum Thema “filzfrei” findet sich übrigens auch bei Ulrike Bogdan in ihrem eBook “Von Fasern, Farben und Fäden. Eine Anstiftung zum selbstbestimmten Umgang mit Textilien” . Sie geht dabei auch auf Textilsiegel ein – sehr lesenswert! (Kann man HIER kaufen).
Wenn man sich heute für Superwash- oder filzfrei ausgerüstete Garne oder Fasern entscheidet, gibt es durchaus umweltfreundliche und nachhaltige Optionen. Allerdings steht selten auf dem Etikett, mit welchem Verfahren das Garn bearbeitet wurde – dafür braucht es Transparenz von Herstellern und Färbern. Und es braucht Kunden, denen diese Informationen wichtig sind und die sie einfordern.
Literatur
Ulrike Bogdan “Von Fasern, Farben und Fäden. Eine Anstiftung zum selbstbestimmten Umgang mit Textilien”, 2015
David M Lewis, John A. Rippon (Editors): “The Coloration of Wool and other Keratin Fibres” (2013, Wiley, ISBN 978-1-119-96260-1)
Jeffrey E. Plowman et al.: “Differences between ultrastructure and protein composition in straight hair fibres.” Zoology (Jena) 2019 Apr;133:40-53. doi: 10.1016/j.zool.2019.01.002. Epub 2019 Feb 1.
John A. Rippon et al. (2016) WOOL: STRUCTURE, PROPERTIES, AND PROCESSING ( Wiley online 15 May 2016 https://doi.org/10.1002/0471440264.pst402.pub2)
Jiajia Fu et al., “Enzymatic processing of protein-based fibers” Appl Microbiol Biotechnol (2015) 99:10387-10397
Zahn H. et al. “Wool” Ullmann’s Encyclopedia of Industrial Chemistry (2012) Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim