Ein Blog über Schafe, Wolle und Handspinnen

Kategorie: Persönliches

Hier findest Du Ankündigungen, Rückblicke sowie eher persönliche Artikel, die meine Meinung wiedergeben.

Jahresrückblick 2022 – Es kommt was in Bewegung (und die Skudde ist immer dabei)

Hallo, hat jemand 2022 gesehen? Wo ist es denn hin? Gerade war es doch noch da…? Niemand? Hmmm…na gut. Dann wird es wohl Zeit, Bilanz zu ziehen.

Das Jahr begann mit wunderschönen Eisblumen im Fenster, die fantastisch in der Sonne glitzerten. Ich hatte (wie auch in 2021) nichts geplant, mir nichts vorgenommen – einfach schauen, was das Leben mir bringt, war völlig ausreichend. Leise und bedächtig kam dann einiges in Bewegung. Es gab sowohl anstrengende Zeiten als auch viele erfüllende Momente. Insgesamt war aber alles ein klein wenig einfacher, immerhin hatte ich ja schon Übung im „Nehmen-wie-es-kommt“ und meine Energielevel füllten sich auch langsam wieder.
Wenn ich zurückblicke auf dieses Jahr, dann könnte ich es mit diesen Worten zusammenfassen:

“Fibershed. Community. Und immer wieder die Skudde.”

Meine Wunschliste für 2022 und was daraus geworden ist

Wie gesagt, ich mache keine festen Pläne (die kegelt einem das Leben sowieso wieder durcheinander), aber ich sammle Ideen für Projekte, auf die ich im kommenden Jahr Lust habe. Nicht unbedingt als Liste zum Abhaken, sondern eher als Gedächtnisstütze.
Einiges davon habe ich gemacht, manches hat sich ganz schön hingezogen, und wieder anderes kam ganz anders als gedacht.

Auf meiner Ideenliste für 2022 standen Dinge wie:

  • verbleibende Wolle / Vliese waschen (Skudde Coco, Jährlingsvlies, Swifter, Bleu du Maine, Leicester Longwool). Check! Irgendwann im Frühling, als es wärmer wurde, hat es mich gepackt und ich habe Vliese sortiert und Wolle gewaschen. Jetzt ist nur noch eines übrig, das sehr viel Zuwendung braucht – aber das schaffe ich auch noch.
  • Färben (Zeitreihen-Experiment machen, Goldrute, Japan. Färberknöterich, Coreopsis tinctoria). Die Zeitreihe habe ich gemacht (dazu weiter unten mehr), auch mit Goldrute habe ich gefärbt. Mit dem Färberknöterich habe ich etwas ganz besonderes versucht (auch hierzu weiter unten mehr), und nur das Färben mit Coreopsis habe ich dann doch auf nächstes Jahr verschoben – ich muss erst mal Garne zum Färben spinnen …
  • Ausflüge und Reisen. Wir sind als Familie wieder mehr unterwegs gewesen, was nach 2021 einfach mal eine Wohltat war. Eigentlich wollte ich auch zum großen Treffen der Handspinngilde im Oktober fahren, aber das wurde dann doch nichts – zu viele kollidierende Termine. Dafür gab es ein tolles Event im November in München. Und immerhin fanden wieder Spinntreffen statt!
  • farbig gewachsene Baumwolle spinnen. Fast ein Jahr lag sie still in ihrer Kiste, erst im Dezember hab ich sie wieder hervorgeholt und gesponnen. Aber jetzt bin ich schwer begeistert! Bonuspunkt: Ich kann jetzt gescheit an meinem Spinndorn spinnen.

Vernetzung und Gemeinschaft

Frauenpower bei der Schur

Wie jedes Jahr half ich wieder bei Schafschuren mit, diesmal waren es allerdings nur zwei. Bei beiden Schuren wurde mir wieder klar, wie wichtig eine Gemeinschaft ist, wenn man Tiere hält (das gilt sicher nicht nur für Schafe).

Sigis Schafe 2022 auf der Weide
Sigis Schafe vor der Schur.

So eine Schur ist ein Event, das von vielen Faktoren abhängt und am besten funktioniert, wenn man ein eingespieltes Team zur Verfügung hat. Es beginnt meist am Tag zuvor, wenn die Tiere zusammengetrieben werden, und ist meist noch mit anderen tierpflegerischen Aufgaben verbunden (Klauenpflege, Impfen, Entwurmen, Ektoparasitenbehandlung…). Viele Menschen helfen ehrenamtlich mit. Bis auf den Scherer war der überwiegende Teil Helfer weiblich. Bei einer der Schuren waren wir z. B. 14 Leute und 7 Stunden beschäftigt.

In meinem Post „Was kostet die Schur“ habe ich mal überschlagen, was man für unsortierte Rohwolle pro Kilo bekommen müsste, um in so einem Fall kostendeckend zu arbeiten (nicht profitabel, wohlgemerkt). Es waren 4 Euro pro Kilo. Und dann ist die Wolle noch nicht gewaschen, kardiert oder gesponnen. Übrigens haben der Wanderschäfer Sven de Vries (@schafzwitschern) und Ute Luft von Vauno/ Elbwolle auf Twitter mal über die Kosten von Wolle gesprochen – hört gerne mal rein, ist super interessant!

Auch in den kommenden Jahren wird es mit der Schur nicht leichter, denn auch bei den Scherern fehlt der Nachwuchs. Ich habe mich bei einer Schur etwas mit dem Scherer unterhalten, und er erzählte, dass ein hauptberuflicher Kollege von ihm jetzt altersbedingt aufhört. Scheren ist eine sehr anstrengende Arbeit, die nur wenige bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter ausüben können. Nun, dieser Scherer hat 15 000 Schafe im Jahr geschoren, wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe. Diese 15 000 Schafe brauchen jetzt alle einen neuen Scherer – denn geschoren werden müssen sie.

Für einen Scherer lohnt es sich immer mehr, bevorzugt zu Herden mit vielen Tieren zu fahren, allein schon wegen der Anfahrtskosten. Schafhalter:innen mit wenigen Tieren geraten immer mehr ins Hintertreffen und müssen kreativ nach Lösungen suchen.

Kathrins Gesicht, wenn es bei der Schur regnet.
Auch ganz doof für eine Schur: Regen. Beim Nachholtermin für die zweite Schur mussten die letzten 3 Schafe im Regen geschoren werden – es half einfach nichts. Bloss gut, dass wir da nicht mit elektrischen Geräten hantieren mussten! Die Wolle wurde natürlich erst mal getrocknet, bevor sie dann eingelagert wurde.

Bei der zweiten Schur war es dann so, dass alle da waren – nur der Scherer nicht. Das kann immer mal sein, dass kurzfristig abgesagt werden muss (auch Scherer werden mal krank oder stehen im Stau), aber in diesem Fall hätte im Klassenbuch gestanden: „fehlte unentschuldigt“.

Einen Ersatztermin zu bekommen ist schon nicht so ganz einfach, einen Ersatzscherer zu organisieren ist ungleich schwerer. Und so nahm die Schafhalterin beherzt ihr Schicksal wortwörtlich in ihre eigenen Hände. Am Donnerstag und Freitag lernte sie bei einer benachbarten Schafhalterin per Crash-Kurs das Scheren mit der Handschere, indem sie dort bei der Schur half. Am Samstag und Sonntag dann half ihr die benachbarte Schafhalterin beim Scheren. Auf diese Weise ist sie jetzt unabhängig und kann ihre Schafe scheren, wenn sie so weit sind, unabhängig von Terminkalendern. Ein weiterer Vorteil: Sie kann die Schur jetzt besser an dem Zustand der Tiere ausrichten und erst scheren, wenn die Wolle auch wirklich abgewachsen ist (das ist nicht für alle Schafrassen gleich, wie ich dieses Jahr gelernt habe). Allerdings ist selber scheren nicht immer und für jede Schafhalterin eine Option. Der Systemfehler besteht weiterhin.

Die Fibershed-Gemeinschaft

Das Thema “gemeinschaftsgetragen” hatte mich in 2021 ja sehr beschäftigt (nachzulesen im Jahresrückblick 2021, ganz unten). In einem Webinar dazu hatte ich Mona Knorr kennengelernt, und über sie kam ich Anfang 2022 mit dem noch jungen Verein Fibershed DACH in Kontakt. Das Fibershed-Buch hatte ich ja schon gelesen, und so freute ich mich sehr, dort einen Ansatzpunkt für meine Woll-Leidenschaft zu haben und mich und meine Expertise aktiv einbringen zu können.

Wir sind 10 Frauen aus den unterschiedlichsten Bereichen und Hintergründen, aber was uns eint, ist die Vision, Textilproduktion so regional wie möglich zu realisieren. Dazu braucht es regionale Lieferketten und regionale Produktion – mit Menschen aus der Region, die sich auch mit regionalen Fasern auskennen.

Der erste Schritt war die Sichtbarmachung von Beteiligten – Schafhalter:innen, Weber:innen, Designer:innen etc – auf einer Karte. Im zweiten Schritt wollen wir ins Gespräch kommen, und dazu haben wir das online Format „Fibershed Talks“ ins Leben gerufen. Den Anfang machten wir im Oktober mit Ute Luft von vauno, das war sehr aufregend und schön und kam sehr gut an.

Collage mit drei Fotos zur Verarbeitung von Alpiner Steinschaf-Wolle. Bild 1: Vlies auf einem Sortiertisch. Bild 2: einzelne Locken auf einer Handkarde. Bild 3: Rolags in einem Korb.
Verarbeitung von Alpinem Steinschaf im Garten – es war sehr heiß, hat aber riesigen Spaß gemacht!

Über Mona und eine Schafhalterin aus dem Fibershed-Netzwerk ergab sich auch die Möglichkeit, ein Vlies von einem Alpinen Steinschaf zu verarbeiten. Alpine Steinschafe sind mischwollige Schafe, deren Wolle im Allgemeinen zu Teppichgarn oder Filz verarbeitet wird. Aber geht da vielleicht auch mehr? Immer wieder gab es von Schafhalter:innen Fragen, was sie aus der Wolle ihrer Schafe machen könnten. Gibt es in unserer Gemeinschaft vielleicht Designer:innen, die damit arbeiten können? Wen kann man da vernetzen?

Um das besser einschätzen zu können, muss ich aber die Faser einmal in der Hand gehabt haben. Und so trafen wir uns zu dritt bei mir im Garten, sortierten das Vlies und wuschen es. Ich zeigte Mona und Elke das Kardieren und Spinnen, und anschließend ging jede von uns mit einem Stück gewaschenem Vlies nach Hause. Einen Teil bekam auch Simone, die ein prima Spinnrad für die Herstellung von Teppichgarn hat, und so wird jede von uns experimentieren und schauen, was man aus der Wolle alles machen kann – spinnen, färben, weben…

Das letzte, sehr schöne Event fand dann im November in München statt. Im Galerieladen Siebenmachen haben Mona, Simone und ich über regionale Wolle geredet, Spinnen an Spinnrad und Spindel gezeigt und alle, die wollten, konnten das Spinnen oder Weben am Gatterkammwebrahmen ausprobieren. Die Kinder waren fasziniert von den Spinnrädern, während die Erwachsenen sich um den Webrahmen scharten. Offenbar haben die wenigsten Menschen noch Kontakt mit textilen Verarbeitungsmethoden, und dennoch üben sie eine gewisse Faszination auf Menschen jedes Alters aus. Im Anschluß saßen wir noch in Simones Atelier zusammen und schmiedeten fleißig Pläne für neue schöne Projekte.

Das Skudde-Projekt

Nach unserem ersten Fibershed-Treffen kam im Februar die Frage auf, ob man Schafwolle auch entgrannen kann (so wie z.B. Kaschmir), um sie so vielleicht besser verarbeitbar zu machen. Durch die unglaublich gute Vernetzung im Fibershed-DACH-Team waren schon bald Betriebe gefunden, von denen wir Wolle haben können, die uns die Wolle waschen, entgrannen und verarbeiten können. Das Skudde-Projekt war ins Leben gerufen, und wir lernten eine Menge über die Verarbeitung von mischwolligen Vliesen – und über Lücken in der regionalen Verarbeitungskette. Das Spinnen von so kleinen Mengen war nämlich nicht so ohne weiteres möglich, und so kardierte und spann ich von Hand. Das Ergebnis dieses Projektes sind drei wunderbare Stücke Stoff, die es ohne unser Netzwerk gar nicht geben würde – und die zeigen, was geht, wenn man einfach mal macht.

Das tollste war: wir wurden am Anfang dabei von einer Journalistin und einer Fotografin begleitet, und ein Artikel zu Fibershed DACH und unserem Skudde-Projekt ist im WERDE-Magazin (Herbstheft 2022) erschienen!

Vernetzung und Austausch

Von den knapp 140 Posts, die ich dieses Jahr auf Instagram veröffentlicht habe, haben einige zu einem besonders intensiven Austausch geführt. Ich messe das nicht unbedingt in „Reichweite“ oder „Anzahl likes“, das finde ich immer nur bedingt aussagekräftig. Aber wenn ich viele Rückmeldungen bekomme und daraus erkenne, dass euch die Themen wichtig sind, dass ich eure Aufmerksamkeit auf Dinge lenken konnte, die euch bis dahin noch gar nicht so über den Weg gelaufen sind – dann ist das großartig. Das ist es, was ich mit meinen Blogartikeln und Posts erreichen will: neugierig machen, zum Nachdenken anregen, ins Gespräch kommen.

Collage von Instagram Posts 2022
So unterschiedlich kann das sein – nicht alle Posts, bei denen sich interessanter Austausch ergab, erhielten auch viele likes. Und umgekehrt fand bei sehr beliebten Posts nicht unbedingt Austausch statt.

Über 4 Themen gab es auf Instagram besonders viel Austausch:

„Was kostet die Schur“ . In diesem Beitrag habe ich eine kleine Rechnung aufgestellt, ausgehend von der letzten Schur, die ich besucht habe. Wie viel müsste für ein Kilo Rohwolle eingenommen werden, um überhaupt kostendeckend scheren zu können, geschweige denn profitabel? In diesem Fall bin ich über den Daumen bei 4 Euro pro Kilo rausgekommen (unsortierte Wolle, wohlgemerkt). Mir ist dabei wieder klar geworden, dass man an manche Dinge keine Preisschilder hängen kann, weil die Produkte einfach viel zu teuer würden. Und manches funktioniert überhaupt nur, wenn man eine funktionierende Gemeinschaft um sich herum hat. Warum ist das so?

„Ist Wolle nachhaltig?“ Das war mein kürzester Blogartikel überhaupt. Er bestand im Grunde aus (unbeantworteten) Fragen, die ich mir rund um Wolle gestellt habe (und immer noch stelle). Es war sehr interessant, eure Sichtweisen zu erfahren!

„Wolle carbonisieren“ Hier ging es darum, wieso in manchen Garnen Heureste sind und in anderen nicht, wie das mit der Schafhaltung und Schafgesundheit zusammenhängt, und warum die manchmal Probleme bei den Spinnmaschinen machen. Ich habe sehr viel gelernt durch den Austausch!

„Naturfarben“ Ich habe mein Tuch gezeigt, dass ich aus der naturfarbenen Wolle der Färöer-Schafe gestrickt habe. Naturfarben heißt in diesem Falle „so auf dem Schaf gewachsen“. Manchmal kauft man aber „Naturfarben“, die durch Färben und Mischen entstanden sind. Vom Label her ist oft nicht erkennbar, dass diese Farbe so nicht auf dem Schaf gewachsen ist.

Ich werde also weiter über die Hintergründe der Wollverarbeitung sprechen und mich mit euch dazu austauschen.

Wolle und Spinnen

Gleich zu Anfang des Jahres ist mein Spinnradprofil-Artikel über das Lendrum in Heft 3 der Wollkraut erschienen – da war ich natürlich schon ein bissel stolz drauf. Leider war der Platz im Magazin begrenzt und ich konnte nicht so weit ausholen, wie ich wollte. Also werde ich wohl noch mal einen etwas ausführlicheren Artikel über mein liebstes Spinnrad schreiben …

Ab April fanden endlich wieder Spinntreffen statt (wenn auch mit Auflagen) – endlich! Wie sehr mir der Austausch gefehlt hat, habe ich erst da wieder gemerkt. Es ist nicht nur das miteinander in Kontakt kommen, es ist auch das Horizonte-erweitern und das In-neuen-Bahnen-Denken, dass ich daran so schätze.

Ich hatte mir für dieses Jahr vorgenommen, alle Wolle in meinem Vorrat zu sortieren und zu waschen. Bis auf ein Vlies (das jetzt immer noch geduldig in seinem Papiersack im Schuppen liegt) ist mir das auch gelungen. Und: ich hab nur ein einziges Vlies von einer Schur mitgenommen (ehrlich! nur eins!). Der Stash-Ausbau hielt sich also in Grenzen und ich habe definitiv mehr versponnen, als ich gekauft habe. Jetzt muss ich nur noch überlegen, was ich mit den Garnen mache…

Ich habe auch nur 3x Fasern gekauft: Kardenband von Jämtland-Schafen (da konnte ich nicht widerstehen! aus einer schwedischen Mini-Mill von schwedischen Schafen!), Kardenband von Skudde und Skudde-Shetland-Mixen (vom Skudden- und Island-Schafhof) und etwas Hanf-Kammzug (ich wollte da mal was probieren).

Beim Spinnen blieb ich überwiegend regional und naturfarben. Bis es mich im November schüttelte und ich eine unbändige Lust auf bunte Bouclè-Garne hatte. Diese kleinen Kringel sind einfach nur entzückend!

handgesponnenes Boucle-Garn, orange, auf einer Spule
Große Bouclè-Liebe im November. Diese Kringel!!

Wissen teilen und begeistern – Spinnworkshops und Spindelsprechstunde

Mir wurde mal gesagt, ich kann gut erklären. Egal ob es um Spinnradeinstellungen oder Tipps zum Spindelspinnen geht – offenbar finde ich für manche Menschen die Worte, die sie brauchen, um Zusammenhänge zu verstehen und anwenden zu können. Auch über meine Website erreichen mich hin und wieder Anfragen von Menschen, die Spinnen lernen möchten. Und so hatte ich schon länger die Idee, vielleicht Workshops oder Kurse rund um Wolle anzubieten.

Das Problem ist der Veranstaltungsort: Im privaten Kreise und bei schönem Wetter bietet sich dafür unsere Terrasse an (wo Mona, Elke und ich uns mit Alpinem Steinschaf vertraut gemacht haben). Für einen “richtigen” Workshop mit mehr als 2 Teilnehmern ist die Terrasse aber nicht das richtige. Ich hatte es auch schon einmal über eine VHS versucht, aber keine guten Erfahrungen mit der Zusammenarbeit gemacht.
Solange ich also keine eigenen Räume habe, bietet es sich an, sich bei einem der Spinntreffen meiner Spinngruppe zusammenzusetzen zu einer Art “Spindelsprechstunde”. Das ist zwar kein richtiger Workshop, aber bislang konnte ich immer vorhandene Knoten im Kopf lösen und andere mit meiner Spinnbegeisterung anstecken. Wenn Du auch in oder um Berlin wohnst und an Workshops interessiert bist, schreib mir eine E-Mail und ich werde schauen, was möglich ist!

Collage aus zwei Bildern zu Spinnworkshops. Bild 1: Wolle, Spindeln, Karden und ein Kinderbuch sind auf einem Tisch ausgelegt. Bild 2: Kinderhände halten eine Spindel und verdrehen den Faden.
Spinnen mit Kindern im Hort war eine ganz neue Erfahrung für mich. Kinder gehen ganz anders an die Sache heran – manche haben einfach Zweier-Teams gebildet, einer dreht und die andere zeiht aus. Sehr clever!

Mitte des Jahres ergab sich dann für mich die Möglichkeit, in der Grundschule bei uns um die Ecke mit den Kindern über Wolle zu sprechen und ihnen das Spinnen mit der Handspindel zu zeigen. Die Hortleiterin und ich hatten da schon vor drei Jahren darüber gesprochen, aber bevor etwas draus werden konnte, schlug die Pandemie zu. Nun war es aber soweit, und ich kam mit einem Buch („Pelles Neue Kleider„), einer großen Kiste Wolle und selbstgebauten Spindeln in die Schule. Die Kinder waren fast alle sehr aufgeschlossen und haben gelernt, dass Wolle von Schafen kommt, dass Schafe nicht duschen und nur einmal im Jahr zum Frisör gehen. Jedes ist stolz mit seinem ersten Faden nach Hause gegangen, und ich hatte am Ende – heiser und mit Fusseln am Mund – eine Vorstellung davon, wie viel kürzer die Aufmerksamkeitsspanne von Kindern im Vergleich mit Erwachsenen ist. Puh!

Und immer wieder die Skudde

In 2022 schlich sich irgendwie wieder von allen Seiten die Skudde an. Als ich Sigi und die Bunten Skudden in 2021 kennengelernt habe, war ich ja schon mal erstaunt, wie unterschiedlich Skuddefasern sein können. Aus einem kleinen Vliesstück hatte ich erste Spinnproben gemacht und mich mit mischwolligen Vliesen beschäftigt (zwei Blogartikel dazu erschienen dann im April und Mai). In diesem Jahr fiel mir dann immer wieder Skudde vor die Füße: Skudde-Projekt bei Fibershed DACH, Skudden-Kardenband, ein Skudde-Vlies im Vorrat, Skudden-Schur… und so beschäftigte ich mich weiter mit dieser vielseitigen Wolle. Mein Artikel zum Garndesign ist auch mit Skudde-Wolle entstanden.

Bei der letzten Schur in 2021 war ein schönes Vlies von einer braunen Skudde, genannt Coco, mit zu mir nach Hause gekommen. Coco war schon älter und somit nicht mehr ganz so flauschig, aber ihr Vlies war trotzdem einfach herrlich. Ich beschloss, einfach mal einen Schritt nach dem anderen zu machen und zu schauen, wohin mich die Reise trägt.

Deckhaare Skudde mit Mini-Kämmen liegen auf einem Tisch.
Cocos Deckhaare waren fast schon blond zu nennen.

Zuerst habe ich also das Vlies sortiert und gewaschen (und konnte einen Punkt meiner Projektideen abhaken). Dann beschloss ich, Deckhaare und Unterwolle zu trennen und getrennt weiterzuverarbeiten. Nach einer Weile hatte ich zwei wunderbare Garne, die sowohl farblich als auch in ihren Eigenschaften völlig unterschiedlich waren.

Sie waren allerdings wirklich nicht besonders flauschig, und am geeignetsten erschien mir eine Weiterverarbeitung durch Weben.
Also: Webrahmen rausgeholt, das Garn aus den stabilen Deckhaaren als Kette verwendet, die Unterwolle als Schuß. Und um die Eigenschaften beider Garne auf je einer Seite des Webstückes zu betonen, sollte es ein Gewebe werden, das auf der einen Seite kettlastig und auf der anderen schusslastig ist.

Nahaufnahme Gewebe auf Gatterkammwebrahmen. Kettfäden: Deckhaare Skudde, Schussfäden: Unterwolle Skudde.
Coco als Gewebe: das Garn aus Deckhaaren wurde zur Kette, der Schuss ist das Garn aus der Unterwolle. Das Muster ist eigentlich ein Kettrips, aber von Rips ist hier nicht die Spur. Beim Weben bin ich blutige Anfängerin.

Nun, das Gewebe war toll. Aber ich merkte, dass ich die Kettfadendichte nicht richtig bestimmt habe, denn die Kette ist durch den Gatterkamm sehr aufgerauht und es webte sich zum Schluß sehr schlecht.

Aus dem Stoff habe ich eine Tasche genäht, und aus den Garnresten habe ich einen stabilen Gurt dafür gewebt. Nur der Stoff für das Futter ist zugekauft. Ich hatte sogar noch Garn übrig und habe ein zweites Muster ausprobiert für eine zweite Tasche. Die ist allerdings noch nicht fertig. Genauso wie der zugehörige Blogartikel …

Hellbraune Tasche aus Skuddewolle, handgesponnen, handgewebt, handgenäht.
Die fertige Origami-Tasche aus Coco.

Kurz vor Schluss: Ich habe die Baumwolle wiederentdeckt.

Dann war da noch die farbig gewachsene Baumwolle, ihr erinnert euch? Ich habe jetzt im Dezember meine Proben davon fertig gesponnen – hüstel nach einem guten Jahr Pause. Die Flocken lagen geduldig in ihrer Box und warteten darauf, kardiert zu werden. Als ich dann im Dezember die Tahkli wieder in die Hand nahm, konnte ich sie gar nicht mehr weglegen. Und sobald das Licht wieder besser wird und ich alle Fotos zusammenhabe, kommt dazu der versprochene zweite Teil zu meinem Artikel über farbig gewachsene Baumwolle.

Färben und Färbepflanzen

Coreopsis und Co auf der Terrasse – herrlich!

Dieses Jahr habe ich auf unserer Terrasse fünf Färberpflanzen angebaut: Japanischen Färberknöterich, Färbertagetes, Färberkamille, Schwefelkosmee und Mädchenauge (Tipps und Tricks zum Anbau habe ich aus dem sehr hilfreichen ebook von Still Garments).

Die Anzucht war recht unkompliziert – wenn auch zu Beginn sehr raumgreifend, als die Pflänzchen noch jeden verfügbaren Fensterplatz belegten. Mädchenauge und Schwefelkosmee wuchsen nach einer kurzen Anlaufphase ganz prächtig und samten sogar noch im Sommer in den Fugen der Terrassenplatten aus. Der Färberknöterich hat sich hingegen mit dem Wachstum etwas zurückgehalten. Möglicherweise habe ich ihn nicht ausreichend gedüngt oder aber zwischendrin zu stark beschnitten für meine Experimente. Der Tagetes war vermutlich ihr Topf ein bisschen zu klein, sie hat nur wenige Blüten gebildet, und die Kamille ist (im Vergleich zu Kosmee und Mädchenauge) auch nur zögerlich gewachsen. Ein richtiges Beet hätte ihr vermutlich besser gefallen als ein Topf auf der Terrasse – aber Schnecken und Ameisen freuen sich bei uns über jedes Extra auf der Speisekarte. Daher: Terrassentopf it is.

Über den Sommer konnte ich unglaublich viele Blüten und auch Samen ernten. Auch die Bienen und Hummeln hatten ihre Freude, es war ein fantastisches Gesumme und Gebrumme auf der Terrasse. Allein schon deshalb werde ich nächstes Jahr wieder welche aussäen.

Gefärbt habe ich mit den Blüten noch nicht – das hebe ich mir für nächstes Jahr auf.

Färbeworkshops – es gibt immer was zu lernen

Wenn ich färbe, dann färbe ich mit Naturfarben und meistens meine eigenen, handgesponnenen Garne. So weit so gut. Aber es gibt ja noch so viele andere Möglichkeiten! Stoffe färben zum Beispiel. Bislang hatte ich das gar nicht so auf dem Schirm, auch weil die Stoffe meist aus Baumwolle sind und die ja anders vorbehandelt („gebeizt“) werden müssen.

Als es dann einen Workshop zum Stoffe färben mit Naturfarben ganz in meiner Nähe gab, hab ich mich sofort angemeldet. Ich liebe ja das Experimentieren, das ausprobieren, auch wenn ich noch gar nicht weiß, wofür ich das mal brauchen kann. Es gab mehrere verschiedene Stoffproben, teils unterschiedlich vorbehandelt, und unterschiedliche Farbbäder, mit denen ich noch nie gearbeitet hatte. Rote Zwiebelschale zum Beispiel, oder Weidenblätter. Faszinierend! Zu Hause angekommen kramte ich sogleich alte Baumwoll-Stoffe hervor und experimentierte weiter.

Stoffstücke, die mit Bundle-Dye-Technik gefärbt wurden, hängen an einem Bambusmattenzaun
Erste Ergebnisse während des Bundle Dye Workshops.
Bundle-Dye Workshop, bunte Stoffstücke liegen auf einem Tisch.
…und noch mehr Bundle Dye…

Der Workshop war so inspirierend und hat so viel Spaß gemacht, dass ich mich später noch für einen weiteren Workshop angemeldet habe, diesmal zum Thema Bundle Dye. Auch das ist eine Technik, die mich normalerweise nicht anzieht, weil ich nicht wüsste, wofür ich die gefärbten Stoffe verwenden kann. Dennoch war es eine tolle Erfahrung und hat mir nochmal die Augen geöffnet für Dinge abseits des breitgetretenen Pfades. Denn siehe da: während der Pfeifenputzerstrauch als Flotte nur unangenehm riecht und ein mittelprächtiges gelbbraungrün ergibt, färbt er im Bundle Dye Experiment ein super schönes lila!

Meine Färbe-Experimente

Dieses Jahr habe ich gar nicht so viel gefärbt. Anfangs ein bisschen Goldrute und Weide aus der Umgebung, und das war es quasi schon.

Aber da stand ja noch ein Experiment aus. Ihr erinnert euch vielleicht an meinen epischen Versuch von 2020 (#dasexperimentnr1), in dem ich die Fasern von 20 Schafrassen versponnen und gefärbt habe, um zu sehen, ob sie die Farben unterschiedlich aufnehmen? Nun, darauf aufbauend wollte ich #dasexperimentnr2 durchführen.

Ich hatte ich mir 5 Schafrassen mit den größten Unterschieden herausgepickt und wollte mit den 3 Farben, die die ebenfalls größten Unterschiede zwischen den Rassen gezeigt hatten, sogenannte Zeitreihen erstellen. Das bedeutet: 6 kleine Stränge jeder Rasse in eine Flotte legen, und dann nach 10, 20, 30, 40, 50 und 60 min jeweils einen Strang jeder Rasse wieder herausnehmen. Nach 60 min in der Flotte werden alle ähnlich aussehen, aber kann man erkennen, ob die Farbe unterschiedlich schnell aufzieht? Kann man auf diese Weise vielleicht sogar Gradienten färben?
Nun, das Experiment hat stattgefunden, ich habe auf Instagram berichtet. Was noch aussteht, ist der zugehörige Blogartikel…

Beginn Blauholzfärbung SF-002
Der Beginn der Blauholzfärbung in #dasexperimentnr2 . Noch ist alles relativ blass…

Ganz spontan ist mir dann noch ein weiteres Experiment quasi vor die Füße gefallen: Die Pigmentextraktion aus Japanischen Färberknöterich. Meine Pflanze wurde recht groß und begann, Blüten anzusetzen – die perfekte Zeit für die Blatternte. Das Problem: ich hatte keine Garne mehr zum Färben, und an eine Küpe traute ich mich noch nicht recht heran (warum eigentlich? das ist mir immer noch nicht so ganz klar). Eine Pigmentextraktion erschien mir hingegen absolut machbar. Also hab ich ein bisschen recherchiert, meinen Busch recht beherzt zurückgeschnitten und losgelegt. Das Ergebnis dieses Versuchs könnt ihr in meinem Blogartikel zur Pigmentextraktion nachlesen. Es war einfach magisch! Und das coole: gleich danach, als ich es noch einmal versuchen wollte, habe ich gelernt, wie es nicht aussehen darf, weil es dann nicht funktioniert …


5 Dinge, die ich dieses Jahr zum ersten Mal gemacht habe

  • Bändchenweben. Ich wollte es nur mal ausprobieren. Achtung: Suchtgefahr…
  • Katzenhaare gesponnen. Sooooooo weich!
  • Lockengarn gesponnen. Wollte ich schon immer mal machen. Einmal mit Core und einmal einfach nur Locke an Locke. Sehr flauschig!
  • Indigopigment extrahiert. Gleich der erste Versuch ein Treffer! Und der zweite ging dann phänomenal daneben.
  • Bundle Dye. Viel einfacher als ich dachte, und macht enorm Freude.

Meine liebsten Blogartikel 2022

Wenn ich so zurückblicke, finde ich natürlich ALLE meine Blogartikel toll. Aber diese hier sind mir besonders ans Herz gewachsen:

Und was wird hier auf dem Blog ganz gerne gelesen? Da ich keine wirkliche statistische Auswertung meiner Website mache, kann ich nur ungefähr sagen, welche Artikel besonders oft geklickt werden, und das sind diese hier:

(Dabei muss man bedenken, dass die älteren Artikel natürlich häufiger geklickt werden konnten als ein recht neuer Artikel).


Mein 2022 in Zahlen

  • 19 gesponnene Faserarten (Alpines Steinschaf, Baumwolle, Berrichon du Cher, Berrichon-Merino-Kreuzung, Finnschaf-Alpaka-Mischung, Gotland-Rauhwoller-Kreuzung, Gotland-Suri-Mischung, Hanf, Jämtland, Katze, Lincoln, Merinolandschaf, Rhönschaf, Rouge de Roussillon, Shetland, Shetland-Skudde-Kreuzung, Skudde, Spaelsau-Milschschaf-Kreuzung, Suffolk)
  • 10 948,5 Meter gesponnen
  • 5 423 Gramm gesponnen
  • 2 Schuren – weniger als im letzten Jahr, aber das reicht mir durchaus.
  • 18 Blogartikel (dieser hier ist der 19.), Wortanzahl des kürzesten und des längsten?
  • 9 Spinntreffen „in echt“ waren wieder möglich. Yay!

Knapp 11 km und über 5 kg Garn

Besonders gespannt war ich, wie viel Fasern ich wohl dieses Jahr spinnen würde. Dafür hatte ich im Januar angefangen, monatlich meine fertiggestellten Garne zu vermessen und Gewicht und Lauflänge aufzuschreiben. Damit konnte ich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: zum einen stapeln sich die gesponnenen Garne nicht mehr so, wenn ich sie regelmäßig ausmesse, zum anderen bekomme ich ein Gefühl dafür, wie viel Fasern ich ruhigen Gewissens kaufen kann, ohne in Lagerschwierigkeiten zu kommen.
Am Ende waren es gut 5 kg und ca. 11 km Garn (und dabei hab ich noch nicht mal jedes Garn ausgemessen)!

Am liebsten und am meisten spinne ich mit Spindeln. Oft heißt es ja, damit sei man nicht so schnell oder es würde ewig dauern, bis man genug für ein Projekt fertig hätte. Das ist natürlich nicht von der Hand zu weisen, immerhin spinne ich an den 400 g Jämtland-Kardenband auf meiner unterstützten Spindel nun schon mindestens ein halbes Jahr. Ich werde auch noch mindestens ein weiteres halbes Jahr daran spinnen. Aber: meine Spindeln sind deutlich besser transportabel als mein Spinnrad, und ich kann sie überall hin mitnehmen (Strand! Zugfahrt!). So kann ich öfter und mehr spinnen, als wenn ich ausschließlich auf mein Rad angewiesen wäre.

Neunzehn Faserarten

Anfang des Jahres habe ich Schafrassen gezählt, aber irgendwann kamen auch Mischungen von Fasern dazu. Nächstes Jahr zähle ich dann offiziell Faserarten 🙂 Neunzehn Faserarten in 2022 – mit so vielen hatte ich nicht gerechnet. So langsam müsste ich doch jetzt mit allen mal durch sein…?

Achtzehn Blogartikel

Insgesamt habe ich dieses Jahr 18 Blogartikel veröffentlicht (dieser hier ist der 19.). Das sind anderthalb pro Monat. Für manche habe ich ewig gebraucht (wie zum Beispiel für den Artikel über das Mulesing), andere waren recht kurz (wie mein Fragegewitter zur Nachhaltigkeit).
Während ich im März jede Woche einen veröffentlicht habe, wurde es gegen Ende des Jahres etwas spärlicher. Der längste hat 5022 Wörter (der über das Mulesing), der kürzeste 236 Wörter (Fragegewitter).

Highlights und Lowlights

Zu den Highlights zählte (wie auch schon im letzten Jahr) die Vernetzung mit vielen Menschen, denen regionale Wolle und transparente Herstellung und Lieferketten genauso wichtig sind wie mir. Fast schien es, als würden überall Initiativen und Projekte existieren, die alle das Gleiche wollen – aber gegenseitig nichts von der Existenz der anderen wissen. Über die Arbeit mit Fibershed ergaben sich so viele neue Verknüpfungen, und im Oktober konnten wir dann mit der Einführung der Fibershed Talks die Vernetzung auf ein ganz neues Level heben. Da kommt was in Bewegung, und es ist ein großartiges Gefühl, ein Teil davon zu sein!

Ausgeprägte Lowlights gab es dieses Jahr eigentlich nicht. Ich musste immer mal aufpassen, dass ich mir nicht zu viel vornehme und meine sich langsam erholenden Energielevel nicht gleich wieder erschöpfe. Das ist mir aber ganz gut gelungen.

Und dann kam der Moment mit dem „White Screen of Death“. Nach einem WordPress Update war meine Website einfach nur weiß, ich konnte mich nicht mal mehr einloggen. Irgendein Plugin hat sich nicht nett benommen und die gesamte Website zum Erliegen gebracht. Aber ich war stolz auf mich: Ich bin nicht durchgedreht, sondern habe folgenden Profi-Tipp beherzigt:

  1. Tief atmen. Ein und aus.
  2. Nach ner Weile nochmal draufschauen. Vielleicht hat es sich von selbst erledigt.
  3. Ein kleines bisschen recherchieren und überlegen, was zu tun ist.
  4. Ausprobieren.
  5. Gehe zurück zu Schritt 1.

Und siehe da: die Welt ging nicht unter. Im Gegenteil: ich hab es ganz alleine geschafft, alles wieder herzurichten. Ich kann jetzt Technik-Kung-Fu!

Auf ins Neue Jahr – das nehme ich mit für 2023

Was ich auf jeden Fall weitertragen möchte ins Neue Jahr, das ist mein Spinncounter. Dadurch habe ich jetzt am Ende des Jahres ein paar interessante Zahlen – nicht für einen Wettbewerb und höher schneller weiter, sondern um ein Gefühl zu haben, was ich so alles gesponnen habe. Und wie viele Fasern ich gefahrlos zukaufen kann, ohne meine Lagerkapazitäten zu sprengen. Bin schon gespannt, wie es 2023 wird!

Ich würde auch so gerne mal eine Küpenfärbung probieren. Vielleicht trau ich mich ja jetzt endlich mal (#dasexperimentnr3 ?). Oder ich bleibe bei der Pigmentextraktion, die ja sehr gut geklappt hat. Ein bisschen hängt es auch davon ab, wie viel Knöterich ich anziehen kann. Dieses Jahr konnte ich nicht so viele Samen gewinnen und muss erst mal sehen, wie die Pflänzchen wachsen.

Die mischwolligen Schafrassen werden mit auch weiterhin begleiten, denke ich. Das sind nun mal die Rassen, die am besten an das hiesige Klima angepasst sind. Vielleicht ist es nur eine Frage, geeignete Aufarbeitungsmöglichkeiten zu finden. Ich hab mir jedenfalls mal Navajo-Spindel bestellt …zu Studienzwecken, versteht sich.

Das Bloggen geht in die nächste Runde. Ich schaue, wohin mich meine Reise trägt und schreibe darüber. Aber: ich möchte besser werden mit dem Verbloggen – für manche Artikel dauert es doch arg lang, bis ein Experiment in Textform gegossen ist. Und irgendwie ist ab Oktober doch immer wieder viel hinten runtergefallen. Zwar konnte ich mich damit trösten, dass meine Artikel in der Regel eben nicht solche sind, die ich in 2–3 Stunden runterschreiben kann. Aber ich denke, ich überlege mir eine bessere Blogroutine.
Nur wenn bei der Website etwas nicht funktioniert, bin ich noch nicht routiniert genug, um das schnell und unkompliziert wieder geradezubiegen – das dauert dann doch immer noch ziemlich lange. Und Website reparieren ist mir dann doch wichtiger als Blogartikel schreiben…

Das Vernetzen, das Treffen, der Austausch – das werde ich versuchen, in 2023 auszubauen, auch wenn ich noch nicht genau weiß, wie. Sei es über Fibershed, über meinen Blog, die Handspinngilde oder die Spinngruppe – am liebsten in meiner Region und mit den Schafen, die hier wohnen.

Auf eines freue ich mich aber jetzt schon: Depeche Mode im Olympiastadion.

Hab ich ein Motto für 2023? Natürlich nicht. Aber ich denke, ich werde mir diesen Zettel in die Tasche stecken, auf dem steht:

„Was nicht glücklich macht, kann weg.“


Nicht als Motto, aber als Erinnerungsstütze und wenn es gilt, Prioritäten festzulegen.

Lesetipps für Schafliebhaber – Englische Bücher

Bücher kann ich ja nicht genug haben, und auch als Geschenke finde ich sie hervorragend geeignet. Die meisten der Bücher, die mich interessieren, erscheinen allerdings zuerst auf Englisch und werden auch nicht immer übersetzt. Wenn das für Dich kein Hindernis ist, dann hab ich hier eine Liste mit sehr unterhaltsamen englischen Büchern zu Fasern und Schafen.

Zu jedem Buch habe ich euch die ISBN angegeben. Alle Exemplare habe ich mir selbst gekauft und empfehle sie, weil ich sie selbst für empfehlenswert halte – ich bekomme kein Geld dafür.

Eine ganz tolle Auswahl schafiger und anderweitig textiler Literatur findest Du übrigens auch im online-Shop von Daughter of a Shepherd (in Großbritannien), über sie habe ich von der Existenz der meisten dieser Bücher überhaupt erst erfahren.

„Adventures in Yarn Farming“ von Barbara Parry

Buch "Adventures in Yarn Farming" liegt auf Terrassenfliese.
Leider etwas unscharf geworden, aber ausreichend erkennbar – Schafe, Garne und Strickstücke.

Dieses Buch (erschienen 2015) war das erste, das mich dem Thema Schafhaltung und Wollernte nähergebracht hat.

Es ist ein Hardcover mit Leinen-Rücken und wunderschönen Fotografien, die einfach nur zum Durchblättern einladen. Die Geschichte, wie Barbara ihre Farm in New England aufgebaut hat, wird an den Jahreszeiten entlang erzählt. Lammzeit im Frühling, die Kunst des Heumachens im Sommer, im Herbst Verarbeitung der Wolle in einer Fasermühle, Färben und der Verkauf auf diversen Festivals (z. B. New York State Sheep and Wool Festival, auch bekannt als„Rhinebeck“), Ahornsirup herstellen im Winter. Zwischendrin finden sich Strickanleitungen, Rezepte, sogar ein Ausflug zum Färben, Kämmen, Spinnen und Stricken von Mohair ist dabei.

Obwohl die Strickmuster selbst nicht mein Fall sind, gefällt mir die Vielfalt der Themen in diesem Buch. Es geht nicht nur um die Tiere, es geht um das große Ganze, um das Zusammenspiel all dessen, was es braucht, um erfolgreich ein Stück Land zu bewirtschaften.

Adventures in Yarn Farming. Four Seasons on a New England Fiber Farm“ von Barbara Parry. Roost Books 2013, ISBN 978-1-59030-823-3

„The Shepherd’s Life“ von James Rebanks

Buch "The Shepherd's life" liegt auf Terrassenfliesen
Meine gebraucht gekaufte Hardcover-Ausgabe von „The Shepherd‘s Life“

James Rebanks ist durch dieses Buch und seine tweets als @herdyshepherd1 vielen mittlerweile schon ein Begriff. Er hält selber Herdwick-Schafe und engagiert sich für Schafhaltung in seiner Heimat, dem Lake District. Unter anderem setzte sich dafür ein, dass diese Gegend von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt wird.

In diesem Buch schreibt er über Schafhaltung im Lake District und dessen Besonderheiten anhand seiner eigenen Geschichte. Es beginnt mit Wordsworth, geht über die Perspektivlosigkeit für Jugendliche im ländlichen Raum des Lake Districts hin zu seinem Studium am Magdalen College (Oxford) und wie er über all die Zeit seine Wurzeln in dieser speziellen Gegend hatte. In meiner Ausgabe gibt es kaum Bilder, aber auch dieses Buch orientiert sich an den Jahreszeiten vom Sommer zum Frühling.

Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir die Stelle, an der er einen Vorfall mit zwei Jack Russels beschreibt. Der Hundebesitzer hatte sie von der Leine gelassen in der Annahme, sie wären allein in der Gegend. Die Hunde nahmen sofort eine Spur auf und hetzten, ihren Instinkten folgend, ein tragendes Schaf fast zu Tode.
Durch das Buch habe ich ein ganz anders Verständnis dafür bekommen, was es bedeutet, Tiere zu halten, welche Herausforderungen sich einem entgegenstellen.

The Shepherd’s Life. A Tale of the Lake District“ von James Rebanks.
Penguin Random House UK 2015, ISBN 978-1-846-14854-5

„Counting Sheep“ von Philip Walling

Buch "Counting Sheep" liegt auf Terrassenfliesen
Counting Sheep – das Cover dieses Buches hat mich sehr angesprochen.

Auf den ersten Blick ist dies ein unscheinbares kleines Büchlein, mit Fotos einiger Schafrassen in der Mitte und einem hübsch illustrierten Einband. Aber es hat es echt in sich. Philip Walling war selbst Schafhalter und weiß, worüber er schreibt.

Das Inhaltsverzeichnis schlägt den Bogen von ursprünglichen Schafen über die Römer hin zu einer Auswahl heute gehaltener Schafrassen, aber die Kapitelüberschriften täuschen – es geht nicht nur um eine Beschreibung der Schafrassen, sondern immer auch um damit Verbundenes, um Hintergründe und Geschichten. So erfährt man im Kapitel „The Romans and the wool breeds“ auch, wie das heutige britische Wollsystem mit dem British Wool Marketing Board funktioniert. Im Kapitel zu Leicester Longwool wird sehr eindrucksvoll beschrieben, was Fliegenmadenbefall bei Schafen anrichtet (einen Ausschnitt findest Du in meinem Blogartikel zu Mulesing). Und es geht um die katastrophalen Auswirkungen einer Schafkrankheit namens Scrapie, die als Variante der Creutzfeldt-Jacob-Disease (vCJD) auch Menschen treffen kann und im Zuge der BSE-Krise Mitte bis Ende der 1990er Jahre viele Tiere das Leben und Schäfer ihr Einkommen kostete.

Der Aufbau der Wollfaser wird in wenigen treffenden Worten genauso beschrieben wie die Entstehung der Kräuselung einer Faser. Dieses Buch kann man mehrmals lesen – ich hab es mir direkt mal wieder auf den Nachttisch gelegt. Für Mehrfachleser mit ganz gezielten Fragen gibt es einen Index, über den man gewünschte Themen schnell wieder ansteuern kann.

Counting Sheep. A Celebration of the Pastoral Heritage of Britain“ von Philip Walling
Profile Books 2015, ISBN 978-1846685057

„A Short History of the World According to Sheep“ von Sally Coulthard

Buch "A short history of the world according to sheep" liegt auf Terrassenfliesen
Die Cover-Illustration der Bücher von Sally Coulthard und Philip Wallin sind sich sehr ähnlich.

Der Titel dieses Buches hat mich sofort in seinen Bann geschlagen. Das ist doch mal was, die Weltgeschichte erklärt aus der Perspektive der Schafhaltung!

Sally Coulthard erzählt Geschichten. Dabei verwendet sie keinen so klaren roten Faden wie Philip Walling, aber dennoch wirkt die Erzählung in sich geschlossen. Es geht um Shetland und das Raufen von Schafen, Wikinger, um Hütehunde, das Waschen, Spinnen und Stricken von Wolle, den Reichtum der Kirche, Fischerpullover und Sklaverei.

Und auch in diesem Buch habe ich nebenbei einiges gelernt, was mich schon immer umgetrieben hat. In diesem Fall war es unter anderem die „Wool Sorter’s Disease“. Hättet ihr gewusst, dass früher Milzbranderreger (Bacillus anthracis, Anthrax) über die geschorene Wolle von Schafen verbreitet wurden? Die Wollsortierer steckten sich an der Wolle an und verstarben oftmals binnen kurzer Zeit. Diese Berufskrankheit sorgte offenbar dafür, dass die Lebenserwartung von Textilarbeitern in Bradford Mitte des 19. Jhd. bei 18 Jahren lag. Achtzehn. Seit ich das gelesen habe, bin ich im Umgang mit Rohwolle deutlich vorsichtiger geworden.

A Short History of the World According to Sheep“ von Sally Coulthard
Head of Zeus 2020, ISBN 9781789544206

„Vanishing Fleece“ von Clara Parkes

Buch "Vanishing Fleece" liegt auf Terrassenfliesen
Vanishing Fleece – ein recht kleines Buch, aber sehr kurzweilig geschrieben.

Clara Parkes ist seit vielen Jahren eine Woll-Enthusiastin. Sie hat Kolumnen und Bücher geschrieben (z. B. „A Stash of One’s Own“, „Knitlandia“), in denen sie der Wolle und den Garnen auf der Spur ist.

„Vanishing Fleece“ dreht sich um ein Experiment. Ein Schafhalter überläßt ihr einen Ballen Wolle (ca. 300kg), und sie macht sich auf die Reise, um diese Wolle so lokal wie möglich zu verarbeiten. Welche Infrastruktur gibt es in den USA, um ein Garn herzustellen? Sie erzählt die Geschichte dieses Projektes und auch der Menschen, die sie auf ihrem Weg kennengelernt hat. Mit dabei sind Enthusiasten, die uralte Maschinen aufkaufen, instandsetzen und mit selbstgebauten Ersatzteilen funktionstüchtig halten – weil ihre Kunden ohne sie aufgeschmissen wären. Sie gibt aber auch einen Blick hinter die Kulissen der Großen Wollindustrie, die so ganz anders funktioniert als regionale Wirtschaft.
Nicht alles aus diesem Buch ist auf Europa übertragbar, aber sicher das meiste. Etwas Vergleichbares aus dem deutschsprachigen Raum in Buchform habe ich bislang jedenfalls noch nicht gefunden – reinlesen lohnt also auf jeden Fall.

„Vanishing Fleece. Adventures in American Wool“ von Clara Parkes
Abrams Press, New York 2019, ISBN 978-1-4197-3531-8

„Fibershed“ von Rebecca Burgess und Courtney White

Buch "Fibershed" liegt auf Terrassenfliesen
Fibershed. Das Buch.

In dem Schwesterartikel mit deutschsprachigen Büchern habe ich es bereits erwähnt, daher darf dieser Klassiker auch hier nicht fehlen.

In diesem Buch geht es um nicht weniger als eine Neue Textilwirtschaft. Eine Textilwirtschaft, deren Produkte nicht 5x um den Globus gekarrt wurden, sondern aus den Fasern innerhalb einer bestimmten Region stammen – vom Anbau über Spinnen, Weben und Nähen bis zur Kompostierung. Eine solche Region nennt sich auf Englisch „Fibershed“, das etwas sperrige deutsche Wort dafür ist „Fasereinzugsgebiet“.

Das Buch behandelt im ersten Kapitel die Kosten von Fast Fashion – für die Umwelt, die Menschen und die Gesellschaft. Im Anschluss stellt es das Fibershed-Modell vor, das von Rebecca Burgess in ihrer Heimat Nordkalifornien ins Leben gerufen wurde. Dabei werden Begriffe wie Soil-to-Soil und Carbon Cycle besprochen, um begreiflich zu machen, wie die Textilproduktion mit der Landwirtschaft zusammenhängt. Denn letztendlich ist jedes Kleidungsstück aus Naturfasern ein Produkt der Landwirtschaft.

Allein schon die Geschichte der Fibershed-Bewegung macht das Buch unglaublich lesenswert. Hier werden nicht nur Theorien und Postulate vorgestellt, sondern fundierte Erkenntnisse aus vielen Jahren Arbeit in diesem Bereich. Eine Fülle von Quellen und Ressourcen hilft bei der Vernetzung und der Übertragung des Modells auf die eigene Region – denn natürlich muss es immer auch den regionalen Gegebenheiten angepasst werden. Mittlerweile gibt es weltweit schon über 40 Regionale Fibersheds wie Fibershed DACH!

Fibershed. Growing a Movement of Farmers, Fashion Activists, and Makers for a New Textile Economy“ von Rebecca Burgess, Courtney White
Chelsea Green Publishing 2019, ISBN 978-1-60358-663-4

„Making a Life. Working by Hand and Discovering the Life You Are Meant to Live“ von Melanie Falick

Buch "Making a life" liegt auf Terrassenfliesen
Making a Life – Ein großes, schweres Hardcover-Buch mit fantastischen Bildern und Geschichten.

Erst kürzlich wurde mir dieses Buch empfohlen – und ich musste es mir direkt kaufen. Mit vielen wunderschönen inspirierenden Fotografien, in dem ich auch ohne zu lesen einfach nur gerne blättere. Es versammelt zu Themen wie „Remembering“, „Slowing Down“ oder „Joining Hands“ eine Vielzahl von Geschichten von Menschen, die kreativen Passionen nachgehen und damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Das sind nicht immer nur Fasern, auch Töpfern oder Weidenflechten sind dabei. Für mich ausschlaggebend war die Geschichte über Judith McKenzie. DIE Judith McKenzie, die so fantastisch spinnt und färbt und Bücher geschrieben hat.
Die Schrift ist für mein Empfinden etwas klein geraten, sie passt aber sehr gut zur generellen Aufmachung. Vielleicht ist es also nur an der Zeit für mich, eine Lesebrille anzuschaffen…

Making a Life. Working by Hand and Discovering the Life You Are Meant to Live“ von Melanie Falick. Artisan (2019), ISBN 978-1-57965-744-4


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Was ist Mulesing? Ein Versuch zur Einordnung einer umstrittenen Praxis

„Wolle ist Tierquälerei“. Dieses Statement habe ich früher nie verstanden. Scheren tut dem Schaf doch nicht weh, das ist doch wie Haareschneiden, oder? Und dann, es muss um 2009 gewesen sein, hörte ich zum ersten Mal den Begriff „Mulesing“. Ich begann, mich zu diesem Thema zu informieren, und ich war erst einmal entsetzt. Aber je tiefer ich mich damit beschäftigte, desto klarer wurde mir: Es gibt nicht nur schwarz und weiß, sondern auch viele Schattierungen dazwischen. In diesem Artikel versuche ich, das Thema von mehreren Seiten zu beleuchten und den aktuellen Stand der Dinge wiederzugeben.

Mulesing – eine brutale Praxis

Mulesing ist – stark verkürzt – eine Methode, bei der Schafen ohne Betäubung bewollte Hautfalten am Hinterteil chirurgisch entfernt werden, um einen parasitären Befall mit Fliegenlarven zu verhindern. Das sich bildende Narbengewebe ist nicht mehr bewollt und bietet den Fliegenlarven keine Nahrungsgrundlage mehr. Mittlerweile haben schon viele Menschen von dieser tierquälerischen Praxis gehört und wer sicher sein will, Wolle ohne Tierleid zu kaufen (ob als Garn oder fertiges Textil), achtet dabei auf den Zusatz „mulesingfrei“.

Aber was steckt eigentlich genau dahinter? Warum gibt es diese Praxis, welchen Zweck erfüllt sie, und wie ist der heutige Stand der Entwicklung? Seit ich mich das letzte Mal tiefer mit dem Thema beschäftigt habe, ist viel passiert. Wenn ich aber den Begriff „Mulesing“ oder „mulesingfreie Wolle“ in die Suchmaschine eingebe, bekomme ich eine Reihe von Beiträgen angezeigt, die meist in verkürzter und teilweise polarisierender Art und Weise zu diesem Thema informieren. Wirkliche Zusammenhänge konnte ich nur in wissenschaftlichen Fachartikeln finden. Das Thema ist nämlich ist nicht so schwarz-weiß, wie es oft dargestellt wird, und das möchte ich hier beleuchten.

In diesem Artikel werde ich keine Bilder zeigen. Dadurch leidet zwar wahrscheinlich die Lesbarkeit, aber mir reichen ehrlich gesagt die Bilder in meinem Kopf, um mich um den Schlaf zu bringen …

Das Problem: Myiasis, der gefürchtete „Flystrike“

Bevor wir uns das Mulesing aber genauer anschauen, werfen wir einen Blick auf die Krankheit, gegen die es schützen soll: Myiasis, den Fliegenbefall (auf Englisch: Flystrike).

Fliegen (v.a. Schmeißfliegen) werden von übelriechenden, feuchten und warmen Teilen eines Schafvlieses angezogen. Oft sind das Teile des Körpers, die regelmäßig verkotet und nass werden. Das sind z. B. bei Durchfall die Schwanz- und die Urogenitalregion (sog. tail bzw. breech strike) oder aber Stellen auf dem Körper, die bei nassem Wetter nicht richtig trocknen können, wie z. B. Achselregionen (sog. body strike). Die Fliegen legen dort ihre Eier ab, so sind sie vor dem Austrocknen geschützt und haben es warm. Irgendwann schlüpfen dann kleine Larven, die auf der Suche nach Nahrung zwar erst den im Vlies enthaltenen Dung fressen, die aber auch vor dem lebenden Fleisch ihres Wirtes nicht haltmachen – das Schaf wird quasi bei lebendigem Leib aufgefressen. Die Schafe zeigen erst recht spät Anzeichen von Unwohlsein, sie werden unruhig, können nicht mehr stillstehen und versuchen, betroffene Stellen zu schubbern und zu beißen.

Wie sieht Flystrike bei einem Schaf aus?

In dem Buch „Counting Sheep“ beschreibt der britische Schäfer Philip Walling sehr plastisch, was passiert, wenn ein Schaf (in diesem Falle ein Lincoln-Schaf mit sehr dichter schwerer Wolle) von Fliegenmaden befallen ist und der Befall nicht rechtzeitig entdeckt wird. (Ich habe das Buch auf Englisch, dies ist meine eigene freie Übersetzung).

„Einmal begegnete ich einem jungen Schaf, das von Schwärmen von Schmeißfliegen bedrängt wurde. Es hatte nicht die Kraft wegzulaufen, und ich sah auch sofort warum: Das Vlies, das an einem langen Streifen verfaulter Haut an seinem Hinterteil und den Flanken hing, löste sich in meinen Händen und brachte eine brodelnde Masse Maden zum Vorschein, die sich an seinem Fleisch vollfrass. Sie krabbelten rein und raus aus Anus und Vulva, die sie teilweise weggefressen hatten.(…) Ich würgte, als ich das verlorene Tier zum nächsten Baum zog, um es festzubinden und als ich nach Hause rannte, um mein Gewehr zu holen. (…)“

Phillip Walling in “Counting Sheep”

Ich lasse das jetzt mal kurz so stehen.

Flystrike ist eine sehr langsame und brutale Art zu sterben. Das Schaf kann sich nicht dagegen wehren. Wenn der Befall nicht rechtzeitig erkannt und behandelt wird, hat das Schaf keine Chance.

Wo kommt Flystrike vor?

Flystrike kommt hauptsächlich in Australien vor, denn hier kommen vier folgenschwere Faktoren zusammen, die diese Krankheit zu einem großen Problem werden lassen:

  1. Besonders faltige und damit für Flystrike anfällige Schafe (die Vermont-Variante des Merinoschafs, dazu gleich mehr),
  2. Sehr große Herden, die nur extensiv betreut werden können. Eine tägliche Kontrolle aller Tiere, wie sie hier in Deutschland vorgeschrieben ist, ist dort nicht möglich.
  3. Die Einschleppung einer neuen Fliegenart (Lucilia cuprina), die Flystrike verursachen konnte,
  4. Ein warmes Klima.

Flystrike an sich ist dabei nichts Neues, denn wo Schafe sind, sind oft auch Fliegen. Auch in Großbritannien und Neuseeland gibt es Fälle (siehe obiges Zitat), aber das Problem ist weniger gravierend, weil dort nicht die genannten vier Faktoren zusammentreffen.

Bis Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts war Flystrike auch in Australien kein besonders großes Problem, da die Schafe keine Falten und keine Wolle an ihrem Hinterteil hatten. Das änderte sich mit der Einführung des stark faltigen Vermont-Merinoschafs (auch bei Wikipedia nachzulesen), das in den 1880er Jahren nach Australien gebracht und weitergezüchtet wurde. Man war der Meinung, mit den Falten die Hautoberfläche und somit den Wollertrag pro Tier vergrößern zu können.

Unglücklicherweise stellte sich aber heraus, dass die Vliesqualität der Vermont-Schafe schlechter war als bei den bis dato in Australien gezüchteten Merinos. Sie hatten zwar ein höheres Rohvliesgewicht, aber aufgrund des hohen Wollfettgehaltes brachten sie weniger Reinwolle (Gewicht der Wolle nach dem Waschen). Der höhere Wollfettgehalt und die Falten machten die Tiere deutlich anfälliger für flystrike. Die Wolle war weniger homogen, weniger fein, und die Ablammungsrate war geringer. Warum sie trotzdem weitergezüchtet wurden, ist mir nicht ganz klar geworden.

Die faltigen Schafe waren nun da. Aber wie kam die Fliege nach Australien? Man weiß es nicht genau. Als sie aber da war, fühlte sie sich auf den Schafen sofort heimisch und sorgte für sehr viel Tierleid und hohe Verluste. Diese Verluste waren durchaus ökonomischer Natur, denn die Wolle war damals noch viel mehr wert. Starb ein Tier, so ging nicht nur der Fleischertrag verloren, sondern auch der Wollertrag.

Die „Lösung“: Mulesing, das Entfernen der Hautfalten

Wie konnte man nun in Australien die vielen Schafe vor den Fliegen schützen und somit gleichzeitig die Verluste für den Farmer verringern? Ein gewisser Herr Mules, seines Zeichens Schafzüchter, hatte da 1929 (oder 1931, ich habe verschiedene Angaben gefunden) eine Idee. Er entwickelte die nach ihm benannte Methode, bei der dem Schaf Hautfalten in After- und Genitalbereich chirurgisch entfernt werden. Ziel der Operation ist eine Vernarbung des Gewebes, damit dort keine Wolle mehr wächst. Dadurch bieten die behandelten Tiere den Fliegen keine attraktive Brutstätte mehr und werden dementsprechend nicht von Flystrike heimgesucht.

Das Problem ist: Es wurden keine Betäubungs- und Schmerzmittel während und nach dieser Prozedur eingesetzt. Auch heute noch setzen nicht alle Farmer Schmerzmittel ein.

Auswirkungen des Mulesing auf die Tiere

Die Tiere zeigen nach dem Mulesing für 24- 48h eine eindeutige Stress-Antwort und auffälliges Verhalten: sie stehen anders, legen sich kaum hin, fressen wenig, spielen nicht und zeigen wenig soziale Interaktion. Außerdem zeigen sie starke Furcht vor der Person, die das Mulesing an ihnen durchgeführt hat, und zwar noch Wochen später. Auch die Gewichtszunahme (ein wirtschaftlich wichtiger Indikator für das Wohlbefinden des Schafs) kann bis zu 14 Tage niedriger ausfallen als üblich.

Wenn Wissenschaftler Stresslevel messen wollen, messen sie meist Cortisol-Level im Blut (Cortisol ist ein Stress-Hormon). Aber kann man so das Ausmaß des Leids eines Tieres in Zahlen ausdrücken? Das ist sicherlich wissenschaftlich fundiert – aber ich persönlich kann nicht sagen, ob ein Tier mit einem geringfügig niedrigeren Cortisol-Wert nun auch weniger gelitten hat. Angst oder Schmerzen in Zahlen auszudrücken ist für mich (und das ist meine persönliche Auffassung) immer ein Graubereich.

Aufgrund der Grausamkeit der Prozedur waren viele Schafhalter auch nicht bereit, sie selber durchzuführen, und so wurden Mulesing-Dienstleister etabliert. Auf diese Weise blieben die Schafe zutraulich zu ihren Haltern, waren aber dennoch durch das Mulesing vor Flystrike geschützt. Einige Beiträge, die ich im Netz gefunden habe, berichten davon, dass Mulesing eigentlich von Fachleuten durchgeführt werden muss. Das würde aber oft nicht gemacht, oft würde auch nicht mit den richtigen Werkzeugen gearbeitet, sodass die Tiere auf diese Weise noch einmal extra leiden. Woher diese Information kommt, kann ich nicht sagen, aus den Fachartikeln ist eine solche Praxis nicht ersichtlich.

„Behandelt“ werden mittlerweile Lämmer von 8 bis 12 Wochen, mit der Begründung, der zu entfernende Hautbereich sei kleiner als bei einem erwachsenen Tier. Die Verwendung von Schmerzmitteln ist in den Australischen Standards zum Tierwohl für Schafe nur für Tiere im Alter zwischen 6 und 12 Monaten vorgeschrieben. Übrigens beschränkt sich die Anwendung des Mulesing nicht nur auf Merinoschafe: auch Corriedales und Kreuzungen daraus wurden bzw. werden der Prozedur unterzogen.

Ist Mulesing denn wirksam?

Ja, Mulesing ist ein wirksamer Schutz vor Flystrike. Die Angaben in der Literatur liegendurchaus weit auseinander, je nachdem, wie die Untersuchung designt war und was womit verglichen wurde (gemulesed / nicht gemulesed und faltig oder gemulesed / nicht gemulesed und unbewollt, Frühling vs. Herbst etc.). Wer gerne Zahlen mag, schaut in den Artikel von Rothwell et al.

Aber: Mulesing senkt nur die Wahrscheinlichkeit für tail strike, also den Befall der Urogenitalregion. Body strike (d. h. Achselregionen o. ä.) ist bei entsprechenden klimatischen Bedingungen weiterhin möglich. Der größte Vorteil liegt offenbar darin, dass man es nur ein Mal durchführen muss und das Schaf dann sein ganzes Leben vor tail strike geschützt ist.

Argumente für den Einsatz von Mulesing

Beim Mulesing zeigen die Tiere für 24 – 48 h eine messbare Stress-Antwort (Lee und Fisher 2007). Die Stress-Antwort bei Flystrike ist offenbar vergleichbar hoch – und sie hält so lange an, bis der Flystrike behandelt wird oder das Schaf stirbt. Das kann durchaus länger dauern als die 24 – 48 h beim Mulesing.

Schafe, die einen Flystrike überlebt haben, haben meist minderwertige Wolle und sind weniger fruchtbar. Nach Berechnungen einer Kosten-Nutzen-Analyse, die im Jahr 2001 an der Universität Melbourne durchgeführt wurde, beträgt der wirtschaftliche Nutzen des Mulesing pro Schaf im Jahr durchschnittlich $1.84 bei einer Herdengröße zwischen 3700 und 7500 Schafen. Der Nutzen von Mulesing, so wird dort auch argumentiert, erhöht sich über die Lebenszeit eines Schafes – wohingegen bei alternativen Methoden zur Verhinderung des Flystrike jedes Jahr aufs Neue investiert werden muss.

Aus der Sicht eines Schafhalters hat Mulesing vor allem vor dem Hintergrund der sehr großen Herden eine Reihe von Vorteilen (nach James 2006)

  1. Schutz vor Flystrike (tail strike) mit geringstmöglichem Aufwand für den Schafhalter.
  2. Weniger verfärbte (durch Urin etc.) und verkotete Wolle und damit höherer Reinertrag
  3. Weniger crutching erforderlich (das ist das Ausscheren der Wolle im Afterbereich außerhalb der regulären Schur zur Wollernte)
  4. Leichteres Scheren
  5. Weniger Arbeitsaufwand für die Inspektion der Herden und das Behandeln befallener Tiere
  6. Weniger (giftige) chemische Rückstände in der Wolle (weil weniger Ektoparasitenmittel verabreicht werden müssen)
  7. Abstimmen des Scherzeitpunktes mit der Wollqualität (und nicht nur zur Schadensbegrenzung wegen der Fliegen)

Die National Farmers Federation in Australien argumentiert, dass mulesing der effektivste und praktischste Weg ist, um Flystrike zu verhindern. Ihren Berechnungen zufolge würden sonst 3 Mio. Schafe jedes Jahr daran kläglich verenden.

Wer hier noch ein kleines bißchen tiefer gehen möchte, kann sich auf dem Blog „Mulesing & Welfare“ umschauen. Dort wird das Thema sehr sachlich, ebenfalls ohne Bilder und leicht verständlich (auf Englisch) aufbereitet. Über den Autor steht dort allerdings nur, dass er ein französischer Master-Student im Animal Welfare Program der Uni in Vancouver (Kanada) ist. Ein Impressum ist nicht zu finden, ich kann also die Vertrauenswürdigkeit nicht einschätzen. Die Art der Darstellung des Themas erscheint mir jedoch fundiert und vertrauenswürdig.

Mulesing war seit seiner Einführung umstritten

Seit das Verfahren in Australien eingeführt wurde, wurde es auch von vielen Farmern als grausam abgelehnt. Alternative Verfahren wurden gesucht und gefunden, aber keines schien so erfolgreich Flystrike zu verhindern wie das Mulesing (dazu weiter unten mehr).

Am Ende setzte sich Mulesing aber trotz der Grausamkeit durch. Das lag zum einen wohl an der Effizienz, mit der Flystrike verhindert werden kann, zum anderen wohl aber auch an einer ordentlichen Portion Lobbyarbeit.

Mein persönlicher Eindruck ist hier (und ich kann mich hier durchaus irren): Durch das Etablieren der Dienstleister hatten die Schafhalter einen Schritt mehr Abstand zur Grausamkeit, und die Einführung fiel ihnen vielleicht einen Tacken leichter. Wenn ich meinen Tieren nicht selbst wehtun muss, sondern es andere für mich tun, ist mir das Leid nicht ganz so nah. Zudem: wenn ich nicht 100 oder 500 Tiere versorgen muss, sondern 6000, dann bewegen sich auch handling und Logistik in einem ganz anderen Rahmen und bilden eine ganz andere Entscheidungsgrundlage.

Alternativen: Pest oder Cholera oder ganz viel Arbeit

Was sind denn nun die Alternativen? Die Schafe nicht dem Mulesing unterziehen, dafür aber riskieren, dass sie elendiglich an Flystrike zugrunde gehen? Es erscheint mir wie die Wahl zwischen Pest und Cholera. Die Praxis ist entsetzlich, das steht außer Frage. Aber kein Mulesing durchführen und die Schafe verenden zu lassen erscheint mir auch nicht die richtige Lösung.

Über die Jahre, ich sagte es schon, gab es viele Ansätze für alternative Verfahren. Nicht alle davon waren weniger schmerzhaft, und keines war so überzeugend, dass es wirklich Fuß fassen konnte. Im Folgenden gebe ich eine Übersicht dazu, die allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

Man kann die Verfahren grob in zwei Kategorien unterteilen: Verfahren, die Haut entfernen und Verfahren, die keine Haut entfernen.

Entfernung der Haut durch andere Verfahren

Verwendung von Clips

Ähnlich wie bei der Gummiring-Methode, mit der hierzulande die Schwänze kupiert (gekürzt) werden, setzt man spezielle Clips ein, die die Hautfalten abklemmen. Dadurch wird die Durchblutung verhindert, die Haut stirbt ab und vernarbt. Auch diese Methode ist wohl schmerzhaft. Zieh Dir mal einen Gummi oder eine Schnur eng um einen Finger für ein paar Minuten und probier es aus.

Chemisches Mulesing

Im Jahre 1938 meldete ein Tierarzt namens Lewis Manchester eine Methode zur Prävention von Flystrike bei Schafen zum Patent an (Manchester Verfahren). Dabei wird derselbe Hautbereich wie beim Mulesing mit einer stark ätzenden Flüssigkeit (z. B. Kalilauge) betupft, und zwar so lange, bis die Wolle anfängt sich aufzulösen. Wer schon einmal die Warnhinweise auf einer Flasche Kalilauge gesehen hat, wird ahnen können, dass diese gezielte Verätzung höllisch weh tun muss. Der Heilungsprozess kann sich bis zu 11 Wochen hinziehen – das sind fast 3 Monate. Zum Vergleich: Die Wunde nach dem Mulesing ist meist nach ca. 5 Wochen abgeheilt.

Durch die verlängerte Wundheilung waren die Schafe auch noch länger anfällig für Flystrike. In der Literatur wird berichtet, dass die Personen, die die Tiere so behandelten, diese Methode grausam fanden.

Neben Kalilauge wurde auch mit Quaternären Ammoniumverbindungen sowie Phenol und anderen Proteine denaturierenden Substanzen experimentiert. Diese Substanzen mussten allerdings in Dosen verwendet werden, die teilweise für die Tiere tödlich und auch für die Operatoren nicht ungefährlich waren (Aufnahme über die Haut in den Körper). Es wurden zwar Applikatoren für diese Methode entwickelt und patentiert, aber so richtig fassten auch all diese Varianten nicht Fuß. Offenbar waren sie arbeitsintensiver und auch weniger effektiv als das Mulesing.

Kältebehandlung

Das Entfernen von Hautbereichen durch Erfrierungen wurde ebenfalls erprobt. Dafür wurden zum Beispiel Brandeisen verwendet, die in einer Mischung aus Trockeneis und Methanol gekühlt waren (bis -70 °C). Alternativ wurde die Haut mit Flüssigstickstoff (-196 °C) oder cryogenen Gasen behandelt, allerdings führte das nicht zu einer dauerhaften Verhinderung des Wollwachstums. Alles, was oberhalb von -20 °C blieb, führt zu unvollständiger Nekrose des Gewebes. Die Haut konnte sich somit wieder regenerieren (was an sich schon ein kleines Wunder ist) und somit irgendwann auch wieder Wolle produzieren. Eine solche Behandlung hätte also in regelmäßigen Abständen wiederholt werden müssen (während bei Mulesing nur ein Eingriff erforderlich ist). Und da sind wir wieder bei den enormen Herdengrößen und den damit verbundenen logistischen Schwierigkeiten.

Ionisierende Strahlung

Zwischen 1987 und 1991 wurden über 5 Mio. Dollar ausgegeben für Versuche mit ionisierender Strahlung an über 1000 Schafen. Durch die Strahlung konnte zwar das Wollwachstum zunächst unterbrochen werden, allerdings konnte sich die Haut auch hier nach einer Weile wieder erholen und es kam erneut zu Wollwachstum (und somit der Gefahr des Flystrike). Wenn die Strahlungsdosis erhöht wurde, um die Regenerationsfähigkeit der Haut komplett zu zerstören, kam es zu verstärkter Vernarbung. Die Narben und der Heilungsprozess waren offenbar auch schmerzhaft für die Tiere, und während der Heilung waren sie aufgrund der gebildeten nässenden Wunde wiederum anfälliger für Flystrike.

Photodynamische Therapie

Beim Menschen wird photodynamische Therapie beispielsweise bei der Behandlung von Hautkrebs eingesetzt. Betreffende Hautpartien werden mit einer speziellen Creme bestrichen, deren Wirkstoff in die Haut eindringt. Wird die Haut anschließend mit Licht einer bestimmten Wellenlänge bestrahlt, kommt es zur Freisetzung von aggressivem Sauerstoff (Sauerstoff-Radikale, sog. photodynamischer Effekt), der wiederum die behandelten Hautzellen zum Absterben bringt.

Bei den Schafen wird das ähnlich gemacht. Die gewünschte Region (d. h. der Po) wird geschoren, mit einer Substanz bestrichen (5-Amino-Levulinsäure, wen es interessiert) und nach 3- 10 Stunden mit sehr hellem rot-gelbem Licht (600 – 700 nm, d. h. im sichtbaren Spektrum) bestrahlt. Hierbei wird gezielt die Haarwurzel zerstört. In einem Feldversuch 1999 – 2001 konnte gezeigt werden, dass diese Methode fast genauso gut vor Flystrike geschützt hat wie das Mulesing. Ob dieses Verfahren für die Tiere schmerzhaft war, ging leider nicht aus dem Artikel hervor. Trotz dieser verheißungsvollen Ergebnisse hat diese Methode bis heute nicht Fuß gefasst.

Enzymatische Behandlung der Haut

Ein sehr interessanter Ansatz ist die Behandlung der Haut mit natürlich vorkommenden Enzymen*. Forscher hatten herausgefunden, dass sie mit bestimmten Enzymen (Collagenase, ein Collagen-abbauendes Enzym, und sog. Matrixmetalloproteinasen) ganze Follikel aus der Haut isolieren konnten. Die so isolierten Follikel waren nicht mehr lebensfähig – also perfekt, wenn man das Wollwachstum verhindern will.

Was hat man nun gemacht? Man hat in den betroffenen Bereich eine Collagenase-haltige Lösung in die Haut injiziert. Die daraufhin eintretende Reaktion war anscheinend vergleichbar mit dem, was auch nach dem Mulesing-Eingriff mit der Haut passiert – aber ohne die Schmerzen. Offenbar setzte aber einige Wochen nach der Behanldung wieder etwas Wollwachstum ein, sodass man von dieser Methode auch nichts wieder gehört hat.

*natürlich vorkommend meint in diesem Fall vermutlich: Collagenasen und Matrixmetalloproteinasen kommen natürlicherweise in den Geweben vor. Für die Injektionen wurden aber sicher biotechnologisch hergestellte Enzyme verwendet. Wenn man die natürlichen Enzyme verwenden will, muss man sie aus irgendwas isolieren (so wie früher Insulin aus Schweinepankreas). Dafür bräuchte man dann wieder ganz schön viel Schafhaut und hätte eine Menge Arbeit. Biotechnologisch ist verlässlicher und skalierbarer.

Alternativen ohne Entfernung oder Behandlung der Haut

Scheren und Beobachten

Durch häufigeres Scheren des Hinterbereiches der Schafe wird verkotete und urin-verfärbte Wolle vom Schaf entfernt und so die Attraktivität für die Fliegen herabgesetzt.
Die praktische Umsetzung dürfte allerdings viel Arbeit bedeuten (und wieder: Stichwort Herdengröße), und häufigeres Scheren alleine reicht nicht aus, um Flystrike in den Griff zu bekommen. Zusätzlich müsste der Schafhalter das Wetter im Auge haben (wegen der Feuchtigkeit) sowie den Jahreszyklus und das Vorkommen der Fliegen in seinem Weidegebiet. Bei verstärktem Fliegenaufkommen muss er seine Tiere häufiger überprüfen, um einen Befall rechtzeitig erkennen und versorgen zu können. Die Verwendung von speziellen Fliegenfallen kann die Anzahl der Fliegen im Weidegebiet drastisch reduzieren.

Verwendung von Insektiziden

Insektizide werden häufig eingesetzt, um Schafe vor Ektoparasitenbefall zu schützen. Dafür werden die Schafe einer Tauchprozedur unterzogen (engl dipping), bei der das komplette Schaf für eine Weile untergetaucht wird (auch der Kopf). Es gab bei Nordwolle vor einer Weile mal ein Video dazu (Achtung, die Bilder sind echt nicht schön! Marco reagiert auf Sheep Dipping).

Das Ding ist folgendes: Insektizide sind halt giftig. Es sind z. B. Organophosphate oder organische Fluorverbindungen, die, wenn sie aus dem Vlies ausgewaschen sind, zu weiteren giftigen Verbindungen abgebaut werden können und in den Boden gespült werden.

Züchterische Selektion

Die Züchtung von Schafen, die keine Falten haben und idealerweise am Hinterteil auch nicht bewollt sind, wäre natürlich die beste Lösung. Es gibt einige Schafrassen, die diese Ausstattung schon haben (z. B. Wiltshire Horn, Border Leicester). Allerdings können prinzipiell auch andere Körperteile als die After-Region von Flystrike betroffen sein, sodass selbst faltenfreie Schafe ohne Bewollung am Hinterteil immer noch nicht komplett vor Flystrike geschützt wären.

Neueste Forschungen untersuchen, wie man durch genetische Selektion von Schafen mit bestimmten immunologischen Eigenschaften die Anfälligkeit für Flystrike reduzieren kann. Diese Anfälligkeit kann sich nämlich auch im Immunsystem zeigen – manche Schafe haben bei Madenbefall eine Immunreaktion, die den Befall eindämmen kann, und manche eben nicht. Die züchterische Selektion robusterer Tiere ist allerdings ein längerer Prozess.

Impfung

Eine Impfung mit Larven-Antigenen kann offenbar den Fliegenbefall sowie die Größe der entstehenden Wunden reduzieren. Wie der Mechanismus genau funktioniert, weiß man noch nicht. In die Entwicklung von Impfstoffen hatte man große Hoffnungen gesetzt, aber offenbar ist der große Durchbruch bis heute nicht gelungen.

Der heutige Stand der Dinge

Fakt ist: Mulesing ist in Australien Regeln unterworfen, die sowohl Anforderungen an die Qualifikation der durchführenden Personen stellen als auch die Anwendung von Schmerzmitteln vorschreiben – wenn auch nur in einem bestimmten Altersfenster (wie oben schon einmal beschrieben).

Auf öffentlichen Druck sollte das Verfahren in Australien ab 2010 verboten werden. Jedoch wurde diese Entscheidung Ende 2009 wieder zurückgenommen, weil die heilbringende Alternative (nämlich ein Impfstoff, auf den man gesetzt hatte), sich nicht materialisierte. 

In Neuseeland ist die Praxis hingegen seit dem 01. Oktober 2018 verboten. Dort hat man durch eine Kombination aus verschiedenen Maßnahmen (hauptsächlich Züchtung) geschafft, den Flystrike anderweitig in Schach zu halten.

In Australien hofft man heute immer noch auf das Flystrike-Vakzin und überlegt eine neue Deadline zur Abschaffung des Mulesing in 2030. Ob diese Deadline wirklich offiziell wird, weiß man nicht, denn es ist längst nicht sicher, ob bis dahin ein verlässlich wirksames Vakzin verfügbar sein wird.

Nun liegt es an den Schafhaltern, sich nach Alternativen umzusehen und sie einzusetzen, um ihre riesigen Herden vor Flystrike zu schützen und gleichzeitig kostendeckend zu arbeiten.

Die Tierschutzvereinigung Vier Pfoten zitiert einen von ihnen beauftragten Bericht, der die Umfragedaten von 97 Schafhaltern aus Australien auswertet, die z. B. mit genetischer Selektion eine Abkehr vom Mulesing geschafft haben
(der Bericht „Towards a non-mulesed future“ und aufbereitet als Blogartikel).

Diesen Artikel habe ich nur unter Vorbehalt gelesen, und ich zitiere ihn hier nur um zu zeigen, dass es durchaus züchterische Bemühungen gibt, in Zukunft mulesingfrei zu arbeiten. Meine Bedenken sind folgende:

  • Punkt 1: Er ist von Vier Pfoten in Auftrag gegeben worden. Wie unabhängig die mit der Umfrage und dem Bericht beauftragte Organisation ist, kann ich nicht beurteilen. Der Bericht zeigt nur Ergebnisse, die mit den Werten und Zielen von Vier Pfoten übereinstimmen und keine Kritikpunkte.
  • Punkt 2: Der Bericht enthält keine Rohdaten, und auch in das Fragendesign oder die Rücklaufquote erhält man keinen Einblick. Wie aussagekräftig oder repräsentativ er ist, geht aus dem Bericht nicht hervor. Schlecht designte Fragen und eine nicht repräsentative Rücklaufquote verfälschen das Bild.
  • Punkt 3: Mich macht etwas stutzig, dass innerhalb von 5 Jahren Zuchterfolge erzielt worden sein sollen. Normalerweise ist Zuchtarbeit eine Lebensaufgabe für einen Schäfer. In 5 Jahren sind gerade einmal 5 Generationen Schafe umfasst, das ist züchterisch sehr wenig. Bei der Zucht gibt es keine schnellen Lösungen und auch keine Abkürzungen.

Entscheidet selbst, ob ihr diesem Bericht Vertrauen schenkt oder nicht. Ich bin skeptisch. Wenn das so einfach und auch noch profitabel wäre, warum machen es dann nicht längst alle?

Mulesing – geht das auch in Deutschland?

Zuallererst: In Deutschland verbietet das Tierschutzgesetz, mit Schmerzen verbundene Eingriffe an Wirbeltieren ohne Betäubung durchzuführen (§ 5). Nach der Nutztierhaltungsverordnung muss jedes Tier jeden Tag in Augenschein genommen werden, und es darf ihm kein Leid zugefügt werden. Mulesing ist also nicht explizit verboten, aber die geltenden Vorschriften machen es de facto aus meiner Sicht unmöglich. (Ein explizites Verbot von Mulesing, so wie es in verschiedenen Blogartikeln behauptet wird, habe ich nicht gefunden.)

Bei in Deutschland gehaltenen Merinoschafen handelt es sich zudem meistens um Merinolandschafe oder Merinofleischschafe. Diese Merinoschafe unterscheiden sich genetisch (und auch äußerlich, also phänotypisch) von den Australischen Merinos. Deutsche Merinos haben weniger Falten und sind dementsprechend weniger anfällig für Flystrike, sodass Mulesing bei ihnen auch nicht erforderlich ist.

Mulesingfreie Wolle – gibt es eine Zertifizierung?

Nach diesem Artikel von Vier Pfoten sind schon über 3000 Australische Schafhalter als Mulesing-frei zertifiziert. Wer dieses Zertifikat allerdings ausstellt und was die Zertifizierung beinhaltet, konnte ich leider nicht herausfinden. Möglicherweise war auch einfach nur die Meldung an das National Wool Declaration-System damit gemeint (offenbar wird hier erfasst, welchen Mulesing-Status eine Wolle hat).

Bei der Recherche für Zertifizierungen ist mir der Responsible Wool Standard begegnet, der hohe Standards für die gesamte Lieferkette festlegt (und hier noch ein Artikel auf Deutsch).

Mein Fazit: Es ist nicht schwarz-weiß. Und ich habe noch Fragen.

Schafhaltung in Australien funktioniert anders als hier in Deutschland. Während in Deutschland die durchschnittliche Herde ca. 160 Tiere umfasst (Stand 2017) und der Tierschutz vorsieht, dass die Tiere täglich überprüft werden müssen, ist das in Australien bei den dortigen Herdengrößen (zwischen 2000 und 6000 Tieren, je nach Region) teilweise gar nicht möglich. Oft sind die Tiere sich selbst überlassen und werden nur 1x im Jahr zur Schur mit Hubschraubern und Pferden zusammengetrieben (so wurde es mir berichtet von einer Spinn-Kollegin, die mal einige Jahre in Australien gewohnt hat). Das Schlüsselwort ist hier Massentierhaltung, und zwar in Kombination mit Zucht auf maximalen Wollertrag pro Tier. Der Begriff „Überzüchtung“ springt mir auch in den Kopf.

Woher kommen diese riesigen Herdengrößen? Ich vermute: Es ist ein Zusammenspiel zwischen riesigem Wollbedarf und der Entfernung des Menschen vom Schaf als Lebewesen. Wie auch Tiere in der Massentierhaltung für die Lebensmittelproduktion werden Schafe als eine Art Commodity behandelt. Etwas, was man optimieren kann. Maximaler Ertrag bei minimaler Weidefläche. Wissenschaftlich in Zahlen gepresst. Wenn ich den Wollertrag pro Tier um X Gramm erhöhen kann, dann kann das Endprodukt um Y Dollar günstiger verkauft werden.

Wenn ich eine Herde mit 6000 Tieren habe und 3 Mitarbeiter, dann ist einfach mal klar, dass ich nicht jedes Schaf jeden Tag ansehen kann. Dann bleibt mir als Schafhalter, wenn ich mit den Tieren, die ich nun mal habe, wirtschaftlich arbeiten will, vielleicht nichts anderes übrig als „Augen zu und durch“. Einmal Mulesing und das Schaf ist ein Leben lang geschützt – zumindest vor tail strike. Das ist doch wirtschaftlicher und weniger aufwändig, als ständig Popos zu scheren und Schafe zu dippen. Zumal sie ja definitiv auch leiden, wenn sie befallen werden.

Die Triebkraft dahinter, der Maximierungsdruck, kommt vielleicht noch nicht mal von den Farmern und Schafhaltern selbst. Ich möchte nicht jedem Farmer Gier unterstellen, denn ich glaube nicht, dass er (oder sie) mit Wolle so richtig reich werden kann. Vielleicht entspringt dieser Druck eher aus der in der Verarbeitungskette dahinterliegenden Industrie. Er entspringt vielleicht aus der Tatsache, dass die Menschen heute weit entfernt sind von den Prozessen, die ihnen Kleidung und Essen bringen. Dass fast niemand mehr den gesamten Herstellungsprozess von vorn bis hinten selbst durchführt, sondern alles zerstückelt und über den Globus verteilt ist.

Wäre Mulesing denn akzeptabel, wenn es nicht nach dem Gießkannenprinzip bei jedem Schaf prophylaktisch durchgeführt würde, sondern unter Verwendung von ausreichenden (!) Mengen Schmerzmitteln und nur dann, wenn die Inzidenz für Flystrike andernfalls nachweislich sehr hoch ist? Wo ist die Grenze?

Selbst jetzt, obwohl ich mich lange und intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt habe, kann ich immer noch nicht einschätzen, ob das durch Flystrike verursachte Tierleid nicht doch größer wird, wenn Mulesing sofort gestoppt wird. Das Stoppen des Mulesing alleine reicht vielleicht gar nicht aus, wenn die Herden gleich groß bleiben.

Mulesing hängt offenbar auch eng mit der Herdengröße zusammen. Müsste man dann nicht die Herdengrößen verringern? Geht das überhaupt? Sind nur so große Herden wirklich wirtschaftlich? Muss man sich vielleicht einfach mal von der beliebigen Skalierbarkeit landwirtschaftlicher Produkte verabschieden und akzeptieren, dass nicht immer alles jederzeit in unbegrenzer Menge verfügbar ist? Weil Wolle mehr wert ist? Auf der anderen Seite: sehr große Herden gab es auch schon, als Australien noch gar keine Kolonie war… Es ist einfach nicht schwarz weiß.

Für mich ist klar: Ich will das nicht. Ich will nichts aus Wolle anziehen und auch nicht verarbeiten, wenn ein Schaf so behandelt wurde. Wie ein Stück leblose Materie. Es erinnert mich an meinen Geschichtsunterricht, im Abitur, als wir Descartes durchgenommen haben. Erinnert ihr euch? Der Typ, der meinte, Tiere sind eher so Automaten und haben keine Seele? Und wenn man sie ohne Narkose seziert, dann sind das keine Schmerzensschreie, sondern einfach nur automatisch ablaufende Reflexe? Das hat mich schon damals gegruselt. Es nannte sich „Aufklärung“.

Und klar, ich kann mich darauf zurückziehen, dass ich sowieso keine Wolle aus Australien trage und verarbeite, sondern in letzter Zeit nur noch regionale Wolle, wo ich sogar die Schafe selbst kenne. Aber reicht das?


Quellenangaben

Hier findet ihr zum Nachlesen und Selbststudium einige Literaturangaben. Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit, auch nach der Veröffentlichung habe ich viele weitere Quellen gefunden. Eine gute Hilfe sind auch Google Scholar und Research Gate.

Philip Walling “Counting Sheep. A Celebration of the Pastoral Heritage of Britain” ; ISBN 978-1846685057

J Rothwell, P Hynd, A Brownlee, M Dolling, S Williams. Research into alternatives to mulesing. Australian Veterinary Journal Volume 85, No 1, January 2007

CJC Phillips. A review of mulesing and other methods to control flystrike (cutaneous myiasis) in sheep. Animal Welfare 2009, 18:113 – 121. ISSN 0962-7286

AC Kotze and PJ James. Control of sheep flystrike: what’s been tried in the past and where to from here. Australian Veterinary Journal Volume 100 No 1-2, January-February 2022

J Sneddon, B Rollin. Mulesing and Animal Ethics. J Agric Environ Ethics (2010) 23:371-386

P James. Genetic alternatives to Mulesing and tail docking in sheep: a review. Australian Journal of Experimental Agriculture 2006 (46) 1-18.

THE STRUCTURE AND DYNAMICS OF AUSTRALIA’S SHEEP POPULATION. https://www.agriculture.gov.au/sites/default/files/sitecollectiondocuments/animal-plant/animal-health/livestock-movement/sheep-movement-ead.pdf

The Western Australian Sheep Industry
https://www.agric.wa.gov.au/sites/gateway/files/WA%20Sheep%20Industry%20booklet%202017.pdf

Industry projections 2021 (Meat & Livestock Australia)
https://www.mla.com.au/globalassets/mla-corporate/prices–markets/documents/trends–analysis/sheep-projections/mla-june-update-sheep-industry-projections-2021.pdf?utm_campaign=197809_Sheep%20flock%20to%20increase%20to%20over%2068%20million&utm_medium=email&utm_source=Meat%20%26%20Livestock%20Australia&dm_i=4PKB,48MP,8YMQ6,ET3H,1

Changes in the demographics of the NSW sheep flock
https://www.dpi.nsw.gov.au/__data/assets/pdf_file/0011/543548/Paper-2-demographics-with-ageing-appendix.pdf

Edwards L. “Lamb mulesing: Impact on welfare and alternatives” February 2012CAB Reviews Perspectives in Agriculture Veterinary Science Nutrition and Natural Resources 7(061) DOI:10.1079/PAVSNNR20127061

C Lee, AD Fisher Welfare consequences of mulesing of sheep (Abstract) First published: 13 March 2007

Ist Wolle nachhaltig? Ein Fragegewitter.

Wolle ist nachhaltig. Das kann man in jeder Werbebroschüre zum Thema lesen. Mir gehen in letzter Zeit dennoch ziemlich viele Fragen dazu durch den Kopf. In diesem Artikel gebe ich keine Antworten. Nur Anregungen zum Weiterdenken und miteinander diskutieren.

Ist Wolle nachhaltig?

Ist Wolle nachhaltig, weil sie ein nachwachsender Rohstoff ist?

Ist Wolle immer nachhaltig?

Wann ist Wolle nachhaltig?

Ist Wolle noch nachhaltig, …

  • … wenn sie einmal um den Globus geschifft wurde?
  • … wenn sie mit umweltschädlichen Chemikalien behandelt wurde, um maschinenwaschbar zu sein?
  • … wenn sie mit umwelt- und gesundheitsschädlichen Stoffen gefärbt wurde?
  • … wenn sie als Wegwerfprodukt eingesetzt wird?
  • … wenn sie mit Chemiefasern gemischt wird?
  • … wenn sie regional erzeugt wurde, dann aber entsorgt werden muss, weil ihre Qualität nicht der von australischer Merino entspricht?
  • … wenn sie von riesigen Herden stammt (Stichwort Massentierhaltung), die aber frei und artgerecht leben können?
  • … wenn die Tiere dafür so auf maximalen Wollertrag gezüchtet wurden, dass ihnen Hautlappen entfernt werden müssen, um Parasitenbefall zu verhindern?
  • … wenn das Tier als Gebrauchsgut betrachtet wird, in das man einen Betrag x als Futter und Pflege investiert und dann einen Betrag y für Fleisch und Wolle bekommt? (Damit meine ich nicht die reine Wirtschaftlichkeit. Landwirtschaft funktioniert sonst nicht.)

Muss man für wirkliche Nachhaltigkeit nicht das gesamte System betrachten? Tier, Landschaft und Mensch?

Was ist nachhaltig?


Jahresrückblick 2021: Wolle. Bloggen. Eigene Website.

Was für ein verrücktes Jahr! Es war kein schnelles, kein hektisches, aber eines mit Unwägbarkeiten. Mit Unsicherheiten. Mit Neuanfängen. Und mit viel Wolle 🙂 . Einen großen Anteil an den Unwägbarkeiten hatte natürlich Corona. Aber darum soll es in meinem Jahresrückblick 2021 gar nicht gehen, sondern vielmehr darum: Was habe ich draus gemacht? Und ich finde: Ich habe einen tollen Anfang gemacht. Was das für ein Anfang ist, weiß ich noch nicht so genau. Aber der Samen ist gelegt, die Erde ein bißchen festgeklopft, und jetzt heißt es : Gießen, abwarten, Tee trinken und ab und an mal nachsehen. Unkraut ziehen und Schnecken absammeln.

Ich bin ja kein Fan von Neuahrsvorsätzen und Mottos, aber wenn ich mir ein Motto gegeben hätte, dann wäre es wahrscheinlich dieses gewesen: Einfach mal machen. Könnte ja gut werden… Manche Samen werden aufgehen, andere vielleicht nicht. Das wird sich zeigen.

Wenn ich mein 2021 also in wenigen Worten zusammenfassen sollte, dann wären es diese:

Wolle. Bloggen. Eigene Website.

Mein 2021 in vier Worten

Meine Pläne für 2021 – es gab sie nicht wirklich

Feste Ziele hatte ich für 2021 nicht vor Augen – vor dem Hintergrund des Großen C erschien mir das nicht wirklich sinnvoll. Die Dinge zu nehmen, wie sie kommen und einfach den Kopf über Wasser halten zu können, das war mir Ziel genug. Und wie sich herausstellte, war das auch eine gesunde Einstellung. Nichts war wirklich planbar und die meisten Dinge habe ich frei fliegend gehandhabt.

Auf einer Seite in meinem Bullet Journal standen im Januar so Dinge wie

  • “Wollprojekt – Recherche”,
  • “Japanischen Färberknöterich anbauen und vielleicht damit färben”,
  • “vom Schaf zum Pullover”,
  • “Zeitreihe färben”,
  • “Wollvorrat abbauen “ und
  • “bei einer Schafschur mitmachen”.

Einiges davon konnte ich in Angriff nehmen, anderes wartet auch im nächsten Jahr noch auf mich. Und wieder anderes war Anfang des Jahres noch gar nicht absehbar – wie zum Beispiel dieser Blog hier 🙂

Wolle – es ist alles nicht so einfach

Regionales Garn herstellen mit Elke von Tulliver Yarn

Das wohl größte Abenteuer dieses Jahr war die Weiterführung des Projekts #regionalewolle, in das ich mit Elke von Tulliver Yarns aufgebrochen bin. Wir hatten auf Elkes Blog schon darüber berichtet: In 2020 hatten wir bereits mehrere Schafschuren besucht, Wollproben verschiedener Schafrassen gesucht und gefunden, aus denen ich Spinnproben anfertigte. Mit den vielversprechendsten Kandidaten fuhren wir dann zur Kleinen Spinnerei, um ein erstes Gefühl für mögliche Garne zu bekommen (wir berichteten hier).

31 kleine Stränge verschiedenfarbiger Garne, alle handgesponnen, liegen auf einem Lattentisch.
Die 31 Spinnproben, die ich für unser Projekt angefertigt habe.

Anfang des Jahres 2021 hatte ich dann eine große Kiste voller selbst gesponnener Garnproben von Schafen aus der Umgebung, erste sehr schöne Garne aus der Kleinen Spinnerei und einen Sack voll vielversprechender Wolle, von der ich Ende 2020 einen Teil zum Test-Waschen geschickt hatte – schließlich mussten wir erst mal in Erfahrung bringen, ob das Waschverfahren des vorgesehenen Dienstleisters die Fasern so sauber bekommt, dass sie von einer Spinnerei verarbeitbar sind.

Nach über 2 Monaten kam sie dann Ende Januar zurück – und wir mussten leider feststellen, dass sie zwar gewaschen war, aber sauber war sie nicht. Die Wolle war grau statt weiß, und aus den verklebten Spitzen rieselte immer noch Dreck. So konnte sie nicht zur Spinnerei, und wir waren froh, erst mal nur eine kleine Menge beauftragt zu haben, so waren die finanziellen Verluste verschmerzbar. Der Plan ist also nicht aufgegangen und wir mussten alles nochmal auf Anfang setzen.

Unsere ersten Pilot-Garne aus der Kleinen Spinnerei – das war definitiv ein Highlight!

Wir sprachen also weiter mit Wollverarbeitern, halfen wieder bei Schafschuren mit und recherchierten die Logistik, die erforderlich ist, Wolle eines Schäfers von A nach B zu schaffen. Besuche bei Spinnereien mussten wir aufgrund des Lockdowns auf unbestimmte Zeit verschieben. Aber wir haben weiter Kontakte geknüpft, unter anderem mit der Elbwolle. Daraus entsprang schließlich die erste Charge Tulliver Sheep Brandenburger Merino, parallel zu Lockdown und Co. Das Garn war im Juli fertig gesponnen und ein Teil musste dann noch einen Umweg über die Färberei nehmen. Anfang September war es endlich (auf Konen gewickelt) bei Elke in der Werkstatt (hier ist ihr Instagram Post dazu).

Für Elke begann damit die Arbeit erst so richtig: Probefärbungen, Logo und Etiketten machen, Garne von den Konen abhaspeln und nochmal waschen, fotografieren, in den Shop stellen…parallel zu allem, was halt sonst noch so anfiel in dieser verrückten Zeit. Es war schon echt eine Menge Arbeit. Unglücklicherweise war ich zu dieser Zeit familiär sehr stark eingebunden und musste etwas kürzer treten, so dass die große Release-Party einfach mal nicht drin war. Aber auch das fällt für mich unter Nachhaltigkeit: achtsam mit den eigenen Ressourcen umgehen.

Schafschuren und was ich über Wolle und Wollverarbeitung gelernt habe

Parallel zum Garnprojekt haben Elke und ich über den Sommer verteilt wieder bei mehreren Schafschuren mitgeholfen, zum Beispiel bei Sigis Schafen und bei Carina. Ich habe Wolle sortiert, mein erstes Vlies auf den Sortiertisch geworfen (yay!) und mein Auge und meine Finger geschult, was gute Wolle ist und was nicht (o Mann, die Shropshires aus 2020…das war im Vergleich zu Carinas Coburger Füchsen die reinste Fakir-Wolle, die wohnen in einer Tannenbaumplantage!). Durch Sigis Bunte Skudden habe ich sogar mal einen Abstecher in Vererbung und Genetik gemacht.

Kathrin steht vor einer Wiese, auf der im Hintergrund kleine weiße Skudden stehen und grasen. Es liegt gelbes Laub auf dem Boden.
Zu Besuch auf dem Skuddenhof Weseram – Herr Behling wusste zu berichten, dass die Skudden in der Pandemiezeit tatsächlich scheuer geworden sind, weil eindeutig weniger Besucher auf dem Hof waren als in den Jahren davor.

Ich bekam ein besseres Gefühl für die Dimensionen von Wolle. Ein Big Bag voll wiegt 50 kg, den kann ich nicht mehr bewegen, geschweige denn ihn in ein Auto hieven. Das Wissen, was gute Wolle ist, kann man sich nicht anlesen, man muss es praktisch lernen (wie gut, dass ich einen Weiterbildungskurs zum Thema „Schafhaltung und Verarbeitung der Produkte in der heutigen Zeit“ belege und sogar praktische Anleitung bekomme). Kaum jemand macht sich noch die Mühe, seine Wolle bei der Schur zu sortieren. Das ist aber zwingend notwendig, wenn man ein gutes Produkt bekommen will.


Was habe ich gelernt?

  • In Deutschland fehlt ein zentrales Wool Marketing Board, so wie es in Großbritannien gemacht wird. Die Schäfer dort können auch kleinere Mengen hinbringen, es wird rund ums Jahr in riesigen Hallen sortiert. In Deutschland gibt es einzelne Initiativen (man denke nur an die Sammelstellen von Nordwolle), aber keine zentrale Einrichtung.
  • Das Wissen um gute Wollqualität (und wie man sie erreicht) verschwindet. Woll-Sortierer gibt es in Deutschland meines Wissens nicht mehr, in Großbritannien (und ich glaube auch Norwegen) ist es hingegen ein Ausbildungsberuf, der viel Erfahrung und eine lange Ausbildung erfordert.
  • Es gibt regulatorische Auflagen, die beachtet werden müssen. Sobald Wolle von mehr als einem Schäfer an einem Ort lagert, sind regulatorische Auflagen der EU im Spiel, die für Einzelpersonen kaum zu händeln sind, erst recht nicht für die Schäfer und Schafhalter, die ohnehin schon sehr viele Auflagen haben.

Bloggen und meine eigene Website – steile Lernkurven inklusive

Damit ich von meinem Projekt und all meinen Spinnereien auch erzählen kann, hatte ich im Mai die Idee, dass ich das doch auch in einem Blog tun könnte. Kann ja nicht so schwer sein (gnihihi…seufz). Also hab ich mir im Juni diese schöne Domain besorgt und mich auf die Suche nach einem hoster gemacht. Klingt immer so einfach und schnell, isses aber nicht, vor allem, wenn man wie ich nur ein rudimentäres Verständnis davon hat, wie das Internet funktioniert. Bis ich eine ungefähre Vorstellung hatte, was ein authorization header ist und was der macht…ach, nicht fragen. Ich hab es schon wieder vergessen.

Kathrin sitzt am Rechner, mit einer Kaffeetasse in der Hand, und lächelt in die Kamera. im Hintergrund ist auf dem Bildschirm Judith Peters von der Content Society zu sehen sowie ein Bücherregal.
Hier bin ich gerade der Content Society beigetreten – ein Glück hab ich das in einem Bild festgehalten! Beim Bilder machen muss ich echt noch üben…

Im Hintergrund läuft eine Menge, bis so ein Blogartikel mal auf der Website ist. Die Lernkurve für mich war steil, aber mit dem Ergebnis bin ich sehr zufrieden, auch wenn ich erkennen musste, dass ein Blog ein work in progress und niemals wirklich fertig ist.

Und weil das Bloggen in einer Community einfach leichter ist, habe ich bei einigen Blog-Challenges mitgemacht und bin letztlich in The Content Society gelandet. Hier finde ich viel Inspiration und habe eine Blog Buddy, mit der ich mich regelmäßig austausche und Ideen-Ping-Pong spiele. Ohne sie wäre z.B. mein Artikel über Fairy Lights nie erschienen 🙂

Screenshot des Blogbeitrages "Wohin nur mit der ganzen Wolle? Was man mit Schafwolle alles machen kann" auf der Seite des Brandenburger Wolle Netzwerkes. Auf dem Beitragsbild sind bunte Skudden vor der Schur zu sehen.
Einer meiner Gastbeiträge auf dem Blog des Brandenburger Wolle Netzwerkes.

Gebloggt habe ich nicht nur auf meinem eigenen Blog, sondern auch beim Brandenburger Wolle Netzwerk (das sich leider Anfang 2023 aufgelöst hat).

All meine anderen Spinnereien

Spinnen

Auf meinem eigenen Blog konnte 2021 endlich ich mein allererstes Faser-Experiment, das stark gekürzt in der Zeitschrift der Handspinngilde veröffentlicht wurde, in aller epischen Ausführlichkeit veröffentlichen. Ich hatte ich beschrieben, dass es leichte Unterschiede zwischen den Fasern verschiedener Schafrassen gibt, was die Farbstoffaufnahme angeht. Sofort schwebte mir auch #dasexperimentnr2 vor Augen: Es soll eine Weiterführung von #dasexperimentnr1 werden, nämlich eine Zeitreihe, die zeigen soll, wie schnell verschiedene Fasern die Farben über die Zeit aufnehmen.

Also habe ich Anfang 2021 flugs ein paar Überlegungen angestellt, benötigte Fasermengen überschlagen und beim Händler des Vertrauens ein Paket Wolle bestellt. Frohen Mutes begann ich also im 1. Quartal zu spinnen. Das Garn wurde auch schnell fertig, aber dann blieb es doch erst mal liegen (da kam irgendwie der Blog dazwischen…). Zwar habe ich jetzt einen Färbetopf, aber um den Versuch durchzuführen, müsste ich dann doch die Familie mal für zwei Tage aus der Küche verbannen und vielleicht die Nummer vom Pizzadienst raussuchen…Nun ja, wir werden sehen. Das ist eines der Projekte, das ich definitiv mit nach 2022 nehme.

leuchtende ummantelte Lichterkette vor einem Tannenzweig
Mit Fasern umsponnene Lichterketten (engl. Fairy Lights) – machen riesig Spaß und sind ein klasse Geschenk!

Wenn ich für das Spinnen eine bucket list hätte, dann wären da Fairy Lights drauf. Also, sie wären drauf gewesen, denn mittlerweile könnte ich das streichen. Beim Aufräumen bin ich nämlich Anfang Dezember über die Micro-LED-Lichterketten gestolpert, die ich in 2020 explizit dafür gekauft und dann geschmeidig vergessen hatte…also, youtube geschaut, den großen Flügel ans Spinnrad angebaut, und Schwuppdiwupp – Fairy Lights. Ich konnte gar nicht mehr aufhören und jetzt hab ich erstklassige Weihnachtsgeschenke 🙂 und einen schönen Blogartikel dazu 😉

Färbereien

Anfang des Jahres hatte ich Samen vom Japanischen Färberknöterich geschenkt bekommen. Die Aussaat auf der Fensterbank hat geklappt, die Pflanzen sind super gewachsen und so konnte ich endlich mal eine Methode zum Blaufärben ausprobieren. Das Ganze hat so wunderbar funktioniert, dass ich das im nächsten Jahr unbedingt nochmal probieren will, vielleicht gönn ich den Pflanzen dann sogar etwas mehr Platz und größere Töpfe.

Japanische Färberknöterichpflanzen vor einer grauen Wand im Hintergrund
Der Blütenansatz des Japanischen Färberknöterichs zeigt sich – genau der richtige Zeitpunkt, um die Blätter zu ernten, da jetzt der Farbstoffgehalt am höchsten ist.

Und ganz spontan wanderte im Sommer ein großer Färbetopf zu mir, so dass ich die gerade erblühende Goldrute zum Färben nutzen konnte. Es gab so herrliche Farben, dass ich die Goldrute auch nächstes Jahr nochmal auf meine Färbeliste nehme – vielleicht sogar in Kombination mit dem Färberknöterich, wer weiß. Das gibt bestimmt tolle grün-türkis-Töne…hachz, ich freu mich jetzt schon drauf!

Vier Stränge Garn in verschiedenen Gelb-, Gold- und Grüntönen liegen auf einem Lattentisch.
Mit Goldrute gefärbte Garne – viele verschiedene Gelb-, Gold- und Grüntöne sind möglich.

Und im Herbst gab es noch ein weiteres Experiment, das noch darauf wartet, verbloggt zu werden – Färben mit Lac Dye! Stay tuned 🙂

Ein Topf mit rotem Färbesud, aus dem 3 Stränge Garn in unterschiedlichen Rottönen herausgehoben werden.
Färbung mit Lac Dye – je nach Vorbehandlung sind sehr unterschiedliche Farbtöne möglich.

Meine Highlights – und auch die Lowlights

Zu den Highlights aus 2021 zählt definitiv das Vernetzen: ich habe trotz (oder vielleicht sogar gerade wegen) der Einschränkungen viele neue interessante Menschen kennengelernt. Viele Veranstaltungen, die eigentlich analog vorgesehen waren, wurden auf einmal digital verfügbar und damit auch mir zugänglich. Manche Begegnungen setzten sich sogar im „echten Leben“ fort, und so habe ich z.B. gelernt, wie man Vliese auf den Sortiertisch wirft (leider gibt es da kein Foto von mir, ich muss das nochmal nachstellen…)

Hier ist ein Profi an der Arbeit und wirft mir gerade ein Vlies auf den Sortiertisch. Das lief wie am Schnürchen und machte -trotz der Anstrengung – riesigen Spaß.

Noch ein Highlight, ganz klar: Ich habe alleine meine eigene Website und meinen eigenen Blog aufgezogen. Mit Unterstützung durch die Community und Tipps und Tricks, aber ohne jemanden damit zu beauftragen. Und die Rückmeldungen, die ich bislang bekommen habe, sind durchweg positiv, ich bin also ganz beflügelt, weiterzumachen, und die Ideen sprudeln auch schon für weitere Artikel.

Ich will aber auch nicht verhehlen, dass es durchaus ausgeprägte Lowlights gab. Momente, in denen ich dachte, das kann alles nichts werden. Zum Beispiel, als klar wurde, dass wir eine größere Menge Wolle sowohl finanziell als auch logistisch nicht würden stemmen können und ich dem Schäfer absagen musste. Oder auch als mir dämmerte, wie viel allein 150 kg Rohwolle sind (also weit weniger als die 500kg, ab der die Wäscherei überhaupt Aufträge annimmt) und wie lange eine Person da mit Sortieren beschäftigt ist, wenn das nicht schon bei der Schur beachtet und gemacht wird. Und als ich lernte, dass ein Schäfer nicht einfach so die Schur eines anderen Schäfers auf dem Hof haben kann – dafür braucht er eine Genehmigung, er ist dann nämlich eine Sammelstelle. De facto können sich Schäfer also nur zusammentun, wenn sich einer von ihnen einem behördlichen Genehmigungsverfahren unterzieht.

2 Kleine Big Bags und ein Biertisch mit 16 auferollten, gestapelten Vliesen stehen auf einer Wiese.
Hier ist die Schur einer kleinen Herde von kleinen Schafen. Es hat einen guten Vormittag gedauert, sie zu scheren.
Drei Big Bags voll frischer Schafvliese sowie 8 Müllsäcke, ebenfalls mit Wolle, stehen auf einer Wiese.
Das Ergebnis der Schur von ca. 50 Mutterschafen. 3 Big Bags voll Vliese, sowie einige Plastiksäcke mit farblich sortierten Vliesen und Bauch-Beine-Po-Wolle. Dafür braucht man schon einen kleinen Transporter.

Es ist noch ein weiter Weg, bis Wolle wieder was wert ist, so viel ist sicher.


Mein 2021 in Zahlen

  • 2 – von 12 vor-Ort-Spinntreffen meiner Spinngruppe konnten stattfinden. Der Rest fiel ersatzlos aus.
  • 5 – Anzahl der Schuren, bei denen ich in 2021 dabei war
  • 12 – Anzahl Blogartikel, die ich veröffentlicht habe (2 beim Brandenburger Wolle Netzwerk, 10 hier bei faserexperimente)
  • 14 – Anzahl gesponnene Schafrassen aus der Umgebung (Ostfriesisches Milchschaf in weiß, braun und gescheckt, Merinofleischschaf, Merinolandschaf weiß und braun, Rhönschaf, Suffolk, Ouessant in braun und weiß, Shropshire, Rouge de l’Ouest, Gotländisches Pelzschaf, Ostpreussische Skudde, Shetland, Charollais, Kreuzung Gotländ. Pelzschaf und Rauhwolliges Pommersches Landschaf, Ryeland)
  • 31 – Anzahl Garnproben gesponnen für das Wollprojekt mit Elke
  • 53,55 – Kilo durchsortierte Wolle (leider hab ich mir nur die Mengen von Oktober bis Dezember notiert, aber davor habe ich natürlich auch sortiert!)
Ein neugieriges hellbeiges Schaf schaut hinter den Beinen der Schafhalterin in die Kamera. Beide stehen auf einer grünen Wiese.
Ist das Mähdel nicht flauschig? Eine Kreuzung aus Skudde und Coburger Fuchs, wenn ich mich recht erinnere, und durchaus neugierig 🙂

Und sonst noch? – Gedanken zum Thema „gemeinschaftsgetragen“

Anfang des Jahres kam ich das erste Mal mit dem Thema Gemeinschaftsgetragenes Wirtschaften in Berührung. Klar, von so Gemüseboxen hatte ich schon mal gehört, und dass das so eine Art Abo ist, aber mit dem Konzept dahinter hatte ich mich noch nicht auseinandergesetzt. Was mich wirklich beschäftigt, ist die Frage, ob man für Schafwolle nicht auch ein gemeinschaftsgetragenes Konzept entwickeln kann. Damit meine ich nicht crowdfunding, das ist zwar hilfreich, aber als Dauerlösung erscheint es mir zu aufwändig. (Ich glaub, dazu schreib ich nochmal einen Blogartikel :-)).
Falls Du Dich auch mal damit beschäftigen möchtest, kann ich Dir diese Bücher ans Herz legen:

drei Bücher zum Thema gemeinschaftsgetragen liegen auf einem Klavier.
Diese Bücher haben mich 2021 inspiriert, mich damit zu beschäftigen, wie Wolle als gemeinschaftsgetragenes Projekt funktionieren kann.
  • Veikko Heintz „Solidarische Landwirtschaft. Betriebsgründung, Rechtsformen und Organisationsstrukturen.“ ISBN: 978-3-930413-65-2
  • Christian Felber „Gemeinwohlökonomie“ ISBN: 978-3-492-31236-3
  • Tim Jackson „Prosperity without Growth. Foundations for the economy of tomorrow.“ ISBN: 978-1-138-93541-9

Ausblick auf 2022

Auch in 2022 werde ich die Dinge nehmen, wie sie kommen. Wenn ich eines in den letzten Jahren (nicht nur 2021) gelernt habe, dann die Wahrheit hinter dem Spruch „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man dran zieht.“

Ich habe das Gefühl, dass gerade beim Thema Wolle viel in Bewegung kommt, dass Menschen, die etwas verändern wollen, zusammenfinden. Was dabei rauskommt und wohin das geht – keine Ahnung. Aber wenn wir den nächsten Schritt gehen und dann den nächsten und dann den nächsten, dann sind wir losgelaufen und können besser die Richtung bestimmen.

Das Thema „gemeinschaftsgetragen“ dreht sich weiter in meinem Kopf, das werde ich auf jeden Fall weiterdenken und mich dazu austauschen.

Und es wird natürlich Blogartikel rund um Schafe und Handspinnen geben. Ich habe mich so viel mit Wolle-Themen beschäftigt, dass ich mein Wissen ein wenig aufbereiten und mit Euch teilen möchte. Und vielleicht ergeben sich so ja neue Vernetzungen und Verknüpfungen, die am Ende dazu führen, dass Wolle wieder mehr Wertschätzung erfährt.

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